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GLEICHHEIT/4678: Hunderttausende protestieren in Bangladesch wegen Fabrikeinsturz


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Hunderttausende protestieren in Bangladesch wegen Fabrikeinsturz

Von Patrick O'Connor
27. April 2013



Wegen dem Einsturz des Hochhauses einer Textilfabrik in der Nähe von Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch, sind Massenproteste ausgebrochen. Es hat in den letzten Jahren in dem verarmten Land eine ganze Serie von Industriekatastrophen gegeben.

Viele demonstrierende Arbeiter trugen schwarze Flaggen und blockierten Straßen in mindestens drei Industriebezirken. Ein Polizeisprecher sagte gegenüber Associated Press, dass Arbeiter mehrere Fabriken angegriffen hätten, deren Manager sich weigerten, die Produktion zu unterbrechen.

In mehreren Teilen des Landes brachen Proteste aus. Der Guardian berichtete, dass Tausende Arbeiter in Textilfabriken in dem Industrieviertel Savar vor den Toren der Hauptstadt Aktionen ergriffen hätten.

In Dhaka demonstrierten 1.500 Arbeiter vor der Vereinigung der Bekleidungshersteller und -exporteure und forderten die Hinrichtung der Besitzer der eingestürzten Fabriken. Der Vizepolizeichef von Dhaka behauptete, dass einige Arbeiter Scheiben eingeschlagen und Autos beschädigt hätten, bevor sie von der Polizei "verjagt" wurden.

Die Huffington Post berichtete, dass mindestens 25 protestierende Arbeiter verletzt wurden, als die Polizei eine "emotionale Beerdigungsprozession mit Schlagstöcken auseinandertrieb, die nur siebzig Meter an der Stelle vorbeiführte, an der das Gebäude zusammengebrochen war".

Mehrere Regierungen in Bangladesch haben in der Vergangenheit schon Versuche von Textilarbeitern gewaltsam unterdrückt, für ihre Interessen zu kämpfen. 2010 schickte die amtierende Regierung Polizei gegen streikende Arbeiter und erschoss vier unbewaffnete Demonstranten.

Die Zahl der Opfer bei dem Gebäudeeinsturz ist inzwischen auf 261 gestiegen. Viele der Überlebenden haben schwerste Verletzungen erlitten. Gliedmaße mussten amputiert werden. Einige Arbeiter wurden von großen Webstühlen vor den Trümmern des einstürzenden Gebäudes geschützt. So entstanden auch Luftblasen, so dass noch längere Zeit Überlebende aus den Trümmern gezogen werden konnten.

Es wird auch über vermisste Kinder berichtet, die sich zum Zeitpunkt des Unglücks in einem Kindergarten im obersten Stockwerk des sieben geschossigen Gebäudekomplexes aufhielten. In dem Gebäude waren fünf Bekleidungsfabriken, eine Bank und 200 Läden tätig.

Die Rettungsaktionen werden fortgesetzt. Weil noch bis zu 900 Arbeiter vermisst werden, wird befürchtet, dass die Zahl der Opfer 1.000 übersteigen könnte.

Der Besitzer des eingestürzten Gebäudekomplexes, Mohammed Sohel Rana hat enge Beziehungen zur regierenden Awami League. Die Medien in Bangladesch berichten, dass Rana ein hoher Führer der örtlichen Jugendorganisation der Awami League, der Jubo League, war.

Premierministerin Scheich Hasina dementierte diese Berichte gestern in einer Rede vor dem Parlament und erklärte, sie habe die Liste von Amtsinhabern der Jubo League persönlich inspiziert, Ranas Namen aber nicht gefunden.

Hasina fügte hinzu: "Die Verantwortlichen für den tragischen Vorfall müssen bestraft werden. Niemand wird geschont werden. Egal wer die Schuldigen sind - selbst wenn sie zu unserer Partei gehören: sie werden nicht ungeschoren davonkommen."

In Wirklichkeit trägt das ganze politische Establishment von Bangladesch die Verantwortung für die Bedingungen, die zu dieser Katastrophe geführt haben. Zahlreiche Politiker und Militärs haben sich persönlich durch den Bau und Betrieb von Kleidungsfabriken bereichert, die mittlerweile 80 Prozent der jährlichen Exporte im Gesamtwert von 24 Milliarden Dollar ausmachen.

