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ALTERNATIVMEDIZIN/215: Forschung - Ayurveda ... Wissenschaft statt Therme (PR&D)


PR&D - Public Relations für Forschung & Bildung - Montag, 30. Mai 2011

Ayurveda "fernöstlich" des Wellness-Booms


Erstmals wird eine grundlegende Abhandlung des Ayurveda - der wichtigsten und ältesten medizinischen Tradition Indiens - in Teilen anhand von Manuskripten textlich analysiert und historisch ergründet. So wird im Rahmen eines Projekts des Wissenschaftsfonds FWF zur Rekonstruktion einer authentischeren Form dieser Abhandlung und ihres Inhalts beigetragen. Sogar Methoden aus der Evolutionsbiologie kommen dabei zum Einsatz, um die Varianten des in Sanskrit verfassten Textes auf ihre Ursprünglichkeit hin zu analysieren. Mit solchen innovativen Ansätzen trägt das Projekt dazu bei, den Status Wiens als führendes Zentrum für kritische Ausgaben und Übersetzungen altindischer Werke weiter zu stärken.

Traditionell werden einige der wichtigsten und ältesten Zeugnisse des Ayurveda zwischen zwei Holzdeckeln gestapelt und in Tücher eingeschlagen aufbewahrt. - © Karin Preisendanz

Traditionell werden einige der wichtigsten und ältesten Zeugnisse des Ayurveda zwischen zwei Holzdeckeln gestapelt und in Tücher eingeschlagen aufbewahrt. Regale mit Manuskriptbündeln, Howrah Sanskrit Samaj, Howrah, Westbengalen.
© Karin Preisendanz

Gesundheit zu erhalten sowie Krankheiten zu heilen und dadurch den Sinn unseres Lebens zu erfüllen - dies sind Ziele, die heute Wellness-Tempel füllen, aber bereits eine jahrtausendelange Tradition haben. Bereits die über 2000 Jahre alte indische Heilkunst Ayurveda eiferte diesen Zielen nach. Aufgrund der unveränderten Bedeutung dieser Wünsche entwickelte sich der Ayurveda im Laufe seiner Geschichte immer weiter; die alten Grundlagenwerke wurden dabei nicht nur immer wieder abgeschrieben, sondern auch umgeschrieben und ergänzt. Gewollt und ungewollt wurden im Zuge dieser Überlieferung ursprüngliche Aussagen verändert. Jetzt wird in einem Projekt des Wissenschaftsfonds FWF die Rekonstruktion des möglichst ursprünglichen Wortlauts von Textpassagen eines ausgewählten Werkes des Ayurveda in Angriff genommen.

EIN BUCH MIT VIELEN SIEGELN

Die Wahl fiel dabei auf die sogenannte Carakasamhita: Diese Schrift ist eines der wichtigsten und ältesten Zeugnisse des Ayurveda. Sie ist in acht Bücher gegliedert, welche unterschiedliche Bereiche und Themen der Medizin behandeln. Die Komplexität und der Umfang des Werkes verlangen eine schrittweise Analyse der einzelnen Teile: Ein Wiener ForscherInnen-Team widmet sich daher einzelnen Kapiteln des dritten Buches der Carakasamhita, des Vimanasthana, und des vierten Buches - des Sarirasthana. Die Projektleiterin Prof. Karin Preisendanz, Vorständin des Instituts für Südasien-, Tibet- und Buddhismuskunde an der Universität Wien, erklärt die Bedeutung der untersuchten Kapitel folgendermaßen: "Gerade diese Abschnitte behandeln grundlegende Themen für das ayurvedische Denken. Wissen über die menschliche Anatomie, Embryologie, Pathologie und den natürlichen gesunden Zustand des Menschen wurde ebenso darin aufgezeichnet wie Gedanken über und Wege zur Realisierung der vollen Lebensspanne."

Nach anfänglicher mündlicher Überlieferung wurde der Text der Carakasamhita in seiner fast 2000-jährigen Geschichte immer wieder abgeschrieben. Dabei kam es aber unvermeidlich zu Veränderungen des Wortlauts, sodass es heute eine Fülle an divergierenden Manuskripten gibt. Welche Teile dieser "Textmutationen" die ursprünglichen Gedanken am genauesten wiedergeben, ist bis dato unbekannt. Genau dies wird nun von Prof. Preisendanz und ihrem Team analysiert. Die ForscherInnen bedienen sich dazu unter anderem einer Methode, die im Bereich der Textanalyse durchaus innovativ ist - nämlich aus der Evolutionsbiologie: Dort wird die Entwicklung verschiedener Arten aus einem gemeinsamen Ursprung mittels sogenannter Kladogramme analysiert. Vereinfacht gesagt sind dies Stammbäume mit jeweils nur zwei Verzweigungen pro Ast. Diese erlauben es, verschiedene Lebewesen aufgrund eines Vergleiches von Merkmalen auf einen gemeinsamen Ursprung zurückzuführen.

TEXTEVOLUTION

Diese Methode wurde nun für die Erforschung der Carakasamhita adaptiert. So helfen die Analysen mittels Computerprogrammen dabei, festzustellen, was die gemeinsame Quelle der verschiedenen Textversionen war. Auf Basis dieser Analyse und des Einsatzes textkritischer Methoden kann dann das Projektziel verwirklicht werden: die Rekonstruktion einer ursprünglicheren Version der Carakasamhita. Doch für Prof. Preisendanz ist es auch wichtig, diese "Ur-Version" oder "kritische Ausgabe" in einem weiteren Schritt mit Detailinformationen zu versehen: Vor allem sollen Einblicke in die eingesetzten Analysemethoden und die Überlieferungsgeschichte des Werkes gegeben werden. Auf der Grundlage der "kritischen Ausgabe" können dann inhaltliche Untersuchungen zur Geschichte der Medizin, Philosophie, Religion und Kultur Indiens im Spiegel der Carakasamhita durchgeführt und in wissenschaftlichen Beiträgen präsentiert werden.

Das Projekt steht in einer über 100-jährigen Tradition der philologisch-historischen Südasien-Forschung in Wien. Im Rahmen von drei von Prof. Preisendanz geleiteten Vorgängerprojekten, die ebenfalls vom FWF finanziert wurden, konnten seit 2001 neue Ressourcen wie das weltweit größte digitale Archiv medizinischer handschriftlicher Sanskritwerke erstellt werden, auf welches das aktuelle Projekt aufbauen kann und das weiter ergänzt wird. Weltweit gilt Wien auch daher weiterhin als führendes Zentrum für die Erstellung kritischer Ausgaben und Übersetzungen von altindischen Sanskrit-Werken. Eine Position, die mit der Unterstützung des FWF erarbeitet wurde und gehalten werden soll.



Wissenschaftlicher Kontakt:
Prof. Dr. Karin C. Preisendanz
Universität Wien
Institut für Südasien-, Tibet- und Buddhismuskunde
Spitalgasse 2, Hof 2.1
1090 Wien
E karin.preisendanz@univie.ac.at

Der Wissenschaftsfonds FWF:
Mag. Stefan Bernhardt
Haus der Forschung
Sensengasse 1
1090 Wien
E stefan.bernhardt@fwf.ac.at
W http://www.fwf.ac.at


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Quelle:
Pressemitteilung vom 30. Mai 2011
PR&D - Public Relations für Forschung & Bildung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Mai 2011