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GRASWURZELREVOLUTION/1607: Der politische Filmemacher Constantin Costa-Gavras


graswurzelrevolution 413, November 2016
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Der politische Filmemacher Constantin Costa-Gavras

Von Elmar Klink


Der am 12.2.1933 in Arkadien geborene griechische Autor und Filmemacher Costa-Gavras mit französischer Staatsbürgerschaft seit 1954, ist ein Filmregisseur erster Güte, dessen vor allem politische Filme aus der Reihe fallen. Vielen dürften Filme wie "Z" (1968) - der vielleicht beste "Politthriller" aller Zeiten - "Das Geständnis" (1969). "Der unsichtbare Aufstand" (1972). "Vermisst" (1982), "Verraten" (1988) oder "Der Stellvertreter" (2002) nicht unbekannt sein. zumindest den einen oder anderen davon hat man mal oder vielleicht sogar öfters gesehen.


Costa-Gavras, mit bedeutenden Filmkunstpreisen bis zum Oscar (für Z) mehrfach ausgezeichnet, ist im Gegensatz zu vielen seiner Künstler-KollegInnen ein in Frankreich in Regie und Filmproduktion privatakademisch ausgebildeter und diplomierter Filmschaffender, was seinem teilweise an dokumentaristisches Kino erinnernden Stil zugute kommt. Assistenzzeiten bei so renommierten Regiegrößen wie René Clair und Henri Verneuil komplettierten seine Ausbildung. Seine Themen zeigen, dass er politisch nicht auf dem einen Auge blind ist.

Costa-Gavras bemerkte einmal: "Es ist der Sache des Sozialismus nicht gedient, wenn man die Prozesse, die Komplette und Irrtümer unterschlägt, die sein Gesicht entstehen." Das heißt, er ist zwar engagiert auf der Seite der politischen Linken, aber er scheut sich auch nicht, z. B. die Thematik der grotesken Folter- und unmenschlichen Verhörmethoden der politischen Polizei und Geheimdienste kommunistischer Staaten des ehemaligen "Ostblocks" aufzugreifen und kritisch zu bearbeiten.

Der europäische Kulturkanal ARTE hat im Februar 2016 eine Reihe der besten Produktionen Costa-Gavras' in einer Retrospektive gezeigt, von denen einige hier näher besprochen werden sollen. Hintergründe sind immer zeitgeschichtlich einschneidende Ereignisse. So die rigorosen Partei-Säuberungen in der nach dem Zweiten Weltkrieg kommunistisch gewordenen Tschechoslowakei (Das Geständnis); Ereignisse vor der Machtergreifung in Griechenland 1967 durch ein rechtes Obristenregime (Z); der Untergrundkampf der linksradikalen politischen Opposition der Tupamaros in Uruguay/Südamerika ("Der unsichtbare Aufstand").

Oder nach der literarischen Vorlage des gleichnamigen Stückes von Rolf Hochhuth (1963) das Versagen der Katholischen Kirche und ihres Papstes Pius XII. im Zweiten Weltkrieg sich offen politisch gegen das NS-Regime und schützend vor verfolgte Angehörige des jüdischen Volkes zu stellen, die zu Millionen in die Vernichtungslager deportiert und umgebracht wurden (Der Stellvertreter).

Im Film "Vermisst" (nicht in der ARTE-Reihe) wird fiktiv das Thema des Verschwindens eines politisch recherchierenden linksliberalen US-Journalisten am Beginn einer Militärdiktatur (unschwer ist der Bezug auf den Pinochet-Putsch in Chile erkennbar) aufgegriffen und ausgeleuchtet. Mit den US-SchauspielerInnen Jack Lemmon und Sissy Spacek prominent besetzt. Und mit deutlicher Anspielung auf die enge Verwicklung von US-Militärs und CIA in den gewaltsamen Umsturz 1973. Die Geschichte erinnert einen an das Verschwinden und die Ermordung der deutschen, Studentin Elisabeth Käsemann 1976/77 in Argentinien während der Militärdiktatur. Dabei spielten zuständige deutsche Stellen und verantwortliche Bonner Regierungsmitglieder bis hin zum deutschen Botschafter in Buenos Aires eine beschämend untätige, dubios verwickelte, unrühmliche Rolle. So sind es in "Vermisst" auch offizielle Vertreter der US-amerikanischen Botschaft in dem Land, die sich zwar vordergründig gegenüber dem angereisten Vater des Vermissten kooperativ zeigen, in Wirklichkeit aber komplizenhaft hinhaltend, verschleiernd und bewusst desorientierend verhalten.

"Z" (Co-Drehbuch: Jorge Semprún) ist ein Genre bildender Film der Meisterklasse. In den sich, glättenden Wogen nach dem aufgewühlten Pariser Mai '68 traf sein Erscheinen in den Kinos im Jahr darauf auf ein großes, aufnahmebereites politisches Publikum. Ausgerechnet das linksliberale Cineastenblatt Cahiers du Cinema wetterte nahezu in Hetzkampagnemanier dagegen und kritisierte Schwarzweißmalerei.

Costa-Gavras gelingt es sogar, darin ob des ganzen ernsten Themas auch komische Momente und ironisch parodierende Elemente unterzubringen, wie sie eher Luis Bunuel zueigen sind. Angelehnt ist die fiktiv verortete Handlung an den Tatsachenroman von Vassilis Vassilikos über die Ermordung des griechischen Politikers Grigoris Lambrakis 1963 in Thessaloniki (Lambrakis-Affäre). Ein angesehener Arzt, bekannter linker Abgeordneter und NATO-Kritiker (Ives Montand) kündigt sich im Film in einer mittelgroßen südeuropäischen Stadt zu einer öffentlichen Rede an.

Die Mitglieder einer pazifistischen Gruppe bereiten seinen Auftritt vor. Dabei stellen sich ihnen schon beinahe unüberwindliche ordnungspolizeiliche Hindernisse und Probleme entgegen, einen ausreichend großen Saal zu mieten. Schon in diesem Vorlauf bis zum hinterhältigen Auftragsmord an dem Politiker vor dem Versammlungslokal wird deutlich, dass es sich um ein politisches Komplott handelt. Höchste juristische, Militär- und Polizeiverantwortliche handeln verdeckt mit rechten Politikern und ihren Seilschaften und Schlägertrupps Hand in Hand zusammen, die das Attentat kaltblütig ausführen. Von den Polizeioberen wird die Tat als tragischer Unfall hingestellt.

Die agile Kamera von Raoul Coutard und eine immer wieder pathetisch mitreißend einspielende Musik nach Vorgaben von Mikis Theodorakis treiben die Story dynamisch voran. Theodorakis' dazu komponierte Tonsätze waren heimlich von seiner griechischen Verbannungsinsel nach Paris geschmuggelt worden, wo sie von anderen weiter arrangiert wurden. Der Mord an dem Politiker wird spannend chronologisch aufgerollt und wie mit dem Skalpell Fakt für Fakt seziert, ohne dokumentarisch zu verengen. Besonders - und das ist der Clou dabei - geschieht dies durch die Ermittlungen eines jungen Staatsanwalts (Glanzrolle für Jean-Luis Trintignant), der als zuverlässiger Gegner der Linken gilt, aber gleichwohl ein ausgeprägtes Verständnis von Gerechtigkeit und unabhängigem Recht hat. Schritt für Schritt, Faktum für Faktum, bringt er unbeeinflussbar die Ermittlungen voran und kommt dem Komplott dahinter auf die Schliche. Die mutmaßlichen Hintermänner werden als nun Verdächtige der Reihe nach vorgeladen, von dem jungen Beamten energisch vernommen und schließlich angeklagt.

In Prozessen werden sie zu Gefängnisstrafen verurteilt oder vorzeitig in den Ruhestand geschickt. Kurze Zeit danach ergreift eine autoritäre Militärjunta die Macht und entfernt auch den eifrigen Staatsbeamten.

In einem Epilog wird am Filmende eine Liste vorgelesen, was damals das reale Militärregime alles unter Verbot gestellt hatte: u. a. lange Haare, Miniröcke, Sophokles, Tolstoj, Euripides, Aragon, Gewerkschaften, Aischylos, Aristophanes, Ionesco, Sartre, die Beatles, Russisch lernen, Pressefreiheit, Soziologie, Beckett, Dostojewski, Gorki, moderne Musik, populäre Musik, moderne Mathematik, die Friedensbewegung und den Gebrauch des Buchstabens "Z", was im Altgriechischen für Zi = "er lebt" steht. Es wird über den Verbleib wichtiger Personen im Film berichtet, die teils auf mysteriöse Weise oder bei "Unfällen" umkommen. Das Vorbild des wirklichen Untersuchungsrichters, Christos Sartzetakis in der Lambrakis-Affäre, wurde nach der Zeit der Militärdiktatur (1967-1974) von 1985-1990 auf Vorschlag der PASOK griechischer Staatspräsident. Hans Schmid schreibt: "Z bewies, dass die Kinematographie eine ebenso populäre wie subversive Kunst sein kann, indem er zur Befreiung des in einem Umerziehungslager festgehaltenen Komponisten Mikis Theodorakis und zum Sturz der Obristen beitrug, ..." ("Tod in Saloniki. Z von Costa-Gavras als Neuerfindung des Politthrillers", 2015).

In "Sondertribunal" (1975), wie "Das Geständnis" nur selten im deutschen Fernsehen gezeigt, erschießen junge WiderständlerInnen im besetzten Frankreich während des Zweiten Weltkriegs einen deutschen Offizier. Da sie der Polizei entkommen können, steht das kollaborierende Vichy-Regime angesichts der Drehung der Nazis, dafür 100 ZivilistInnen zu erschießen, unter dem Druck, Schuldige zu präsentieren und abzuurteilen.

