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GRASWURZELREVOLUTION/978: Philippinen - Gewalt verhindern mit Menschenrechten?


graswurzelrevolution 336, Februar 2009
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Philippinen: Gewalt verhindern mit Menschenrechten?
MenschenrechtsaktivistInnen auf den Philippinen durch internationale Begleitung schützen

Von Sarah Liedtke


Nach dem Sturz der Marcos-Diktatur durch die friedliche "Peoples-Power-Revolution" im Jahr 1986 sind die Philippinen formal wieder eine Demokratie, dennoch wird das Land immer noch von einigen elitären Familienclans beherrscht, "die sich an den Schalthebeln der Macht zwar abwechseln, aber kaum 'klassenfremde' Elemente in ihren Reihen aufgenommen haben". Die Zahl der politischen Morde hat seit der Diktatur nicht abgenommen, diese Gewaltform dient vielmehr der "Herrschaftsstabilisierung" und somit dem Erhalt des Status quo.
(1)



Der Status quo

Seit Jahren kommt es in den Philippinen verstärkt zu Morden an politischen AktivistInnen. Systematisch werden staatskritische JournalistInnen, GewerkschaftsvertreterInnen und MenschenrechtsverteidigerInnen eliminiert, wobei die Angaben über die Anzahl der Morde seit 2001 stark schwanken, zwischen 100 und über 800, je nachdem wie und von wem gezählt wird.

Die Angaben von NGOs wie KARAPATAN (Alliance for the Advancement of People's Rights), die der radikalen Linken um die CPP/NDF, der Communist Party of the Philippines und der National Democratic Front, zugeordnet wird, liegen bei 885 Fällen.

Eine Kommission der nationalen Polizei, der Task Force Usig, welche auf internationalen Druck durch die Regierung, unter Präsidentin Arroyo, zur Aufklärung der politischen Morde im Mai 2006 eingerichtet wurde, listet dagegen nur 116 Fälle auf.

Aus zweifelhaften Gründen werden Fälle von der Untersuchung ausgeschlossen, die Kommission arbeitet nicht transparent und eine erfolgreiche Aufklärung der Fälle blieb bisher aus.

Der UN-Sonderberichterstatter Alston, der im Jahr 2007 die Menschenrechtslage auf den Philippinen untersuchte, steht den Informationen der Polizei skeptisch gegenüber.

Viele Organisationen würden als "Frontorganisationen" der kommunistischen Partei bzw. der maoistischen Guerilla bezeichnet und somit als "Terroristen" gebrandmarkt, was für die Regierung ein (para)militärisches Vorgehen gegen diese Personen rechtfertige.(2)

Die politischen Morde haben eine enorme Wirkung auf die Zivilgesellschaft, da sie unmissverständlich die Botschaft aussenden, dass Opposition lebensgefährlich sein kann.

Des weiteren behindern alltägliche Repressionen des Staates gegenüber linken AktivistInnen, sei es durch Missbräuche des Rechtssystems oder durch die Beschränkung der Teilnahme an Demonstrationen, eine Verwirklichung der Menschen- und BürgerInnenrechte.

2006 hat sich das International Peace Observers Network (IPON) in Hamburg gegründet, um der Gewalt und dem "Klima der Straflosigkeit" mit dem Instrument der Menschenrechtsbeobachtung und der Begleitung von MenschenrechtsverteidigerInnen etwas entgegenzusetzen.

IPON begann, auf der Bondoc-Halbinsel, im südlichen Luzon in der Provinz Quezon, die Bauernorganisation KMBP (Kilusang Magbubukid ng Bondoc Peninsula - Vereinigung der Bauern der Halbinsel Bondoc) zu begleiten, welche sich für ihr Recht auf ein eigenes Stück Land einsetzt.


Machterhalt durch Landbesitz - staatliche Agrarreform oder freie Umverteilung des Landes?

Der Landbesitz spielt bei der Frage um Macht und Kontrolle eine große Rolle. Die reichen Eliten besitzen einen Großteil des Agrarlandes, auf dem die Bäuerinnen und Bauern leben und arbeiten, und fordern von ihnen bis zu 70% der Ernte als Abgabe ein. Die so genannten "Landlords" kontrollieren innerhalb ihrer "Haciendas" lokales Militär, Justiz und Polizei durch Korruption oder Verwandtschaftsbeziehungen und halten die Bauern und Bäuerinnen so in sozialer und politischer Abhängigkeit.

Durch massiven Druck der Bauernbewegung führte die Regierung 1988 eine umfassende staatliche Agrarreform ein, das CARP, nach dem jedem/jeder LandarbeiterIn, Bauern und Bäuerin drei Hektar eigenes Land zustehen, das sie als Kredit über Jahre abzahlen müssen, wobei die Landbesitzenden hohe "Entschädigungen" erhalten. Allerdings wurde nur ein Bruchteil des Landes tatsächlich verteilt.

Verschiedene Bauerninitiativen wie die KMBP versuchen seit Jahren auf Grundlage des CARP, mit gewaltfreien Mitteln in Zusammenarbeit mit dem Agrarreformministerium an ein eigenes Stück Land zu gelangen, und riskieren dabei ihr Leben. Die Parteien der radikalen Linken setzen sich gleichzeitig für eine freie Landverteilung durch Enteignung der Großgrundbesitzer ein. Diese wird auch durch die NPA, die maoistische Guerilla, unterstützt und beinhaltet häufig eine komplette Ablehnung bisheriger Reformbestrebungen.


Die gespaltene Linke und der philippinische Staat - die Bauern und Bäuerinnen zwischen den Fronten

Am 19. Februar 2008 wurde Deolito Empas, Mitglied der KMBP und Gemeindevorsteher, ermordet.(3) Er ist kein Einzelfall, sondern das fünfte Mitglied seiner Organisation, welches seit 1998 in der Gemeinde San Vicente auf der Bondoc Halbinsel Opfer politischer Gewalt im Landkonflikt wurde. Keiner der Morde ist bis heute aufgeklärt, in drei Fällen liegen Auftragsmorde seitens der Landbesitzerfamilie (und gleichzeitig Bürgermeisterfamilie) Uy nahe, für einen Mord übernimmt die NPA die Verantwortung mit der Begründung, einen Bauernführer als "Verräter" hingerichtet zu haben. Im Fall Empas ist der mutmaßliche Täter vermutlich sowohl Mitglied der NPA als auch Mitarbeiter der lokalen Verwaltung und des Landbesitzers. Die staatlichen Stellen zeigen keinerlei Initiative, den Auftraggeber zu ermitteln.

Die philippinische Linke hat sich 1986 im Zuge des Sturzes der Diktatur und der formalen Wiedereinführung der Demokratie gespalten, da einige Organisationen und Personen sich von der CPP/NDF abwendeten, da sie überzeugt waren, dass man eine politische und soziale Veränderung nach der demokratischen Öffnung ohne bewaffneten Kampf erreichen müsse. Diese Strömung wollte weiterhin die Menschen vor Ort organisieren, eine "Gegenmacht von unten aufbauen" und die Ermächtigung durch gesellschaftliche Veränderung auch im Bewusstsein der Menschen erreichen, statt auf die Eroberung des Staates von oben und eine einheitliche Doktrin der CPP zu setzen.

Eine große Rolle spielte auch, dass die Führungsspitze der CPP in den 80er Jahren mehrere "Säuberungsaktionen" durchführte, in der über 1.000 politische AktivistInnen gefoltert und ermordet wurden, da sie angeblich Spitzel des Staates seien.(4)

Anfang der 1990er führte der Konflikt dann dazu, dass die Partei sich spaltete, nachdem der Führer der CPP, Jose Maria Sison, in einem Papier dazu aufgefordert hatte, sich wieder zur strikten maoistischen Ausrichtung und zum Volkskrieg auf dem Land als einzig richtige politische Linie zu bekennen. Die so genannten "Reaffirmists" (RAs) stimmten dem zu, die "Rejectionists" (RJs) lehnten es ab.(5)

Während der Marcos-Diktatur gehörten viele der heute in der KMBP und vielen anderen Bauerninitiativen organisierten Bauern und Bäuerinnen der NPA an oder unterstützten diese mit Zahlung von Revolutionssteuern. Jetzt geraten sie als "Konterrevolutionäre" in das Kreuzfeuer der NPA, welche nach Aussagen der Bauern und Bäuerinnen vom "Landlord" auch Revolutionssteuer erhebt und diesem somit erlaubt, seinen Landbesitz zu schützen.

Von Seiten des Staates erhalten die Bauern und Bäuerinnen nur wenig Unterstützung, ihre Anträge beim Agrarreformministerium liegen seit ein paar Jahren vor, im Falle des ermordeten Empas seit 2003. Seitdem wurde er mehrfach von bewaffneten Paramilitärs des Großgrundbesitzers Uy mit dem Tode bedroht und wie viele andere Mitglieder der KMBP mit zahlreichen Anzeigen wegen Kokosnussdiebstahls oder unerlaubten Betretens von Privatbesitz beim Lokalgericht verfolgt. Die KMBP zählt zurzeit 303 laufende Fälle gegen 223 Bauern und Bäuerinnen wegen Kokosnussdiebstahls. Diese Fälle werden jahrelang immer wieder verhandelt, es kommt zu Prozessverschleppungen und willkürlichen Inhaftierungen ohne Haftbefehl. In keinem der Fälle wurde bisher zu Gunsten der Bauern und Bäuerinnen entschieden.

Diese Ereignisse und auch weitere dokumentierte Fälle von IPON oder philippinischen NGOs zeigen einerseits einen Missbrauch des Rechtssystems durch die lokalen Machteliten und andererseits eine Bauernbewegung, die der strukturellen und physischen Gewalt zu oft machtlos ausgesetzt ist. Die zunehmende Militarisierung der Region im Kampf gegen die NPA hat Verhaftungen, Bedrohungen und Verhöre der Bauern und Bäuerinnen durch das Militär zur Folge, wenn sie der Mitgliedschaft oder der Unterstützung der NPA verdächtigt werden.


Initiative Menschenrechtsbeobachtung - Chancen und Grenzen

Wo kann man als Initiative ansetzen, um diese Verhältnisse mit zu verändern? Das IPON-Konzept orientiert sich an den Ansätzen von Gruppen wie PBI (peace brigades international) und Carea e.V., mit denen IPON in Kontakt und Austausch steht.(6)

Die Freiwilligen versuchen vor Ort, die Bäuerinnen und Bauern durch ihre Präsenz vor gewaltsamen Übergriffen zu schützen und ihnen so mehr Raum für ihre politische Arbeit zu geben. Wichtig ist hierbei, dass die Gruppierung IPON selbst anfordert und dieses "Mandat" immer wieder auf einer Versammlung erneuert werden muss. Es verhindert, dass die Unterstützung eine eigentlich ungewollte wird und bietet Raum, Veränderungen und Probleme mit der KMBP besprechen zu können.

Die Grundlagen für die Arbeit bilden die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und die nachfolgenden Konventionen, die vom philippinischen Staat unterzeichnet wurden, was IPON unabhängig von den konkreten politischen Zielen der begleiteten Gruppe macht.

Voraussetzung für eine Begleitung ist nur, dass sie MenschenrechtsverteidigerInnen sind, in dem Sinne, dass sie sich gewaltfrei für Menschen- und Grundrechte einsetzen.

IPON verfolgt diese Arbeitsweise, um zu verhindern, vor Ort selbst zwischen "die Fronten" zu geraten, sowohl auf die vielen unterschiedlichen politischen Lager bezogen, wie auch auf den Konflikt zwischen dem Staat und der NPA. Diese Entscheidung bedeutet aber auch, darauf zu setzen, dass staatliche VertreterInnen bereit sind, wirklich etwas zu ändern, also auf eine tatsächliche Umsetzung der Menschenrechte hinarbeiten wollen.

Durch viele Gespräche mit philippinischen StaatsvertreterInnen ist festzustellen, dass sie IPON durch die Grundsätze der Nicht-Einmischung in Bezug auf den Konflikt anders als die Konfliktakteure oder ihre Unterstützergruppen wahrnehmen und sich so zu einem gewissen menschenrechtlichen Engagement verpflichtet fühlen. Der politische Wille ist allerdings begrenzt, so dass eine massive internationale Öffentlichkeit nötig wird.

Die philippinischen radikaldemokratischen Gruppierungen, mit denen IPON vor Ort arbeitet, bezeichnen ihre Vorgehensweise häufig als "Biblinka-Strategie", bei der sie davon ausgehen, dass weder staatliche Instanzen, noch die Zivilgesellschaft allein eine umverteilende Landreform durchsetzen können und daher Initiative "von unten" und "von oben" notwendig ist.

