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GLEICHHEIT/6169: Frankreich - Neuer Premierminister verlängert Ausnahmezustand


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Frankreich: Neuer Premierminister verlängert Ausnahmezustand

Von Alex Lantier
16. Dezember 2016


Der künftige französische Premierminister Bernard Cazeneuve hat diese Woche in einer Rede in der Nationalversammlung und durch Mitteilungen an den Senat die Politik seiner Regierung erläutert.

Nach der Rede des Premierministers stimmte die Nationalversammlung am Mittwochmorgen für eine fünfte Verlängerung des Ausnahmezustands, die Cazeneuve kurz zuvor angekündigt hatte. Das bedeutet, die demokratischen Grundrechte in Frankreich werden bis zum 15. Juli 2017 ausgesetzt bleiben.

Cazeneuves Regierung wird nur fünf Monate Bestand haben, bis zur Präsidentschaftswahl im Mai 2017. Damit wird sie die kürzeste in der Geschichte der Fünften Republik sein, die 1958 durch eine Reform der französischen Verfassung entstanden war. Sein Amtsvorgänger Manuel Valls war letzte Woche zurückgetreten, um als Kandidat der Sozialistischen Partei (PS) anzutreten, nachdem der zutiefst unpopuläre Präsident François Hollande die Kandidatur verweigert hatte. Da Hollandes Zustimmungswerte bei etwa vier Prozent liegen, wurde allgemein angenommen, dass seine erneute Kandidatur zum Zerfall der PS führen würde.

Allgemein wird mit einem Wahlsieg der politischen Rechten gerechnet, die den Ausnahmezustand weiter verlängern würde. Die Verlängerung des Ausnahmezustands unter Cazeneuve zeigt somit, dass die ganze herrschende Elite den Ausnahmezustand zu einer dauerhaften Einrichtung machen will.

Cazeneuve, der als Innenminister offiziell die Aufgabe hatte, den Ausnahmezustand durchzusetzen, soll jetzt bis Mai die Regierungsgeschäfte führen. Angesichts des bevorstehenden Amtsantritts des designierten US-Präsidenten Donald Trump im Januar herrscht derweil eine beispiellose politische Unsicherheit.

Bei seiner Rede vor der Nationalversammlung am Dienstag skizzierte Cazeneuve einen aggressiven Kurs. Vor dem Hintergrund der Berichte, die Trump-Regierung plane nach ihrer Amtsübernahme eine Erhöhung der Ausgaben für Oppositionskräfte in Syrien, attackierte Cazeneuve das syrische Militär, das in Aleppo gegen von der Nato unterstützte islamistische Milizen kämpft und versprach eine zuverlässige Umsetzung von Hollandes Sozialkürzungen.

Er erklärte: "Ich verurteile das Grauen dieser Massaker und bekräftige, dass sich die Verantwortlichen für ihre Verbrechen vor der internationalen Staatengemeinschaft werden rechtfertigen müssen." Weiter behauptete er, die "zahllosen Gräueltaten" und "Massaker" der syrischen Armee seien "Kriegsverbrechen oder sogar Verbrechen gegen die Menschlichkeit."

Da der Präsidentschaftskandidat der konservativen Republikaner (LR), François Fillon, ebenfalls in der Nationalversammlung anwesend war, kritisierte Cazeneuve implizit auch dessen Pläne, die übernommenen Kosten der staatlichen Krankenversicherung einzuschränken und im öffentlichen Dienst 500.000 Stellen abzubauen.

Cazeneuve erklärte: "Man kann kürzen ohne Schaden anzurichten, und modernisieren ohne zu zerstören. Der Vorschlag, in ein paar Monaten hunderttausende Stellen im öffentlichen Dienst abzubauen, würde die Fähigkeit des Staates gefährden, auch nur seine grundlegendsten Aufgaben zu erfüllen."

Tatsächlich haben Massen von Arbeitern bereits bemerkt, dass die Kürzungen der öffentlichen Ausgaben in Höhe von hunderten Milliarden Euro unter Hollande und früheren konservativen Regierungen den Betrieb von Krankenhäusern, Schulen und anderen öffentlichen Einrichtungen beeinträchtigt und die soziale Ungleichheit deutlich erhöht haben. Während die Multimilliardäre in Frankreich ihre Vermögen unter Hollande verdoppeln oder gar verfielfachen konnten, wurden die Staatsausgaben nicht zu Gunsten von Arbeitern und Jugendlichen erhöht, sondern im Wesentlichen für die Aufrüstung von Militär und Polizei während des Ausnahmezustands.

