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GLEICHHEIT/4112: Studie über Muslime - Ein gezieltes politisches Manöver


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Studie über Muslime: Ein gezieltes politisches Manöver

Von Martin Kreickenbaum
9. März 2012


Die vom Bundesinnenministerium Ende Februar veröffentlichte wissenschaftliche Studie "Junge Muslime in Deutschland" war Anlass zu einer erneuten Hetzkampagne gegen Migranten. Durch eine drastische Verkürzung und Verzerrung einiger Studienergebnisse und einer Vorabveröffentlichung in der Bild-Zeitung wurden Muslime zu "Integrationsverweigerern" abgestempelt und als demokratiefeindlich und potentielle Terroristen verunglimpft.

Das Boulevardblatt Bild sprach von einer Schockstudie und zitierte Statistiken aus der wissenschaftlichen Arbeit, nach denen 22 Prozent der Muslime in Deutschland mit deutschem Pass Integration ablehnen und ihre Herkunftskultur betonen würden. Bei Muslimen ohne deutschen Pass seien es sogar 48 Prozent, die starke "Separationsneigungen" zeigten. Außerdem wäre ein Viertel der nichtdeutschen Muslime laut der Studie "streng religiös mit starker Abneigung gegenüber dem Westen, tendenzieller Gewaltakzeptanz und ohne Integrationstendenz".

Diese völlig aus dem Zusammenhang gerissenen Zahlen wurden noch gewürzt mit einem Zitat von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), der in einer Pressemitteilung seines Hauses erklärte: "Deutschland achtet die Herkunft und kulturelle Identität seiner Zuwanderer. Aber wir akzeptieren nicht den Import autoritärer, antidemokratischer und religiös-fanatischer Ansichten. Wer Freiheit und Demokratie bekämpft, wird hier keine Zukunft haben. Dies klarzumachen, ist die Aufgabe eines jeden."

Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Hans-Peter Uhl (CSU) legte dann noch nach. "Diese Integrationsverweigerung muss nicht, aber kann den Nährboden für religiösen Fanatismus und Terrorismus darstellen", behauptete er gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung.

Diese gezielte politische Kampagne versucht die Aussagen der Studie auf das zu beschränken, was für die Verbreitung ausländerfeindlicher Stimmungen verwendet werden kann. Das auf über 750 Seiten ausgebreitete, wesentlich differenziertere Bild, das die Forscher liefern und mit dem sie auch die Integrationspolitik der Bundesregierung anprangern, wird hingegen unter den Teppich gekehrt.

Die Studie war noch vom früheren Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) im Frühjahr 2009 in Auftrag gegeben worden. Angeblich weil er sich wegen der kurz zuvor enttarnten Sauerlandgruppe über eine Radikalisierung von Muslimen in Deutschland sorgte. Tatsächlich konnte die sogenannte "Sauerlandgruppe" jedoch nur unter den Augen staatlicher Ermittlungsbehörden und unter wohl tatkräftiger Mithilfe von Verfassungsschutzleuten ihre Anschlagspläne vorantreiben und sich die notwendigen Chemikalien und Zünder besorgen.

Schon für Schäuble ging es bei der zu erstellenden Studie vor allem darum, Muslime als potentielle Terroristen und ihrem Wesen nach "demokratiefeindliche", radikale Fundamentalisten denunzieren zu können.

In der Ausschreibung für die Studie wurde ausdrücklich klargestellt, dass nur Einstellungen von Muslimen untersucht, aber auf keinen Fall die sozialen Lebensumstände in Betracht gezogen werden sollten, wie Klaus Boehnke als einer der Autoren der Studie gegenüber der Online-Ausgabe des Magazins Cicero sagte.

Dazu passt auch, dass das Forscherteam aus Jena, Bremen, Linz und Weimar, das schließlich die Arbeit für das Bundesinnenministerium angefertigt hat, aus Kommunikations- und Sozialpsychologen bestand, die sich in ihrer bisherigen Wissenschaftlerlaufbahn zwar mit Terrorismus, religiösem Fanatismus und politischem Extremismus beschäftigt hatten, aber im Bereich der Forschung zu Migration und sozialer Ungleichheit völlig unbeleckt sind.

