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INTERNATIONAL/031: Irak - Weltweit gefährlichstes Land für Journalisten, gesetzlicher Schutz nötig (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. September 2011

Irak: Weltweit gefährlichstes Land für Journalisten - Mehr gesetzlicher Schutz nötig

Von Rebecca Murray


Bagdad, 6. September (IPS) - Als sich der irakische Zeitungsredakteur Ali Sumerian und drei Kollegen in einem Restaurant trafen, wurden sie kurzerhand festgenommen. Die Journalisten hatten über die Proteste auf dem Bagdader Tahrir-Platz am 25. Februar berichtet.

Sie seien beschuldigt worden, regierungsfeindliche Aktivitäten zu unterstützen, erklärt Sumerian, der für die Zeitung 'Al-Sabah' arbeitet. Nachdem ihre Festnahme in den Medien heftig kritisiert worden war, kamen die vier Männer zwölf Stunden später wieder frei. Andere Kollegen teilten ihr Schicksal.

Zwei Tage später kündigten rund 20 irakische Reporter an, den Amtssitz von Regierungschef Nuri al-Maliki und das Militärkommando zu belagern, um gegen den gewaltsamen Umgang mit der kritischen Presse zu protestieren. Al-Maliki und der Militärchef von Bagdad entschuldigten sich daraufhin bei den Medien.

Seit Februar versammeln sich Mitglieder unabhängiger Organisationen zu friedlichen Kundgebungen auf dem Bagdader Tahrir-Platz sowie in anderen Städten des Landes. Sie reagieren damit auf die Protestwelle, die die arabische Welt erfasst hat.


Proteste gegen Korruption und Arbeitslosigkeit

Auch die Iraker fordern Verbesserungen ihrer Lebensbedingungen. Sie kritisieren die marode Infrastruktur des Landes, Korruption, Arbeitslosigkeit und mangelnde Bürgerrechte. Das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die Demonstrationen hat dafür gesorgt, dass inzwischen weniger Menschen kommen als am Anfang. Das Recht auf freie Meinungsäußerung wird ebenso beschnitten wie die Pressefreiheit.

Im August verabschiedete das irakische Parlament ein Gesetz zum Schutz der Berichterstatter. Die Journalistengewerkschaft, die rund 15.000 Mitglieder zählt, erklärte daraufhin, dass ein Meilenstein erreicht worden sei. Das Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ) und die Irakische Beobachtungsstelle für journalistische Freiheiten (JFO) beanstandeten jedoch die vagen Formulierungen in dem Gesetzestext. In Wirklichkeit sei das Gesetz eine Gefahr und kein Schutz für Journalisten, lautete die Kritik.

Nach Einschätzung des CPJ, das seinen Sitz in New York hat, ist der Irak für Journalisten das gefährlichste Land der Welt. Im Verhältnis zur Bevölkerungszahl würden dort mehr Pressevertreter getötet als anderswo, sagt der Experte Mohamed Abdel Dayem, der für die Organisation arbeitet. Die Behörden unternähmen zudem keine ernsthaften Anstrengungen, die Mörder ausfindig zu machen.

Unter dem Regime von Diktator Saddam Hussein wurden die Medien scharf kontrolliert. Seit der US-geführten Invasion 2003 sind die Risiken für Berichterstatter durch das Erstarken extremer Gruppierungen rapide gestiegen. "Als die Zentralregierung die Macht nicht mehr in den Händen hielt, nahmen Morde, Bombenanschläge und andere willkürliche Gewaltakte zu. Viele Journalisten fielen den Übergriffen zum Opfer", erklärt der Aktivist.

Nachdem die Regierung in Bagdad ihre Position gefestigt hat, wiederholt sich nach Ansicht von Dayem im Land genau das, was bereits in anderen autoritär regierten Staaten wie Syrien und Jordanien zu beobachten ist. "Auch im Irak hat man wenig Lust auf unabhängigen Journalismus. Mit Gewalt, Drohungen und politisch motivierten Gerichtsverfahren werden Reporter gezielt eingeschüchtert", prangert er an.

In einem überfüllten Café in der historischen Altstadt von Bagdad diskutiert eine Gruppe von Reportern, Bloggern und Wissenschaftlern über nötige Änderungen am Gesetz zum Schutz von Journalisten. Sie beanstanden die eng gefasste Definition der Tätigkeit eines Medienvertreters und die schwammige Formulierung, dass sie bei ihrer Arbeit nicht behindert werden dürften, sofern sie "das Gesetz" respektierten.


Polizei geht willkürlich vor

"Wenn man tatsächlich mit einem Polizisten in Konflikt gerät, kann er die Situation immer zu seinen Gunsten interpretieren", sagt Hedi Jalu von der JFO. Wenn also ein Reporter Fotos machen wolle, könne ihn der Beamte immer festnehmen und seine Ausrüstung beschlagnahmen. "Wer entscheidet das? Welches Gesetz wird angewandt? Das Recht steckt voller Landminen."

Die Pressefreiheit ist nicht das einzige bedrohte Grundrecht im Irak. Dem Parlament liegen außerdem Gesetzentwürfe zur Informationsfreiheit, dem freien Zugang zum Internet sowie zur Versammlungs- und Meinungsfreiheit vor. Kritikern zufolge sind all diese Gesetze lückenhaft. (Ende/IPS/ck/2011)


Links:
http://www.cpj.org/
http://www.jfoiraq.org/news_eng.aspx
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=104967

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. September 2011