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GLEICHHEIT/5569: EU startet Militäreinsatz im Mittelmeer


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

EU startet Militäreinsatz im Mittelmeer

Von Martin Kreikenbaum
25. Juni 2015


Am Montag haben die europäischen Außenminister auf ihrem Treffen in Luxemburg den Start der EU-Militäroperation "EUNAVFOR Med" gegen Flüchtlingsschleuser im Mittelmeer beschlossen. Das Programm sieht das militärische Vorgehen gegen Flüchtlingsboote vor und umfasst eine massive Ausweitung der Geheimdienst- und Polizeibefugnisse.

Binnen Tagen soll mit der ersten Phase der Operation begonnen werden, die geheimdienstliche Tätigkeiten vorsieht und das Ausspähen von angeblichen Schleuserorganisationen und -netzwerken in Nordafrika zum Ziel hat.

Agenten sollen Ziele auskundschaften, Boote und mutmaßliche Drahtzieher identifizieren und die Daten dann an die Kommandozentrale weiterreichen. Mit diesen Informationen sollen dann in einer zweiten Phasen Flüchtlingsboote auf hoher See aufgebracht, beschlagnahmt und zerstört werden. Für Phase drei ist offensichtlich der Einsatz von Predator-Kampfdrohnen, Tornado-Kampfjets und Marinekampftauchern an der Küste und in Häfenstädten Libyens geplant.

Die Militäroperation ist eine Reaktion auf die tragischen Bootsunglücke vor Lampedusa in diesem Frühjahr, als innerhalb weniger Tage mehr als 1.200 Flüchtlinge beim Versuch über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen, elendig ertranken. Es ist bezeichnend für den Charakter der EU, dass sie auf diese humanitäre Katastrophe des täglichen Sterbens mit der fortschreitenden Militarisierung des Mittelmeers antwortet. Mit dem Startschuss für "EUNAVFOR Med" wird den Flüchtlingen nun offiziell der Krieg erklärt.

Insgesamt beteiligen sich zehn EU-Staaten an der Operation und stellen fünf Kriegsschiffe, zwei U-Boote, Drohnen, Flugzeuge und Hubschrauber zur Verfügung. Angeführt wird die Flotte vom italienischen Flugzeugträger Cavour, das Kommando führt der italienische Konteradmiral Enrico Credendino.

Die Außenbeauftragte der Europäischen Union, Federica Mogherini, erklärte nach dem Treffen der EU-Außenminister: "Die EU hat das Thema Flüchtlinge noch nie so ernst genommen, wie wir es derzeit tun." Sie hätte genauso gut sagen können, dass die EU noch nie so viel unternommen habe, um zu verhindern, dass Flüchtlinge Europa erreichen.

Der jüngst veröffentlichte Jahresbericht des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen spricht von 60 Millionen Flüchtlingen weltweit. Mehr als die Hälfte davon sind Minderjährige. Doch anstatt auch nur einen Bruchteil dieser Flüchtlinge aufzunehmen, schottet sich die EU ab und schickt ihnen eine Armada von Kriegsschiffen entgegen.

Der deutsche Außenminister, Frank-Walter Steinmeier, erklärte den wartenden Journalisten, dass es nun darum gehe, einen "Überblick über die Flüchtlingsströme, wo sie herkommen, und wer möglicherweise die entscheidenden Akteure sind, zu erlangen."

In Wirklichkeit weiß er das sehr genau. Denn es waren vor allem europäische Mächte, die im Bündnis mit den USA Kriege gegen Afghanistan und den Irak geführt, in Syrien einen verheerenden Bürgerkrieg angezettelt und in Libyen ein Chaos hinterlassen haben, wodurch Millionen zur Flucht gezwungen wurden. Ihre neokoloniale Ausbeutungspolitik in Afrika treibt weitere Hunderttausende dazu, ihre Herkunftsorte zu verlassen, um zu versuchen, in Europa das Überleben ihrer Familien zu sichern.

Doch diese Fakten übergeht die EU geflissentlich. Mogherini erklärte, dass das Vorgehen gegen die Schleuser "auf das Geschäftsmodell derjenigen abziele, die das Elend der Migranten ausnutzen". Ziel seien nicht die Migranten, sondern "diejenigen, die mit deren Leben und - zu oft - mit deren Tod Geld verdienen". An die Stelle von Seenotrettung und Aufnahme von Flüchtlingen tritt damit in der Logik der EU die Bekämpfung von angeblich organisierten Schlepperbanden. Die Flüchtlinge will man sich um jeden Preis vom Hals halten.

Hier wird auf perfide Art und Weise Ursache und Wirkung vertauscht. Die skrupellosen Schleuser sind die einzige Möglichkeit für die Flüchtlinge, die schier unüberwindlichen Mauern der Festung Europa überhaupt zu überwinden. Dass das Treiben der Schleuser sich zu einem Multi-Milliarden-Euro-Geschäft entwickeln konnte, ist nur das Ergebnis einer immer verfeinerten Abschottungspolitik der Europäischen Union.

Zugleich nutzen die EU-Staaten die Militäroperation, um die eigenen Geheimdienste zu stärken und zu koordinieren. Die offizielle Begründung für die in der ersten Phase geplante gigantische Geheimdienst- und Militäroperation ist mehr als zweifelhaft, denn die Arbeitsweise, Routen, Geschäftsmodelle und Finanztransaktionen der Schleusernetzwerke, die angeblich erfasst werden sollen, werden bereits durch das Eurosur-Überwachungssystem geliefert.