Es werden wahllos sechs wegen eher geringfügiger politischer Vergehen Inhaftierte herausgegriffen und in einem nicht öffentlichen Prozess durch ein Sonder-Tribunal unter fadenscheinigen, farcehaften juristischen Winkelzügen neu angeklagt, zum Tode verurteilt und durch die Guillotine hingerichtet.

Davor weigern sich mehrmals von den zuständigen Ministern bestellte hohe Justizbeamte, in diesem unwürdigen, willkürlichen Verfahren als Erfüllungsgehilfen der Staatsräson zu dienen. Am Drehbuch wirkte neben Costa-Gavras auch der Schriftsteller und ehemalige Résistancekämpfer Jorge Semprún mit.

Sehr dicht und nah, fast körperlich spürbar, werden in "Das Geständnis" mechanischer Ablauf und perfide Methodik von Verhör und Folter eines kommunistischen Politikers (Ives Montand) durch eine Abteilung des Sicherheitsministeriums geschildert. Das Skript stammte wiederum von Jorge Semprún nach dem Tatsachenbericht "L'aveu" (dt. Ich gestehe, 1970) des stellvertretenden tschechoslowakischen Außenministers und ehemaligen jüdischen Spanien- und Résistancekämpfers Artur London, der bei den Dreharbeiten auch beratend mitwirkte.

Er sollte sich selbst der Spionage und Zusammenarbeit mit den USA bezichtigen und wurde für einen Hochverrats-Prozess "präpariert", dem historisch der sog. Slánsky-Prozess 1951/52 zugrunde liegt. Nach und nach gesteht der völlig erschöpfte Gepeinigte Dinge, die er weder gedacht, gesagt noch getan hat.

Es sind die Methoden wie zu Zeiten mittelalterlicher klerikaler Inquisition ("peinliche Befragung") durch die Römische Glaubenskongregation, die hier gnadenlos angeprangert werden. Sie sind heute in Psycho- und Körpertechniken noch weitaus "verfeinerter", finden nach dem Ende des GULAG statt an hermetisch abgeriegelten Gefängnis- und KZ-ähnlichen Internierungsorten, die Abu Ghraib oder Guantanamo heißen.

Jedes Mittel scheint staatlich erlaubt, um zum Ziel vermeintlich wahrer Offenbarung und Selbstdenunziation des Opfers oder Falschbezichtigung anderer zu gelangen.

Costa-Gavras ist mit seinen inszenierten Stoffen ein Meister im Nachspüren und schonungslosen Bloßlegen der feinen Verästelungen und funktionellen Mechanismen von willkürlicher Staatsmacht bis hinein in korrupte persönliche Beziehungen und Abhängigkeiten.

"Der unsichtbare Aufstand" transportiert eine geballte Anklage gegen die geheimdienstlichen Praktiken und Strategien der USA in ihrer engen Kooperation mit lateinamerikanischen Regierungen und Diktaturen.

Auch hier liegt eine authentische Begebenheit zugrunde. Ein Geheimagent der USA (wieder ist der Hauptdarsteller Ives Montand und steuerte Mikis Theodorakis seine magische Musik bei), der in den 1970er Jahren getarnt als Entwicklungshelfer in ein südamerikanisches Land gekommen ist, wird wegen ihm vom selbst ernannten "Volkstribunal" zur Last gelegter, verbrecherischer Aktivitäten von der Linksguerilla entführt und intensiv verhört, ohne ihn zu foltern.

Nach und nach wird in Rückblenden und den Verhör-Gesprächen seine Rolle aufgedeckt und seine Beziehung zur Diktatur bloßgelegt. Das Psychogramm eines US-Spezialisten für Guerillabekämpfung wird deutlich.

Der politische Akt löst indessen eine Staatskrise aus. Der Filminhalt wirkt streckenweise wie das vorweggenommene Drehbuch zur Schleyer-Entführung 1977 durch die RAF.

Der Tod steht am Ende des "Prozesses" fest und der "Feind des Volkes" wird exekutiert. Am Schluss des Films wird der Sarg mit dem Leichnam des Agenten ins Flugzeug verfrachtet.

Diesem entsteigt gleichzeitig sein entsandter Nachfolger. Es scheint als wollte Costa-Gavras damit gleichsam auch die Frage in den Raum stellen, was diese politisch motivierte Ermordung eines zweifellos schuldig gewordenen Menschen, einer wie es bei der RAF immer hieß, "Charaktermaske des Systems", der revolutionären Sache genützt hat? Der gewaltsame unsichtbare Aufstand ist offenbar ein eskalierender Kampf gegen eine Hydra.

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Quelle:
graswurzelrevolution, 45. Jahrgang, Nr. 413, November 2016, S. 19
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. November 2016

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