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MELDUNG/970: WDR holt Zeitzeugen per Augmented-Reality-App digital ins Klassenzimmer (WDR)


Westdeutscher Rundfunk Köln (WDR) - Pressemitteilung vom 18. Februar 2019

"Meine Geschichte darf nicht verloren gehen"

WDR holt Zeitzeugen per Augmented-Reality-App digital ins Klassenzimmer


Immer weniger Überlebende des Zweiten Weltkriegs können authentisch über die verheerenden Folgen des Nationalsozialismus berichten. Der WDR will diese wichtigen Erfahrungen erhalten und Geschichte für nachfolgende Generationen anschaulich machen: Mit der einzigartigen App "WDR AR 1933 - 1945" kommen Zeitzeugen mittels Augmented Reality direkt ins Klassenzimmer.

Es hat sich seit Jahrzehnten bewährt: Zeitzeugen kommen regelmäßig in Schulen, um Kindern und Jugendlichen authentisch und eindrucksvoll von den Schrecken des Zweiten Weltkriegs, vom Nationalsozialismus und von der Verfolgung der jüdischen Bevölkerung zu berichten. 80 Jahre nach Kriegsbeginn gibt es allerdings immer weniger Überlebende, die aus eigener Erfahrung die Zeit vor 1945 schildern können.

Längst stellt sich vielen Schulen die Frage, wie man ohne sie die Erinnerung für künftige Generationen lebendig halten kann. Darauf hat der WDR jetzt reagiert: Mit einer besonderen, vor allem für den Schulunterricht entwickelten App lassen sich Zeitzeugen und ihre erschütternden Berichte auch künftig in die Klassenzimmer holen. Dank Augmented Reality (AR), zu Deutsch: erweiterte Realität, werden die Zeitzeugen wie Hologramme digital in die jeweilige Umgebung des Users eingebettet.


WDR-Intendant Tom Buhrow: "Erinnerung auch in Zukunft wachhalten"

"Wir stehen am Anfang einer Zeit ohne Zeitzeugen. Wir dürfen aber nicht vergessen, was im Zweiten Weltkrieg passiert ist und welches Leid der Krieg den Menschen bringt", sagt WDR-Intendant Tom Buhrow. "Unsere Aufgabe ist es, diese Erinnerung auch in Zukunft wachzuhalten. Mit modernster Technologie holt der WDR Zeitzeugen in Wohn- und Klassenzimmer - und macht diesen Teil unserer Geschichte auch für die nachfolgenden Generationen erfahrbar."

Ein Team aus Dokumentarfilmern, Grafikern, Programmierern und Redaktionsmitgliedern war an der Produktion der App "WDR AR 1933 - 1945" beteiligt. Das Verfahren wurde von der Hochschule Düsseldorf, Fachbereich Medien "Mixed Reality und Visualisierung", sowie LAVAlabs, Studio für Visual Effects, gemeinsam mit dem WDR, Redaktion Doku&Digital, entwickelt.

Die Mitglieder des Teams reisten bis nach London und Sankt Petersburg, um Zeitzeugen zum Bomben-Krieg gegen England und zur Einkesselung des damaligen Leningrads zu befragen. Und auch regionale Geschichte wird lebendig: Die 1930 geborene Kölnerin Anne Priller-Rauschenberg erzählt von der Angst der Kinder im Bunker während der Luftangriffe der Alliierten. Sie hat keinen Moment gezögert, sich an dem Projekt zu beteiligen. "Meine Geschichte, die darf nicht verloren gehen. Ich sag den Kindern immer: Seid wachsam, das darf nie wieder passieren!"

Insgesamt drei Geschichten von Zeitzeugen wurden bislang produziert und sind bereits in der App enthalten. Die weiteren werden in den kommenden Monaten nach und nach veröffentlicht - darunter auch Gespräche mit zwei Freundinnen von Anne Frank


"WDR AR 1933 bis 1945" auch auf der Didacta

Der WDR präsentiert seine History-App "WDR AR 1933 - 1945" auch auf der Bildungsmesse didacta, die vom 19. bis zum 23. Februar in Köln stattfindet (Halle 8.1 Stand E58). Die App kann für iOS bereits gratis runtergeladen werden, die Version für Android folgt im März. Dazu gibt es für den Unterricht umfassende Begleitmaterialien, die in Zusammenarbeit mit Planet Schule erstellt wurden. Der WDR wird in der Einführungsphase Schulen besuchen und beraten.


