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NOTFALL/354: Serratia-Infektion auf der Frühgeborenenstation im WKK Heide - Ernstfall für die Krisenmanager (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 3/2020

Serratia marcescens
Ernstfall für die Heider Krisenmanager

von Dirk Schnack


Die ganze Welt redete vom Coronavirus, als im Westküstenklinikum Heide Hinweise auf eine Serratia-Infektion mit Todesfolge ein Krisenmanagement auslösten. Der Vorfall zeigt, wie Krankenhäuser in Schleswig-Holstein auf solche Krisen vorbereitet sind und mit ihnen umgehen.


Der 28. Januar hat den Alltag für viele Menschen im Heider Westküstenklinikum für mehrere Wochen komplett verändert. An diesem Tag kam der erste Hinweis, dass bei mehreren Kindern auf der Frühgeborenenstation Bakterien aus der Gattung Serratia nachgewiesen worden seien. Die Eltern eines schwer geschädigt zur Welt gekommenen Frühgeborenen befanden sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Trauer, ihr Kind war kurz zuvor auf der Kinderintensivstation des WKK gestorben. Die später bestätigte Vermutung lag nahe, dass dieses Kind nicht nur kolonisiert, sondern infiziert worden war.

Die folgenden Wochen sind von Unsicherheit, Belastung, Betroffenheit und Trauer gekennzeichnet. Aber auch von einer hohen Bereitschaft zu helfen, die Krise zu meistern und die Kinder zu schützen. Das WKK im Krisenmodus und auf dem Weg zurück in die Normalität.

"Es war sehr emotional, jeder war betroffen, viele haben geweint." Der Zeitpunkt, als das WKK die eigenen Mitarbeiter über den Serratia-Nachweis bei mehreren Kindern der Frühgeborenenstation informierte, ist Dr. Christiane Sause nachhaltig in Erinnerung geblieben. Die WKK-Abteilungsleiterin für Krankenhaushygiene, Antibiotic Stewardship und klinische Infektiologie spürte an diesem Tag immer wieder die Sorge ihrer Kollegen: "Haben wir einen Fehler gemacht? Haben wir eine Mitschuld?" Eine normale Reaktion der Mitarbeiter. Die eigene Betroffenheit darf jedoch nicht dazu führen, dass kopflos agiert wird. Das WKK befindet sich zu diesem Zeitpunkt bereits mitten in den professionellen Abläufen, die für solche Krisen sinnvoll sind. Die Information der Mitarbeiter war ein zentraler Punkt in diesem frühen Stadium des Krisenmanagements und war aus Sicht Sauses einer der Schlüssel für die Bewältigung der Krise.

Für Sause fing die Krise mit den ersten Hinweisen des verantwortlichen Arztes und Leiters der Neonatologie an, der Sause unverzüglich informiert hatte. Damit begann ihr klarzuwerden, dass tatsächlich ein Ausbruchsgeschehen vorlag. "Wichtig ist dann, dass man schnell und transparent handelt und der Schutz der Patienten an erster Stelle steht", so Sause anschließend. Folgende Schritte wurden dann zum Teil parallel im WKK eingeleitet:

• Die Klinik richtet eine Task Force ein. Neben Sause und dem ärztlichen und pflegerischen Dienst der Station gehören der Ärztliche Direktor, der Medizinische Geschäftsführer, der Pressesprecher und der technische Leiter des WKK sowie ein Vertreter des Gesundheitsamtes diesem Team an.

• Die Frühgeborenenstation wird für Neuaufnahmen geschlossen. Die Perinatalzentren der Kliniken in Itzehoe und Rendsburg werden informiert, damit sie sich auf Aufnahmen aus Dithmarschen einstellen können. Der Betrieb im Kreißsaal und auf der Entbindungsstation und die Intensivbehandlung größerer Kinder sind nicht eingeschränkt.

• Sämtliche Kinder, bei denen eine Kolonisation festgestellt wurde, werden isoliert. Dies betrifft insgesamt sieben Kinder. Für die drei Frühgeborenen, bei denen keine Besiedelung nachgewiesen wurde, wird eine Umkehrisolation eingerichtet. In den folgenden Tagen können mehrere Kinder entlassen werden.