Tatsächlich arbeitet die EU unter dem Deckmantel der angeblichen Aufklärung von Schleusernetzwerken daran, die verschiedenen Sicherheitsbehörden zusammenzuschließen. Hinter "EUNAVFOR Med" steht nicht nur ein Flottenaufmarsch im Mittelmeer, sondern auch die enge Verzahnung des Militärs, der Geheimdienste, der Polizei und der Grenzschutzagentur Frontex.

So hat der französische Präsident, Francois Hollande, eine Beteiligung des französischen Geheimdienstes an einer gemeinsamen Operation mit Italien und Großbritannien zugestimmt. Demnach soll auf Sizilien ein Nachrichtendienstzentrum aufgebaut werden, dass mit der Aufspürung von Schleusernetzwerken betraut wird und unter der Leitung der europäischen Polizeibehörde Europol arbeitet. Die britische National Crime Agency entsendet dafür weitere sechs Agenten. Zudem hat Großbritannien angekündigt, das Kriegsschiff HMS Enterprise mit einem Team des britischen Geheimdienstes GCHQ ins Mittelmeer zu entsenden.

Bereits im März dieses Jahres wurde das "Gemeinsame Operationsteam Mare" ins Leben gerufen, an dem auch das deutsche Bundeskriminalamt beteiligt ist. Dabei handelt es sich um eine Einsatzgruppe von Europol, die mit geheimdienstlichen Aktivitäten Schleusernetzwerke ausforschen soll und eng mit Frontex zusammenarbeitet.

Nach der Genfer Flüchtlingskonvention müssten die Polizeibehörden den Migranten eigentlich Schutz gewähren. Um sie trotzdem in die Militäraktion einzubinden, bediente man sich einem Taschenspielertrick. Die Schleusung von Migranten über das Mittelmeer wurde kurzerhand und wider besseren Wissens zur "organisierten Kriminalität" erklärt.

Nach dieser Logik werden die Flüchtlinge von kriminellen Schleusern zur Überfahrt nach Europa gezwungen. Doch nichts könnte ferner liegen. Der britische Guardian zitiert die Forscherin, Tuesday Reitano, die gerade an einer Expertise für die OECD arbeitet mit den Worten: "Es gibt, wenn überhaupt, nur sehr wenige Hauptpersonen oder formale kriminelle Netzwerke, deren Beseitigung die Migrationsbewegungen nicht nennenswert beeinflussen würde."

Aber indem die EU die Schleusung von Flüchtlingen kurzerhand zur organisierten Kriminalität erklärt, können über Europol Daten gesammelt und ausgewertet werden, die Frontex sonst nicht bearbeiten darf. Zudem wurde die Eurodac-Datenbank für polizeiliche Ermittlungen geöffnet. Darin sind die Fingerabdrücke von Flüchtlingen und zahlreiche weitere Informationen gespeichert.

Die enge Verzahnung der zivilen europäischen Agenturen wie Frontex, Europol oder auch Eurojust mit dem Militärapparat wirft dabei grundlegende rechtliche Fragen auf. In Deutschland gilt etwa ein grundgesetzlich verankertes Trennungsgebot von Polizei und Militär. Da es sich bei der Schleusung völkerrechtlich betrachtet um ein privates Strafdelikt handelt, ist diesem auch nur mit polizeilichen Ermittlungen zu begegnen. Die Beteiligung der deutschen Bundeswehr an der Militärmission im Mittelmeer und die Verzahnung von Polizei, Geheimdiensten und Militär verstößt damit gegen das Grundgesetz.

Die geplanten Phasen zwei und drei der EU-Militäroperation bergen zudem "ein hohes Risiko von Kollateralschäden und den Verlust von Menschenleben" wie die EU-Kommission bei der Vorstellung der Pläne für "EUNAVFOR Med" selbst mitteilte.

Ein hochrangiger italienischer Militärangehöriger erklärte gegenüber dem Euobserver, dass die ganze Operation zum Scheitern verurteilt sei, wenn man nicht den Tod von Flüchtlingen bewusst in Kauf nähme. Er erklärte wörtlich: "Wenn es zur Zerstörung von Schleuserbooten kommt, werden sie einfach Migranten an Bord stellen, selbst wenn sie vor Anker liegen, damit sie als menschliche Schutzschilde dienen." Trotzdem halten die europäischen Regierungen an dem verbrecherischen Plan, mit Kriegsschiffen, Kampfjets und bewaffneten Drohnen Schleuserboote zu zerstören, fest.

Die Flüchtlingsorganisation ProAsyl hält den Militäreinsatz für völkerrechtswidrig. Denn das UN-Mandat, nach dem die EU strebt, um ein Blankoscheck für ihre Militäroperation im Mittelmeer zu bekommen, setzt nach Artikel 39 der Charta der Vereinten Nationen voraus, dass "eine Bedrohung des Friedens" vorliegt.

ProAsyl schreibt dazu: "Die EU-Außenbeauftragte konstruiert diese Bedrohung, indem sie die angebliche Destabilisierung der EU-Staaten durch hohe Flüchtlingszahlen anführt. Diese Argumentation ist mit internationalem Recht nicht zu vereinbaren: Die Aufnahme von Flüchtlingen ist eine völkerrechtliche Verpflichtung und keine Gefahr für den Frieden."

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Quelle:
World Socialist Web Site, 25.06.2015
EU startet Militäreinsatz im Mittelmeer
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juni 2015

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