Weiteres Projekt zum Thema "Kindheit im Krieg" im Frühjahr 2019 

Neben der App wird der WDR im Frühjahr mit einem weiteren aufwändigen Projekt den Fokus auf Zeitzeugen und ihre persönlichen Erfahrungen richten. Auf der Online-Plattform "Kindheit im Krieg" vermitteln 120 Menschen ihre einschneidenden Erlebnisse aus verschiedenen Kriegen und Zeitepochen. Sowohl Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg als auch persönliche Berichte aus aktuellen Krisengebieten wie Syrien oder Afghanistan zeigen das Leid der Menschen, die als Kinder oder Jugendliche unter Totalitarismus zu leiden hatten und für die Bomben und Beschuss zum Alltag gehörten. Die ersten 50 dieser eindringlichen Gespräche werden im Frühjahr veröffentlicht. Außerdem haben User, die von ihren Kriegserlebnissen berichten wollen, die Möglichkeit, eigene Videos hochzuladen, die in Zusammenarbeit mit dem WDR der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden.


"Dokumentarfilmer haben Codes eine Seele gegeben!"

Mit der neuen Augmented-Reality-App des WDR können Zeitzeugen wie Hologramme ins Klassenzimmer geholt werden - ein journalistisches und technologisches Großprojekt. Warum sich dieser Aufwand gelohnt hat, erklärt Maik Bialk, Leiter der WDR-Redaktion Doku&Digital.

1. Ihr Projekt will Zeitzeugen und ihre Erfahrungen für nachfolgende Generationen bewahren. Was macht Zeitzeugen so besonders?

Zeitzeugen können auf eine besondere unmittelbare Weise vom Krieg erzählen. Sie tragen nicht die absolute Wahrheit, sondern erzählen subjektiv eine andere Geschichte auf eine andere Weise. Dadurch machen sie Abstraktes konkret und ermöglichen, sich anders damit auseinanderzusetzen: Nämlich von Mensch zu Mensch. Und das ist eine besondere Qualität, die Bilder und Filme in diesem Maße nicht haben.

2. Gerade im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg gehen die Zeitzeugen aber nach und nach verloren.

Ja, wir befinden uns in einer Verlustsituation. Wir verlieren die Möglichkeit, uns diese Geschichten von Menschen persönlich erzählen zu lassen. Und das haben wir mit der App versucht, aufzufangen. Ausgangspunkt war das eigene Erleben. Alle Kolleginnen und Kollegen konnten Zeitzeugen in ihrer Schulzeit noch selbst zuhören. Das ist ein großes Privileg. Aber wir sind die letzten, die das können.

Mit der App wollten wir diesem Erlebnis möglichst nahe kommen. Das war die Kernintention des Projektes. Wir wollten eine Möglichkeit finden, das festzuhalten: Diese Begegnung zwischen Menschen.

3. Warum haben Sie sich für AR entschieden? Videoclips wären ja beispielsweise eine Alternative gewesen.

AR ist eine erlebende Technik. Was es kann, ist: Es kommt mir nah, also auch körperlich nah. Es ist näher als ein Videoclip. Mein Gehirn hat ein Erlebnis und etwas, das man selbst erlebt, wirkt viel stärker. Die Technik ist also ein Mittel zum Zweck: Sie schafft eine Begegnung. Ich kann mich körperlich reinbewegen und weggehen. Ich kann den Raum verlassen und wieder reinkommen und der Zeitzeuge sitzt immer noch da.

Ich hole mir eine Geschichte in meinen natürlichen vertrauten Raum. Ein Zeitzeuge kommt bei mir zu Besuch. Und das Setting dafür bestimme ich selbst.

4. Die App ist vor allem als Ergänzung für den Schulunterricht gedacht. Gab es schon erste Reaktionen von Schülern?

Wir haben die App konkret mit Schülern in einem Forschungsinstitut getestet. Die Testpersonen waren zwischen 14-18 Jahre alt. Bei dem Testlauf ging es um "Usability", also wie bespielweise die Bedienbarkeit ist, aber vor allem auch um die Frage: Was bringt die App euch?

Das Ergebnis war überwältigend. Die Schülerinnen und Schüler hatten keine Erwartungen und waren überrascht. Vor allem waren sie aber berührt. Für uns war es das schönste Feedback, dass die Geschichten der Zeitzeuginnen ein Anlass gegeben haben, zu diskutieren. Denn genau das soll es geben: Mehr Austausch und Diskussion zwischen den Schülerinnen und Schülern.

5. Gibt es neben der App weitere Pläne für feste Partnerschaften mit Schulen?

Wir sind auf der Bildungsmesse "didacta", um die App gezielt zu bewerben. Wir werden Schulen besuchen, sind mit dem Schulministerium im Gespräch.

Zu der App gibt es ein umfangreiches Unterrichtsmaterial. Dabei hat uns "Planet Schule" sehr unterstützt. Unser Ziel ist, dass das ganze Paket an möglichst vielen Schulen zum Einsatz kommt.

6. Nach welchen Kriterien haben Sie die Zeitzeugen ausgesucht?

Drei Dokumentarfilmer haben zusammen mit Producern aus dem Ausland recherchiert. Es war relativ schnell klar, dass wir nicht nur von hier aus Deutschland erzählen wollen. Aber man muss eben auch erstmal geeignete Zeitzeugen suchen und finden. Viele sind inzwischen sehr alt, viele sind nicht mehr mobil genug, um sie in unser Studio zu setzen.

Besonders interessant fand ich, dass es am Ende drei Frauen geworden sind. Das war nicht geplant. Wir haben auch Interviews mit Männern geführt. Aber die Frauen konnten besser erzählen. Sie erinnerten sich an mehr Details, was für die App ganz wichtig war. Bei den Frauen bekamen die Sachen einen Geruch. Natürlich tragen es die Männer genauso in sich, sie konnten es nur nicht so nach außen tragen.

7. Klingt nach einem hohen logistischen Aufwand. Was war die größere Herausforderung während der Produktion?

Die technischen Herausforderungen waren riesig - vor allem, etwas zu entwickeln, das es noch gar nicht gab. Weltweit nicht. Das hatte ich noch nie. Bis jetzt hatte man immer andere Beispiele, konnte sich an anderen orientieren. Diesmal haben wir völlig ins Offene gearbeitet. Das war ein sehr spannender und beglückender Prozess, aber auch sehr kompliziert. Man muss bedenken: Während wir gearbeitet haben, hat sich die Technik weiterentwickelt. Vor zwei Jahren, als wir begonnen haben, gab es eine erste Beta-Version der AR-Technik. Technik und App haben sich quasi parallel entwickelt. Die App ist technisch hochkomplex, ihre Inhalte hochsensibel.

8. Wie geht man vor, wenn man völliges Neuland betritt?

Am allerwichtigsten für das Projekt war, eine gemeinsame Sprache zu entwickeln. Wir sind ein großes Team aus unterschiedlichsten Menschen mit unterschiedlichsten Disziplinen, Arbeitsbereichen, Denkweisen. Programmierer, Dokumentarfilmer, Journalisten - wir mussten ein gemeinsames Bild malen - das war unsere Kernherausforderung.

Am Ende hat es geklappt: Dokumentarfilmer haben den Codes eine Seele gegeben, finde ich. Und darüber sind wir extrem glücklich.

9. Was war der bewegendste Moment während der Entstehung der App?

Als Anne Priller-Rauschenberg, eine unserer drei Zeitzeuginnen, die App selber das erste Mal ausprobieren konnte, sich selber, aber auch die anderen Zeitzeuginnen sehen konnte. Nach der Geschichte von Vera aus London sagte sie: "Ja, das ist genau wie bei mir, das ist alles genau wie bei mir". Das war sehr beeindruckend für das ganze Team.

