Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → FAKTEN

INTERNATIONAL/089: Auch der Äther besetzt - Palästinensische Medien ständig von Razzien bedroht (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. Dezember 2012

Nahost:
Auch der Äther besetzt - Palästinensische Medien ständig von Razzien bedroht

Von Jillian Kestler-D'Amours


Bild: © Jillian Kestler-D'Amours/IPS

Leiter der Watan-TV-Medienprojekte, George Sahhar, und das, was von dem Fernsehstudio in Ramallah übrig geblieben ist
Bild: © Jillian Kestler-D'Amours/IPS

Ramallah, Westjordanland, 21. Dezember (IPS) - George Sahhar öffnet die Tür zu einem Kontrollraum von der Größe einer Wandkammer und gibt den Blick frei auf einen Tisch, auf dem sich Kabel, Router, Papiere und Bildschirme türmen. "Hier befand sich unsere Sendeanlage", sagt er und zeigt auf ein riesiges Loch, aus dem Drähte ragen. Dann geht es zu einem größeren Kontrollraum, wo noch mehr von der Ausstattung fehlt. "Wir wissen nicht, warum es so gekommen ist. Es ist uns unerklärlich und inakzeptabel."

Sahhar ist der Leiter für Medienprojekte bei 'Watan TV, der einzigen unabhängigen Fernsehstation in den besetzten Palästinensergebieten. An einem Tag im Februar hatten mehr als zwei Dutzend israelische Soldaten in den frühen Morgenstunden das Ramallah-Büro des Senders gestürmt und die hauseigene Sendeanlage, Laptops, Finanzunterlagen, Rechnungen, Archive und andere Ausrüstung beschlagnahmt.

Menschenrechtsgruppen haben den Übergriff als Verstoß gegen die palästinensische Medienfreiheit verurteilt. Die Eigentümer von Watan TV, lokale zivilgesellschaftliche Organisationen, schätzen die finanziellen Verluste durch die Razzia auf 300.000 US-Dollar. Der Sender wird zum Teil von internationalen Gebern finanziert.


Gazastreifen ohne Empfang

Vor dem Verlust des Equipments hatte der Sender eine Vielzahl politischer, kultureller und sozialer Programme ins Westjordanland und in den Gazastreifen ausgestrahlt. Zurzeit kann er im Gazastreifen nicht mehr empfangen werden. Er ist auch nicht mehr in der Lage, Sendungen live zu übertragen, und die Berichterstattung im Westjordanland ist begrenzt.

"Es ist sehr hart. Ein Vorgang, der uns zuvor vier oder fünf Sekunden an Arbeit kostete, erfordert nun einen halben Tag, weil wir ohne Sendeanlage zurande kommen müssen", so Sahhar gegenüber IPS. "Der Druck auf unsere Mitarbeiter ist enorm groß. Was geschieht, wenn wir uns eine neue Sendeanlage beschaffen? Müssen wir dann erneut mit Besuch rechnen?"

Der Fernsehsender hat sich in der Hoffnung auf eine Rückgabe der beschlagnahmten Gegenstände und auf Schadensersatz sowie auf eine Erklärung an den Obersten Gerichtshof Israels gewandt. Das Gericht hatte der israelischen Regierung eine Frist bis zum 14. November gesetzt, um Stellung zu beziehen. Doch die Watan-TV-Mitarbeiter warteten an jenem Tag vergeblich auf eine Reaktion, wie der Geschäftsführer der Station, Muamar Orabi, berichtete.

Zum Zeitpunkt der Razzia hieß es von Seiten der israelischen Behörden, dass die Frequenz von Watan TV mit Radiosignalen in Israel, unter anderem jener auf dem Ben-Gurion-Flughafen nahe Tel Aviv, kollidieren würde. Doch die Techniker des Senders haben die Begründung als unsinnig zurückgewiesen.

Das sind haltlose Beschuldigungen", meint Sahhar. Die Palästinensische Autonomiebehörde habe Watan TV bereits 1996 eine Sendelizenz erteilt. Der Sender sei zudem Mitglied der Internationalen Telekommunikationsunion. "Von 1996 bis heute ist mir nicht aufgefallen, dass ein Flugzeug wegen unserer Sendefrequenz abgestürzt ist."

Das von Israel und Palästina Anfang der 1990er Jahre unterzeichnete Oslo-Abkommen regelt die palästinensischen und israelischen Telekommunikationsfrequenzen. Es schreibt fest, dass sich beide Seiten im Äther nicht in die Quere kommen und Israel das einwandfreie Funktionieren der ausgehandelten palästinensischen Stationen nicht behindern darf.

Ein Gemeinsames Technisches Komitee (JTC) wurde ebenfalls eingerichtet, um Fragen zu regeln, die sich aus den israelischen und palästinensischen Telekommunikationssystemen ergeben. "Kommt es über die Frequenzen zum Streit, müssen die Israelis die Palästinensische Autonomiebehörde informieren, die sich dann des Problems annimmt", so Sahhar.


"Israelis wollen alles besetzen"

Laut 'Mada', dem Palästinensischen Zentrum für Medienfreiheit und Entwicklung, haben israelische Soldaten seit 2008 elf palästinensische Medienzentralen gestürmt und die Anlagen von 14 Medieninstitutionen beschlagnahmt. "Wir haben es mit einem Krieg im Äther zu tun", meint der Mada-Chef Mousa Rimawi von seinem Büro in Ramallah aus. "Die Israelis wollen die Frequenzen beherrschen. Sie wollen alles besetzen."

Rimawi zufolge wirkt sich die Beschlagnahmung der Ausrüstung palästinensischer Medienbüros negativ auf die Psyche der palästinensischen Journalisten aus, was wiederum die Qualität ihrer Berichterstattung beeinträchtige.

"Palästinenser versuchen weiterzumachen, doch die Bedrohungen gehen ihnen nicht aus dem Kopf. Die israelische Armee kann jederzeit nachts erscheinen, ohne dass die Journalisten etwas dagegen tun können", erläutert Rimawi gegenüber IPS. "Die Israelis verhalten sich so, als stünden sie über dem Gesetz. Und da sie nicht bestraft werden, machen sie mit der Gewalt gegen die Medien und die Palästinenser im Allgemeinen weiter."

Die israelische Armee hat ihre erste Razzia in den Watan-Sendebüros 2002 inmitten der Intifada (Aufstand) durchgeführt. Verärgert über die kritische Berichterstattung des Senders hatte auch die Palästinensische Autonomiebehörde den TV-Sender in den Jahren 1996 bis 2002 fünf Mal geschlossen.

Für George Sahhar kommt die letzte Razzia im Ramallah-Büro einem Angriff auf die palästinensische Kultur gleich. "Medienarbeit ist Kunst, und es ist wirklich schmerzhaft, wenn sie uns gewaltsam genommen wird", so Sahhar. "Doch werden wir auch weiterhin und innerhalb unserer begrenzten Möglichkeiten versuchen, die Stimme der Vernunft zu bleiben. Wir wollen Palästinenser informieren und Brücken bauen, indem wir mit unserer gemeinsamen Vision von einem Palästina aufwarten, wie wir es uns vorstellen. Wir richten unseren Blick auf die Zukunft." (Ende/IPS/kb/2012)


Link:
http://www.ipsnews.net/2012/11/israel-throttles-palestinian-television/

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 21. Dezember 2012
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Dezember 2012