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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2315: Der Kieler Matrosen- und Arbeiteraufstand 1918 und die Politik der Linken


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 11 · November 2018
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Der Kieler Matrosen- und Arbeiteraufstand 1918 und die Politik der Linken

von Klaus Kuhl(*)


Die USPD hatte in Kiel nach Aussagen Lothar Popps[1] die Revolution und damit den Sturz der Regierung bereits im Januar 1918 vorbereitet, vermutlich in enger Abstimmung mit Berlin. Dabei sollten Landmarineeinheiten eine wichtige Rolle spielen. Die Vorstellung der USPD war, im Verlauf von ausgedehnten Streiks und Unruhen mit militärischen Einheiten zentrale Positionen zu besetzen und damit den Umsturz durchzuführen. Dies wurde jedoch durch die Verhaftung einer ganzen Reihe von führenden Kieler USPD-Mitgliedern verhindert. Danach verfolgte die USPD ihre Pläne weiter, musste jedoch vorsichtiger zu Werke gehen und konnte die abgerissenen Verbindungen zur Marine nur langsam wieder aufbauen.

Auch Karl Artelt beschrieb, dass er nach seiner Rückkehr aus Flandern versuchte, den Vertrauensleutekörper neu aufzubauen. Artelt scheint dabei insbesondere unter den Arbeitern und Militärangehörigen auf der Kaiserlichen- und der Germaniawerft agitiert zu haben.

Ende Oktober 1918 meldete ein Spitzel aus den USPD-"Hochburgen" der Germaniawerft und der Torpedowerkstatt, in letzterer hätten die Arbeiter erklärt, "in acht Tagen sei alles anders".

Nach dem Versuch der Marineführung, mit Hilfe eines geplanten Flottenvorstoßes zivile Opfer in England und Flandern zu provozieren und damit die neue, parlamentarisch legitimierte Regierung unter Max von Baden zum Rücktritt zu zwingen, kam es unter den Besatzungen der Großkampfschiffe zu Befehlsverweigerungen. Darin zeigte sich nicht das Bestreben, die Regierung zu stürzen, sondern im Gegenteil, sie zu verteidigen. Die Forderungen des nach Kiel zurückgeschickten III. Geschwaders waren keineswegs revolutionär, sondern zielten auf die Befreiung der verhafteten Kameraden, auf einen schnellen Friedensschluss, auf die Abdankung des Kaisers, sowie auf eine Einschränkung der Offiziersherrschaft.[2]

Das zeigt, dass die Bewegung auf den Schiffen keineswegs von der USPD gesteuert war. Das war eine Behauptung der Seeoffiziere, um ihr Versagen zu bemänteln.


Linksruck in der MSPD

In der Kieler MSPD hatte sich im Verlauf des Jahres 1918 ein Wechsel vollzogen. Der Chefredakteur des Parteiorgans Schleswig-Holsteinische Volks-Zeitung (SHVZ), Eduard (Ede) Adler, gehörte zu den eifrigsten Kriegsunterstützern. Er sah den Krieg als "Kampf, den das wirtschaftlich höher entwickelte Deutschland, das rings von Feinden umstellt ist, um sein Dasein und um das Fortbestehen seiner besser ausgebauten Einrichtungen, die durch sein wirtschaftliches Gedeihen den anderen freilich Nachteil bringen, führen muss" (SHVZ, 9.11.1916). Adler schied am 6. Juli 1918 aus der Redaktion aus. Er wurde durch Bernhard Rausch ersetzt. Dieser wurde als Artillerieleutnant von der Westfront "reklamiert" und trat am 1. Oktober seine Arbeit in Kiel an. Im Gegensatz zu Adler ging er mit der Militäraristokratie hart ins Gericht.

Auch in der Kieler Gewerkschaftsführung - der Vorsitzende des Kieler Gewerkschaftskartells, Gustav Garbe, war zeitweilig auch Vorsitzender der MSPD gewesen - zeigte sich das Drängen auf einen schnellen Friedensabschluss immer deutlicher. Auf einer großen Versammlung im Gewerkschaftshaus am 3. November 1918 warf der Abgeordnete Stubbe aus Hamburg der Vaterlandspartei vor, sie wolle den Krieg in die Länge ziehen und den völligen Zusammenbruch Deutschlands. Er rief indirekt zum Streik auf.

Als die Matrosen des III. Geschwaders Unterstützung für ihre verhafteten Kameraden suchten, die harte Strafen zu befürchten hatten, fanden sich diese unterschiedlichen Strömungen zu einer Demonstration von mehreren tausend Menschen zusammen.

Die Schüsse auf diese Demonstration am Abend des 3. November 1918 mussten dazu führen, dass sie enger zusammenrückten und neue übergreifende Organisationsformen entwickelten, um weiteres Blutvergießen zu verhindern. Die Bildung von Räten war die logische Konsequenz.


Noskes Gegenzug

Damit aber erhob sich die Frage, wie die Regierung zu den Räten stehen würde. Den nach Berlin entsandten Vertrauensleuten des III. Geschwaders wäre es am liebsten gewesen, wenn die Regierung die Räte anerkannt hätte. Als nun Noske und Haußmann am 4. November nach Kiel kamen, schien sich diese Hoffnung zu bestätigen, entsprechend enthusiastisch wurden sie empfangen. Die unterschiedlichen Strömungen und Hoffnungen zeigten sich auch in dem Kompromiss, der am 5. November morgens in 14 Punkten verabschiedet wurde: Darin wurde vermieden, deutlich zum Ausdruck zu bringen, dass der Soldatenrat jetzt die politische Macht in der Stadt hatte, das Verhältnis zur Regierung wurde nur indirekt angesprochen.

Doch am 6. November versuchte Noske die Kieler zum Abbruch des Aufstands zu überreden. Damit wurde nun deutlich, dass die Regierung sich gegen die Bewegung stellte. Eine Maßregelung oder gar Suspendierung der Seekriegsleitung und des Kommandos der Hochseestreitkräfte stand gar nicht zur Debatte. Für die unterschiedlichen Strömungen in Kiel kam jedoch eine Rückkehr zu den vorherigen Zuständen nicht mehr in Frage. Noskes Amnestie-Angebot wurde einmütig abgelehnt. Der MSPD-Redakteur Rausch schrieb: "Die gegenwärtige schicksalsschwere politische Situation gebietet, dass die entstandenen Machtverhältnisse restlos ausgenützt werden für den politischen und sozialen Fortschritt des Deutschen Reiches. Es gilt das, was im glorreichen Ansturm errungen ist, dauernd zu befestigen." Als Konsequenz wurde die Rätebewegung konsolidiert, die Matrosen bildeten den Obersten Soldatenrat mit Lothar Popp (USPD) an der Spitze. Die unterschiedlichen Strömungen fanden sich zusammen und formulierten jetzt klar und deutlich ihren Anspruch, die höchsten Gremien in der Stadt darzustellen. Die Ausweitung der Bewegung über ganz Deutschland und damit der Sturz der Regierung wurden beschleunigt.

Noske sah sich zu einer 180-Grad-Wende gezwungen. Noch am selben Abend besprach er "mit ein paar Parteiführern die Sachlage... Es war uns klar, dass nun die revolutionäre Bewegung unaufhaltsam vor sich gehen würde." Jetzt hieß es "die Zügel fest in die Hand nehmen". Es wurde besprochen, den Arbeiterrat als provisorische Regierung Schleswig-Holsteins einzusetzen, und Noske sollte den Gouverneur, Admiral Souchon, ersetzen.

Auf der Vertrauensleuteversammlung am nächsten Tag brachte Popp gemäß einer vorherigen Absprache den Vorschlag ein, Noske zum Gouverneur zu wählen. Er hoffte, damit den Verwaltungsapparat endlich in Bewegung zu bringen. Noske selbst sah jedoch die Räte eher als Kontrollorgan des Gouvernements und setzte nun sein taktisches Geschick dafür ein, die Seeoffiziere, die in der Regel der proto- und präfaschistischen Deutschen Vaterlandspartei nahestanden, im Dienst zu behalten. Mit Hilfe verschiedener Tricks gelang es ihm, deren Position immer weiter zu festigen, bis schließlich die Räte im Juni 1919 auf Drängen der Offiziere wieder abgeschafft werden konnten.


Verpasste Chance

Dies wirft zwei Fragen auf:

Erstens: Warum ließen die Revolutionäre in Kiel dies zu?

Und zweitens: Warum setzte Noske nicht auf demokratisch oder zumindest kritisch gesinnte Offiziere, von denen es zwar nicht viele, aber doch einige gab?

Die Revolutionäre in Kiel überließen den Umgang mit den Offizieren nur allzu gerne Noske, weil sie der Ansicht waren, dass Noske diese "im Griff" habe. Noske wiederum argumentierte damit, dass die Vorbereitung und Überführung der Kriegsschiffe gemäß den Waffenstillstandbedingungen ohne die Seeoffiziere nicht durchzuführen wären. Es hatte sich aber bei der Rückfahrt des III. Geschwaders von Travemünde nach Kiel gezeigt, dass auch die Mannschaften, Unteroffiziere, Deckoffiziere und Ingenieuroffiziere in der Lage waren, die Schiffe zu manövrieren.

Noske wehrte sich auch später, als die Schiffe überführt waren, kategorisch dagegen, wichtige Positionen durch sozialdemokratische oder kritische Offiziere zu besetzen. Dies lag durchaus auf seiner schon früh formulierten politischen Linie, dass Deutschland wehrhaft sein müsse.

In der Nationalversammlung erklärte Noske 1919, Deutschland müsse "so rasch wie möglich wieder ein gewisses Maß von Wehrhaftigkeit" erhalten. Erst nach einem Frieden, "den das Volk tragen könne", könnten sozialdemokratische Ideen umgesetzt werden. Einen Austausch von Teilen des Offizierskorps sah er als Schwächung dieser Kampfkraft an und sperrte sich deshalb mit allen Mitteln dagegen. Das Konzept von Frieden, Völkerverständigung und Interessenausgleich lag ihm völlig fern.

Die Revolutionäre in Kiel hatten die Möglichkeit, die rechtsextremen Seeoffiziere zu entlassen und nur demokratisch gesinnte zu behalten. Diese Möglichkeit ließ man verstreichen. Als die Folgen dieses Versäumnisses immer deutlicher wurden, war die Position Noskes so stark, dass die Kritiker in der SPD sich nicht mehr durchsetzen konnten. Die Loyalität, fast ein gewisser "Kadavergehorsam der Partei beziehungsweise der Gewerkschaft gegenüber" (Bredenbeck)[3] verhinderten eine offene Rebellion. Teile der Linken außerhalb der SPD stürzten sich in abenteuerliche Unternehmungen und vertieften damit den Graben zu den Linken in der SPD.


(*) Der Autor ist Historiker und befasst sich seit Jahrzehnten mit der Novemberrevolution.


Anmerkungen:

[1] Lothar Popp (unter Mitarbeit von Karl Artelt): Ursprung und Entwicklung der November-Revolution 1918. Wie die deutsche Republik entstand. Nachdruck in: Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte, Sonderveröffentlichung 15. Kiel 1983. S.III 6-7.

[2] Bericht über die Verhandlungen des Reichsmarineamts mit den Vertrauensleuten des III.Geschwaders, am Donnerstag, den 7. November [1918] nachm. 3 Uhr. BArch (Bundesarchiv) 3/2612 Bl.194-245. In Auszügen wiedergegeben in: Klaus Kuhl: Die Rolle der deutschen Seeoffiziere während der Ereignisse im Oktober/November 1918. Kiel 2018. S. 30-39. Online zugänglich unter
www.kurkuhl.de/docs/flottenbefehl-und-seeoffiziere.pdf.

[3] Klaus Kuhl: Interview mit Julius Bredenbeck. Kiel 2005. S. 21. Online zugänglich unter
www.kurkuhl.de/docs/bredenbeck.pdf.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 11, 33. Jg., November 2018, S. 14
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. November 2018

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