• Die Familien der betroffenen Kinder werden von den Ärzten und Pflegekräften auf der Station informiert. Die Gespräche werden vom Stationspersonal übernommen, weil sie die vertrauten Ansprechpartner für die Eltern sind und zwischen ihnen ohnehin schon eine Verbindung besteht. Die Eltern bekommen die Gründe für die Isolierung und den Unterschied zwischen Kolonisation und Infektion erläutert und können in den Gesprächen überzeugt werden, dass derzeit keine Gefahr für ihre Kinder besteht.

• Staatsanwaltschaft, Landesgesundheitsministerium und Kreis werden einbezogen, auch auf Ebene der Pressesprecher. Dies ist nach Erfahrungen von WKK-Pressesprecher Sebastian Kimstädt wichtig, weil Medien Rückfragen an diese Adressaten stellen könnten. Auch zuweisende Kinderärzte und Gynäkologen sowie Hebammen werden über die Situation informiert.

• Die gesamte Belegschaft an beiden Standorten in Heide und Brunsbüttel wird mit Rundmails noch vor der Öffentlichkeit informiert. Durch die transparente Information aus erster Hand wird Verständnis für die Priorisierung des Einsatzes von Ressourcen geweckt. Außerdem wird Vertrauen geschaffen und Bereitschaft, an der Überwindung der Krise mitzuarbeiten.

• Am 31. Januar informiert das WKK die Öffentlichkeit und lädt zu einer Pressekonferenz ein. Neben Pressesprecher Kimstädt und Sause sind der Chefarzt der Kinderklinik, Dr. Thorsten Wygold, der medizinische Geschäftsführer Dr. Martin Blümke und der Leiter des Kreisgesundheitsamtes Klaus-Peter Thiessen dabei. Die Lage, die eingeleiteten Maßnahmen und die noch folgenden Schritte werden erläutert. Wygold macht dabei deutlich, dass man zu diesem Zeitpunkt davon ausgehen muss, dass die Serratia-Infektion bei dem verstorbenen Kind möglicherweise mit ursächlich für den Tod des Kindes war.

• Das WKK verbreitet die gesicherten Informationen über soziale Medien und verfolgt, wie die Nachricht dort aufgenommen wird. Vereinzelt unsachliche Kommentare stuft die Pressestelle als "normales Maß" ein. Ein Eingreifen wird jedoch erforderlich, als über eine Untergruppe auf Facebook die Familie des verstorbenen Kindes vermehrt adressiert wird, auch mit falschen und unsachlichen Informationen. WKK-Geschäftsführer Blümke bittet über die Facebook-Seite der Klinik, die Familie in Ruhe trauern zu lassen. Der Aufruf zeigt Wirkung. "Ab diesem Zeitpunkt war weitgehend Ruhe", berichtet Kimstädt.

• Das Thema sorgt in der Öffentlichkeit für breite Resonanz. Die Zugriffszahl auf die WKK-Facebook-Seite verfünffacht sich. Das WKK informiert die Presse über Updates in Form von Pressemitteilungen und mit Antworten auf häufig gestellte Fragen auf der WKK-Website.

• Sause zieht externen Sachverstand hinzu. Der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene, Prof. Martin Exner aus Bonn, wird als Berater engagiert.

• Die Pressestelle informiert in mehreren Updates über Veränderungen der Lage. Wichtig in dieser Phase: Die Information, dass es allen isolierten und besiedelten Kindern gut geht und keines von ihnen Anzeichen einer Infektion aufweist.

• Die Ursachenermittlung läuft. Mehrere hundert Proben werden entnommen. Unter anderem werden Geräte, Oberflächen, Pflegemittelspender, Flüssigkeiten und Nahrungsmittel untersucht.

• Das WKK führt den Leitlinien entsprechend eine zweimalige Schlussdesinfektion der Räume durch. Zusätzlich werden die Räume mit Wasserstoffperoxid, einer flüssigen Verbindung aus Wasserstoff und Sauerstoff, über einen Aerosolerzeuger vernebelt. Damit werden auch Fugen und kleine Risse desinfiziert.

• Die Untersuchung der Proben deutet auf eine Keimquelle im Syphon eines Waschbeckens im Stationsbadezimmer. Das Nationale Referenzzentrum für Darmbakterien in Bochum untersucht, ob es sich um denselben Serratia-Stamm handelt, der bei den Kindern nachgewiesen wurde.

