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GLEICHHEIT/5395: Dow Jones bei 18.000 - Immer schärfere Widersprüche in der Weltwirtschaft


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Dow Jones bei 18.000:
Immer schärfere Widersprüche in der Weltwirtschaft

Von Nick Beams
30. Dezember 2014



Kurz vor dem Jahresende entfernt sich die Entwicklung an den Finanzmärkten immer stärker von jener der zugrunde liegenden Realwirtschaft. Die Wall Street erreicht neue Höchststände: Diese Woche stieg der Dow Jones über die 18.000er Marke; aber die Weltwirtschaft verharrt im Griff starker Rezessionstendenzen. Dieser Widerspruch treibt auf eine Eruption wirtschaftlicher und sozialer Gegensätze zu.

Das ganze Jahr über bildete die Bewegung der Finanzmärkte ein Muster aus Perioden plötzlicher Unruhe, gefolgt von neuem Aufschwung. Die schwerste Krise war der "Flash Crash" der Aktienmärkte am 15. Oktober, als sich plötzlich Bedingungen entwickelten, die stark an jene nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers im September 2008 erinnerten.

Aber jedes Mal wurden die Finanzmärkte wieder aufgefangen, indem die Zentralbanken versprachen, weiter billiges Geld zuzuführen. In weiten Teilen der Welt herrschen dauerhaft Stagnation und offene Rezession.

In den USA gibt es schwache Anzeichen eines moderaten Wachstums, aber die europäische Wirtschaft hat noch immer nicht das Produktionsniveau von 2007 erreicht, und nichts deutet auf eine rasche Erholung hin. Japan ist trotz der Konjunkturprogramme der "Abenomics" in die Rezession abgerutscht, und das Wachstum der chinesischen Wirtschaft lässt nach, während die Befürchtung wächst, dass eine Finanzkrise heranreift.

Die Finanzmärkte dagegen sind weiter unter Volldampf. Der Absturz des russischen Rubel in den vergangenen zwei Wochen hätte der Auftakt für weitere Instabilität sein können, aber nachdem die amerikanische Federal Reserve klar gemacht hatte, dass es kein plötzliches Anziehen der Zinsen geben werde, zog der Dow Jones Index wieder an, sodass ein Anstieg um Tausend Punkte im vergangenen Jahr zustande kam.

Der Zusammenbruch des Rubel ist das Ergebnis zweier Prozesse: einerseits ist der Ölpreis seit Juni um mehr als fünfzig Prozent gefallen, und andererseits wirken sich die Sanktionen der USA und der Europäischen Union gegen Russland aus. Diese Sanktionen, die das Land von den Finanzmärkten abschneiden, stellen einen Akt offenen Wirtschaftskriegs dar.

Der Fall der Ölpreise enthält zweifellos auch ein gewisses Element der Manipulation, die sich in erster Linie gegen Russland richtet. Aber in breiterem Sinn widerspiegelt der Fall des Ölpreises die tiefen Rezessionstendenzen, die mit dem Ansteigen der Finanzmärkte so gar nicht zusammenpassen wollen.

Öl ist nur einer der wichtigen Rohstoffe, die in diesem Jahr deutlich im Preis gefallen sind. Ein anderer ist Eisenerz, das um fast fünfzig Prozent gefallen ist und auf dem tiefsten Stand seit fünf Jahren steht. Der Preis von Weizen, einem der wichtigsten Agrarprodukte, ist um zwanzig Prozent gefallen.

Der generelle Rückgang des Wirtschaftswachstums und besonders der Investitionen zeigt sich an der Tatsache, dass dieses Jahr die Rohstoffe wahrscheinlich zum dritten Mal hintereinander die Warenklasse mit der schwächsten Wertentwicklung sein werden. Der Bloomberg Rohstoff Index ist dieses Jahr um vierzehn Prozent gefallen und steht auf einem Fünfjahrestief.

Aber nicht nur der Fall der Rohstoffpreise weist auf eine Verschärfung der Wirtschaftskrise hin, sondern auch die Maßnahmen der Hauptproduzenten. Wie der saudische Ölminister, Ali al-Naimi, letzte Woche in einem Interview sagte, wird das OPEC-Kartell zur Stützung des Ölpreises selbst dann die Produktion nicht senken, wenn er auf zwanzig Dollar fallen sollte. "Es ist nicht im Interesse der OPEC-Produzenten, die Produktion zu kürzen", erklärte al-Naimi, "egal, wie hoch der Preis ist. Ob er auf 20, 30, 40, 50 oder 60 Dollar fällt, ist unerheblich."

Diese Erklärung zeigt eine deutliche Veränderung der OPEC-Strategie. Sie bestand bisher darin, das Angebot zu regulieren, um ein gewisses Preisniveau zu halten. Aber angesichts der heutigen fallenden Nachfrage und des steigenden Angebots, nicht zuletzt wegen der zunehmenden Schieferölproduktion in den USA, verfolgt die OPEC eine andere Strategie. Sie versucht, ihren gegebenen Marktanteil zu verteidigen, und argumentiert, dass eine Kürzung der Produktion zur Stabilisierung der Preise nur ihren Konkurrenten nützen würde.

