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GLEICHHEIT/4490: EU-Haushaltsgespräche in Sackgasse


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

EU-Haushaltsgespräche in Sackgasse

Von Stefan Steinberg
24. November 2012



Im Lauf der Woche sind bei den Verhandlungen über den Haushalt der Europäischen Union (EU) scharfe Spannungen sichtbar geworden. Alle sieben Jahre wird über einen neuen EU-Haushalt verhandelt, diese Verhandlungen waren bisher immer von nationalistischen Selbstdarstellungen gekennzeichnet, aber diesmal waren die Spannungen zwischen den europäischen Mitgliedsstaaten besonders auffallend.

Der Gipfel der EU-Staatschefs begann am Donnerstag um acht Uhr abends. Es konnte bisher noch keine Einigung erzielt werden. Weitere Gespräche sollen am Freitag stattfinden, wenn nötig auch am Wochenende.

Im Vorfeld des Gipfels am Donnerstag kam es zwischen den Mitgliedsstaaten zu beträchtlichen Streitigkeiten über den Haushalt, der einstimmig verabschiedet werden muss. Im Jahr 2011 betrug er 127 Milliarden Euro, 44 Prozent davon waren für Subventionen für die Landwirtschaft vorgesehen; 33 Prozent für Strukturhilfen für ärmere Regionen der EU, 8,5 Prozent für die Forschung, sechs Prozent waren Verwaltungskosten. Die nationalen Regierungen Europas haben drei Viertel davon bezahlt, der Rest kam aus Mehrwertsteuer- und Zolleinnahmen.

Die Europäische Kommission hatte für den Zeitraum von 2014 bis 2020 ursprünglich eine kleine Erhöhung des EU-Haushaltes vorgeschlagen. Er sollte insgesamt etwas mehr als eine Billion Euro betragen. Das Europaparlament und die siebzehn Länder, die Netto-Empfänger von EU-Geldern sind, hauptsächlich süd- und osteuropäische, unterstützten den Vorschlag.

Die Gruppe der Nettozahler, deren wichtigste Mitglieder einige nordeuropäische Staaten sind, vor allem Deutschland, die Niederlande und Finnland, lehnten den Vorschlag jedoch ab. Statt einer Erhöhung des EU-Haushaltes fordern sie dessen Beschränkung auf ein Prozent der Wirtschaftsleistung der EU, d.h. auf 960 Milliarden Euro.

Der britische Premierminister David Cameron stellte sich sowohl gegen den Vorschlag der Europäischen Kommission als auch gegen die Haltung Deutschlands. Cameron hatte vor seiner Reise nach Brüssel vom britischen Parlament das Mandat erhalten, auf Ausgabenkürzungen zu bestehen, nachdem sich ein Kern von Abgeordneten von Camerons Konservativer Partei mit der oppositionellen Labour Party verbündet hatte und gemeinsam eine Senkung des EU-Haushalts forderte.

Anfang der Woche forderte Cameron, dass der EU-Haushalt auf dem Niveau von 2011 bleiben und nur um die Inflationsrate erhöht werden solle. Das wären 200 Milliarden Euro weniger als der Plan der Kommission vorsieht. Cameron hat außerdem angedroht, sein Veto einzulegen, um den EU-Haushaltsplan zu stoppen, sollte sich Europa nicht fügen.

Vor dem Treffen am Donnerstagabend legte der Präsident des Europäischen Rates Herman Van Rompuy einen Vorschlag vor, der allgemein als Zugeständnis an Cameron gewertet wird: Der Haushalt soll deutlich weniger als eine Billion Euro betragen. Cameron erklärte sofort, er werde Van Rompuys Plan ablehnen, weil Großbritanniens Sonderrabatt dadurch halbiert würde. Durch diesen Rabatt, der 1984 von der damaligen Premierministerin Margaret Thatcher ausgehandelt worden war, muss Großbritannien weniger zur Finanzierung der EU einzahlen.

An den scharfen Antagonismen zwischen den EU-Mitgliedsstaaten, die in Brüssel sichtbar wurden, zeigt sich die Verschiebung in der europäischen Politik nach vier Jahren verheerender Sparpolitik, die wegen der Weltwirtschaftskrise betrieben wurde.

Viele süd- und osteuropäische Staaten mussten auf Anordnung der EU harte Sparmaßnahmen durchführen. Als Folge dieser Maßnahmen leiden sie unter großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten und hoher Arbeitslosigkeit. Spanien hatte vor dem Gipfel weitere EU-Gelder gefordert, um Maßnahmen gegen seine steigende Arbeitslosigkeit ergreifen zu können. Italien, das sich in der Rezession befindet, erklärte, sein Beitrag zum EU-Haushalt sei zu hoch.