• Die Frühgeborenenstation soll ab März geteilt werden: Eine
Hälfte für die noch isolierten Kinder, die andere wird für
Neuaufnahmen frei.

Alle weiteren Schritte erfolgten nach Redaktionsschluss. Nachfragen in anderen Krankenhäusern zeigen, wie ernst die Kliniken in Schleswig-Holstein die Hygiene und mögliche Krisen nehmen. Dr. Carsten Michael Staehly, Ärztlicher Leiter Infektionsprävention und Krankenhaushygiene an der Diako in Flensburg, stellte klar, dass unter den Frühgeborenen in Level 1-Perinatalzentren eine Besiedelung mit Darm- und Umweltbakterien wie Serratien nicht ungewöhnlich ist. "Nur in sehr seltenen Fällen resultiert aus einer solchen Besiedelung eine Infektion", so Staehly. Bei Auftreten verfügen Neugeborenen-Intensivstationen wie die in der Diako über die personelle und apparative Ausstattung, Infektionen konsequent und kompetent zu behandeln. Wie aber lässt sich vorbeugen?

"Das Auftreten von Mikroorganismen zu verhindern, ist aus krankenhaushygienischer Sicht kein rationaler Ansatz", steht für ihn fest, denn: "Menschliches Leben wäre ohne Mikroorganismen nicht möglich." Hygienemaßnahmen hätten deshalb stets das Ziel, Infektionen zu vermeiden, durch Sterilität in einigen Bereichen und durch Desinfektion in allen patientenversorgenden Bereichen. Faustregel: "Je höher das Risiko für Patienten und Personal, desto umfangreicher ist die zu treffende Vorsorge."

Daneben gilt es, die Übertragung von Mikroorganismen zu vermeiden. Staehly verweist in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung der Händehygiene. Die Diako ist nach eigenen Angaben als einziges Haus im Land mit dem Abzeichen "Gold" der Aktion "Saubere Hände" zertifiziert.

Auch andere Häuser in Schleswig-Holstein versichern, nach modernen Regeln der Krankenhaushygiene zu arbeiten, regelmäßige Screenings vorzunehmen, sichtbare und ansprechbare Hygiene-Teams vorzuhalten und für den Fall eines Ausbruchs etwa mit Alarmplänen vorbereitet zu sein.

Das Klinikum Itzehoe ist überzeugt, dass die dort ergriffenen Maßnahmen wie zum Beispiel verpflichtende regelmäßige Hygieneschulungen für alle Mitarbeiter wirken. "Wir haben über die Jahre einen deutlichen Rückgang von im Haus erworbenen MRSA-Keimen zu verzeichnen", teilte das Klinikum auf Nachfrage mit. Wie Heide ist auch Itzehoe für solche Fälle vernetzt. Insbesondere mit dem Gesundheitsamt und der Hygieneabteilung des UKSH, aber auch mit den anderen Krankenhäusern des 6 K-Verbundes steht man für solche Fälle in Kontakt.

Das Helios Klinikum Schleswig nimmt u. a. regelmäßig an den regionalen MRE-Netzwerkertreffen teil. Außerdem ist das Hygienemanagement der Kliniken der Helios-Gruppe einheitlich organisiert. So besteht jederzeit die Möglichkeit, über die Zentral- oder Regionalebene Unterstützung zu erhalten. Ähnliches teilen die Sana-Kliniken in Lübeck und die Regio Kliniken Pinneberg und Elmshorn mit. Bei Sana wird Hygiene über einen eigenen Zentralbereich in der Konzernzentrale gesteuert, der einheitliche Verfahrensweisen und Standards vergibt, die von den Hygienefachkräften vor Ort überwacht werden.

Die Hygienekommission im Städtischen Krankenhaus Kiel (SKK) hatte einen Ausbruch in der Bremer Neonatologie im Jahr 2012 zum Anlass genommen, einen Hygieneplan zu erstellen, der später mit annähernd gleichen Standards von der KRINKO empfohlen wurde. Um einen Ausbruch zu verhindern, war das SKK im Jahr 2015 auch schon außerhalb der Klinik aktiv geworden. Damals hatten Hebammen bei schwangeren Flüchtlingen im Auffanglager ein Screening vorgenommen, um den MRE-Status vor einer möglichen Aufnahme zu kennen.

