Schattenblick → INFOPOOL → MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE


SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2435: "Offensive" und Niederlage - Zur gescheiterten Märzaktion der VKPD 1921


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 10 · Oktober 2019
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

"Offensive" und Niederlage
Zur gescheiterten Märzaktion der VKPD 1921

von Manuel Kellner


Im Dezember 1920 war aus der Fusion der KPD mit dem linken Flügel der USPD die Vereinigte Kommunistische Partei Deutschlands (VKPD) mit schätzungsweise 350.000 Mitgliedern hervorgegangen (siehe SoZ 9/2019). Damit war in Deutschland ein großer Teil der Vorhutelemente in Betrieben und Gewerkschaften in derselben revolutionären Partei organisiert, die damit zu selbständigen politischen Initiativen fähig wurde. Als diese jedoch gegen Ende März 1921 die Zeit für die Eroberung der politischen Macht gekommen sah, endete ihre revolutionäre "Offensive" in einem Fiasko.


Mitglieder des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale (EKKI) waren an den entsprechenden Fehlentscheidungen lebhaft beteiligt. In Moskau war gerade die Theorie Bucharins von der "revolutionären Offensive" in Mode. Béla Kun, der es leid war, seit der Niederlage der ungarischen Revolution ständig den Vorwurf des "Opportunismus" zu hören, profilierte sich als extrem links und drängte mit geringem Sachverstand und desto größerer Entschiedenheit die Führung der VKPD zum Losschlagen - gegen den Rat von Paul Levi (der nicht mehr Co-Vorsitzender und aus der Führung verdrängt worden war) und derer, die ähnlich dachten wie er (wie insbesondere Clara Zetkin).

Der von Levi vertretenen Position zur Spaltung der italienischen Partei (die seiner Meinung nach zu weit links durchgeführt wurde) und zur Politik in Deutschland warfen Grigori Sinowjew und etwas später auch Karl Radek eine Neigung zur "Passivität" und zum endlosen "Abwarten" vor. Die deutsche Partei müsse vielmehr "aktiviert" werden - und in diesem Sinne gab sich diese eine neue Führungsgruppe mit Heinrich Brandler und Stöcker als Vorsitzenden. Neben der Einschätzung der Lage in Deutschland spielte in den Kontroversen über die Wendung nach "links" die internationale Gemengelage eine wichtige Rolle.

Radek schrieb zum Beispiel in einem vertraulichen Brief an Heinrich Brandler, Paul Frölich, Ernst Meyer und Böttcher über die Möglichkeit eines verschärften Konflikts zwischen den Alliierten der Entente und Deutschland und eines neuerlichen Kriegs Polens gegen Sowjetrussland. Im entscheidenden Moment müsse die deutsche Partei sich selbst und die Massen in Bewegung setzen und im Falle eines Krieges nicht bloß protestieren und Frieden fordern, sondern zu den Waffen greifen. Levi werde bald von alleine gehen, die Linke müsse die Partei führen und dabei zu verhindern suchen, dass Zetkin und Däumig sie ebenfalls verlassen.


Die internationale Lage

Levi selbst meinte, die Weltlage sei von einer bürgerlichen Gegenoffensive geprägt, womit die Sozialdemokratie wieder gestärkt werde, vor allem in den Gewerkschaften, aber auch bei Wahlen wie zuletzt in Preußen. Darum müsse die erste Sorge der Kommunistischen Partei in Deutschland sein, sich nicht von den Massen zu isolieren, insbesondere nicht von den 6 Millionen Gewerkschaftsmitgliedern. Dies sei im übrigen für ganz Westeuropa charakteristisch und werde von den Russen nicht recht gesehen.

