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GLEICHHEIT/5789: Angst vor neuer Finanzkrise führt zu weltweiten Kursstürzen


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Angst vor neuer Finanzkrise führt zu weltweiten Kursstürzen

Von Barry Grey
19. Januar 2016


Zum Ende der letzten Woche verzeichneten die Aktienmärkte in den USA und auf der ganzen Welt massive Verkaufswellen. Getrieben wurde diese Entwickelung von der Angst, dass der Abschwung in China und die sinkenden Öl- und Rohstoffpreise eine neue Finanzkrise in der Größenordnung der Katastrophe von 2007-2008 auslösen könnte.

Ein weiterer starker Rückgang der chinesischen Märkte, u.a. ein Kursverlust des Schanghai Composite Index in Höhe von 3,55 Prozent, gefolgt von einem Rückgang der Ölpreise um sechs Prozent auf 29 Dollar pro Barrel löste eine Welle von Panikverkäufen aus. Der Chefstratege von Federated Investors erklärte zu der vorherrschenden Stimmung: "Die Investoren haben Todesangst, und die Tatsache, dass es zu Beginn des Jahres passiert, ist von historischer Bedeutung."

Ein wichtiger Grund für die Verkaufswelle in China war die Befürchtung, Peking könnte am Dienstag seine schwächsten Wachstumszahlen seit fünfundzwanzig Jahren bekanntgeben.

Walmart gab am Freitag die Schließung von 269 Läden bekannt, 154 davon in den USA, sowie die Streichung von 16.000 Arbeitsplätzen. Zuvor hatten bereits Macy's und Sears-Kmart die Schließung von Fillialen angekündigt. Diese Ankündigungen verdeutlichten den zunehmenden Abschwung der Realwirtschaft weltweit und in den USA, aus dem sich die Turbulenzen auf den Aktien- und Wertpapiermärkten ergeben. Sie zeigten zudem, dass große Teile der amerikanischen Bevölkerung von sinkenden Löhnen und zunehmender Einkommensunsicherheit, betroffen sind.

Die Ankündigung von BP, 4.000 Stellen abzubauen, verdeutlicht den zunehmend depressiven Zustand des Energiesektors.

Mit den Aktienverkäufen am Freitag, dem Kursverlust des Euro Stoxx 50 und den Kursverlusten aller wichtigen amerikanischen Aktienindizes von über zwei Prozent endete die bisher schlechteste erste Woche des Jahres an der Wall Street. Der Dow Jones verlor am Freitag 391 Punkte und fiel unter die 16.000 Punkte-Marke, bzw. um 8,24 Prozent seit Anfang des Jahres. Der Standard & Poor's 500 ist um mehr als acht Prozent gesunken, der Nasdaq um mehr als zehn Prozent.

Alle drei amerikanischen Indizes befinden sich offiziell in einer Korrekturphase und haben seit ihren Höchstständen vor einiger Zeit zehn Prozent verloren. Die chinesischen Aktienindizes befinden sich offiziell im Abschwung und haben mehr als zwanzig Prozent an Wert verloren. Alleine in den ersten zwei Wochen des neuen Jahres haben die weltweiten Aktienmärkte 5,7 Billionen Dollar an Wert verloren.

Der Ölpreis, ein Gradmesser der globalen wirtschaftlichen Aktivität, ist in diesem Jahr bisher um zwanzig Prozent gesunken. In den ersten zwei Wochen des Jahres ist er in zwei Wochen so stark gesunken wie zuletzt in der Finanzkrise im Jahr 2008.

Am Montag waren die Märkte aufgrund des Martin Luther King-Gedächtnistages geschlossen. Hinter den Kulissen gab es umfassende Diskussionen über die eskalierende Krise zwischen Vertretern des Finanzministeriums, der Federal Reserve und der großen Wall Street-Banken und Hedgefonds. Um die Investoren zu beruhigen, unternahm Weiße Haus am Freitag den ungewöhnlichen Schritt, sich zu den Marktbewegungen zu äußern. Der Sprecher des Weißen Hauses Josh Earnest erklärte, die Marktbewegungen und ihre potenziellen Folgen für die Wirtschaft würden von Regierungsvertretern aufmerksam beobachtet.