Umso erstaunlicher ist es, dass das Team um Prof. Wolfgang Frindte von der Uni Jena einen breiten methodischen Ansatz wählte und auch offene Diskussionen mit Mehrgenerationenhaushalten von Muslimen und in verschiedenen muslimischen Gemeinden führte. Ganz im Sinne der Ausschreibung war hingegen die ebenfalls unternommene standardisierte Telefonumfrage, deren Ergebnis nun den Wirbel in den Medien ausgelöst hat.

Dieser Teil weist eklatante handwerkliche und inhaltliche Mängel auf, die vom Forschungsprojekt "Heymat" an der Humboldtuniversität in Berlin aufgedeckt wurden. An dieser Stelle soll es daher reichen, den von den Forschern benutzten Begriff der "Radikalisierung" von Jugendlichen näher zu betrachten. Sie definieren ihn folgendermaßen:

"Als radikal können (muslimische) Personen oder Organisationen gelten, die sich tiefgehende gesellschaftliche und politische Veränderungen in Deutschland wünschen, die jedoch das gegenwärtige politische und rechtliche System der Bundesrepublik zumindest respektieren und die keine illegalen oder gewalttätigen Maßnahmen ergreifen oder gutheißen."

Ganz abgesehen von der darin angelegten Widersprüchlichkeit zwischen dem Wunsch nach "tiefgreifenden Veränderungen" und gleichzeitigem "Respekt vor dem politischen System" würde sich unter einer solchen Definition wahrscheinlich eine breite Mehrheit der Bevölkerung wiederfinden. Doch wie wurde nun diese "Radikalität" in den Telefoninterviews erfasst? Dazu werden den Befragten Aussagen vorgelegt, denen sie zustimmen oder die sie ablehnen konnten. Ihnen wurde etwa die Aussage vorgelegt "Solange die westliche Welt andere Völker ausbeutet oder unterdrückt, wird es keinen Frieden auf der Welt geben". Was soll man hier anders als zustimmen, legen die Interviewer einem doch schon selber nahe, dass die westliche Welt für Unterdrückung und Ausbeutung verantwortlich ist.

Zu Antisemiten werden die Befragten schon dann abgestempelt, wenn sie sich israelkritisch äußern und der Aussage zustimmen, "Israel ist allein schuldig an der Entstehung und Aufrechterhaltung der Konflikte im Nahen Osten". Keine einzige Frage thematisiert jedoch existenzielle Fragen wie Bildung, Einkommen, Wohn- und Arbeitssituation, den Aufenthaltsstaus oder Diskriminierung durch staatliche Behörden.

Hier haben die Forscher ganz offensichtlich in vorauseilendem Gehorsam sich die Ansicht des Innenministeriums zu Eigen gemacht. Und diese Passagen der Arbeit sind es auch, die der Bild-Zeitung zugesteckt wurden und in einer nachgeschobenen Pressemitteilung des Ministeriums der Öffentlichkeit vorgestellt wurden.

Unter den Tisch gefallen sind hingegen die Schlüsse, zu denen die Forscher trotz ihrer unzulänglichen Arbeit aufgrund der offenen Diskussionen mit den Migranten gekommen sind und die den kolportierten Zahlen diametral widersprechen. Beispielsweise platzte mitten in die Datenerhebung im Spätsommer 2010 die Debatte um das Buch von Thilo Sarrazin, was den Wissenschaftlern das zweifelhafte Glück bescherte, die Folgen für Migranten muslimischen Glaubens zu erfassen. Dabei kamen sie zu dem recht eindeutigen Schluss, dass die Diskussion keineswegs der Integration förderlich gewesen war, wie seinerzeit die Integrationsbeauftragte des Bundes, Maria Böhmer (CDU) meinte, sondern sich die Muslime vor allem abgestoßen und unerwünscht fühlten und Angst und Enttäuschung äußerten.

