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GRASWURZELREVOLUTION/1879: "Rojava" im Volkstheater Wien


graswurzelrevolution 439, Mai 2019
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

"Rojava" im Volkstheater Wien
Die Revolution auf der Bühne

von Wilhelm Achelpöhler


Im Volkstheater an der herrschaftlichen Ringstraße in Wien ist die Revolution auf die Bühne gekommen: das Stück "Rojava" des in Wien lebenden Autors Ibrahim Amir.


Erzählt wird die Geschichte des jungen linken Michael von Wien, der voller Begeisterung für die Revolution ins nordsyrische Rojava (Westkurdistan) geht und dort auf Alan trifft, der so schnell wie möglich weg will, raus aus dem Krieg, am liebsten nach Japan. Michael ist von der Revolution in Rojava begeistert und erklärt Alan und seinem blinden Cousin Kaua, die Revolution in Rojava sei "eine Inspiration für alle Völker und Menschen", worauf er sich von Kauna fragen lassen muss: "Du willst eine Revolution machen und uns befreien? Dann hättest du gleich in Europa bleiben sollen." Michael bleibt schließlich, um zu kämpfen wird aber regelmäßig ohnmächtig, wenn er ein Gewehr in die Hand nimmt.

Sein romantisches Bild von Rojava wird mit einer Gesellschaft konfrontiert, in der konservative Werte tief verankert sind. Michael gibt Alan seinen Pass, der damit nach Wien dem Krieg entfliehen kann und dort Michaels Mutter trifft, die ihm vorhält: "Was tust du hier? Wieso bist du nicht dort und tust das, was mein Michi für euch tut."

Es ist also eine Geschichte voller Widersprüche und ironischer Brechungen, die Ibrahim Amir erzählt, eine Geschichte, die dazu auffordert Anteil zu nehmen, ohne agitatorisch zu wirken. Amir will mit dem Stück zeigen, "was gerade in Rojava passiert, dass dort Menschen in widrigsten Umständen, für das kämpfen, was sie für richtig halten. Sie wollen eine neue Welt aufbauen, auch wenn das utopisch klingt." Und das ist ihm gelungen.

Amir stammt aus dem kurdischen Viertel von Aleppo und kam 2002 nach Wien, um Medizin zu studieren und hat nach dem Studienabschluss mehrere Stücke verfasst. Für "Habe die Ehre" zum Thema Ehrenmord erhielt er 2013 den Nestroy-Preis Sein Stück "Homohalal" wollte das Volkstheater drei Jahre später nicht aufführen. Darin erinnern sich ehemalige Flüchtlinge im Jahr 2037 wie sie einst nach Österreich gekommen sind und erweisen sich als inzwischen "voll integriert", also genauso reaktionär, sexistisch und fremdenfeindlich wie ihre autochtonen Mitbürger*nnen.

Dem Theater begegnete Ibrahim Amir als Kind, als er während der Sommerferien seine Großeltern im syrisch-kurdischen Afrin besuchte. Afrin war ein Ort des Rückzugs für Kämpfer*innen der PKK (Arbeiterpartei Kurdistans), die in der Türkei einen Guerillakrieg führten. "Viele dieser Leute haben Workshops angeboten: Für die Erwachsenen waren sie politisch, für uns Kinder gab es eine Theatergruppe".

So war seine "erste persönliche Begegnung mit der kurdischen Freiheitsbewegung auch mein erster Kontakt mit dem Theater", erzählt Ibrahim Amir in einem im Programmheft abgedruckten Interview. Die Idee zu dem Stück kam Amir, als er von dem am 6. Juli 2015 in einem Gefecht mit dem "Islamischen Staat" in Nordsyrien getöteten Kevin Jochim aus Karlsruhe hörte. "Vor ein paar Jahren sah ich das Video eines YPG-Kämpfers, der aus Deutschland kam und im Kampf gegen den IS gefallen ist. Er war in Tracht gekleidet und sprach fließend kurdisch. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Was ist meine Ausrede? (...) Ich habe versucht, die Figur Alan Teile dieses Konflikts erleben zu lassen, um ihn, wenn ich ihn schon nicht auflösen kann, zumindest zu thematisieren", so Ibrahim Amir in einem Interview.

Auf die Bühne gebracht wird das Stück von Sandy Lopicic. Die Drehbühne ist eine Ruinenlandschaft und die Wohnung der Mutter in Wien wurde von Vibeke Andersen einfach aber eindrucksvoll gestaltet. Der Frauenrevolution entsprechend, prägen Frauen das Stück wesentlich: die Begleitung durch ein "Mini-Orkestar" auf der Bühne, Gesang Golnar Shayar, trägt das Stück musikalisch. Claudia Sabitzer spielt sowohl Michaels Mutter Ursula, als auch die abgeklärte YPJ-Kommandeurin Fidan überzeugend. Die Figur der durch viele Jahre Kampf erfahrenen Kommandantin ist quasi ein Gegenbild zum hierzulande prägenden Bild der schönen jungen YPJ-Kämpferin. dabei fällt den Schauspieler*innen ihr Text offenbar umso leichter, je weniger er politisches Statement ist: Isabella Knöll, die Hevin von der YPJ spielt, hat davon ziemlich viel, Peter Fasching (Michael) ebenso, ist er doch kein Abenteurer, sondern kam aus politischer Überzeugung nach Rojava. Die geht Luka Vlatkovic (Alan) zwar etwas ab, er steht "auf kurdischer Seite", aber im Schatten von Sebastian Pass, der den blinden Kaua spielt und das Publikum begeistern kann.

Normalerweise kommt eine Revolution nur dann auf eine Bühne, wenn sie vorbei ist. Dieses Stück trägt dazu bei, dass sie nicht so schnell vorbei geht. Kein Wunder, dass es derzeit nicht absehbar ist, ob es jemals in Deutschland gezeigt wird.

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Quelle:
graswurzelrevolution, 48. Jahrgang, Nr. 439, Mai 2019, Seite 5
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Juni 2019

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