Seit dem Finanzkrach von 2008 wurde die kapitalistische Weltwirtschaft durch das rapide Wachstum in China und mehreren Schwellenländern, sowie einem enormen Anstieg der Aktienkurse gestützt, die allesamt durch eine immense Zunahme der Verschuldung organisiert wurden. Die Federal Reserve und die Zentralbanken in Europa und Asien haben Billionen Dollar in die Finanzmärkte gepumpt und damit Finanzparasitismus und Spekulation noch weiter gefördert. Das und der gnadenlose Sparkurs gegen die Arbeiterklasse bildete die Grundlage für eine beispiellose Bereicherung der Reichen und Superreichen der Welt und eine weitere Umverteilung des Reichtums von unten nach oben.

Doch in den USA und den anderen älteren Industrienationen sind die Kapitalinverstitionen der Unternehmen stark zurückgegangen. Stattdessen wurden die immensen Profite der Banken und Konzerne größtenteils für parasitäre Aktivitäten wie Aktienrückkäufe, Dividendenerhöhungen und Fusionen und Firmenaufkäufe genutzt.

Anfang letzter Woche erklärte Albert Edwards, ein Stratege der Societe Generale, bei einer Investmentkonferenz in London, die internationalen wirtschaftlichen Entwicklungen würden "die USA in die Rezession zurückdrängen." Er prognostizierte eine neue Finanzkrise, die "genauso schlimm werden wird wie die von 2008 bis 2009" und erklärte: "In den USA gab es ein massives Kreditwachstum. Dieses wurde nicht für wirtschaftliche Aktivitäten benutzt, sondern um Aktienrückkäufe zu finanzieren."

Angesichts des rapiden Abschwungs China, der tiefen Rezession in Brasilien und Russland und dem Niedergang der Schwellenmärkte aufgrund der sinkenden Rohstoffpreise und steigenden Schulden beginnt das seiner Natur nach instabile Kartenhaus des Finanzsystems in sich zusammenzufallen.

Die Zunahme des Spekulantentums äußert sich u.a. in der Entwicklung, dass der Markt für Schrottanleihen in Amerika seit 2009 um knapp 80 Prozent auf 1,3 Billionen Dollar gestiegen ist. Der Markt für Schrottanleihen aus dem Bereich Energie ist um 180 Prozent auf mehr als 200 Milliarden Dollar sogar noch schneller gestiegen. Während in den letzten Wochen die Preise für Öl und andere Rohstoffe weiter gesunken sind und sich Chinas Wirtschaft verlangsamt hat, zeigte der Schrottanleihenmarkt Anzeichen für eine Implosion. Die Preise gingen drastisch zurück, eine Reihe von Energie-Schrottanleihenfonds brachen zusammen.

Larry Fink, der Vorstandschef des weltweit größten privaten Investmentfonds Blackrock, erklärte am Freitag auf CNBC, die Marktkrise werde sich vermutlich verschlimmern. Er erklärte, "Ich glaube tatsächlich, es fließt noch nicht genug Blut auf den Straßen" und fügte hinzu: "In der Mitte des ersten Quartals wird es weitere Entlassungen geben, aber bestimmt im zweiten Quartal..."

Am Freitag wurde eine ganze Reihe von Konjunkturdaten veröffentlicht, die zeigen, dass die amerikanische Wirtschaft massiv an Schwung verliert. Die Federal Reserve meldete einen Rückgang der Industrieproduktion im Dezember von 0,4 Prozent, hauptsächlich aufgrund von Etatkürzungen bei Versorgungsbetrieben und einem Rückgang der Förderleistung im Bergbau. Im November betrug der Rückgang 0,9 Prozent. Im Vierten Quartal 2015 ging die Industrieproduktion um insgesamt 3,4 Prozent zurück.