Hier kann man auch Parallelen zur Arbeit von IPON ziehen. Die Begleitung der MenschenrechtsverteidigerInnen durch IPON ist als direkte Aktion zur Verhinderung von Gewalt zu verstehen, die die MenschenrechtsverteidigerInnen an der Basis unterstützt. Die Gespräche mit StaatsvertreterInnen und Fallberichte, welche an ein UnterstützerInnennetzwerk aus PolitikerInnen, Aktiven und NGOs gesendet werden, können den nötigen Druck von außen herstellen.

Im oben beschriebenen Mordfall Deolito Empas z.B. hat das Auswärtige Amt in Deutschland die Informationen für Gespräche aufgenommen und PolitikerInnen haben sich in Schreiben an staatliche philippinische Stellen gewandt, die NGO FIAN hat eine Brief-Eilaktion durchgeführt.

Leider stößt IPON häufig an Kapazitätsgrenzen, da Aktive größtenteils ehrenamtlich neben Studium und Beruf arbeiten und bei IPON als kleiner Initiative nur wenig in Lohnarbeit abläuft. Es ist auch nicht leicht, immer wieder Freiwillige zu finden, die als BeobachterInnen auf die Philippinen fahren wollen. Vor Ort machen es der Split der Linken und viele parallele Entwicklungen nicht einfach abzuschätzen, ob man mit Menschenrechtsbeobachtung etwas bewirkt.

Innerhalb der IPON-Projektgruppe versucht IPON, basisorientiert, selbstorganisiert und nicht-hierarchisch zu arbeiten. Dies stellt den Versuch dar, Gegenkonzepte und Erfahrungen zur existierenden Herrschaftsgesellschaft mit aufzubauen und auszuprobieren, auch wenn die Zusammenarbeit mit staatlichen Institutionen jetzt als notwendig erachtet wird.

In dem Konzept der Menschenrechte sieht IPON eine gute Möglichkeit, Grundlagen für eine globale Verwirklichung von Frieden und Gerechtigkeit zu schaffen.


Kontakt:
International Peace Observers Network
Netzwerk Bildung und Projektarbeit e.V.
Hinrichsenstr. 40
20535 Hamburg
Tel.: 040/25491947
info.ipon@gmail.com
www.ipon-philippines.org


Anmerkungen:

(1) Peter Kreuzer, "Formen und Dynamiken politischer Gewalt in den Philippinen", HSFK (Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung)-Report 8/2007

(2) Aus dem "Report of the Special Rapporteur on extrajudicial, summary or arbitrary executions, Philip Alston Addendum MISSION TO PHILIPPINES", 2007

(3) Mehr dazu im ausführlichen IPON -Bericht "Tod des Menschenrechtsverteidigers Deolito 'Julie' Empas" auf
www.ipon-philippines.org

(4) Ausführlich in: "Aus dem Tritt geraten? Die (radikale) Linke", Rainer Werning und Niklas Reese, in "Handbuch Philippinen", 2006

(5) Siehe dazu auch "Das Intellektuellen-Partei-Dilemma der CPP-NPA, Philippinen", Jan Pospisil, Südostasien "Working Papers" Band 4, 2004

(6) PBI existiert seit 1981 und führt Menschenrechtsbeobachtung und -begleitung in vielen Ländern der Welt durch. Carea existiert seit 1992 als Bewegung, die Menschenrechtsbeobachtung in Chiapas/Mexiko und ZeugInnenschutzbegleitung in Guatemala durchführt.


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Quelle:
graswurzelrevolution, 38. Jahrgang, GWR 336, Februar 2009, S. 8-9
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
Koordinationsredaktion Graswurzelrevolution:
Breul 43, D-48143 Münster
Tel.: 0251/482 90-57, Fax: 0251/482 90-32
E-Mail: redaktion@graswurzel.net
Internet: www.graswurzel.net

Die "graswurzelrevolution" erscheint 10 Mal im Jahr.
Der Preis für eine GWR-Einzelausgabe beträgt 3 Euro.
Ein GWR-Jahresabo kostet 30 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Februar 2009