Die Fragen stellte Luisa Thomé.


Was? Wer? Wie? - Facts zur App

Worum geht es bei der App? Wer kann sie nutzen? Und was ist überhaupt Augmented Reality? Hier finden Sie wichtige Fakten im Überblick:


Worum geht es bei der App "WDR AR 1933-1945"?

Wie haben Kinder und Jugendliche das "Dritte Reich" von 1933 bis 1945 erlebt? Die letzten Zeitzeug*innen des Nationalsozialismus sind inzwischen über 80 Jahre alt. Die neue WDR-App funktioniert mit der neuartigen Technik Augmented Reality (AR). Auf diese Weise können sich Jugendliche einige der Zeitzeugen ins Wohnzimmer oder in den Klassenraum holen. Wie Hologramme erzählen sie von ihren Erinnerungen und Erfahrungen.


Die Geschichten

Die App erzählt drei Geschichten von Frauen, die den Zweiten Weltkrieg als Kinder erlebt haben. Anne ist zehn Jahre, als die ersten Bomben auf Köln fallen. Vera ist acht, als ihre Kindheit mit der Luftschlacht um England endet. Emma ist zehn, als die deutsche Blockade von Leningrad beginnt. Mittels AR werden die Geschichten direkt und unvermittelt erzählt, fast so, als würde die eigene Großmutter von ihren Erfahrungen und Erlebnissen aus dem Krieg berichten.


Mittendrin mit Augmented Reality

Augmented Reality, abgekürzt AR, heißt übersetzt "erweiterte Realität" und ist eine neuartige Technik. Mit ihr können virtuelle Bilder, Hologramme oder Zusatzinformationen in reale Räume eingebaut werden. Es entsteht eine Mischung aus realer Welt und virtuellen Elementen. So werden die Geschichten greifbarer, die Betrachter können sich eher in die Gefühlwelt der Protagonisten hineinversetzen.


Die App als Bestandteil des Geschichtsunterrichts

Die App kann Lehrern dabei helfen, den Geschichtsunterricht weniger theoretisch und dafür realistischer und greifbarer zu gestalten. Unter folgendem Link können Lehrkräfte ergänzendes Lehrmaterial herunterladen: planet-schule.de

Bei Bedarf kommt ein WDR-Team zur Schule und stellt das Projekt persönlich vor.


Download der App

Die App "WDR AR 1933-1945" kann kostenlos im App-Store geladen werden. Für die gesamte App benötigt der Nutzer etwa 1 GB freien Speicherplatz. Die App kann auf das Handy oder Tablet geladen werden. Jede Geschichte kann einzeln geladen und bei Bedarf auch wieder entfernt werden, um Speicherplatz zu sparen. Für Android wird die App Mitte März verfügbar sein.


Nutzung der App

Nutzer zielen mit der Kamera des Smartphones in einem Abstand von zwei Metern auf eine freie Fläche des Bodens. Der Fußboden soll möglichst ein Muster oder eine Maserung haben. Es erscheint ein weißer Kreis, mit dem das Hologramm platziert werden kann. Dadurch hat der Nutzer den Eindruck, die Erzählerin sitze wirklich im selben Raum auf ihrem Sessel und berichte vom Krieg.


Wie es weitergeht

Das nächste Projekt nach den Kriegskindern wird eine Augmented Reality-Anwendung zu "Anne Frank" sein. Veröffentlicht wird es voraussichtlich Mitte 2019. Im Anschluss soll ein Projekt über junge "Soldaten" folgen.

Weitere Informationen zur App unter 1933-1945AR.wdr.de
https://www1.wdr.de/fernsehen/unterwegs-im-westen/ar-app/index.html

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Quelle:
Presseinformation vom 18. Februar 2019
Herausgeber:
Westdeutscher Rundfunk Köln (Anstalt des öffentlichen Rechts)
Appellhofplatz 1, 50667 Köln
Postanschrift: 50600 Köln
Pressestelle - Telefon: 0221/220-7100
E-Mail: wdrpressedesk@wdr.de
Internet: www.wdr.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Februar 2019

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