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GRASWURZELREVOLUTION/1315: Ausstellung "Durch Nacht zum Licht? Geschichte der Arbeiterbewegung 1863-2013."


graswurzelrevolution 376, Februar 2013
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Durch Nacht zum Licht?
Vom Alltag und den Produktionsbedingungen. Ausstellung im Technoseum Mannheim: 1863 - 2013.

Das Interview mit Torsten Bewernitz, Politikwissenschaftler und Gewerkschaftsaktivist,
führte Luz Kerkeling



GRASWURZELREVOLUTION: Wie kam es dazu, dass das Technoseum Mannheim, ein Landesmuseum für Technik und Arbeit, eine Ausstellung über 150 Jahre ArbeiterInnenkampf in Deutschland realisiert?

TORSTEN BEWERNITZ: Das Technoseum ist, anders als der Name vermuten lässt, auch der Sozialgeschichtsschreibung verpflichtet. Als das es in den frühen 1980ern von der Stadt Mannheim und dem Land Baden-Württemberg geplant wurde, schrieb der damalige Bürgermeister Mannheims: "Im Zeitalter der Industrialisierung erwuchsen in der Arbeiterschaft und der Arbeiterbewegung neue Kräfte, die entscheidend zur politischen Kultur und zur demokratischen Tradition unserer Stadt beigetragen haben und noch beitragen. Dieser Teil unserer Vergangenheit soll mit der Errichtung des Landesmuseums für Technik und Sozialgeschichte in Mannheim sichtbar gemacht werden."

Entsprechend verbunden sind die Gewerkschaften dem Museum. Als Kuratorenteam der Ausstellung machen wir uns dafür stark, den sozialhistorischen Ansatz wieder zu betonen.

Letztlich ist der Anlass für die Ausstellung der 150. Jahrestag der Gründung des AdAV, des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins 1863. Die SPD feiert das als Parteijubiläum, wird aber bei uns nicht im Mittelpunkt stehen, weil die Friedrich-Ebert-Stiftung eigene Wanderausstellungen zur Geschichte der SPD konzipiert hat.

GRASWURZELREVOLUTION: Du hast seit zwei Jahren intensiv an der inhaltlichen Gestaltung der Ausstellung mitgearbeitet. Was war Euch besonders wichtig?

TORSTEN BEWERNITZ: Uns war wichtig, die anderen Aspekte der Arbeiterbewegung in den Vordergrund zu stellen, also Gewerkschaften und die sogenannten "dritten Säulen": Genossenschaften, Kulturvereine, Sportvereine, Freireligiöse und Freidenker. Auch die SPD hat ihren Platz in der Ausstellung, aber keinen bevorzugten.

Wichtig war uns ferner, nicht nur von der "Politik" auszugehen, sondern vom Alltag und den Produktionsbedingungen: In jeder der sechs Abteilungen der Ausstellung findet man ein "Produktionsmilieu", das zeigt, wie und unter welchen Bedingungen gearbeitet wurde und wird. Uns war es wichtig, damit zu zeigen, dass die Art zu arbeiten auch die Art der Bewegung beeinflusst. Letztlich ist es immer ein wenig problematisch, so ein Thema ins Museum zu stecken: "Musealisierung" bedeutet ja eigentlich, etwas als etwas Vergangenes, vielleicht sogar Verstaubtes, darzustellen, dass man aus den alten Gewölben und Archiven erst hervorkramen musste. Das wollten wir vermeiden, die Ausstellung soll deutlich machen, dass es sich bei den Problemen und bei der Bewegung selber um Prozesse handelt, die auch heute stattfinden. Quantitativ von einer Arbeiterbewegung zu sprechen, ist vielleicht heute etwas schwer, aber das liegt auch daran, dass viele Arbeitende den Begriff nicht gebrauchen - sich aber in Protesten gegen Leiharbeit, Hartz IV oder der Krisenpolitik durchaus zu ihrem Verhältnis als LohnarbeiterInnen positionieren.

GRASWURZELREVOLUTION: Wo siehst Du die Stärken und wo die Schwächen der Ausstellung?