Letzte Woche veröffentlichte das Institute for Supply Management seinen Einkaufsmanagerindex, der im Dezember auf 48,2 Punkte gesunken ist, den niedrigsten Stand seit Dezember 2009. Alles unterhalb von 50 Punkten deutet auf einen Rückgang hin.

Die New Yorker Fed veröffentlichte letzte Woche ihren Einkaufsmanagerindex Empire State Manufacturing Survey. Dieser wies im Januar einen Rückgang auf Minus 19,37 Punkte und von Minus 6,21 Punkten im Dezember auf. Sie erklärte: "Die Geschäftsaktivität für Industriebetriebe in New York ist laut der Umfrage vom Januar 2016 so stark zurückgegangen wie zuletzt in der Rezession von 2007-2009."

Diese Berichte belegen, dass sich die amerikanische Industrie in der Rezession befindet. Und letzte Woche erklärte der Vorstandschef der Eisenbahngesellschaft CSX, Michael Ward, in einem Fernsehinterview, es herrsche eine "Frachtrezession" im Land, d.h. Kohle- und andere Rohstofflieferungen gehen steil zurück.

Das Handelsministerium berichtete am Freitag, dass die Einzelhandelsumsätze in den USA im Dezember im Vergleich zum Vormonat um 0,1 Prozent gesunken sind. Insgesamt stiegen die Einzelhandelsumsätze im Jahr 2015 um nur 2,1 Prozent. Das ist schlechteste Ergebnis seit 2009, nachdem es im Jahr 2014 bei fast 3,9 Prozent lag. Die National Retail Federation kam unabhängig davon zu dem Ergebnis, dass das Weinachtsgeschäft im Vergleich zum Vorjahr mit nur drei Prozent Zuwachs deutlich unter dem prognostizierten Ergebnis von 3,7 Prozent lag.

Das Handelsministerium gab außerdem bekannt, dass die Lagerbestände im November um 0,2 Prozent zurückgegangen sind. Dies war stärkste Rückgang seit September 2011.

Das Arbeitsministerium veröffentlichte seinen Herstellerpreisindex, der für den letzten Monat einen Rückgang von 0,2 Prozent aufweist. Dass die Herstellerpreise bereits im Jahr 2015 um ein Prozent gesunken sind, ist das schlechteste Ergebnis seit Beginn der Serie im Jahr 2010 und weist auf deflationäre Kräfte in der amerikanischen Wirtschaft hin.

Aufgrund der schlechten Daten der amerikanischen Wirtschaft korrigierte JPMorgan Chase seine Wachstumsprognose für das Bruttoinlandsprodukts im vierten Quartal 2015 von einer Jahresrate von 1,0 auf nur 0,1 Prozent. Barclays korrigierte seine Prognose von 0,4 Prozent auf 0,3 Prozent.

Die drastische Verschärfung der Wirtschaftskrise wird die geopolitischen Spannungen und den Kriegskurs der USA und der anderen imperialistischen Mächte noch weiter verstärken. Gleichzeitig wird sie innere soziale Spannungen schüren, die die Arbeiterklasse in den USA und der Welt bereits heute in den Kampf gegen Austerität und soziale Ungleichheit treiben.

Diese schwere Wirtschaftskrise entwickelt sich vor dem Hintergrund einer wichtigen Präsidentschaftswahl in den USA, in der sich bereits jetzt die wachsende Entfremdung der arbeitenden Bevölkerung vom gesamten politischen System und der weitere Rechtsruck der beiden Parteien des Großkapitals offenbart hat.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 19.01.2016
Angst vor neuer Finanzkrise führt zu weltweiten Kursstürzen
http://www.wsws.org/de/articles/2016/01/19/econ-j19.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Januar 2016

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