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GLEICHHEIT/4442: Großbritannien - Konservative Partei will weitere Kürzungen bei Sozialleistungen


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Großbritannien:
Konservative Partei will weitere Kürzungen bei Sozialleistungen

Von Paul Bond
20. Oktober 2012



Auf dem Parteitag der Konservativen Partei in dieser Woche signalisierten hochrangige Vertreter der britischen Regierung weitere massive Kürzungen bei den Sozialleistungen. Premierminister David Cameron gab am Eröffnungstag der Konferenz den Ton an und erklärte: "Wir haben die Sozialleistungen eingeschränkt, aber wir müssen noch weiter gehen."

Das Kernstück der neuen Einschnitte ist die Absicht, für Menschen unter fünfundzwanzig den Anspruch auf Wohngeld zu streichen. Wohngeld ist eine bedarfsgeprüfte Sozialleistung, die hilft, die Kosten für Mietwohnungen zu decken.

Die Kürzungen wurden angekündigt, als der Internationale Währungsfonds (IWF) seine Wachstumsprognosen für Großbritannien senkte und in seinem Jahresbericht davor warnte, dass Großbritannien in diesem Geschäftsjahr seinen angestrebten Defizitabbau verfehlen werde. Offizielle, im Dezember fällige Zahlen werden voraussichtlich zeigen, dass die Double-Dip-Rezession die Ziele des Defizitabbaus untergraben hat. Der IWF platzierte Großbritannien in das untere Drittel der Industrienationen, zusammen mit den USA und Frankreich. Die Antwort der konservativ/liberaldemokratischen Regierung ist die Bekräftigung ihres Vorhabens, ihr brutales Sparprogramm weiter voranzutreiben.

Die Regierung kündigte ihre Absicht an, zusätzlich zu den schon bekanntgegeben Einsparungen 2015 bis 2016 weitere 16 Milliarden Pfund [ca. zwanzig Milliarden Euro] einzusparen. Im Schnitt sollen achtzig Prozent davon nach der bevorzugten Vorgehensweise durch Einsparungen und zwanzig Prozent durch Steuererhöhungen erreicht werden. Schatzkanzler George Osborne und der Minister für Arbeit und Renten Iain Duncan Smith gaben später ein Programm für die Einsparung von zehn Milliarden Pfund bei den Sozialausgaben bekannt. Diese sollen zusätzlich zu den Einschnitten im Sozialbereich von achtzehn Milliarden Pfund durchgeführt werden, die die Koalition schon 2010 als Teil der insgesamt mehr als 100 Milliarden Pfund umfassenden Sparmaßnahmen angekündigt hat. Osborne hofft, die Sozialausgaben auch durch die Beendigung der an die Inflation gekoppelten jährlichen Anhebung der Renten zu senken.

Osborne und Duncan Smith stellten ihre Pläne in der Daily Mail vor und erklärten "die Beendigung der Nehmen-ohne-zu-geben-Kultur". Es ist "nicht mehr länger in Ordnung", schreiben sie, "ein Leben zu führen ohne zu arbeiten". Angesichts der jüngsten gesetzlichen Regelung, die ein Workfare System [Sozialfürsorgesystem mit Pflicht zur Arbeit] etablierten, kann dies nur bedeuten, Arbeitslose durch die Androhung der Streichung ihrer Bezüge in schlecht bezahlte oder unbezahlte Arbeitsprogramme zu zwingen.

In ihrem Artikel bezeichneten die Minister zwei der Gruppen, die sie mit der neuesten Runde von Kürzungen im Visier haben und fragten: "Ist es richtig, dass Schulabgänger in der Lage sein sollten, direkt ein Leben unter Inanspruchnahme von Wohngeld zu führen, ohne zuerst einen Job zu finden?" Er fügte hinzu: "Ist es richtig, dass die Menschen, die arbeiten, sich um die vollständige Finanzierung eines weiteren Kindes kümmern müssen, während die ohne Arbeit das nicht brauchen?"

Diese Kommentare offenbaren die gefühllose Gleichgültigkeit gegenüber den Auswirkungen dieser brutalen Maßnahmen, die verheerende Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen haben und viele in die Obdachlosigkeit treiben werden.

