Schattenblick → INFOPOOL → MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE


OSSIETZKY/1012: Löcher - In Celle und anderswo


Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft
Nr. 14 vom 14. Juli 2018

Löcher. In Celle und anderswo

von Horst Schäfer


Die Sache mit der Bombe war klar. Das Loch in die Mauer des Hochsicherheits-Zuchthauses im niedersächsischen Celle hatten Terroristen gesprengt. Sie wollten das Mitglied der Roten Armee Fraktion (RAF) Sigurd Debus befreien. Das war vor 40 Jahren, am 26. Juli 1978, um drei Uhr morgens.

So stand es in der Zeitung, Fernsehen und Radio berichteten in Eilmeldungen, Polizei, Staatsanwaltschaft und Politik hatten die Einzelheiten vorgegeben. Niedersachsens Justizminister Professor Hans-Dieter Schwind (CDU) war mit einer Kohorte von Journalisten vor das "Celler Loch" geeilt, um die linken Terroristen anzuklagen.

Der Spiegel bereicherte die Kampagne gegen links und kannte drei Wochen danach (Heft 34/1978) auch schon Hintergründe. Insgesamt war auf sechs Heftseiten von "mehr als 50 Anschlägen der Sprengstoffbrigaden" die Rede, ein Bild vom Celler Loch wurde auch gedruckt. Mit wissendem Finger zeigte das Blatt nach links auf die angeblichen Täter und textete: "Zur wichtigsten Erscheinungsform des westdeutschen Terrorismus haben sich die >Revolutionären Zellen< entwickelt ..."

Die Politik und große Teile der Medien waren sich nach dem Bombenanschlag einig, dass die Gefahr durch die RAF doch größer sei als befürchtet und daher die Sicherheitsgesetze verschärft werden müssten.

Und keinem Journalisten wollte etwas auffallen: Nicht das selbstverständlich präsentierte Fluchtauto mit den richtigen Ausweisen (später von 9/11 in New York 2001 bis zum Breitscheidplatz in Berlin 2016 immer wieder zu erleben), nicht die Tatsache, dass das Loch viel zu klein für eine Flucht war, auch nicht das Phänomen, dass der zu Befreiende friedlich schlief, als die Gefängniswärter bei ihm eindrangen und - Überraschung - das zuvor deponierte Werkzeug für den Ausbruch fanden. Auch eine vergessene Polizeipistole am Tatort machte niemanden stutzig.

Hätte damals jemand gesagt, das könnte ja auch eine Staatsbombe gewesen sein, wäre er sicher als eine Art Verschwörungstheoretiker gebrandmarkt worden, ein Begriff, der heute besonders gern strapaziert wird, um wirkliche Verschwörungen zu vertuschen. Doch 1978 gehörte der Terminus noch nicht zum politischen Totschlagsvokabular.

Es dauerte lange acht Jahre, bis 1986 die tatsächlichen Terroristen von einem Journalisten der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (damals gab es offenbar noch mutige Rechercheure) entdeckt wurden.

Gebombt hatten der Verfassungsschutz und die angebliche Anti-Terror-Einheit GSG 9, angeordnet worden war es von der Landesregierung in Hannover, informiert waren Polizei, Ermittlungsbehörden und auch die Leitung der Celler Strafanstalt, das "Fluchtauto" war vom berüchtigten Staatsagenten Werner Maus besorgt worden, Mitwisser und Mitverschwörer saßen in der Bundesregierung und der hessischen Landesregierung. In Wiesbaden deshalb, weil einer der beiden Kriminellen, die für die Aktion noch angeheuert wurden, zuvor in Hessen verurteilt worden war und seine Strafe als Dank auch von Hessen erlassen bekam.

Das alles bestätigte ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss in Niedersachsen über die "Aktion Feuerzauber", wie die Behörden den Terroranschlag intern nannten. CDU-Ministerpräsident Ernst Albrecht (Vater unserer derzeitigen Kriegsministerin) gab den Staatsterror zwar zu, präsentierte den Abgeordneten aber ein beeindruckendes Lügengebäude, um ihn zu rechtfertigen. Das brach allerdings unter den Fragen der Ausschussmitglieder schnell zusammen.

Und klar wurde auch: Einen Toten hatten die Staatsterroristen auf dem Gewissen: Sigurd Debus wurde, obwohl es alle Verantwortlichen besser wussten, wegen seines "Ausbruchsversuchs" in jahrelange Isolationshaft gesteckt, eine beantragte Hafterleichterung unter Hinweis auf den Ausbruch abgelehnt. Er wehrte sich mit einem Hungerstreik, wurde zwangsernährt und starb 1981 mit nur 39 Jahren - fünf Jahre vor der Entlarvung der wahren Schuldigen. Bis zum Schluss hatte er versichert, mit der RAF nichts zu tun gehabt zu haben.

Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte ist "Celler Loch" zu einem Synonym für staatlich initiierten Terror geworden. Als 2008 drei BND-Mitarbeiter auf dem Balkan verhaftet wurden, weil sie angeblich in einen terroristischen Anschlag verwickelt waren, gab die taz ihrer Meldung die Überschrift "Celler Loch im Kosovo".

Gab es kürzlich vielleicht auch ein "Celler Loch in Großbritannien"? Denn Nowitschok, mit dem die Skripals vergiftet worden sein sollen, war schließlich eingestandenermaßen auch im Besitz des Bundesnachrichtendienstes (BND). Aber selbst ohne BND könnte es ein ziemlich großes "Celler Loch" britischer Bauart sein.

Schon 1986 hatte der NDR im Schutz seiner Satiresendung "extra 3" ahnungsvoll getitelt "Das Celler Loch ist kein Einzelfall". Unter Hinweis auf "rätselhafte Anschläge" mit "Brand- und Sprengsätzen" (die NDR-Journalisten hatten sicher den Spiegel von vor acht Jahren gelesen) hieß es damals: "Täter und Hintergründe blieben stets unklar ... Was liegt da näher, als an unsere flinken Jungs von der GSG 9 zu denken .. In fruchtbarer Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst wäre es ihnen ein leichtes, in den Sumpf des Terrorismus abzutauchen."

Dem folgte der hilfreiche und immer noch aktuelle Hinweis von "extra 3": "Die Polizei wäre gut beraten, wenn sie künftig bei Sprengstoffanschlägen zunächst ganz ruhig beim Verfassungsschutz anrufen würde, bevor sie ... mit größtem Aufwand und ausgeklügelter Fahndung nach Tätern sucht ..."

Ein "Celler Loch" kann eben auch anderswo und offenbar überall sein.

*

Quelle:
Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft
Einundzwanzigster Jahrgang, Nr. 14 vom 14. Juli 2018, Seite 314
Redaktion: Haus der Demokratie und Menschenrechte
Greifswalder Straße 4, 10405 Berlin
Tel. 030/44 717 309, Fax 030/44 717 451
E-Mail: redaktion@ossietzky.net
Internet: www.ossietzky.net oder www.sopos.org/ossietzky 
Ossietzky wurde 1997 von Eckart Spoo begründet und erscheint zweiwöchentlich.
Einzelheft 2,80 Euro, Jahresabo 58,- Euro
(Ausland 94,- Euro) für 25 Hefte frei Haus.


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juli 2018

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang