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GLEICHHEIT/5721: Hollande in China - Spannungen zwischen USA und Europa nehmen zu


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Hollande in China: Spannungen zwischen USA und Europa nehmen zu

Von Alex Lantier und Kumaran Ira
6. November 2015


Der französische Präsident Francois Hollande beendete am Donnerstag letzter Woche einen zweitägigen Staatsbesuch in China, der der Vertiefung der finanziellen und strategischen Beziehungen mit dem Land und der Vorbereitung der UN-Klimakonferenz Cop21 diente. Vor seiner Rückkehr nach Frankreich stattete er am 4. November Südkorea einen Besuch ab.

Sein Besuch war der letzte von mehreren hochrangigen Staatsbesuchen, welche die enger werdenden Beziehungen Europas mit China verdeutlichen. Der chinesische Präsident Xi Jinping besuchte im Oktober England, um London als Europas wichtigsten ausländischen Handelsplatz für den Renminbi zu stützen. Kanzlerin Angela Merkel gab erst vor wenigen Tagen, bei ihrem achten Chinabesuch, eine Reihe nennenswerter deutsch-chinesischer Wirtschaftsabkommen bekannt.

Am Rande der Verhandlungen mit China über Klimaziele für Cop21 schlossen Hollande und die ihn begleitende französische Wirtschaftsdelegation auch Geschäfte im Wert von vielen Milliarden Euro ab. Dazu gehört ein zwanzig Milliarden Dollar Abkommen über das Recycling von Atommüll. Die Franzosen drängten ihre chinesischen Gastgeber, in den französischen Atomkonzern Areva zu investieren, nachdem China bereits hohe Beteiligungen am Energieversorgungskonzern Engie (früher Gaz de France-Suez) und dem Autobauer PSA erworben hatte.

In den Verhandlungen erreichte Frankreich auch, dass die Rolle von Paris als ausländischer Handelsplatz für Geschäfte in der chinesischen Währung Renminbi aufgewertet wird. Frankreichs Direktinvestitionen in China erreichten 2013 einen Wert von 17,9 Mrd. Euro, Chinas Direktinvestitionen in Frankreich beliefen sich im selben Jahr auf 4,3 Mrd. Euro. Wenn Frankreichs Banken über Dutzende Milliarden Renminbi verfügen, können Investoren bei internationalen Investmenttransaktionen den Dollar umgehen.

Verglichen mit früheren Verhandlungsrunden zwischen Vertretern Frankreichs und Chinas ließen sich die wachsenden Unterschiede zwischen der europäischen und der amerikanischen Strategie gegenüber China kaum noch verbergen.

Im März widersetzten sich europäische Mächte, darunter Frankreich, der Aufforderung Washingtons, sich nicht an der Gründung der von China initiierten Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB) zu beteiligen. Die AIIB gehörte zu einem größeren Projekt, das China im Spätjahr 2013 unter der Bezeichnung Wirtschaftsraum Seidenstraße bzw. "Ein Raum, eine Straße" (OBOR, für One Belt, one Road) bekanntgab. Dieser Plan hat eine gewaltige Dimension. 1,4 Billionen Dollar sollen in Schiene und Straße investiert werden, um eine schnelle Landverbindung von China durch Eurasien bis zu den europäischen Märkten via Russland, Zentralasien, dem Nahen Osten und Osteuropa zu schaffen.

Hollande äußerte sich diese Woche nicht zur US-Politik der "Konzentration auf Asien" ("pivot to Asia"), die der Einkreisung Chinas dient. In der Öffentlichkeit ließ er in der zugespitzten Konfliktsituation zwischen der US-Marine und chinesischem Militär im Südchinesischen Meer keine Unterstützung für die Vereinigten Staaten erkennen.

Dagegen lobte die chinesische Zeitung Global Times Frankreichs Unterstützung für OBOR in einem Bericht über den Besuch Hollandes: "Die beiden Länder wollen im Rahmen der 'One Belt, One Road'-Initiative Drittmärkte erkunden und dabei von ihrer technologischen und finanziellen Stärke in der Weltwirtschaft profitieren."

Gleichzeitg wächst die europäische Kritik an der US-Politik gegenüber Russland wegen der Ukraine-Krise. Hollande hat schon mehrfach davor gewarnt, dass die NATO einen "totalen Krieg" mit Russland provozieren könnte. Letzte Woche reiste der frühere französische Staatspräsident Nicholas Sarkozy nach Russland, wo er öffentlich gegen die finanziellen Sanktionen auftrat, die Europa unter amerikanischem Druck gegen Russland verhängt hat. Diese Sanktionen treffen französische Interessen hart, zum Beispiel große Investitionen der französischen Ölgesellschaft Total in Russland.

Diese Kritik bringt die französische Politik näher an die Seite Chinas, das letztes Jahr Russland ein verlängertes Zahlungsziel für einen Kredit anbot, um die Sanktionen auszugleichen.

Immer deutlicher kommt zum Vorschein, dass die europäisch-amerikanischen Differenzen über AIIB und OBOR nicht nur auf Unterschiede in der Finanzpolitik zurückzuführen sind, sondern auch auf verschärfte strategische Konflikte zwischen dem US-Imperialismus und seinen europäischen Rivalen. Der "pivot to Asia" hat bei Teilen der europäischen herrschenden Klasse zu Überlegungen geführt, die strategischen Beziehungen zu China auf Kosten der Beziehungen zu den USA zu stärken.

Die OBOR-Initiative mit Blickrichtung Zentralasien und Europa war eine erste Reaktion Chinas auf die "pivot to Asia"-Politik, die die Obama-Regierung 2011 öffentlich bekanntgab. Im Pazifischen Ozean und auf den Seehandelsrouten über den Indischen Ozean zu Chinas Energiequellen im Nahen Osten sah sich das Land plötzlich einer feindlichen, von Washington geschmiedeten Koalition gegenüber, bestehend aus Japan, Australien, den Philippinen, Vietnam und Indien. Ohne Chance, sich auf dem Meer zu behaupten, beschloss die chinesische Führung daher, Landrouten in Eurasien zu bauen.

Als Beijing 2013 den Startschuss zu OBOR gab, griff es auf eine Strategie zurück, die es in den 1990er Jahren, bald nach der Auflösung der Sowjetunion erwogen hatte. Damals hatte China Pläne für chinesische Landrouten in den Nahen Osten entwickelt, etwa die "Panasiatische globale Energiebrücke". Diesen Plänen kam aber das Eingreifen der USA in Afghanistan 2001 und die amerikanische Einflussnahme in Zentralasien in die Quere.

Heute, 14 Jahre später, nachdem Washington weitgehend aus Afghanistan abgezogen ist und der globale Kapitalismus sich in einer tiefen Krise befindet, erhalten Chinas OBOR-Pläne eine viel größere Bedeutung. Die relative wirtschaftliche Stellung des US-Imperialismus ist seit dem Finanzkrach von 2008 bedeutend geschwächt, aber auch der chinesische Kapitalismus ist mit einer schwächelnden Wirtschaft konfrontiert und sucht verzweifelt nach Märkten für seine Waren. Zugleich ist der europäische Imperialismus angesichts der Wirtschaftskrise immer stärker auf lukrative Geschäfte mit China angewiesen, wie Hollandes Besuch zeigt.

Diese Entwicklungen haben zu einem starken Anstieg der geopolitischen Spannungen geführt. Nach den militärischen Drohgebärden der USA gegen Russland und China begannen Regierungen auf der ganzen Welt sich über die Gefahr eines globalen Kriegs zwischen Nuklearmächten Gedanken zu machen.

Teile der chinesischen herrschenden Elite schlagen nun vor, mit Mitgliedsstaaten der EU Bündnisse gegen die Vereinigten Staaten einzugehen.

In einem Artikel vom 27. Oktober in der Global Times mit der eindeutigen Überschrift "Beziehungen mit der EU können das Bündnis USA-Japan stören", hieß es: "In den europäisch-chinesischen Beziehungen hat China jetzt die Initiative. Nicht zufällig haben drei wichtige europäische Staatsoberhäupter innerhalb von einem Monat Chinas Regierungschef besucht. Die USA lamentieren und werfen Europa vor, seine 'Prinzipien' zu verraten. Die Amerikaner kochen vor Wut, weil sie neidisch darauf sind, dass Europa viel mehr an freundschaftlichen Beziehungen zu China liegt."

Solche Kommentare sollte die international Arbeiterklasse als Warnung vor dem Bankrott der bestehenden Gesellschaftsordnung verstehen. Der Widerspruch zwischen den Produktivkräften und dem irrationalen Charakter des Nationalstaatensystems hat explosive Auswirkungen, die jetzt an die Oberfläche drängen.

Einem möglichen Bündnis China-EU stehen natürlich große Hürden im Weg: das NATO-Bündnis zwischen den Vereinigten Staaten und Europa, die Instabilität der Länder, die China durch OBOR zusammenführen will, und die Spaltungen zwischen den europäischen Staaten selbst. Die Global Times räumte ein: "China sollte zur Kenntnis nehmen, dass die Beziehungen zwischen den USA und Europa nicht so schlecht sind, wie wir denken, und dass die so genannte Rivalität von Großbritannien, Deutschland und Frankreich um die Gunst von China nicht so stark ist, wie wir es erwarten."

Nach wie vor arbeiten China und einige europäische Regierungen allerdings entgegen Washingtons Wünschen zusammen und planen die ersten Schritte einer entsprechenden Transport- und Finanzinfrastruktur, um die eurasische Landmasse zu einer Wirtschaftseinheit zu machen. Sollte dieses Gebilde Gestalt annehmen, stünde es den USA nicht nur als deren einziger nennenswerter geostrategischer Rivale gegenüber, sondern wäre ihnen auch an Bevölkerungszahl und industrieller Kraft deutlich überlegen.

Zu den größten Gefahren des gegenwärtigen Konflikts zwischen den USA und der EU über China gehört, dass diese Widersprüche sich zu einem Krieg auswachsen - vor allem, weil der US-Imperialismus sich nicht auf eine Macht zweiter Klasse herabstufen lassen wird. Seit Langem ist es daher ein zentrales Ziel der amerikanischen Außenpolitik, die Vereinigung der Staaten der eurasischen Landmasse unter allen Umständen zu verhindern.

Die Notwendigkeit einer entsprechend aggressiven Politik, um dieses Ziel zu erreichen, ist eines der wichtigsten Themen in dem auflagenstarken Buch des ehemaligen amerikanischen Nationalen Sicherheitsberaters Zbigniev Brzezinski aus dem Jahr 1997 Die einzige Weltmacht: Amerikas Strategie der Vorherrschaft.

Brzezinski warnte in seinem Buch vor dem Aufstieg von Wirtschaftsmächten auf beiden Seiten des eurasischen Kontinents: "Inwieweit die USA ihre globale Vormachtstellung geltend machen können", hänge davon ab, ob Amerika "dort das Aufkommen einer dominierenden, gegnerischen Macht verhindern kann". Daraus folgerte Brzezinski: "Eurasien ist somit das Schachbrett, auf dem sich auch in Zukunft der Kampf um die globale Vorherrschaft abspielen wird."

2005 zitierte Stratfor, ein US-Informationsdienst für geostrategische Analysen, in einem Artikel US-Befürchtungen über ein russisch dominiertes Eurasien als Grund für Washington, Russlands Aufspaltung anzustreben. "Auch die Sowjetunion erreichte fast, mehr als jeder andere Staat, die Vereinigung Eurasiens zu einer einzigen, integrierten kontinentalen Macht. Das wäre die einzige Entwicklung, die die Stellung der USA als Supermacht beenden könnte. Solche Details vergessen politische Entscheider nicht, noch nehmen sie sie auf die leichte Schulter... die Politik der USA ist so einfach wie unabänderlich: Aufspaltung."

Das Risiko steigt heute, dass die Großmächte eine immer aggressivere Politik verfolgen, weil sie einer ausufernden Krise gegenüberstehen, für die sie keine progressive Lösung haben.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 06.11.2015
Hollande in China: Spannungen zwischen USA und Europa nehmen zu
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. November 2015

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