Keiner der Vorschläge wird aus sich heraus große Summen einsparen. Die aktuelle jährliche Summe für die 380.000 unter Fünfundzwanzig-Jährigen, die Wohngeld beanspruchen (nur 8 Prozent der gesamten Leistungsansprüche auf Wohngeld) beträgt 1,8 Milliarden Pfund. Von diesen sind 166.000 ledig und kinderlos. Einige leben nicht mehr zu Hause. Andere haben bereits Arbeit.

Osborne fragte: "Wie können wir es rechtfertigen, jungen Menschen, die noch nie gearbeitet haben, Wohnungen zu geben, wenn doppelt so alte, arbeitende Menschen immer noch bei ihren Eltern leben, weil sie sich ihr erstes eigenes Zuhause nicht leisten können?" Seine Lösung besteht darin, alle sozialen Sicherheitsnetze abzuschaffen und junge Arbeiter zu zwingen, wieder bei ihren Eltern, die selbst auch unter dem Mangel an sozialer Selbstbestimmung leiden, einzuziehen.

Die Obdachlosenorganisation Crisis schätzt, dass im letzten Jahr 10.000 junge Menschen obdachlos geworden sind, nachdem ihre Eltern sie hinausgeworfen hatten.

Die Kommentare über Leistungskürzungen bei Kindern sind besonders bedrohlich. Mehr als zwei Drittel der Kinder aus Haushalten, die Transferleistungen erhalten, stammen aus Arbeiterfamilien. Rund 330.000 Familien ohne Arbeit haben drei oder mehr Kinder. Nach Berechnungen des Instituts for Fiscal Studies würden Einsparungen von jährlich einer Milliarde Pfund im Jahr bei dieser Zielgruppe durchschnittliche Kürzungen von 3.000 Pfund pro Familie erfordern.

Osborne deutete an, dass er dazu neige, die zusätzliche Unterstützung für jedes Kind in der Familie abzuschaffen, und äußerte BBC gegenüber: "Sie erhalten automatisch mehr Geld, wenn Sie noch ein Kind haben. Das verschafft Ihnen Vorteile. Wir stellen nur die Frage, ist das sinnvoll?"

Soziale Hilfsorganisationen haben vor den sozialen Verwerfungen gewarnt, die durch weitere Kürzungen bei den Sozialleistungen verursacht werden. Die Joseph Rowntree Foundation kommentierte: "Leistungen für Gruppen zu kürzen, die wenig öffentliche Anteilnahme erfahren, kann sich in einer Konferenzrede gut machen. Aber das Risiko von Armut und Not wird dadurch ansteigen". Rhian Beynon von der Organisation Family Action sagte: "Das Wohngeld für unter Fünfundzwanzigjährige abzuschaffen, macht es für junge Menschen in Notsituationen noch schwieriger, Arbeit zu finden und voranzukommen. Das ist keine Antwort. Genauso wenig bringt es, Kinder dafür zu bestrafen, dass ein Elternteil arbeitslos ist."

"Es steht uns bereits eine Deckelung der Sozialausgaben bevor", bemerkte sie, "die vielen Familien Kürzungen bei Sozialleistungen auferlegt. Diese weiteren Einsparungen am Sozialbudget könnten für die Kinder und Familien, die wir unterstützen, buchstäblich eine Katastrophe bedeuten."

Die Koalition ist sich völlig im Klaren über die enorme Feindseligkeit, die solche Maßnahmen provozieren werden. Es wurde ausführlich darüber berichtet, dass den neuesten Einschnitten nur nach einer eingehenden Diskussion zugestimmt wurde, wobei sich Duncan Smith selbst anscheinend gegen noch weitergehende Einschnitte zu diesem Zeitpunkt gewandt hat. Allerdings haben die Konservativen deutlich gemacht, dass die einzigen Vorschläge, denen sie auf keinen Fall zustimmen werden, solche sind, die beinhalten, dass die Reichen mehr zahlen sollen. In seinem Vortrag auf der Konferenz sagte Osborne, das ein ausgeglichener Haushalt nicht "aus den Brieftaschen der Reichen" bezahlt werden könne.

