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GRASWURZELREVOLUTION/1462: Dresden ist überall


graswurzelrevolution 397, März 2015
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Dresden ist überall

Pegida als Spiegelbild rassistischer deutscher Zustände


Seit dem Beginn der Demonstrationen von Pegida im Oktober 2014 in Dresden und deren Ablegern in vielen deutschen Städten steht diese Bewegung im Zentrum der Medienberichterstattung. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht über Pegida selbst, einen ihrer zahlreichen Ableger oder eine lokale Neugründung berichtet wird. So wichtig es ist, die jeweils Beteiligten und lokalen Strukturen zu beleuchten, fällt umso mehr auf, dass die Erfahrungen und Sichtweisen davon direkt Betroffener - in erster Linie geflüchtete Menschen, Muslime und Muslima - so gut wie keinen Raum finden. Vielmehr stehen, wie Dresden exemplarisch zeigt, die InitiatorInnen, aber auch die DemonstrantInnen mit ihren Parolen im Fokus der Berichterstattung.


Spiegelbildlich dazu verhält sich die Politik: Innenminister de Maiziere grenzte sich zwar im November letzten Jahres im Namen der Bundesregierung von Pegida ab, beeilte sich aber gleichzeitig zu betonen, dass die "Sorgen" der Menschen ernst genommen werden müssten.

Gemeint waren damit nicht die von Rassismus betroffenen Menschen, deren Bedrohung im Zuge der Großdemonstrationen immens zugenommen hat, sondern die "Sorgen" der Demonstrant_innen, die ihre menschenverachtende Hetze auf die Straße bringen und herausbrüllen. Sehr viele Politiker_innen stoßen in dasselbe Horn wie de Maiziere. Unfassbarer Höhepunkt sind die Äußerungen des sächsischen Ministerpräsidenten vom 25. Januar 2015, dass der Islam nicht zu Sachsen gehöre und die Bürger Angst vor dem Islam hätten, weshalb sich die Muslime in Deutschland klar von religiöser Gewalt distanzieren müssten.

Damit äußerte er gleichermaßen Verständnis für Pegida und stellte sich argumentativ auf deren Seite.

Verdoppelung rassistischer Gewalt seit Pegida

Währenddessen die "Sorgen" der Menschen - genauer gesagt: der weißdeutschen Pegida-Demonstrant_innen und ihrer Sympathisant_innen - ernst genommen werden sollten, interessiert sich kaum jemand für diejenigen, die allen Grund zur Sorge und zu Ängsten hätten: Geflüchtete, Muslim_a, People of_Color und Schwarze Menschen.

Ein nüchterner Blick auf die Zahlen zeigt deutlich, dass rassistische Angriffe auf diese Menschen seit Pegida deutschlandweit zugenommen haben: Recherchen von REPORT MAINZ belegen, dass sich in den drei Monaten seit Beginn der Pegida-Demonstrationen die Anzahl rassistisch motivierter Angriffe im Gegensatz zu den drei Monaten zuvor von 33 auf 76 mehr als verdoppelt hat.(1)

Nach Angaben der Beratungsstelle von Opfern rechter Gewalt in Dresden haben auch rassistische Angriffe in der Stadt zugenommen. Von Rassismus betroffene Menschen, die in Dresden wohnen, berichten zudem, dass sie in der Öffentlichkeit vermehrt angepöbelt, angespuckt und angegriffen werden. Und viele Geflüchtete gehen aus Angst vor rassistischen Angriffen nur noch zusammen in kleinen Gruppen auf die Straße.

In den drei Monaten seit Beginn der Pegida-Demonstrationen hat sich die Anzahl rassistisch motivierter Angriffe im Gegensatz zu den drei Monaten zuvor von 33 auf 76 mehr als verdoppelt.

