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GLEICHHEIT/4945: Große Koalition plant Ausbau des Überwachungsstaats


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Große Koalition plant Ausbau des Überwachungsstaats

Von Ulrich Rippert
7. Dezember 2013



Der Koalitionsvertrag, auf den sich CDU, CSU und SPD nach zweimonatigen Verhandlungen geeinigt haben, sieht einen deutlichen Ausbau des staatlichen Überwachungs- und Unterdrückungsapparats vor. Demokratische Rechte werden eingeschränkt, Polizei und Geheimdienste gestärkt. Dasselbe gilt für die Bundeswehr.

Die Aufrüstung des Sicherheitsapparats steht in direktem Zusammenhang mit einem weiteren Schwerpunkt des Koalitionsvertrags: der Verschärfung des verheerenden Sparkurses in Südeuropa und auch in Deutschland. Im Vertrag heißt es klipp und klar: "Die Politik der Haushaltskonsolidierung muss fortgesetzt werden." (Siehe: "Große Koalition verschärft Spardiktat in Europa" [1])

Die zukünftige Regierung erwartet heftigen Widerstand gegen diesen Sparkurs. Deshalb stärkt sie den Staatsapparat, obwohl zahlreiche Vertreter der Koalitionsparteien noch das Gegenteil versprochen hatten, als der ehemalige NSA-Mitarbeiter Edward Snowden die flächendeckende Überwachungstätigkeit seines früheren Arbeitgebers aufdeckte.

Nun stärkt die künftige Bundesregierung nicht die Bürgerrechte, sondern baut die Überwachung der Bevölkerung durch die deutschen Geheimdienste massiv aus. Im Koalitionsvertrag hat sie die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung und den Aufbau eines umfassenden Überwachungsapparats vereinbart.

Die Vorratsdatenspeicherung verstößt laut einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom März 2010 gegen das grundgesetzlich geschützte Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis. Provider werden verpflichtet, das Nutzungsverhalten ihrer Kunden über Monate zu protokollieren, auch wenn kein Verdacht oder Überwachungsbefehl gegen sie vorliegt. Staatliche Sicherheitsorgane haben das Recht, bei Bedarf darauf zuzugreifen. Nach einem halben Jahr lässt sich noch feststellen, wer mit wem telefoniert hat - und in welche Funkzelle ein Handy eingebucht war.

Die Vorratsdatenspeicherung war bereits von der letzten Großen Koalition 2007 eingeführt worden. Die rot-grüne Bundesregierung und deren Innenminister Otto Schily (SPD) hatten das Gesetz vorbereitet. Nachdem das Bundesverfassungsgericht das Gesetz 2010 für verfassungswidrig erklärte, versuchte die Regierung Merkel die umfassende Datenüberwachung in leicht veränderter Form wieder einzuführen, scheiterte aber an der FDP-Justizministerin.

Nun heißt es im Koalitionsvertrag: "Die EU-Richtlinie über den Abruf und die Nutzung von Telekommunikationsverbindungsdaten werden wir umsetzen." Das setzt die Speicherung der Daten auf Vorrat voraus. Es gibt nur minime Einschränkungen. So soll der Zugriff auf die gespeicherten Daten "nur bei schweren Straftaten und nach Genehmigung durch einen Richter sowie zur Abwehr akuter Gefahren für Leib und Leben" erfolgen. Außerdem heißt es in der Koalitionsvereinbarung, dass die Speicherung der Daten durch die Telekommunikationsunternehmen auf Servern in Deutschland vorzunehmen sei.

Die Überwachung durch die deutschen Geheimdienste ist nicht weniger beunruhigend als die Überwachung durch den US-Geheimdienst NSA. Die Behauptung, die deutschen Sicherheitsbehörden seien an klare rechtliche Schranken und Richtlinien gebunden und würden diese auch einhalten, ist reine Augenwischerei. Sie dient lediglich dazu, die flächendeckende Überwachung der Bevölkerung zu rechtfertigen.

Die enge Verstrickung der deutschen Geheimdienste mit der rechtsextremen NPD und der rechtsterroristischen NSU haben deutlich gemacht, wie rechtslastig diese Behörden sind und wie stark sie sich jeglicher demokratischen Kontrolle entziehen.

Im Koalitionsvertrag taucht fünfundzwanzig Mal der Begriff "Transparenz" auf, doch die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste und der Armee wird nicht gestärkt, sondern eingeschränkt. Das bisher elfköpfige Parlamentarische Kontrollgremium soll auf neun oder gar nur sieben Mitglieder schrumpfen.

