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ORTHOPÄDIE/399: Sturz über die Teppichkante - Immer mehr Kliniken bieten zertifizierte Hilfe nach Oberschenkelhalsbruch (idw)


Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e. V. - 25.09.2019

Sturz über die Teppichkante: Immer mehr Kliniken bieten zertifizierte Hilfe nach Oberschenkelhalsbruch


Senioren verletzen sich schnell im Alltag: Schon ein Sturz aus Standhöhe kann zu einem Oberschenkelhalsbruch führen. Neben dem Sturz ist die Ursache für den Knochenbruch Osteoporose - der im Alter auftretende Verlust an Knochenmasse und die damit verbundene Bruchanfälligkeit. Kommt es zu einer Verletzung, können sich ältere Patienten in einer Klinik mit dem Qualitätssiegel AltersTraumaZentrum DGU® behandeln lassen: Im Oktober wird die 100. Einrichtung zertifiziert.

In den nächsten Jahren sollen noch bis zu 100 Kliniken dazukommen. Darauf machen die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) und die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) anlässlich des Internationalen Tags der älteren Generation am 1. Oktober 2019 aufmerksam. Eine Übersichtskarte mit den zertifizierten Zentren steht zur Einsicht unter
www.alterstraumazentrum-dgu.de zur Verfügung.

Die Zahl dieser Einrichtungen ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen: "Das Thema ist für uns relevant, da aufgrund des demografischen Wandels die Zahl älterer Patienten wächst. Durch die Zusammenarbeit von Orthopäden und Unfallchirurgen mit Altersmedizinern (Geriatern) und anderen Fachdisziplinen in den Alterstraumazentren gelingt es uns, die Sterblichkeit nach einem Oberschenkelhalsbruch zu senken und bei vielen Senioren die Fortsetzung ihres selbstständigen Lebens zu ermöglichen", sagt Prof. Dr. Paul A. Grützner, Präsident von DGU und DGOU.

Das typische Unfallgeschehen ist wie folgt: Ein älterer Mensch bewegt sich wie gewohnt in seiner Wohnung, in der zahlreiche Stolperfallen lauern. Das können Treppenstufen sein, ein glatter Fußboden, eine rutschige Badewanne oder eine Teppichkante. Obwohl dabei die Sturzhöhe bei einem Fall nicht hoch ist, brechen sich alte Leute aufgrund der Osteoporose schnell einen massiven Knochen, wie zum Beispiel den Oberschenkel. Die Hüftfraktur ist die am häufigsten im Krankenhaus behandelte Fraktur - das Durchschnittsalter dieser Patienten liegt bei über 82 Jahren (1). "Die Sterblichkeit nach diesem Knochenbruch ist erheblich, viele Patienten verlieren ihre Selbstständigkeit und müssen in eine Pflegeeinrichtung einziehen", sagt Professor Dr. Ulrich Liener, Leiter der DGU-Sektion Alterstraumatologie.

Um dieser medizinischen, sozialen und ökonomischen Herausforderung zu begegnen und die Versorgung zu verbessern, haben die DGU und die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG) das Weißbuch Alterstraumatologie verfasst. Es beinhaltet die nationalen Behandlungsempfehlungen für Verletzungen bei betagten Patienten und führt die wichtigsten Schritte einer guten Versorgung von älteren Patienten mit Knochenbrüchen auf. Kern der Behandlungsempfehlungen ist die Zusammenarbeit von Unfallchirurgen und Altersmedizinern und Pflegekräften in einem multiprofessionellen Team mit Physiotherapeuten, Logopäden, Psychologen und Sozialdienst. Durch diese berufsgruppenübergreifende Zusammenarbeit lässt sich laut einem aktuellen Studienergebnis die Sterblichkeit älterer Patienten nach einem Oberschenkelhalsbruch um mehr als 20 Prozent senken.

Die betagten Patienten benötigen nach einem Sturz nicht nur eine fachgerechte unfallchirurgische Behandlung, sondern auch ihre besondere körperliche Situation muss mitgedacht werden. "Häufig leiden viele ältere Menschen mit Hüftfrakturen unter Begleiterkrankungen wie Herz- und Niereninsuffizienz und sind gebrechlich. Sie nehmen viele verschiedene Medikamente, die aufeinander abgestimmt werden müssen. Diese komplexe Gesamtsituation erfordert eine besondere Herangehensweise bei Narkose, OP-Techniken, Mobilisation und Rehabilitation, um Komplikationen wie z. B. ein Delir zu vermeiden. Oberstes Ziel ist immer die Reintegration in das alte soziale Umfeld", sagt Liener. Die Zusammenarbeit verschiedener Berufsgruppen sieht Liener als "Blaupause", wie im Gesundheitswesen zukünftig gearbeitet werden muss, um den Herausforderungen gerecht zu werden.

Immer mehr Kliniken folgen den Weißbuch-Empfehlungen und lassen sich zum AltersTraumaZentrum DGU® zertifizieren.

In den zertifizierten Kliniken werden unter anderem folgende Anforderungen erfüllt:

  • Versorgung des Knochenbruchs innerhalb von 24 Stunden
  • Behandlung durch ein multiprofessionelles Team
  • Behandlung nach genau festgelegten Therapiestandards
  • Behandlung der Begleiterkrankungen
  • Anwendung einer spezifischen, auf das Alter der Patienten angepassten Schmerztherapie
  • Anwendung spezieller, schonender OP-Techniken, die eine unmittelbare Vollbelastung nach der Operation erlauben
  • Durchführung einer frühzeitigen Mobilisation, um einem weiteren
  • Abbau des Allgemeinzustandes der Patienten entgegen zu wirken
  • Durchführung einer intensiven Rehabilitation unmittelbar nach der Operation


Hintergrund:
Jeder Dritte über 65 Jahre stürzt mindestens einmal pro Jahr, bei den über 80-Jährigen sogar fast jeder Zweite (2). Laut Robert Koch-Institut passieren mehr als die Hälfte der Sturzunfälle bei Personen ab 60 Jahre zu Hause oder in der unmittelbaren Umgebung, zum Beispiel im Garten oder in der Garage. In Deutschland werden derzeit mehr als 400.000 alterstraumatologische Frakturen pro Jahr stationär behandelt (1). Die 30-Tage-Sterblichkeit nach einem Oberschenkelhalsbruch liegt in Deutschland bei 10 Prozent (3). Weitere 10 bis 20 Prozent verlieren ihre Selbstständigkeit und müssen im Folgejahr in eine Pflegeeinrichtung einziehen (4,5). Mit höherem Alter steigt dieses Risiko deutlich und ist mit dem Risiko nach Schlaganfall vergleichbar. Nur 40 bis 60 Prozent der Patienten erreichen nach einer hüftgelenksnahen Oberschenkelfraktur ihr vorheriges Ausgangsniveau (3).

Referenzen:

1) Ulrich Christoph Liener, Clemens Becker, Kilian Rapp: Weißbuch Alterstraumatologie, 1. Auflage 2018

2) Fall incidence in Germany: results of two population-based studies, and comparison of retrospective and prospective falls data collection methods, Kilian Rapp et al.
bmcgeriatr.biomedcentral.com/articles/10.1186/1471-2318-14-105

3) Müller-Mai CM, Schulze Raestrup US, Kostuj T, Dahlhoff G, Günster C, Smektala R. Einjahresverläufe nach proximalen Femurfrakturen: Poststationäre Analyse von Letalität und Pflegestufen durch Kassendaten. Unfallchirurg. 2015 Sep;118(9):780-94.

4) Dyer SM, Crotty M, Fairhall N, Magaziner J, Beaupre LA, Cameron ID, Sherrington C; Fragility Fracture Network (FFN) Rehabilitation Research Special Interest Group. A critical review of the long-term disability outcomes following hip fracture. BMC Geriatr. 2016 Sep 2;16:158.

5) Rapp K, Rothenbacher D, Magaziner J, Becker C, Benzinger P, König HH, Jaensch A, Büchele G. Risk of Nursing Home Admission After Femoral Fracture Compared With Stroke, Myocardial Infarction, and Pneumonia. J Am Med Dir Assoc. 2015 Aug 1;16(8):715.e7-715.e12.


Weitere Informationen:
www.dgu-online.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution1739

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e. V. - 25.09.2019
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. September 2019

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