Nicht nur in Dresden, sondern in allen Teilen Deutschlands gehören rassistische Angriffe, insbesondere auf Geflüchtete und deren Unterkünfte, zum gewaltvollen Alltag. Im mittelfränkischen Vorra gab es am 11. Dezember 2014 einen Brandanschlag, bei dem drei Gebäude angezündet wurden, die als Flüchtlingsunterkünfte kurz vor der Eröffnung standen. Zudem hinterließen die TäterInnen Hakenkreuze und eine rassistische Parole. Im baden-württembergischen Rheinstetten wurden im Mai 2014 Schüsse auf die dortige Unterkunft für Asylsuchende abgefeuert - Bewohner_innen berichteten überdies von vermehrten rassistischen Pöbeleien, Im niedersächsischen Söhre wurde Anfang Januar 2014 eine Romafamilie überfallen und ausgeraubt. Und im sächsischen Hoyerswerda wurden im letzten Jahr mehrmals Geflüchtete in der Stadt attackiert und die dortige Flüchtlingsunterkunft mindestens einmal angegriffen, nachdem in der Stadt erstmals seit den rassistischen Pogromen von 1991 wieder Geflüchtete wohnen.

Anstieg rassistischer Gewalt und Einstellungen in den letzten Jahren

Die Dokumentationsstelle der Antirassistischen Initiative kommt vor dem Hintergrund ihrer Recherchen zu dem Ergebnis, dass die rassistische Gewalt allein gegenüber Flüchtlingen in den letzten beiden Jahren deutlich zugenommen hat: Gab es im Jahr 2012 mindestens 13 rassistische Attacken im öffentlichen Raum, bei denen Geflüchtete teils schwer verletzt wurden, so sind es für 2014 nach ersten Schätzungen ungefähr 40.(2) Die Anzahl von Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte hat sich von mindestens 20 im Jahre 2012 auf 39 im Jahre 2013 fast verdoppelt. Für das letzte Jahr schätzt die Dokumentationsstelle mehr als 50 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte. (3)

Repräsentative Umfragen in der deutschen Bevölkerung vom Frühjahr 2014 (4) zeigen, dass die Gewalt gegenüber Geflüchteten - sicher nicht nur, aber auch - Ausdruck und damit Materialisierung rassistischer Einstellungen ist, die in den letzten drei Jahren offensichtlich zugenommen haben: Rund 36% der Befragten meinen, die Zuwanderung von Muslime_a nach Deutschland sollte untersagt werden - 2011 stimmten dieser Aussage noch gut 22% zu.

Etwa 55% der Befragten findet, dass sogenannte Asylbewerber_innen in ihren Heimatländern nicht wirklich verfolgt würden; im Jahr 2011 stimmten dieser Aussage gut 46% der Befragten zu. 76% aller Befragten sprechen sich dagegen aus, dass der Staat bei Asylanträgen großzügiger prüfen solle - 2011 stimmten dieser Aussage nur gut 25% aller Befragten zu.

Ablehnung von Geflüchteten stark verbreitet

Die ablehnenden und rassistischen Einstellungen Geflüchteten gegenüber zeigen sich auch an den vielen Demonstrationen gegen Flüchtlingsunterkünfte in den letzten beiden Jahren, die oft Bürgerinitiativen mit Unterstützung der extremen Rechten durchführten (und weiterhin durchführen). Dabei korreliert die Ablehnung vielerorts weniger mit den sozioökonomischen Verhältnissen, wie gemeinhin angenommen. Vielmehr sind die rassistischen Argumentationsmuster andere: Geht es in tendenziell eher sozial schlechter gestellten Gegenden vordergründig um die Thematisierung von schlechter Infrastruktur (wenige Schulen, Kitas und Arbeitsplätze etc.), um mögliche Gewalt von Seiten der Geflüchteten sowie um das Gefühl, von den politisch Verantwortlichen im Stich gelassen zu werden, zeigen sich in eher wohlhabenden Gegenden andere Argumentationsmuster.

In der reichen Frankfurter Vorstadt Bad Soden sprachen sich beispielsweise im Sommer 2013 viele Bürger_innen gegen eine dortige Unterkunft aus: Zwar sei es wichtig, Geflüchtete aufzunehmen, aber eben nicht in der "eigenen" Gegend und auch generell nicht in einer reichen Gegend, denn das würde den Neid der Geflüchteten auf den Wohlstand schüren, was den Geflüchteten(!) nicht angetan werden könne. Immer wieder wird auch der Marktwert der Häuser und Grundstücke erwähnt, der in Gegenwart einer Flüchtlingsunterkunft rapide sinken würde.