Cazeneuve verwies stolz auf die Gründung der 85.000 Mann starken Nationalgarde durch die PS, die eine der zentralen Forderungen des faschistischen Front National (FN) war. In einem zynischen Versuch, Valls im Vorfeld der Wahl als besorgt um die Jugend darzustellen, kündigte Cazeneuve außerdem ein Programm mit einem winzigen Kapital von 80 Millionen Euro an. Auszubildende in Industrieberufen sollen durch dieses Programm Boni in Höhe von 335 Euro erhalten.

Die Reaktion der LR auf Cazeneuves Rede in der Nationalversammlung kam von Christian Jacob, der der hemmungslosen Gier und Islamfeindlichkeit der französischen herrschenden Klasse eine Stimme verlieh: "Sie sind mitverantwortlich für das katastrophale Ausmaß von Hollandes Debakel." Er forderte ein Ende der "absolut ungeheuerlichen Besteuerung" und ein Bekenntnis zu Frankreich als dem Produkt einer "jüdisch-christlichen Zivilisation." Außerdem prognostizierte er der PS eine noch größere Niederlage als bei der Wahl von 1993, als ihr Anteil an Sitzen in der Nationalversammlung von 263 auf 57 sank.

André Chassaigne sprach für die stalinistische Kommunistische Partei Frankreichs (KPF), die seit Jahrzehnten mit der PS verbündet und mittlerweile die drittgrößte Partei innerhalb von Jean-Luc Mélenchons Linksfront ist. Er übte verhaltene Kritik an der Politik Hollandes, lobte Cazeneuve jedoch als "jemanden, der großen Respekt vor den verschiedenen politischen Perspektiven in der Nationalversammlung hat."

Cazeneuve wurde mit einer Mehrheit der Versammlung von 305 zu 239 Stimmen bei zehn Enthaltungen als Regierungschef bestätigt. Am Mittwoch stimmte sie dann mit 288 zu 32 Stimmen für die Verlängerung des Ausnahmezustands. Am gestrigen Donnerstag wurde dieser auch im Senat bestätigt, der von den LR dominiert wird.

Die fünfte Verlängerung des Ausnahmezustands verdeutlicht den Zusammenbruch der französischen Demokratie. Mit bisher zwanzig Monaten ist er der längste seit seiner Einführung im Jahr 1955 angesichts des massiven Blutvergießens durch die Unterdrückung des algerischen Unabhängigkeitskriegs. Doch heute reichen ein paar Terroranschläge der islamistischen Netzwerke, die von den Nato-Mächten selbst in Syrien mobilisiert wurden, damit die PS einen dauerhaften Ausnahmezustand einführt, durch den eine LR- oder FN-Regierung umfangreiche Polizeistaatsbefugnisse erhalten wird.

Anfang des Jahres wurde deutlich, wer das eigentliche Ziel des Ausnahmezustands ist: die PS benutzte ihn, um die Proteste von Jugendlichen und Arbeitern gegen ihr reaktionäres Arbeitsgesetz zu unterdrücken. Sie mobilisierte in dieser Phase nicht nur zehntausende von Sicherheitskräften, sondern ermöglichte der PS auch, etwas zu versuchen, was es seit dem Zweiten Weltkrieg und der faschistischen Herrschaft in Frankreich nicht mehr gegeben hat: das Verbot von legalen Protesten, die sich gegen das Arbeitsgesetz richteten.

Allerdings geht es bei dem Ausnahmezustand in Frankreich um weit mehr als um das Arbeitsgesetz. Ein weiterer wichtiger Beweggrund für den Ausnahmezustand ist es, die Bevölkerung in Angst zu versetzen und nötigenfalls Widerstand zu unterdrücken, während eine weitere militärische Eskalation vorbereitet wird.

Wie Trumps Wahlsieg und die kriegslüsternen Angriffe der PS auf das von Russland unterstützte Regime in Syrien deutlich machen, steht eine deutliche militärische Eskalation bevor. Während Cazeneuve droht, syrische Regierungsvertreter irgendwie vor Gericht zu bringen, droht Trump mit einer Eskalation des Kriegs in Syrien und einem Ende der Ein-China-Politik, der Grundlage der Beziehungen zwischen China und den USA und allgemeiner den Nato-Mächten.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 16.12.2016
Frankreich - Neuer Premierminister verlängert Ausnahmezustand
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Dezember 2016

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