Vor der Tory Konferenz hatte der stellvertretende Ministerpräsident und Führer der Liberaldemokraten, Nick Clegg gesagt, er wolle Einsparungen bei den Sozialleistungen nur zustimmen, wenn vorher Vermögenssteuern wie beispielsweise eine "Villensteuer" auf teure Häuser beschlossen würden. Gerade einmal sechs Monate nachdem Osborne den Spitzensteuersatz der Einkommensteuer für diejenigen mit einem Einkommen von über 100.000 Pfund von 50 auf 45 Prozent gesenkt hat, ist dieser Vorschlag nicht mehr als eine hohle Forderung, die aufgestellt wurde, um der Koalition die Durchsetzung ihrer bösartigen, rechten Agenda zu erleichtern und gleichzeitig Cleggs schwindende, persönliche Karrierechancen zu stärken.

Osborne und Cameron lehnten ausdrücklich jede Art von Vermögenssteuer explizit ab, während sie vage behaupten, dass auch die Reichen "ihren gerechten Anteil zahlen" würden. Osborne nannte Forderungen nach einer Vermögenssteuer als "Politik des Neids" und behauptete, solche Steuern seien unfair. Cameron sagte, die Tories würden sich bei der Notwendigkeit weiterer Sparmaßnahmen, einschließlich des Sozialabbaus, an der Öffentlichkeit "ausrichten", während sie Vermögenssteuern einschließlich der symbolischen, von den Liberaldemokraten vorgeschlagenen, befristeten einmaligen Vermögensabgabe, ausschließen.

Während er die Abschaffung des Rechts auf Wohngeldzahlungen für Tausende von Menschen aus der Arbeiterklasse befürwortete, sagte er "Ich glaube eigentlich nicht, dass wir ein Land sein sollten, wo ... Du Dir ein Haus kaufst, daran arbeitest, die Hypothek abzuzahlen, sparst und in das Haus investierst - ich will nicht in einem Land leben, dass Dir dann jedes Jahr eine massive hohe Steuer abverlangt, und deshalb wird das nicht stattfinden."

Cameron sprach sich gegen diese Steuer mit der Begründung aus, dass die Reichen schon überproportional in das Visier des Finanzministeriums geraten seien! Damit verteidigte er die Senkung des Spitzensteuersatzes, dessen bisherige Rate von fünfzig Prozent er als "völlig konkurrenzunfähig" bezeichnete.

In einem BBC-Interview während der Konferenz, forderte der konservative Bürgermeister von London Boris Johnson eine weitere Reduzierung des Spitzensteuersatzes auf vierzig Prozent. Johnson, der offen für die Interessen der City of London eintrat, sagte: "Wir geraten langsam in eine Situation, in der die Steuern nicht mehr wettbewerbsfähig" sind und Großbritannien im internationalen Wettbewerb benachteiligen.

Osborne argumentierte, mit einer Villensteuer werde riskiert, "Unternehmen und Investitionen" ins Ausland zu treiben. Oder, wie es ein Kommentator in The Spectator ausdrückte, eine solche Steuer hätte "eine abschreckende Wirkung auf ausländische Unternehmer und Investoren".

Diese Schicht finanzieller Parasiten wird von der Regierungskoalition, aber ebenso von der oppositionellen Labour Party verteidigt. Nur eine Woche zuvor hat der Schatten-Minister für Arbeit und Renten von der Labour Party, Liam Byrne, angekündigt, dass die Labour Party vorhabe, die Einsparungen bei den Sozialausgaben fortzusetzen, falls sie die nächsten Wahlen gewinnen werde.

In dem im März vorgelegten Haushalt hat Osborne die Körperschaftsteuer für die nächsten drei Jahre auf zweiundzwanzig Prozent gesenkt, um diese Schicht der Finanzparasiten zu gewinnen. Die neuesten Einschnitte bei lebenswichtigen sozialen Leistungen für die Ärmsten und am stärksten Gefährdeten werden durchgesetzt, um die Interessen der Superreichen zu finanzieren.

http://www.wsws.org/de/2012/okt2012/welf-o20.shtml

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Quelle:
World Socialist Web Site, 20.10.2012
Großbritannien:
Konservative Partei will weitere Kürzungen bei Sozialleistungen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Oktober 2012