Den Argumentationsmustern ist gemein, dass Geflüchtete in der unmittelbaren Wohnumgebung klar abgelehnt werden. Einmal, versteckt unter dem Mantel eines möglicherweise auflammenden Sozialneides, da sie den eigenen Reichtum massiv in Frage stellen und bedrohen (könnten) - und damit letztlich auch die eigene Lebensweise. Auf der anderen Seite, weil Geflüchtete den vermeintlich dafür Berechtigten etwas wegnehmen würden.

So irrational die Argumentationen erscheinen, zeigen sie doch deutlich, wie wirkmächtig und aktuell das Bild einer Bedrohungslage durch hier lebende Geflüchtete für das "eigene" Leben ist. Die Grundlogik von Rassismus, die Trennung in ein "Wir" und ein "Anderes", zeigt sich exemplarisch an diesen Argumentationsmustern.

Restriktive deutsche Flüchtlingspolitik

Dass die hier skizzierten rassistischen gesellschaftlichen Verhältnisse mit einer jahrzehntelangen restriktiven Politik einhergehen, liegt auf der Hand. Was dabei als Ursache und was als Folge erscheint, kann jedoch nicht eindeutig bestimmt werden - vielmehr handelt es sich um komplexe Wechselwirkungen. Zu nennen sind beispielsweise die immer wieder - vor allem von Unionspolitiker_innen - geforderten beschleunigten Asylverfahren, um Geflüchtete schneller abschieben zu können. Im Dezember 2014 bezeichnete der CDU-Politiker Michael Kretschmer vor dem Hintergrund von Pegida den Winterabschiebestopp von Thüringen und Schleswig-Holstein als "Rechtsbruch", der die Aufnahmebereitschaft in der Bevölkerung Deutschlands gefährde. Aber auch die jüngste Gesetzesänderung vom September 2014, durch die die Länder Bosnien und Herzegowina, Mazedonien und Serbien zu "sicheren Drittländern" kurzerhand umdefiniert wurden, verschärfen die Situation der Betroffenen immens: Obwohl zahlreiche rassistische Angriffe und Morde auf bzw. an Roma in diesen Ländern bekannt sind, gelten diese Länder per Gesetzesbeschluss nun als sicher.

Die Abgrenzungen der Politik von Pegida bei gleichzeitigem Verständnis für die "besorgten Bürger_innen" kann vor diesem Hintergrund als Plädoyer und Motivator für eine noch restriktivere Flüchtlings- und Einwanderungspolitik verstanden werden. Damit wird letztlich genau das umgesetzt, was Pegida & Co fordern - und seit Jahrzehnten deutsche (und europäische) Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik ausmacht: Einwanderung hoch qualifizierter Arbeitskräfte forcieren und Aufnahme von Geflüchteten und allen anderen Menschen, die nach Deutschland kommen, erschweren bzw. verhindern.

Dokumentationsstelle der Antirassistischen Initiative


Anmerkungen:

1) www.swr.de/report/pegida-demos/27/·/id=233454/mpdid=14967298/nid=233454/did=14756452/1oxl0m8/index.html

2) Die Zahlen beziehen sich auf öffentlich bekannt gewordene Angriffe auf Geflüchtete. D.h. die tatsächliche Anzahl wird wesentlich höher liegen.

3) Darunter werden Brandanschläge, das Bewerfen von Gebäuden mit Gegenständen sowie das Eindringen auf ein Gelände und tätliche Angriffe verstanden. Hakenkreuzschmierereien sowie entsprechende Angriffe auf geplante Unterkünfte werden dabei nicht berücksichtigt.

4) Vgl. Decker. O., Kiess, J.; Brähler, J. (2014). Die stabilisierte Mitte. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2014.

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Quelle:
graswurzelrevolution, 44. Jahrgang, Nr. 397, März 2015, S. 5
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. März 2015

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