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GLEICHHEIT/6269: Europäische Zentralbank vollführt geldpolitische Gratwanderung


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Europäische Zentralbank vollführt geldpolitische Gratwanderung

Von Nick Beams
13. März 2017


Die Europäische Zentralbank ist bemüht, trotz entgegengesetzter Forderungen Deutschlands an ihrer Niedrigzinspolitik festzuhalten. Vor dem Hintergrund einer leichten Beschleunigung von Inflation und Wachstum in den letzten Monaten hatte der Druck zugenommen, von der Wachstumsförderung mittels niedriger Zinssätze abzurücken.

Doch bei seinem Treffen in Frankfurt beschloss der EZB-Rat vergangene Woche, die bisherige Zinspolitik und den Ankauf von Staatsanleihen fortzusetzen. Allerdings, so EZB-Präsident Draghi auf der anschließenden Pressekonferenz, sei aus der entsprechenden Mitteilung diesmal folgender Satz gestrichen worden: "Falls zur Erreichung seines Ziels erforderlich, wird der EZB-Rat handeln, indem er alle im Rahmen seines Mandats zur Verfügung stehenden Instrumente einsetzt." Dies sei ein "Signal", dass weitere Maßnahmen nicht mehr so dringlich seien - ein Zugeständnis an die Forderungen Deutschlands.

Die Kerninflation in Europa hat mittlerweile fast die Zielvorgabe der EZB von knapp unter zwei Prozent erreicht. Dies ist jedoch vorwiegend auf die gestiegenen Preise für Öl und unverarbeitete Lebensmittel zurückzuführen.

Das Deflationsrisiko, so Draghi, sei weitgehend gebannt, doch vom "Sieg an der Inflationsfront" könne man noch nicht sprechen. Dazu müssten die Löhne deutlich schneller steigen. Die Mitglieder des EZB-Rats müssten davon überzeugt sein, dass sich die Inflation von selbst nachhaltig anpasse, und dafür sei es noch zu früh.

Deutschland fordert von der EZB eine Abkehr von der Niedrigzinspolitik und hebt immer wieder deren negative Auswirkungen auf die Einlagen deutscher Sparer hervor.

Außerdem steht die EZB durch die Währungs- und Handelspolitik der US-Regierung von Donald Trump unter Druck. Dieser Druck verstärkte sich nach der Veröffentlichung der neusten Zahlen. Demnach hat das US-amerikanische Handelsdefizit im Januar 2017 den höchsten Stand seit fünf Jahren erreicht. Gegenüber dem Dezember 2016 stieg es von 44,3 Mrd. auf 48,5 Mrd. Dollar, also um 9,6 Prozent. Im März 2012 hatte es 50,2 Mrd. US-Dollar betragen.

Die Angriffe der Trump-Regierung richten sich in erster Linie gegen China, dem vorgeworfen wird, es habe seit seinem Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) 2001 zu Lasten der amerikanischen Wirtschaft von den internationalen Handelsabkommen profitiert. Daneben beschuldigen Vertreter der US-Regierung Deutschland, es habe auf den Weltmärkten die Einführung des Euro ausgenutzt, weil er deutlich niedriger bewertet sei, als es die D-Mark gewesen wäre.

Während der EZB-Pressekonferenz wurde die Kritik an Deutschland in Form einer Frage zu dessen Außenhandelsüberschuss und zum großen Überschuss der Eurozone insgesamt vorgebracht.

Draghis Antwort war zwar höflich, ließ jedoch die Spannungen durchschimmern. Er wiederholte, was er bereits vor dem Europäischen Parlament zur Verteidigung der Politik der Eurozone gegen die Kritik der USA erklärt hatte: Es bringe nichts, Deutschland anzugreifen. Deutschlands Währung sei der Euro, und die Geldpolitik des Euroraums werde von der EZB beschlossen. Der Wechselkurs des Euro werde von den Marktkräften bestimmt.

Offenbar hatte Draghi mit solchen Fragen gerechnet. Er zitierte er aus einer Einschätzung des US-Finanzministeriums vom Oktober 2016, laut der Deutschland kein "Währungsmanipulierer" sei. Weiter erklärte er, der reale effektive Wechselkurs sei nahe an seinem historischen Durchschnitt. "Der [reale] effektive Wechselkurs des Dollar hingegen liegt vom historischen Durchschnitt entfernt. Deshalb ist momentan nicht der Euro für die Lage verantwortlich."

Auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) macht in ihrem soeben erschienenen Wirtschaftsausblick deutlich, dass sie, ebenso wie die EZB, den leichten Anstieg von Inflation und Wachstum nicht überbewerten möchte.

Das globale Bruttoinlandsprodukt, so die OECD, werde "geringfügig" steigen: von unter drei Prozent im Jahr 2016 auf etwa 3,5 Prozent bis 2018. Doch eine "Loslösung der Finanzmärkte von den Grundlagen, potenzielle Marktschwankungen und politische Unsicherheiten" könnten "den Aufschwung gefährden".

Im Zusammenhang damit, dass die Aktienkurse in den USA seit Trumps Wahlsieg um etwa 15 Prozent gestiegen sind, spricht die OECD von einem offenkundigen "Missverhältnis" zwischen dem Optimismus, der sich in dieser Marktbewertung äußert, und den Prognosen für die Realwirtschaft.

Die Verbesserung der Stimmung auf den Märkten, so die OECD, stehe im Widerspruch zum anhaltend geringen Wachstum des Konsums und der Investitionen, das weit hinter früheren Aufschwüngen zurückbleibe, sowie zum langsamen Produktivitätswachstum und zur fortdauernden Ungleichheit.

Die OECD weist auf das Risiko hin, dass das Auseinanderdriften der Zinssätze in den großen Volkswirtschaften die Wechselkursvolatilität erhöhen könnte. Die beiden wichtigsten Zentralbanken, die amerikanische Federal Reserve und die EZB, würden in unterschiedliche Richtungen ziehen. Während die EZB ihren Zinssatz von minus 0,4 Prozent beibehalte, werde die Fed ihren Basiszinssatz bei ihrem Treffen am 14./15. März wahrscheinlich auf 0,25 Prozent heraufsetzen.

Weiter heißt es im OECD-Wirtschaftsausblick, in vielen Ländern herrsche "große" Unsicherheit über künftige Maßnahmen und die Richtung der Politik. Zudem gebe es "beträchtliche Unsicherheit, was die weitere Entwicklung der globalen Handelspolitik angeht". Zwar werden in dem Bericht keine Namen genannt, doch der Bezug auf Trumps "America First"-Politik und den Aufstieg rechter wirtschaftsnationalistischer Parteien in Europa ist offenkundig.

Auch die letzte Frage auf Draghis Pressekonferenz betraf dieses Thema. Der EZB-Präsident hatte betont, wie wichtig es sei, dass sich der G20-Gipfel gegen einen Abwertungswettlauf bei den Währungen und gegen protektionistische Maßnahmen überhaupt ausgesprochen habe. Daraufhin wurde er gefragt, wie wichtig es denn sei, dass sich die G20-Staaten bei ihrem Gipfeltreffen am 7. und 8. Juli in Hamburg zu diesen Verpflichtungen bekennen, denn dem Vernehmen nach könnten sie davon abrücken.

Da vor dem G20-Gipfel in den Niederlanden und in Frankreich Wahlen stattfinden, steht noch nicht fest, welche Politiker aus diesen Ländern daran teilnehmen werden. In beiden Ländern könnten rechte wirtschaftsnationalistische Parteien deutlich zulegen. Marine Le Pen vom Front National liegt zwar momentan in Umfragen nicht vorn, könnte jedoch durchaus Präsidentin werden.

Draghi antwortete, der Verzicht auf Währungsabwertungen zur Steigerung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit und das Festhalten am freien Handel seien seit Jahrzehnten "die Grundpfeiler des weltweiten Wohlstands". Daher sei es wichtig, dass sich die G20 erneut zu ihnen bekennen.

Das Abrücken von ihren bisherigen Grundsätzen wäre für die G20 ein großer Einschnitt. Dass diese Option überhaupt erwogen und in Gegenwart des EZB-Präsidenten vorgebracht wird, deutet auf erhebliche Spannungen in den globalen Wirtschaftsbeziehungen hin.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 13.03.2017
Europäische Zentralbank vollführt geldpolitische Gratwanderung
http://www.wsws.org/de/articles/2017/03/13/ezba-m13.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. März 2017

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