Zur Theorie der "revolutionären Offensive" äußerte sich Levi kritisch, auch über die Illusionen, die Mitte 1920 mit dem Marsch der Roten Armee auf Warschau verbunden waren: Das Rätesystem könne nicht auf der Spitze der Bajonette exportiert werden. Wo das Proletariat eines gegebenen Landes die Revolution nicht selbst wolle, würden die ausländischen Revolutionäre als Unterdrücker betrachtet. Statt mit Spaltungen solle in den kommunistischen Parteien mit Geduld auf rechtere Strömungen reagiert werden, um sie durch die Erfahrung gemeinsamen Handelns vollends für revolutionäre Positionen zu gewinnen. Die russische Hegemonie in der Kommunistischen Internationale (KI) sei ein Problem, teils wegen der Tradition des Kampfs in der Illegalität unter dem Zarismus, teils weil die russische Partei an der Macht sei und internationale Konflikte zumindest teilweise aus dem Blickwinkel ihrer Staatsmacht sehe. Hinzu kämen die Schwierigkeiten der langsamen internationalen Kommunikation und der geringen Zahl an wirklichen menschlichen Begegnungen.


Die Entwicklung "forcieren"

Béla Kun, Teil des engeren Stabs des EKKI, war Ende Februar, Anfang März 1921 nach Deutschland gereist - ob mit oder ohne offizielle Mission ist nicht ganz klar. Er sprach mit mehreren führenden Mitgliedern der VKPD und vertrat vehement die Ansicht, die Partei müsse "beispielhaft" in Aktion treten, den Widerstand organisieren und die arbeitenden Massen in dieser Weise mit sich ziehen. Notfalls müsse sie die Entwicklung der Revolution "forcieren" und die Arbeiterklasse so aus ihrem Halbschlaf wecken. Clara Zetkin ist entsetzt, warnt Levi und weigert sich, Kun ohne Zeugen noch einmal zu begegnen.

Am 16. und 17. März tagt das Zentralkomitee in Berlin, und alle sind sich einig, dass die Massen revolutioniert werden müssen. Nur Malzahn äußert sich skeptisch in Hinblick auf die angeblich anstehenden großen Kämpfe der Arbeitermassen. Brandler sieht sehr bald kommende kriegerische Konflikte, wenn die deutsche Revolution nicht dazwischenkommt. Frölich geht so weit zu versichern, man müsse, wenn nötig, mittels einer Provokation einen Bruch zwischen der Entente und Deutschland herbeiführen. Man dürfe nicht mehr abwarten, sondern müsse endlich handeln.

Und doch beschließt das Zentralkomitee keine sofortige Aktion, sondern die Massen zu mobilisieren, sollte die Volksabstimmung in Oberschlesien zu einem kriegerischen Konflikt führen. Wenn das verschärfte Elend die Arbeitslosen auf die Straße treibe, müsse ebenfalls alles getan werden, den Kampf zu verallgemeinern. Weiterhin sollten die Landarbeiter in ihrem Kampf energisch unterstützt werden, denn ein Teilerfolg in diesem Bereich könne die breiten Massen zur Aktion ermutigen. Die Parole müsse dabei sein: "Nieder mit der Regierung Fehrenbach, Bündnis mit Sowjet-Russland!"

Doch gut Ding will Weile haben: Erstmal kommt Ostern und die Betriebe schließen vom 25. bis 28. März. Eben diese Zeit soll genutzt werden, um die Partei auf die Aktion vorzubereiten. Doch gegen Ende der Tagung des Zentralkomitees platzt die Meldung herein, der sozialdemokratische Präsident Preußisch-Sachsens habe die Absicht verkündet, mehrere Industriegebiete Mitteldeutschlands - darunter Mansfeld-Eisleben mit seinen Bergwerken - von der Polizei besetzen zu lassen, um die Lage dort zu "bereinigen". Die Unternehmer dort beschweren sich über häufige Plünderungen und Sabotageakte. Tatsächlich geht es um die Entwaffnung der Arbeiter, die ihre Waffen nach dem Kampf gegen den Kapp-Putsch wohlweislich nicht abgegeben hatten, und um die Zerschlagung einer kommunistischen Hochburg.


Die Folgen der Niederlage

Die "linkesten" Elemente des Zentralkomitees lassen sich die Gelegenheit nicht entgehen. Die Parteiführung in Halle erhält die Anweisung, mit der ersten Besetzung einer Fabrik durch die Polizei den Generalstreik auszurufen und den bewaffneten Widerstand zu organisieren.

