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GLEICHHEIT/4481: Regierungswechsel auf Sizilien


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Regierungswechsel auf Sizilien

Von Marianne Arens
17. November 2012



Am Montag den 12. November trat der neugewählte Regionalpräsident von Sizilien sein Amt im Normannenpalast von Palermo an. Rosario Crocetta ist nicht, wie seit dem Zweiten Weltkrieg fast jeder sizilianische Präsident, Christdemokrat und Günstling der Mafia, sondern er kommt aus der Kommunistischen Partei, war Mitglied von Rifondazione Comunista und gilt als aktiver Mafia-Gegner. Als Bürgermeister von Gela entging er zweimal nur knapp einem Anschlag der Cosa Nostra.

In den vorgezogenen Regionalwahlen vom 28. Oktober war Crocetta Kandidat der Demokratischen Partei (PD) und der UDC, einer kleineren christdemokratischen Partei. Er gewann auf Kosten der Berlusconi-Partei Volk der Freiheit (PdL), die vernichtend geschlagen wurde. Hatte die PdL bei den letzten Regionalwahlen mit 33,4 Prozent noch den Präsidenten gestellt, kam sie nun nur noch auf 12,9 Prozent. Zusammen mit einer Abspaltung, die 9 Prozent erhielt, waren es 22 Prozent.

Die vorgezogene Regionalwahl war notwendig geworden, weil Raffaele Lombardo, der alte Regionalpräsident, Ende Juli 2012 wegen mafiöser Verstrickung zum Rücktritt gezwungen worden war. Zu diesem Zeitpunkt war Siziliens Haushalt derart überschuldet, dass er von der nationalen Regierung in Rom unterstützt werden musste. Premier Mario Monti knüpfte Sofortkredite in Höhe von 900 Millionen Euro für Sizilien an die Bedingung, dass Lombardo zurücktritt und ein massives Sparprogramm durchgeführt wird.

Rosario Crocetto, der neue Präsident, kann im Parlament nur auf 39 von 90 Sitzen zählen. Er hat etwas mehr als dreißig Prozent der Stimmen erhalten, was angesichts der Wahlbeteiligung von 47 Prozent bedeutet, dass ihn nicht einmal 15 Prozent aller Wahlberechtigten gewählt haben. Nun muss Crocetta mit einer Minderheit regieren.

Trotzdem wird sein Amtsantritt in den Medien und von Führungspolitikern des Mittelinks-Lagers, wie Pierluigi Bersani (PD) und Nichi Vendola (SEL), als Wende, Neuanfang und "sizilianische Revolution" gefeiert. Sie behaupten, der "Kommunist, Katholik und bekennende Homosexuelle" werde mit der Mafia aufräumen.

Auf einer Kundgebung am Sonntagabend in Palermo versprach Crocetta, jetzt sei Schluss mit Klientelismus und Verschwendung. Als er die Bühne betrat, forderten Zuschauer: "Arbeit, Arbeit!" Er antwortete: "Ja richtig. Doch um Arbeit zu schaffen, müssen wir erst Schluss mit den Privilegien und der Verschwendung machen und eine führende Klasse wegjagen, die dieses Sizilien zerstört hat."

Crocettas angeblicher "Kampf gegen Mafia und Korrpution" soll in erster Linie von seiner wirklichen Aufgabe ablenken, im Auftrag der Regierung Monti das schlimmste Sparpaket in der sizilianischen Geschichte umzusetzen.

Sizilien ist ein besonders drastisches Beispiel für das, was gegenwärtig in ganz Italien geschieht. Um den Haushalt auszugleichen, setzt die Regierung massive Sozialkürzungen und Steuererhöhungen durch und greift die Rechte der Arbeiter an. Die Arbeiterklasse verarmt immer mehr, während die Preise, besonders für Benzin und Heizung, ständig ansteigen. Die Jugendarbeitslosigkeit hat sich unter Monti offiziell um fünf Prozent erhöht, von knapp unter dreißig Prozent Ende letzten Jahres auf heute 35 Prozent.

Sizilien galt schon bisher als Armenhaus Italiens. Infolge von Eurokrise und Rezession steigt die Arbeitslosigkeit ständig weiter. Laut einer Statistik von September liegt sie in Sizilien bei 25 Prozent, während sich die Jugendarbeitslosigkeit offiziell der Fünfzig-Prozent-Marke nähert. Vor einem Jahr wurde das Fiat-Werk in Termini Imerese geschlossen, ein Signal, dass die Regierung den in der Nachkriegszeit unternommenen Versuch, durch öffentliche Investitionen den Mezzogiorno zu entwickeln, endgültig begraben hat.

Die neue sizilianische Regierung wird jetzt bei Renten, Schulen, Krankenhäusern und Versorgungsleistungen noch einmal drastisch sparen. Die Arbeitsplätze von 35.000 Arbeitern im öffentlichen Dienst stehen auf der Kippe. Bezeichnend ist die Reaktion der Regierung Crocetta auf den seit Wochen andauernden Streik der Müllmänner, von denen viele seit Mai nicht mehr bezahlt wurden, weil die öffentlichen Kassen leer sind. Der Streik soll nun durch Zwangverpflichtung eines Teils der Arbeiter beendet werden, während 400 Müllmänner entlassen werden.

An der Regionalwahl vom Oktober fielen zwei Besonderheiten ins Auge: Die extrem niedrige Wahlbeteiligung von 47 Prozent (gegenüber 67 Prozent 2008); nicht einmal jeder zweite der 4,4 Millionen wahlberechtigten Sizilianer ging zur Urne. Und der Aufstieg der "Fünf Sterne" (Cinque Stelle), der von Komiker Beppe Grillo im Internet aufgebauten Protestbewegung. Sie ging mit fünfzehn Prozent der Stimmen als stärkste Einzelpartei aus der Wahl hervor, und ihr Kandidat Giancarlo Cancelleri kam mit 18,2 Prozent auf den zweiten Platz hinter Rosario Crocetta.

Die Stimmen für Beppe Grillo sind typische Proteststimmen: Grillo wettert gegen die Europäische Union und gegen den Euro, gegen Verschwendung und Korruption, sowie gegen Politiker und Parteien, ohne jemals die kapitalistischen Interessen zu nennen, denen sie dienen. Aus Protest gegen das Bauprojekt einer Brücke, die Sizilien mit dem Festland verbinden soll, durchschwamm Grillo im Wahlkampf die Meerenge von Messina. Grillo postuliert ein insgesamt rechtes und populistisches Programm, das unter anderem eine Börsenreform, die Förderung einheimischer Produkte und mehr Mitsprache für Kleinaktionäre fordert.

Die hohe Wahlenthaltung und die Stimmen für Beppe Grillo sind ein klares Misstrauensvotum gegen die etabliereten Parteien. Auch der Kandidat, der jetzt das Rennen machte, Rosario Crocetta, trug dieser Stimmung Rechnung. Er schimpfte lautstark gegen Korruption, Verschwendung und mafiöse Verstrickung und versprach, er werde "alles anders" machen.

Er steht für die Art von "sizilianischer Revolution", von der der junge Tancredi, Spross des Fürstenhauses Salina, in Tomasi di Lampedusas berühmtem "Gattopardo" spricht, wenn er fordert: "Wenn wir wollen, dass alles bleibt wie es ist, ist es nötig, dass alles sich verändert."

Crocettas Image als unbeugsamer Gegner der "Ehrenwerten Gesellschaft" hat bereits in der Wahl Schaden erlitten. Die sizilianische UDC, die ihn unterstützte, hatte Jahre lang Salvatore (Totò) Cuffaro unterstützt, einen früheren Präsidenten Siziliens (2001-2008) und Mittelsmann der Cosa Nostra, der inzwischen wegen Begünstigung der Mafia zu einer siebenjährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden ist.

Die Machstellung der Mafia auf Sizilien geht bis auf die Entstehung des modernen italienischen Staates zurück. Die allliierten Streitkräfte hatten bei ihrer Landung auf Sizilien im Juli 1943 die Dienste der Mafia genutzt, um die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten, den kommunistischen Widerstand zu liquidieren und der Gefahr einer Revolution entgegenzuwirken. Viele Mafiosi gelangten so in öffentliche Ämter.

Die von Stalin beeinflusste Kommunistische Partei ihrerseits verteidigte im Namen der "nationalen Einheit" die bürgerliche Ordnung und lehnte einen revolutionären Aufstand ab, der in Sizilien mit dem Großgrundbesitz auch die materielle Grundlage der Mafia beseitigt hätte.

Heute schaffen Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit und wachsendes Elend einen fruchtbaren Boden für die Mafia und andere reaktionäre Organisationen. Weit davon entfernt, sie zu bekämpfen, wird ihr Crocettas Sparpolitik neuen Auftrieb verleihen.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 17.11.2012
Regierungswechsel auf Sizilien
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. November 2012