Statt der Kontrolle strebt der Koalitionsvertrag die Zentralisierung und Stärkung der Geheimdienste an. Das Bundesamt für Verfassungsschutz soll gegenüber den Landesbehörden die Funktion einer "Zentralstelle" übernehmen. Seine "technische Analysefähigkeit" soll verbessert werden. Außerdem soll die Bundespolizei aufgerüstet und neue Befugnissen bei der "Quellen-Telekommunikationsüberwachung" erhalten. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), das bereits als inoffizieller Geheimdienst arbeitet, soll ebenso wie das Cyber-Abwehrzentrum ausgebaut werden.

Parallel zur Stärkung der Geheimdienste werden die Bürgerrechte eingeschränkt. So wird unter anderem das Vereinsrecht "reformiert". Es soll einfacher werden, Vereine zu verbieten, und ein Verbot soll umfassendere Auswirkungen haben. Davon können auch politische Vereinigungen betroffen sein.

Der Abbau der Bürgerrechte und der Aufbau des Überwachungsstaats gehen Hand in Hand mit einem stärkeren militärischen Auftreten Deutschlands. Die neue Bundesregierung will die Bedeutung Deutschlands in der NATO stärken. Die "Verteidigungskooperation" soll laut Koalitionsvertrag ausgebaut werden, und Deutschland soll sich an der Beschaffung und Instandhaltung neuer Waffensysteme beteiligen.

Der Vertrag unterstützt insbesondere die Errichtung eines gemeinsamen Raketenabwehrsystems. Darüber hinaus fordert er die "Stärkung einer ressortübergreifenden Zusammenarbeit im Verständnis einer effektiven Außen- und Sicherheitspolitik, für deren Erfolg sich zivile und militärische Instrumente ergänzen müssen".

Die Koalitionsvereinbarung unterstreicht die Bedeutung der deutschen Kriegsbeteiligung in Afghanistan und verpflichtet sich "zu einer angemessenen Beteiligung Deutschlands im Rahmen der Beratungsmission unter NATO-Führung". Das heißt, die Bundeswehr wird auch nach 2014 den Krieg in Afghanistan an der Seite der USA fortführen; der groß angekündigte Abzug der deutschen Truppen bis Ende 2014 erweist sich als Makulatur.

Die Unverfrorenheit, mit der sich die zukünftige Regierung über demokratische Rechte hinwegsetzt, zeigt sich auch an der Behandlung des Bundestags. Dieser ist seit dem Sommer lahmgelegt.

Weil sich die Regierungsbildung mittlerweile über zwölf Wochen hinzieht und die Koalitionspartner die zukünftigen Minister erst bekannt geben wollen, wenn das Ergebnis des SPD-Mitgliederentscheids feststeht, sind auch keine Ausschüsse gebildet worden, die für die Arbeit des Parlaments unerlässlich sind.

Stattdessen wurde ein "Hauptausschuss" mit 47 Mitgliedern eingerichtet, für den es keine gesetzliche Grundlage gibt. Die Süddeutsche Zeitung spricht in diesem Zusammenhang von "Berufsverbot für 584 Abgeordnete" und nennt dies "unverfroren, bequem und eine Missachtung des Bundestags".

Der Grund für die verzögerte Regierungsbildung sind nicht politische Differenzen zwischen den beteiligten Parteien. Diese arbeiten seit Jahren aufs engste zusammen. Das gilt nicht nur für CDU, CSU und SPD, sondern auch für die Grünen, die in Hessen Koalitionsverhandlungen mit der CDU führen, und für die Linkspartei, die der SPD und den Grünen ständig ihre Zusammenarbeit anbietet.

Der wirkliche Grund für die Verzögerung besteht darin, dass die kommende Regierung auf allen Ebenen massive Angriffe auf die Bevölkerung plant und sich darauf vorbereitet, den zu erwartenden Widerstand zu unterdrücken. Die langwierige Mitgliederbefragung der SPD, verbunden mit vielen Regionalkonferenzen und Versammlungen, auf denen sozialdemokratische Spitzenfunktionäre den Koalitionsvertrag schönreden, dient diesem Ziel. Dem Koalitionsvertrag soll ein scheindemokratisches Deckmäntelchen umgehängt werden.


Anmerkung:
[1] http://www.wsws.org/de/articles/2013/11/29/pers-n29.html

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Quelle:
World Socialist Web Site, 07.12.2013
Große Koalition plant Ausbau des Überwachungsstaats
http://www.wsws.org/de/articles/2013/12/07/grko-d07.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Dezember 2013