Ungarn beklagte, es bekäme zu wenig Geld, da sein Bruttoinlandsprodukt (BIP) in den letzten Jahren durch Sparmaßnahmen gesunken sei und es eine Obergrenze für Subventionen erreicht habe, die ans BIP gebunden ist. Alle diese Länder unterstützen eine Erhöhung des EU-Haushaltes und Erhöhungen ihrer eigenen Beiträge.

Deutschland hat sich am stärksten für brutale Kürzungen in Griechenland, Spanien und Italien eingesetzt, und ist entschlossen, keine Zugeständnisse zu machen. Berlin hat sich geweigert, mehr Geld für Griechenland bereitzustellen, das sich bereits seit fünf Jahren in der Rezession befindet, und stellt sich auch gegen eine Erhöhung des EU-Haushaltes, von der die schwächelnden Wirtschaften in Süd- und Osteuropa profitieren könnten.

Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte am Mittwoch in einer Debatte im Bundestag ihre Bereitschaft, die Verhandlungen über den EU-Haushalt bis nächstes Jahr in die Länge zu ziehen, um ein akzeptables Abkommen auszuhandeln. Ein weiterer wichtiger Graben hat sich in den diesjährigen Gesprächen zwischen Deutschland und Frankreich aufgetan. Bisher waren die beiden Länder meist in der Lage, vor den Haushaltsverhandlungen einen gemeinsamen Block zu bilden. Diesmal hat Paris jedoch seine Unzufriedenheit mit den Vorschlägen erklärt, den Haushalt der EU durch Kürzungen der Agrar- und Regionalsubventionen zu senken, wovon französische Bauern betroffen wären. Die bedeutendste Spaltung ist jedoch die zwischen Großbritannien und dem Rest Europas. Großbritannien hat enge wirtschaftliche Beziehungen mit Europa. Fast die Hälfte des britischen Handelsvolumens geht in die Europäische Union. Davon sind Millionen Arbeitsplätze betroffen, und auch die britischen Banken sind sehr stark in Europa involviert. Dennoch fordert ein einflussreicher Flügel der britischen Politik mehr Distanz zur EU, inklusive der Option eines "Brexit" - des Austritts aus der EU.

Cameron hat mehrfach erklärt, dass ein Zusammenbruch des Euro verheerende Folgen für den britischen Kapitalismus hätte, aber er hat seine eigene Politik häufig der rechten EU-feindlichen Stimmung angepasst.

In den letzten Monaten kam es zu einer Eskalation der wirtschaftlichen Konflikte zwischen Großbritannien und dem Rest Europas. Das Zentrum von Großbritanniens Finanzinteressen, die City of London, kämpft erbittert gegen die Vorschläge der EU zur Regulierung des europäischen Bankwesens.

Das letzte Mal, als Streitigkeiten zwischen Großbritannien und den Führungsmächten des europäischen Kontinents aufflammten, ging es um den Versuch des britischen Rüstungskonzerns BAE, mit dem deutsch-französischen Flugzeug- und Rüstungsunternehmen EADS zu fusionieren. Das Vorhaben wurde vor einigen Monaten eingestellt, hauptsächlich aufgrund des Widerstandes von Bundeskanzlerin Merkel.

Gleichzeitig sinkt in der Bevölkerung Großbritanniens und Europas der Rückhalt für die EU. Arbeiter verbinden die Europäische Union zu Recht mit Spardiktaten, Arbeitslosigkeit und gnadenlosen Angriffen auf die sozialen Rechte der Arbeiter.

In Großbritannien versuchen jetzt chauvinistische Kräfte, darunter die Gewerkschaften und die Labour Party, die Stimmung gegen die EU für rechte Politik auszunutzen, um die Aufmerksamkeit von ihrer eigenen Rolle in der derzeitigen sozialen Krise des Landes abzulenken.

Diejenigen europäischen Politiker, die für eine Erhöhung des EU-Haushaltes eintreten, wie Martin Schultz, der Präsident des Europäischen Parlamentes, erklären, der Haushalt sei dafür da, Länder bei der Schaffung von Arbeitsplätzen zu unterstützen.

Diese Behauptungen sind heuchlerisch und falsch. Das Europäische Parlament und die Europäische Kommission haben in Griechenland und anderen Staaten die größten Angriffe auf die Löhne und Rechte der Arbeitnehmer seit den 1930ern durchgesetzt, um die Profite der Finanzelite zu schützen.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 24.11.2012
EU-Haushaltsgespräche in Sackgasse
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. November 2012