Am 18. März erscheint in der Roten Fahne ein Aufruf von Brandler an die Arbeiter sich zu bewaffnen, weil die bayrische Regierung sich weigert, die konterrevolutionären Verbände des Orgesch zu entwaffnen. Am 19. März bewegen sich Polizeiverbände in Richtung der Bergbauregion von Mansfeld.

Am 20. März ruft die Rote Fahne die Arbeiter dazu auf, ihren "Brüdern" in Mitteldeutschland zu Hilfe zu kommen. Der Leitartikel ist überschrieben mit den Worten: "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns - ein Wort an die sozialdemokratischen und unabhängigen Arbeiter", und ultimativ im Ton. In der betroffenen Region bricht das Chaos aus, die von Max Hölz angeführten bewaffneten Überfälle und die Tätigkeit der KAPD tragen wenig zur Klärung der Lage in den Augen der Massen bei. Die bewaffnete Belegschaft von Leuna verharrt Gewehr bei Fuß als letzte Bastion und weiß nicht, was sie machen soll. Sie ergibt sich letztlich am 29. März der konterrevolutionären Übermacht, nachdem ihre Fabrik bombardiert worden war.

VKPD und KAPD tun in Berlin und im übrigen Deutschland alles, um eine revolutionäre Erhebung zu befeuern. In einigen Fällen werden Kollegen, die nicht streiken wollen, sogar gewaltsam aus ihren Betrieben geworfen. Die Masse der nicht zum Streik bereiten Kollegen werden als "Gelbe", also Verräter beschimpft.

Gestreikt haben deutschlandweit letztendlich - je nach Schätzung - 200.000 bis eine halbe Million. Die Demonstrationen, zu denen beide Parteien aufrufen, geraten recht mickrig. VKPD und KAPD mobilisieren in Berlin nur 4.000 Menschen zu einer Demonstration im Lustgarten. Die VKPD allein hatte bei den einigen Wochen zurückliegenden Wahlen 200.000 Stimmen erhalten! Gestreikt wird in Berlin so gut wie gar nicht.

Am 1. April ruft die Zentrale der VKPD zur Beendigung der Aktion und zum Abbruch der Streiks auf. Am Vortag war Wilhelm Sült, ein in Berlin überaus populärer kommunistischer Führer, von der Polizei "auf der Flucht erschossen", also ermordet worden. Seit dem Kapp-Putsch, bei dessen Niederschlagung durch einen Generalstreik er eine herausragende Rolle gespielt hatte, hatten die Massen während der Märzaktion zum erstenmal seine Aufrufe ignoriert. Seine Beerdigung am 6. April geriet dann aber zur einzigen großen revolutionären Massendemonstration jener Periode.

Als Folge der gescheiterten Märzaktion verlor die VKPD innerhalb weniger Wochen rund 200.000 Mitglieder. Später richtete sie sich mittels einer klugen Politik der Aktionseinheit wieder auf. In der Kommunistischen Internationale wurden einige Lehren aus der Niederlage gezogen: Ihr dritter und vierter Kongress 1921 und 1922 verabschiedete sich von der Theorie der "revolutionären Offensive" und entwickelte sowohl die Einheitsfrontpolitik wie auch die Strategie der Teil- und Übergangsforderungen. Zuvor jedoch war Paul Levi, dessen Denken eine wichtige Quelle der Inspiration dafür war, aus der KI wie aus der KPD ausgeschlossen worden - wegen einer Broschüre, mit der er die Märzaktion zutreffend öffentlich kritisiert hatte.

*

Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 10, 34. Jg., Oktober 2019, S. 21
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
Telefon: 0221/923 11 96E-Mail: redaktion@soz-verlag.de
Internet: www.sozonline.de
 
Die Soz erscheint monatlich und kostet 3,50 Euro.
SoZ-Probeabo: 3 Ausgaben für 10 Euro
Normalabo: 58 Euro
Sozialabo: 28 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Oktober 2019

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang