Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → FAKTEN

INTERNATIONAL/026: El Salvador - Morddrohungen gegen Radiojournalisten in Bergbauregion (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. Juli 2011

El Salvador: Morddrohungen gegen Radiojournalisten in Bergbauregion

Von Edgardo Ayala


San Salvador, 6. Juli (IPS) - In der zentralsalvadorianischen Bergbauregion Cabañas sind Reporter einer kleinen Radiostation zur Zielscheibe zahlreicher Morddrohungen geworden. Die Mitarbeiter von 'Radio Victoria' sehen einen direkten Zusammenhang mit ihrer kritischen Berichterstattung über den lokalen Gold- und Silberbergbau insbesondere des kanadischen Konzerns 'Pacific Rim Mining Corporation'.

Da 'Radio Victoria' auch einige Lokalgrößen aufs Korn genommen hat, könnten die Einschüchterungsversuche auch von politischen Gruppen stammen. Die Polizei hat sich bisher nicht dazu geäußert, in welche Richtungen sie ermitteln wird.

Die ersten Todesdrohungen erhielten die Journalisten von 'Radio Victoria' bereits 2006 und dann erneut 2009. In diesem Jahr jedoch werden sie mit Anrufen, E-Mails und Briefen regelrecht bombardiert. Die Botschaft der Absender, einer Gruppe namens 'Exterminio' ('Vernichtung'), ist eindeutig: "Entweder ihr haltet den Mund oder ihr müsst sterben." Die Gefahr ist real. 2009 waren drei Umweltaktivisten mit Maschinengewehren niedergemäht worden.

Der Radiosender befindet sich in der Cabañas-Gemeinde Victoria, 95 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt San Salvador. Er hatte über den Widerstand der Anrainer gegen die El-Dorado-Mine von 'Pacific Rim El Salvador' und die ökologischen und gesundheitlichen Gefahren berichtet, die durch die Verwendung von Zyankali im Goldbergbau entstehen.

Die lokale Niederlassung der Pacific Rim Mining Corporation hatte 2002 mit der Exploration der Gold- und Silbervorkommen in der El-Dorado-Mine begonnen. 2009 verweigerte die Regierung dem Unternehmen die Bergbaugenehmigung mit der Begründung, die Mine verseuche den Lempa-Fluss, dem eine zentrale Rolle bei der lokalen Trinkwasserversorgung zukommt. Pacific Rim legte 2009 Beschwerde beim Internationalen Zentrum für die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten der Weltbank ein. Die Operationen der Firma wurden ausgesetzt.


Todesdrohungen auch gegen Kinder

Die Radio-Victoria-Journalisten Pablo Ayala, Maricela Ramos und Manuel Navarrete sind die Hauptzielscheiben der Hasstiraden. "Sie drohten mir auch damit, meine zweijährige Tochter zu töten", berichtete die 25-jährige Reporterin Ramos im letzten Monat im IPS-Gespräch. Mutter und Kind haben inzwischen das Land verlassen.

Die Gemeinderadios sind nach dem Bürgerkrieg von 1980 bis 1992 mit dem Ziel entstanden, den armen Gemeinden im Lande eine Stimme zu verleihen und deren Bevölkerung zu informieren. Auch sind sie anders als die Mainstream-Medien politisch unabhängig und verfolgen keine Wirtschaftsinteressen.

Rund 20 Stationen sind unter dem Dach der Vereinigung der partizipatorischen Radiostationen und Programme El Salvadors (ARPAS) zusammengeschlossen und erreichen jeden Winkel dieses kleinsten 6,7 Millionen Einwohner zählenden Landes. Neben Umweltbelangen werden in den Sendungen Menschen-, Frauen- und Kinderrechte thematisiert. Ein weiterer Fokus der Sender sind politische Fragen, die vor allem im Vorfeld der Parlaments- und Lokalwahlen im kommenden Jahr immer mehr Raum einnehmen.

Im letzten Jahr hatte die Interamerikanische Menschenrechtskommission der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) den salvadorianischen Staat mit Hinweis auf die Ermordung dreier Sozial- und Umweltaktivisten 2009 im Zusammenhang mit umstrittenen Bergbauaktivitäten aufgefordert, Radio Victoria und mehrere Mitarbeiter unter Polizeischutz zu stellen.

Erstes Mordopfer war Marcelo Rivera gewesen. Sein Leichnam wurde in einem Brunnen gefunden und wies eindeutige Zeichen von Folter auf. Später erschossen Auftragskiller die beiden Umweltschützer Ramiro Rivera Gómez und Dora Alicia Sorto. Alle drei Opfer hatten vor ihrem Tod Morddrohungen erhalten. Darin wurden sie aufgefordert, ihre Proteste gegen die möglichen Umwelt- und Gesundheitsschäden des Projekts einzustellen. Die Sicherheitskräfte hingegen brachten die Anschläge auf Rivera Gómez und Sorto mit einer Fehde zwischen Bergbaugegnern und -befürwortern in Verbindung. Im 2010 wurden neun Verdächtige festgenommen.


Misstrauen gegen örtliche Polizei

Die Mitarbeiter von Radio Victoria stehen zwar inzwischen unter Polizeischutz, doch sicherer fühlen sie sich dadurch nicht. "Wir misstrauen den Männern, die uns beschützen sollen. Denn das Bergbauunternehmen hat Verbindungen zu den lokalen Behörden."

Der Vize-Ombudsmann für ziviles und individuelles Recht im Büro des salvadorianischen Menschenrechtsombudsmanns, Gerardo Alegría, kritisierte gegenüber IPS, dass die Ermittlungen nach den ersten Morddrohungen nicht zeitnah genug aufgenommen worden seien. Dass kein Verdächtiger gefunden wurde, deutet er als Anzeichen für eine vorherrschende Straffreiheit. "Das hat zu einer Wiederholung der Todesdrohungen geführt." Seit die Reporter von Radio Victoria bedroht werden, hat die mit der Untersuchung beauftragte Generalstaatsanwaltschaft nicht einen einzigen Report über die mögliche Herkunft der Drohungen vorgelegt.

Angesichts der Gefahr, in der die Mitarbeiter von Radio Victoria schweben, haben Kollegen im In- und Ausland ihre Solidarität bekundet. Im Mai hieß es in einer Mitteilung der Reporter ohne Grenzen: "Fast ein Jahrzehnt lang ist Radio Victoria das Sprachrohr der lokalen Gemeinschaften und Umweltaktivisten, die die Bergbauoperationen der Pacific Rim Mining Corporation in Vancouver ablehnen. Die Radiostation hat die wichtige Rolle übernommen, die lokale Bevölkerung über die Gefahren zu informieren, die der Bergbau für die Gesundheit und sogar ihr Überleben bedeutet."

Ferner hieß es in der Stellungnahme der Journalistenvereinigung mit Sitz in Paris, dass die Radiojournalisten dringend vor den Todesschwadronen, die sich zu diesen Morddrohungen bekannt hätten, geschützt werden müssten. Außerdem müsse die politische Klasse in El Salvador eine breit angelegte Kampagne zur Entwaffnung dieser Verbrecherringe starten, "die eine komplette Straffreiheit genießen". (Ende/IPS/kb/2011)


Links:
http://www.radiovictoria.org/
http://www.arpas.org.sv/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=98379

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 6. Juli 2011
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juli 2011