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GLEICHHEIT/4197: Wahlen in Griechenland und Frankreich kündigen soziale Konflikte an


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Wahlen in Griechenland und Frankreich kündigen soziale Konflikte an

Von Peter Schwarz
8.‍ ‍Mai 2012



Die Wahlen vom vergangenen Wochenende haben Rückwirkungen auf ganz Europa. Die Abwahl von Nicolas Sarkozy in Frankreich und die verheerende Niederlage der Regierungsparteien in Griechenland sind Ausdruck einer breiten Opposition gegen die Austeritätspolitik der Europäischen Union. Sie kündigen eine Periode verschärfter sozialer Konflikte und heftiger politischer Krisen an.

Der Vorsprung von knapp 4 Prozent, mit dem der Herausforderer François Hollande in Frankreich den amtierenden Präsidenten den Nicolas Sarkozy besiegt hat, ist zwar relativ gering. Dennoch bedeutet der Wechsel im Elysée-Palast einen politischen Einschnitt. In der bisherigen Geschichte der Fünften Republik ist nur einmal ein amtierender Präsident nicht wiedergewählt worden: der Liberale Valéry Giscard d'Estaing im Jahr 1981. Damals gewann mit François Mitterrand erstmals ein Mitglied der Sozialistischen Partei die Präsidentenwahl. Mit Hollande übernimmt nun, 17 Jahre nach dem Ende von Mitterrands Präsidentschaft, zum zweiten Mal ein Vertreter der Sozialistischen Partei das höchste Staatsamt.

Hollande, ein erfahrener bürgerlicher Politiker, dessen Programm sich nur in Nuancen von demjenigen Sarkozy unterscheidet, verdankte seinen Wahlsieg in erster Linie der Unterstützung angeblich linker Organisationen. Diese wurden nicht müde, die Illusion zu schüren, mit Hollande sei eine Abkehr von der bisherigen Austeritätspolitik der EU möglich.

Der Kandidat der Linksfront, Jean-Luc Mélanchon, der in der ersten Runde 11 Prozent der Stimmen erhalten hatte, rief in der zweiten Runde zur Unterstützung Hollandes auf. Er tat dies mit der Begründung, nur so könne Sarkozy verhindert und ein Politikwechsel herbeigeführt werden. Dasselbe taten die Neue Antikapitalistische Partei (NPA) und Arbeiterkampf (LO), deren Kandidaten in der ersten Runde zusammen knapp zwei Prozent der Stimmen erhalten hatten.

In Griechenland sind Nea Dimokratia (ND) und Pasok, die das Land seit dem Ende der Militärdiktatur vor 37 Jahren abwechselnd regiert und gemeinsam das Spardiktat der EU durchgesetzt haben, regelrecht dezimiert worden. Die ND verlor seit der letzten Wahl vor drei Jahren 1,1 Millionen Wähler und erhielt nur noch 1,2 Millionen Stimmen. Die Stimmenzahl der Pasok sank von 3,0 auf 0,8 Millionen. Zusammen erhielten die beiden traditionellen bürgerlichen Parteien weniger als ein Drittel der abgegebenen Stimmen. Obwohl die ND als stärkste Partei aufgrund einer undemokratischen Wahlklausel 50 zusätzliche Mandate bekommt, reicht dies im 300-köpfigen Parlament nicht für eine Mehrheit.

Die Koalition der Radikalen Linken (SYRIZA), der eigentliche Wahlsieger, konnte die Zahl ihrer Wähler dagegen von 315.000 auf 1,1 Millionen mehr als verdreifachen. SYRIZA arbeitet auf internationaler Ebene eng mit Mélenchons Linksfront und der deutschen Linkspartei zusammen. Wie diese bedient sie sich einer antikapitalistischen Rhetorik, unterstützt und verteidigt aber die bestehenden bürgerlichen Institutionen, einschließlich der Europäischen Union. Im Wahlkampf hatte SYRIZA stets betont: "Wir sind nicht gegen den Euro, sondern nur gegen die Politik, die im Namen des Euro verfolgt wird."

Als zweitstärkste Partei spielt SYRIZA nun eine zentrale Rolle in der griechischen Politik. Sie wird eng in die Verhandlungen über eine neue Regierung einbezogen. ND-Chef Antonis Samaras, der verfassungsgemäß als erster den Auftrag zur Regierungsbildung bekam, ist bereits am Montag gescheitert und hat den Auftrag an den Vorsitzenden von SYRIZA, Alexis Tsirpas, weitergegeben. Gelingt es nicht, bis zum 17. Mai eine regierungsfähige Mehrheit zu schmieden, muss spätestens am 17. Juni erneut gewählt werden.

Auch die deutsche Regierung musste am Sonntag eine empfindliche Wahlniederlage hinnehmen. Angela Merkels Regierungskoalition aus CDU und FDP, die bisher auch im nördlichsten Bundesland Schleswig-Holstein regierte, verlor dort ihre Mehrheit an eine Koalition aus SPD, Grünen und einer dänischen Minderheitenpartei. Die CDU büßte knapp 1 und die FDP knapp 7 Prozentpunkte ein.