Zurück nach Heide: Für eine endgültige Bilanz war es im Februar noch zu früh. Es bestand aber die berechtigte Hoffnung, im März wieder in den Normalbetrieb zurückkehren zu können und alle isolierten Kinder zunächst auf die normale Station und später gesund nach Hause entlassen zu können.

Was hat die Heider Task Force aus den jüngsten Erfahrungen gelernt? Sause: "Das Krisenmanagement funktioniert und zeigt, dass unsere Mitarbeiter bereit sind, in solchen Ausnahmefällen deutlich über das ohnehin hohe Engagement noch hinauszugehen und alles dafür zu tun, dass die Patienten geschützt sind."

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NEUE INFEKTIONSSTATION IN ITZEHOE

Das Klinikum Itzehoe startet in diesen Tagen mit dem Neubau seiner Infektionsstation, die andere Kliniken in Schleswig-Holstein im Bedarfsfall entlasten soll. Der Neubau kostet 16,5 Millionen Euro, von denen das Land wegen des Modellcharakters 15 Millionen Euro übernimmt.

Im Epidemiefall können die Ressourcen der neuen Infektionsstation überregional zur Verfügung gestellt werden. Ziel ist, dass alle Patienten mit besonderem Infektionspotenzial in der Station mit 44 Betten untergebracht werden. Auch ein geschlossener Stationsbereich mit vier Behandlungszimmern für die Absonderung bestimmter Tuberkulosepatienten ist eingeplant. Damit will sich Schleswig-Holstein unabhängig von den bislang für solche Fälle zur Verfügung stehenden Unterbringungsmöglichkeiten der Klinik Parsberg in Bayern machen.

Standort der neuen Station ist die derzeit provisorische Infektionsstation in Containerbauweise im rückwärtigen Bereich des Haupthauses. Die neue Station soll abgeriegelt werden können. Vorgesehen sind Schleusen für Personal und Material sowie eine eigene Zufahrt für Rettungswagen. Mit der Fertigstellung rechnet das Landesgesundheitsministerium Ende 2021. (DI)
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Serratia

Was sind Serratien? Diese und weitere Fragen beantwortet das WKK in FAQ's. Serratia gehören zur Familie der Darmbakterien. Sie kommen in der Darmflora von Menschen und Tieren vor. Bei etwa 20 Prozent der Menschen gehört der Keim zum natürlichen Mikrobiom. Serratien finden sich zudem in der Umwelt - beispielsweise im Boden, im Wasser oder in Nahrungsmitteln. Es handelt sich um einen so genannten ubiquitären Keim. Die Bakterien sind in der Regel harmlos und für gesunde Menschen ungefährlich. Bei abwehrgeschwächten Menschen können Serratien Wundinfektionen, Harnwegs- oder Atemwegsinfekte oder Sepsis auslösen.


Ungeklärt

sind u. a. noch folgende Fragen:

• Wie kamen die Serratien in den Abfluss? Möglich ist, dass sich diese schon im Syphon befunden haben. Möglich ist aber auch, dass diese nachträglich etwa durch das Ausgießen von Waschlösungen eingetragen wurden.

• Wie haben sich die Serratien auf die Kinder übertragen? Diese Frage ist nicht zu beantworten, weil man nicht abschließend sagen kann, ob die Serratien schon vor der Besiedelung der Kinder im Syphon waren oder erst im Nachhinein eingetragen wurden.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Dr. Christiane Sause leitet die Abteilung Krankenhaushygiene, Antibiotic Stewardship, klinische Infektiologie am Westküstenklinikum (WKK) Heide. Sie gehört zu einer mehrköpfigen Task Force, die unverzüglich nach den Hinweisen über eine Infektion mit Serratia im WKK gebildet wurde.

- Pressesprecher Sebastian Kimstädt sorgte für eine regelmäßige Information der Medien und erreichte damit, dass die Öffentlichkeit von Beginn an transparent einbezogen wurde.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 3/2020 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2020/202003/h20034a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
73. Jahrgang, März 2020, Seite 6 - 8
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-272, -273, -274,
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. April 2020

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