TORSTEN BEWERNITZ: Sie ist ästhetisch gelungen, da haben unsere Gestalter tolle Arbeit geleistet. Inhaltlich ist es die erste große Ausstellung zum Thema nach der sogenannten "Wende" - und damit standen wir vor einer großen Herausforderung: Die Darstellung der Geschichte der DDR in diesem Kontext, und zwar einerseits unter dem Aspekt, was wurde von der SED aus der Arbeiterbewegung gemacht, und auf der anderen Seite unter dem Aspekt, wo gab es dennoch Dissidenz aus einem proletarischen Milieu?

Da es nicht angeht, wenn ein paar "Besserwessis" die Geschichte der DDR erzählen, hat sich hier eine enge Zusammenarbeit mit dem Sächsischen Industriemuseum Chemnitz ergeben und wir haben uns von Renate Hürtgen beraten lassen.

Der Aktualitätsbezug ist deutlich. Auch der Generalstreik vom 14. November 2012 in Südeuropa (vgl. GWR 374) ist drin. Entsprechend behandeln wir auch Themen wie Globalisierung und prekäre Beschäftigung.

Eine Ausstellung auf ca. 900 qm wird immer Lücken aufweisen. Es ist z.B. ein Manko, dass auf die Konzentrationslager und Vernichtungslager der Nazis nicht eingegangen wird, oder auch auf die Zwangsarbeit.

Das war eine bewusste Entscheidung, denn wenn wir die Judenvernichtung aufgenommen hätten, hätte diese auch nur mit ein oder zwei Exponaten und einem Kurztext bedacht werden können - und das wäre dem Thema nicht gerecht geworden.

GRASWURZELREVOLUTION: Zu den Kämpfen jenseits der Sozialdemokratie und der kommunistischen Gruppen: Welche Bedeutung hatten die radikalen und libertär-sozialistischen Kräfte für Deutschland?

TORSTEN BEWERNITZ: Um einen unseren wissenschaftlichen Beiräte, den Historiker Thomas Welskopp von der Uni Bielefeld, zu zitieren, gab es den Anarchismus in Deutschland ja "nicht einmal in Spurenelementen", wie er in unserem Ausstellungskatalog schreibt. Wir haben daher scherzhaft überlegt, ob wir den Anarchismus als kleines Spurenelement unter einem Vergrößerungsglas darstellen.

Allerdings spricht Welskopp hier lediglich von der Frühzeit der Arbeiterbewegung. Also: Ja, es kommen auch andere Strömungen vor, anarchistische, rätekommunistische und auch christliche.

Ich hätte in der Weimarer Republik gerne wesentlich mehr aus der rätekommunistischen und syndikalistischen Richtung eingebracht. Aber im Gegensatz zu KPD oder SPD gab es da nun mal wesentlich weniger "Merchandise", also Anstecker, Fahnen etc. Es ist auch mehr vernichtet worden von 1933 bis 1945.

Ein Exponat, das wir z.B. gerne gehabt hätten, ist das von Johann Most herausgegebene Arbeiter-Liederbuch, aber solche Exponate sind, wie gesagt, selten, und wir haben nicht alles bekommen, was wir gerne haben wollten. Eine Rarität ist eine Inflationsbanknote aus der Weimarer Zeit mit handschriftlicher Propaganda der syndikalistisch-anarchistischen Jugend Deutschlands.

Da es uns nicht darum geht, bestimmte Strömungen der Arbeiterbewegung hervorzuheben, sondern wir eher von den Themen der Arbeiterbewegung ausgegangen sind, taucht z.B. der Anarchosyndikalist Rudolf Rocker auf, aber nicht aufgrund seiner politischen Position, sondern als Kommentator der Rationalisierung. Die bewegten ArbeiterInnen waren ja in vielerlei Hinsicht aktiv: Manchmal tauchen die AnarchistInnen auf, ohne dass man sie als solche bemerkt, z.B. als TexterInnen oder KomponistInnen von Arbeiterliedern, die man auf einer Hörstation anhören kann oder als Bestandteil einer rekonstruierten Arbeiterbibliothek.

Auch die heutige anarchosyndikalistische FAU (Freie ArbeiterInnen-Union) tritt auf mit der Kampagne "Leiharbeit abschaffen!" In der Ausstellung steht ein "Strike Bike" aus Nordhausen. Letztlich führt das - aufgrund der Exponatlage - dazu, dass die FAU heute mit ihrem Bruchteil an Mitgliedern mehr Erwähnung findet als die FAUD zur Weimarer Zeit.

GRASWURZELREVOLUTION: Wird die DDR-Geschichte differenziert aufgearbeitet, oder haben wir es - wie so oft - mit Siegergeschichtsschreibung zu tun, die sich leider auch nicht selten in anarchistischen Interpretationen wiederfindet?

TORSTEN BEWERNITZ: Das Thema DDR bleibt problematisch. Erstens arbeiten auch in Ostdeutschland keineswegs nur gebürtige Ostdeutsche in den Museen und zweitens prallen hier immer verschiedene Sichtweisen aufeinander: Z.B. die Sichtweise aktiver Oppositioneller und die Sichtweise unseres wissenschaftlichen Beirats. Der 17. Juni 1953 ist ein gutes Beispiel dafür.

Die HistorikerInnen sind sich bis heute nicht einig, ob das ein ArbeiterInnen- oder ein Volksaufstand war. Wir stellen den 17. Juni 1953 als Arbeitskampf dar. Persönlich bin ich der Meinung, dass es sich hier um den bedeutendsten Generalstreik der deutschen Nachkriegsgeschichte handelt, denn es war das einzige Mal, dass ArbeiterInnen sich flächendeckend nicht nur gegen Arbeitsbedingungen, sondern spezifisch gegen den Staat gestellt haben.

Der bekannteste Generalstreik war der zur Niederschlagung des Kapp-Putsches 1920.

Und die Revolution von 1989 - "Revolution" war das damals gebräuchliche Wort, der Begriff "Wende" gehört zu der von Dir genannten Siegergeschichtsschreibung - haben wir vorrangig unter dem Aspekt behandelt, was denn in den Betrieben los war. Es gab ja zahlreiche neue Gewerkschaftsgründungen, Versuche, die Betriebe zu übernehmen etc. Dabei ist mir aufgefallen, dass man auch die Ereignisse von 1989 etwas allgemeiner beschreiben muss, um den Kontext zu verstehen. Für mich ist 1989 nicht lange her, aber unsere meisten BesucherInnen sind SchülerInnen - die haben damals nicht mal gelebt.

GRASWURZELREVOLUTION: Auf welche Exponate dürfen sich die BesucherInnen besonders freuen?

TORSTEN BEWERNITZ: Das Highlight der Ausstellung ist m.E. die einzige erhaltene Seite aus dem handschriftlichen Entwurf Karl Marx' für das kommunistische Manifest.

Schön finde ich auch das Brettspiel "Strikes" aus dem Bestand der Familie Marx.

Und die Zigarrensammlung der Sozialistischen Internationale von 1964 zum 100jährigen Jubiläum der Gründung der Internationalen Arbeiter-Association. Da ist u.a. auch der Kopf von Bakunin auf einer Banderole zu sehen.

Eindrucksvoll ist auch die Fahne des deutschen Holzarbeiterverbandes von 1901, die aus Holzspänen geflochten ist.

Überraschungen gibt es genug. Wir haben über 400 Exponate von gut 60 LeihgeberInnen in der Ausstellung. Es gibt eine Menge Feinheiten zu entdecken und wir hoffen, dass die BesucherInnen sich selber in der einen oder anderen Kleinigkeit wiederfinden.


Landesausstellung:
Durch Nacht zum Licht?
Geschichte der Arbeiterbewegung 1863-2013.
2. Februar bis 25. August 2013 im TECHNOSEUM, Landesmuseum für Technik und Arbeit,
Museumsstr. 1, 68165 Mannheim,
www.technoseum.de/ausstellungen/vorschau/arbeiterbewegung/

Öffnungszeiten: täglich 9.00 bis 17.00 Uhr

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Quelle:
graswurzelrevolution, 41. Jahrgang, Nr. 376 Februar 2013, S. 17
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
Koordinationsredaktion Graswurzelrevolution:
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Ein GWR-Jahresabo kostet 30 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. April 2013