Die herrschende Klasse agiert als korrupter Vertragspartner der internationalen Bekleidungskonzerne, deren endlose Jagd nach größeren Profiten die Fabrikbesitzer in Bangladesch dazu bringt, Kosten zu senken und die Sicherheit zu vernachlässigen. Erst fünf Monate vor dem Einsturz am Mittwoch wurden bei dem schwersten Fabrikbrand in Bangladesch bei Tazreen Fashion in Dhaka 112 Arbeiter getötet.

Bangladesch ist nach China zum zweitgrößten Bekleidungsproduzenten geworden, indem es internationalen Investoren und ihren Tochtergesellschaften und Zulieferern freie Hand gelassen hat.

Etwa vier Millionen Textilarbeiter, hauptsächlich Frauen, gehören zu den am stärksten ausgebeuteten Teilen der Arbeiterklasse und leiden unter Armutslöhnen und schrecklichen Arbeitsbedingungen. Viele Arbeiter erhalten angeblich nur 37 Dollar im Monat bei fünfzehnstündigen Arbeitstagen.

Sicherheitsbestimmungen existieren praktisch nicht, das Arbeitsrecht wird regelmäßig missachtet. Laut Human Rights Watch beschäftigt das Arbeitsministerium von Bangladesch nur achtzehn Inspektoren, die die Bedingungen in mehr als 100.000 Fabriken in Dhaka kontrollieren sollen.

Die internationalen Bekleidungsunternehmen, die die eingestürzten Fabriken ausgebeutet haben, beeilten sich, Mitleid mit den Opfern zu heucheln, leugneten jedoch jede Verantwortung.

Mehrere nichtstaatliche Organisationen kritisieren erneut die großen Einzelhandelsketten. John Hillary, der leitende Direktor der britischen Anti-Armutsorganisation War on Want, verurteilte die sozialen "Verantwortungsprogramme" der Konzerne und erklärte, dass die Arbeiter vor Inspektionen instruiert werden, was sie sagen sollen, dass die Fabriken geschönte Bücher vorlegen und die realen Missstände verheimlichen.

Das Wall Street Journal schrieb, dass mindestens zwei der Fabriken in dem eingestürzten Komplex vor kurzem von der Business Social Compliance Initiative (BSC) inspiziert worden waren, einer Organisation, die etwa 1000 europäische Unternehmen repräsentiert, darunter Adidas, Esprit und Hugo Boss.

Die Prüfer erklärten, sie seien keine "Gebäudeingenieure" und es sei "Sache der lokalen Behörden", sicherzustellen, dass die Gebäude und die Infrastruktur sicher sind. Der leitende Direktor von BSCI Lorenz Berzau sagte dem Journal: "Es ist wichtig, nicht zuviel von diesen sozialen Prüfern zu erwarten."

Die Los Angeles Times erteilte jeder Aussicht auf Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Bangladesch eine schroffe Absage: "Arbeitsrechts- und Wirtschaftsexperten sagen: Korruption, eine mächtige Bekleidungsindustrie und das Beharren westlicher Konsumenten auf niedrigen Preisen werden dafür sorgen, dass die Arbeitsbedingungen schlecht bleiben."

Es tauchen immer weitere Informationen über den eingestürzten Komplex auf. Sein Besitzer Mohammad Sohel Rana hatte ihn im Jahr 2007 erbaut, nachdem er einen Teich trockengelegt und Betonfundamente in dem sumpfigen Gebiet errichtet hatte. Angeblich konnte er von der verantwortlichen Behörde keine Genehmigung für neue Fabriken bekommen, stattdessen holte er sie sich von seinen politischen Freunden aus der lokalen Verwaltung.

Rana wurde zur Zielscheibe für einen Großteil der Wut der Arbeiter, nachdem er die Arbeiter am Mittwochmorgen zurück an die Arbeit geschickt hatte, obwohl am Dienstag große Risse in dem Gebäude sichtbar wurden. Angeblich erklärte er noch kurz vor der Katastrophe bei einer Betriebsversammlung, der Komplex würde noch in hundert Jahren stehen.

Die Medien in Bangladesch meldeten heute, dass ein weiterer Fabrikkomplex von Rana, nicht einmal einen Kilometer vom Unglücksort entfernt, ebenfalls geräumt werden musste, nachdem ein großer Riss entdeckt worden war.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 27.04.2013
Hunderttausende protestieren in Bangladesch wegen Fabrikeinsturz
http://www.wsws.org/de/articles/2013/04/27/bang-a27.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. April 2013