Die Wahlniederlagen Sarkozys und Merkels sowie die erdrutschartigen Wählerverschiebungen in Griechenland kündigen heftige gesellschaftliche Erschütterungen an. Zu diesem Schluss sind auch die führenden Wirtschaftblätter sowie die Börsen und Finanzmärkte gelangt. Am Montagmorgen brachen der Eurokurs und die europäischen Aktienkurse deutlich ein. Die Zinsen für Anleihen südeuropäischer Staaten schnellten in die Höhe.

Die Frankfurter Allgemeine bezeichnete das griechische Wahlergebnis als "Menetekel": "Das Ergebnis ist verheerend für Griechenland und verheerend für Europa."

Die Financial Times Deutschland kommentierte, das griechische Volk habe "die Parlamentswahl genutzt und über die Sparpläne der Regierung abgestimmt. Das Ergebnis ist vernichtend und für Europa gefährlich. Vor allem die radikalen Kräfte legten enorm zu, die sich einer Sanierung des eklatant verschuldeten Landes verweigern."

Das Handelsblatt schrieb: "Griechenland droht neben dem finanziellen Desaster auch ein politisches Chaos. ... Diese Wahl war vor allem ein Votum der Wut." Es warnte: "Das politische Erdbeben, das diese Wahl darstellt, ist womöglich der Vorbote einer sozialen Eruption, die schnell von Griechenland auf andere Krisenländer übergreifen könnte."

Dabei gibt es in diesen Kreisen wenig Zweifel, dass sich Hollande, Mélenchon, Tsirpas usw. dem Diktat der Finanzmärkte beugen werden. Ein Kommentar des Handelsblatts bemerkt: "François Hollande, der Sozialist der von den großen Wachstumspaketen schwärmt, wird bereits im ersten Jahr seiner Amtszeit auf dem harten Boden der Tatsachen landen. ... Es sind die Märkte, die den neuen Präsidenten ihren Willen aufzwingen werden. Und es wird eben nicht der Präsident sein, der die Märkte bändigt."

Mélenchon, der als früheres Mitglied der Sozialistischen Partei deren Unterwürfigkeit unter das Diktat der Märkte kennt, hat Hollande seine uneingeschränkte Loyalität versichert. Sein Kommentar zu Hollandes Wahlerfolg liest sich wie die Bewerbung um ein Ministeramt. Auf seinem Blog gratulierte er ihm am Sonntag zu seinem Sieg. "Ich wünsche unserem Präsidenten wie unserem Land das Beste", schrieb er und beglückwünschte die "vier Millionen Wähler der Linksfront, deren Stimmen heute die Entscheidung herbeigeführt haben". Die Linksfront werde sich dafür einsetzen, "dass die Wahlniederlage der Rechten und die Wahl von François Hollande zum Sieg der weitgehenden Forderungen führen, die sich daraus ergeben."

Was Tsipras und SYRIZA betrifft, so genügt die Drohung mit dem Staatsbankrott und dem Rauswurf aus der EU, um sie zur Ordnung zu bringen. "Tsipras ist zwar radikal in seiner Rhetorik gegen die Sparpolitik", bemerkt die Frankfurter Allgemeine dazu süffisant, "aber er spricht sich auch gegen einen Austritt aus der Eurozone aus."

Organisationen wie Mélenchons Linksfront und Tsipras' SYRIZA werden in der kommenden Periode eine Schlüsselrolle spielen, um die Wut und Empörung, die in den Wahlergebnissen vom Sonntag zum Ausdruck kam, aufzufangen und zu unterdrücken. Um ihnen die Aufgabe zu erleichtern, wird derzeit darüber diskutiert, den verhassten europäischen Fiskalpakt durch einen "Wachstumspakt" zu ergänzen. Mittlerweile setzen sich von Hollande über die deutschen Sozialdemokraten bis hin zu EZB-Chef Mario Draghi und der Financial Times fast alle dafür ein.

Die SPD, auf deren Stimmen die Bundesregierung in dieser Frage angewiesen ist, will dem Fiskalpakt im Bundestag nur zustimmen, wenn die Regierung über einen ergänzenden Wachstumspakt verhandelt. "Jetzt wird es darauf ankommen: Ist Frau Merkel mit ihrer Koalition in der Lage, substantiell über einen Wachstumspakt zu verhandeln?" verkündete SPD-Chef Sigmar Gabriel nach dem Wahlsieg Hollandes. "Gemeinsam mit den französischen Sozialisten sind wir auf solche Gespräche vorbereitet."

Merkel hat ihre entsprechende Bereitschaft signalisiert. Und sie hat auch deutlich gemacht, was unter einem Wachstumspakt zu verstehen ist: Strukturreformen, um die Wettbewerbsfähigkeit auf Kosten der Beschäftigten zu verbessern, die Neuverteilung bestehender EU-Töpfe, um die Profite einiger Industriezweige zu steigern. Die Sparprogramme sollen dabei unvermindert weiter gehen. Damit sind auch Hollande und Gabriel einverstanden. Mélenchon und Tsipras werden die nötigen linken Phrasen finden, um ihr Einverständnis zu bemänteln.

In der kommenden Periode wird alles davon abhängen, dass die Arbeiter mit diesen Organisationen und ihren trügerischen Versprechen brechen und einen unabhängigen, gemeinsamen Kampf für ein sozialistisches Programm aufnehmen.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 08.05.2012
Wahlen in Griechenland und Frankreich kündigen soziale Konflikte an
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Mai 2012