Die Beibehaltung des Produktionsniveaus angesichts geringerer Nachfrage lässt die Preise sinken und drückt Produzenten mit höheren Produktionskosten wie die Schieferölproduzenten und Tiefseeförderer an die Wand.

Der gleiche Prozess findet in der Bergbauindustrie statt, wo BHP Billiton und Rio und andere Bergwerksbetreiber mit niedrigen Kosten ihre Fördermengen beibehalten oder gar noch erhöhen, obwohl die Preise fallen.

Dieses Vorgehen ist eine Reaktion auf den ständigen Abwärtstrend in der Weltwirtschaft. Es widerspiegelt die Überlegung, dass jede Überlebensstrategie sich auf einen Krieg bis zum bitteren Ende einrichten muss und nicht mehr davon ausgehen darf, dass es in naher Zukunft noch einen wirklichen, dauerhaften Aufschwung geben wird.

Das Auseinanderdriften der Realwirtschaft und der Finanzmärkte hat seine Ursache in dem Wirtschaftszusammenbruch, der mit der Finanzkrise im September 2008 begann. Nachdem damals Billionen Dollar mobilisiert wurden, um den völligen Zerfall des Finanzsystems zu verhindern, gingen die Zentralbanken mit der amerikanischen Fed an der Spitze dazu über, weiter Geld in die verkalkten Arterien des Finanzsystems zu pumpen, um sein Überleben zu sichern.

So etwas hat die Geschichte noch nicht gesehen, wie schon eine kurze Übersicht über die Summen zeigt, die dabei in die Hand genommen wurden. Seit ihrer Gründung 1913 brauchte die Fed 94 Jahre, um eine Bilanzsumme von neunhundert Milliarden Dollar anzuhäufen. Das war die Lage am Vorabend der Finanzkrise. Nur sechs Wochen nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers hatte sie sich verdoppelt.

Bis Ende des Jahres hatte sie sich verdreifacht, und heute steht sie bei mehr als vier Billionen Dollar.

Andere folgten dem Weg der Fed, wie die Bank von Japan oder die Bank von England. Das Ergebnis ist, dass sich die Gesamtbilanz der Zentralbanken jetzt auf sechzehn Billionen Dollar beläuft, das ist dreimal so viel wie vor der Krise.

Diese massive Zufuhr von Geld diente nicht der Ausdehnung der Produktion, der Erhöhung der Löhne oder dem Aufbau von Arbeitsplätzen, sondern der Aufblähung der Finanzmärkte. Die Gesamtkapitalisierung der weltweiten Anleihemärkte beträgt heute circa 75 Billionen Dollar, gegenüber dem Tiefstand von 25 Billionen Dollar im März 2009.

Dies hat zu einem gewaltigen Anwachsen der sozialen Ungleichheit geführt. Während der Reichtum der Banken, Spekulanten und Finanzleute durch die Inflation der Anlagewerte ständig weiter zunimmt, stagnieren die Reallöhne der arbeitenden Bevölkerung, oder sie sinken.

Der märchenhafte Reichtum an der Spitze der Gesellschaft, der das Ergebnis von Spekulation und Parasitentum ist, und die Verschlechterung der Lebensbedingungen für die große Mehrheit der Bevölkerung kündigen enorme Spannungen an, die zum Ausbruch sozialer und politischer Kämpfe führen werden.

Gleichzeitig werden so die Bedingungen für eine neue Finanzkrise geschaffen, die der Auslöser für solche Kämpfe werden könnte. Die Erfüllung der unersättlichen Forderungen der Finanzwirtschaft durch die Zentralbanken hat eine enorme Finanzblase geschaffen, die zu platzen droht, wenn der Nachschub an billigem Geld unterbrochen oder auch nur verringert wird.

Ein neuerer Bericht der Abteilung der Deutschen Bank für Kreditstrategie führt dazu aus: "Das Problem der Zentralbanker ist jetzt, dass sie bestimmte Anlagewerte derart aufgebläht haben, dass die Märkte negativ reagieren, und Vertrauen in das System verloren gehen könnte, wenn sie ihren Kurs zu abrupt ändern sollten." Der Bericht schloss mit der Einschätzung, dass die Verantwortlichen für die Geld- und Wirtschaftspolitik heute genauso weit von einer Lösung der Probleme entfernt sind wie 2008-2009.

Der Grund ist sehr einfach: Es gibt im Profitsystem keine Lösung. Es gibt keine Rückkehr zu einem angenommenen "Normalzustand". Es gibt nur die immer akuter werdende Gefahr wirtschaftlicher Zerstörung durch einen weltweiten Zusammenbruch und die fortschreitende Verarmung der Arbeiterklasse. Gleichzeitig nehmen die Konflikte zwischen Wirtschafts- und Finanzgiganten um Rohstoffe, Märkte und Profite, die zu einem neuen Weltkrieg führen, ungeheuer zu.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 30.12.2014
Dow Jones bei 18.000: Immer schärfere Widersprüche in der Weltwirtschaft
http://www.wsws.org/de/articles/2014/12/30/dow-d30.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Januar 2015


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