In den abschließenden politischen Empfehlungen sprechen sich die Wissenschaftler explizit dafür aus, strukturelle Voraussetzungen zu schaffen, durch die Migranten gleiche Rechte erhalten. Integration ist keine Bringschuld von Migranten, sondern eine "Herausforderung für die Mehrheitsgesellschaft" heißt es etwa. Ständige Diskriminierungen, Gleichsetzungen von Islam und Terrorismus sowie Ausgrenzungen und Verweigerung der Zugehörigkeit würden bei muslimischen Jugendlichen dazu führen, andere Formen der Identitätsbildung zu suchen und sich der Religion und autoritären Einstellungen hinzuwenden.

Angesichts dieser Aussagen wurden die Wissenschaftler bei der Veröffentlichung der Studie weitgehend ausgeschaltet. Nach der Darstellung von Klaus Boehnke war die Studie bereits im Sommer 2011 fertig und lag ab diesem Zeitpunkt beim Ministerium vor. Im November kündigte das Ministerium eine gemeinsame Pressekonferenz an, die dann am 27. Februar plötzlich abgesagt wurde.

Zwei Tage später lancierte die Bild-Zeitung den Artikel, in dem von der "Schock-Studie" berichtet wurde, inklusive offiziellem Statement von Innenminister Friedrich. Zu diesem Zeitpunkt war die Studie öffentlich noch gar nicht zugänglich. Ganz offensichtlich wurden dem Boulevardblatt genau die Ergebnisse der Studie zugespielt, die für eine reißerische Kampagne gegen Muslime ausgeschlachtet werden konnten.

Politiker von SPD und Grünen und auch vom Koalitionspartner FDP übten Kritik an der Veröffentlichung der Studie. Sie zogen deren Methodik und Argumentation in Zweifel und warfen Friedrich Populismus vor.

Doch die Forderung des SPD-Integrationsbeauftragten Aydan Özuguz "sich seriös mit den Ursachen von Abschottung und Gewaltbereitschaft " zu befassen, oder die Klagen von Volker Beck (Grüne), dass "Muslime nur unter ihrem Nutzen der Gefahrenabwehr" bemessen würden, ihnen aber sonst erklärt würde, "dass der Islam nicht Teil unserer Gesellschaft sei", sind völlig unernsthaft.

Es war die SPD, die 1993 den Asylkompromiss mit der Union vereinbarte, mit dem Flüchtlinge pauschal verdächtig wurden, "in die Sozialsystem einzuwandern". Und es war die rot-grüne Bundesregierung, die nach dem 11. September 2001 systematisch demokratische Rechte von Migranten beschnitt und Muslime als potentielle Terroristen bezichtigte. In Berlin rühmte sich noch vor kurzem der damals amtierende rot-rote Senat damit, "kriminelle Ausländer" konsequent abzuschieben.

Diese Parteien unterstützen die Regierungspolitik, die darauf abzielt, mittels Chauvinismus und Fremdenfeindlichkeit den Bodensatz der Gesellschaft zu mobilisieren. Nicht zufällig kassiert Friedrich nun Applaus vom braunen Rand. Der Vorsitzende der Republikaner, Rolf Schlierer, gratulierte dem Innenminister mit den Worten: "Es ist höchste Zeit, dass nach Wochen der künstlichen Hysterie 'gegen rechts' endlich wieder die eigentlichen Bedrohungen für den inneren Zusammenhalt und das friedliche Zusammenleben in unserem Staat auf die politische Tagesordnung kommen"

Gerade einmal eine Woche ist vergangen seit die Spitzen von Staat und Gesellschaft ihre Anteilnahme für die Opfer der neonazistischen Zwickauer Terrorzelle zur Schau gestellt haben. Deren Taten wurden über Jahre von Verfassungsschutz und Ermittlungsbehörden, deren oberster Dienstherr der Bundesinnenminister ist, mindestens gedeckt, wenn nicht sogar aktiv unterstützt. Doch die Demokratiefeindlichkeit und autoritäre Gesinnung in den staatlichen Polizeibehörden und Geheimdiensten wird nicht öffentlich debattiert. Stattdessen wird aufgrund zweifelhafter wissenschaftlicher Ergebnisse wieder eine Integrationsdebatte losgetreten, die nichts anderes ist, als eine Hetzkampagne gegen Migranten.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 09.03.2012
Studie über Muslime: Ein gezieltes politisches Manöver
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. März 2012