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UMWELT/250: Raumluft und Pandemiegeschehen (umg)


umwelt • medizin • gesellschaft - Ausgabe 2-2022
Humanökologie - soziale Verantwortung - globales Überleben

Raumluft und Pandemiegeschehen

von Sibylle Reith, Freie Autorin


Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft die Luftverschmutzung als derzeit größte globale umweltbedingte Gesundheitsbedrohung ein. Demnach atmen 99 % der Menschen weltweit Luft ein, die zu viele Schadstoffe enthält.(1) Je mehr Partikel der Außenluft durch geöffnete Fenster in die Raumluft gelangen, desto mehr verlagert sich das gesundheitliche Risiko durch verkehrs- und industriell bedingte Emissionen auch in die Innenräume - in denen wir durchschnittlich 85 - 90 % unserer Zeit verbringen. Zu den eingetragenen Schadstoffen von draußen gesellen sich im Innenraum noch Chemikalien wie zum Beispiel flüchtige organische Verbindungen, die über Baumaterialien, Möbel, Spielzeug usw. ausgedünstet werden sowie weitere Noxen. Seit Anfang 2020 besteht durch SARS-CoV-2 ein zusätzliches Gesundheitsrisiko. Eine Studie chinesischer Wissenschaftler zeigte, dass sich von über 7.000 Menschen, die positiv getestet waren, nur zwei im Freien angesteckt hatten. Das Risiko, sich im Außenbereich mit SARS-CoV-2 zu infizieren, geht demnach gegen Null - sofern man, und diese Einschränkung ist wichtig, den empfohlenen Mindestabstand von 1,5 m einhält.

Schlüsselwörter: SARS-CoV-2, Pandemie, Aerosole, Tröpfchen
Keywords: SARS-CoV-2, Airborne transmission


Am 11. April 2021 wandten sich Dr. Christof Asbach, Präsident der Gesellschaft für Aerosolforschung (GAeF), Dr. Gerhard Scheuch und drei Mitunterzeichner mit einem Offenen Brief an die politischen Entscheidungsträger in Deutschland. Sie kritisierten die politischen Maßnahmen im Außenbereich: "Wir mussten aber als Aerosolforscher die Erfahrung machen, dass die öffentliche Debatte immer noch nicht den wissenschaftlichen Erkenntnisstand abbildet. Viele Bürgerinnen und Bürger haben deshalb falsche Vorstellungen über das mit dem Virus verbundene Ansteckungspotenzial. "Draußen ist es gefährlich", so deren Eindruck nicht zuletzt aus der Berichterstattung über die von der Politik getroffenen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung. Es werden Treffen in Parks verboten, Rhein- und Mainufer gesperrt, Innenstädte und Ausflugsziele für den Publikumsverkehr abgeriegelt. Auch die aktuell diskutierten Ausgangssperren müssen in diese Aufzählung irreführender Kommunikation aufgenommen werden." (2)

Infektionen können allerdings bei Kontakt von Angesicht zu Angesicht auch im Freien auftreten. So wurden der ehemalige US-Präsident Donald Trump und mehrere Berater nach einer Veranstaltung, die im September 2020 im Rosengarten des Weißen Hauses stattfand und bei der die Hygiene-Regeln nicht eingehalten wurden, positiv auf SARS-CoV-2-getestet. Nur wenige der Eingeladenen trugen eine Maske, man saß nah beieinander, manche Teilnehmer hatten sich umarmt oder per Handschlag begrüßt. Die Übertragungswahrscheinlichkeit ist also an Verhaltensdisziplin gebunden. Und die wird gegenwärtig oft als Einschränkung der Freiheit empfunden.


Aerosole

Infektionen entstehen durch Anhusten, Anniesen, Anhauchen sowie durch Sprechen, Singen und ggf. auch durch normales Atmen. Das Coronavirus wird dabei einerseits durch große virushaltige Speichel-/bzw. Sekrettröpfchen übertragen (größer als 100 μm), andererseits auch über winzige Aerosole. Das sind flüssige oder feste Partikel, die in der Luft schweben.


Die Abbildung zeigt die verschiedenen Größen von Aerosolpartikeln im Vergleich zur Dicke eines menschlichen Haars, das einen Durchmesser von ∼ 40-120 µm hat. Pollen haben einen Durchmesser von ∼ 10-100 µm, Schimmel von ∼ 3-100 µm, Feinstaub von ∼ 2,5 µm und Bakterien von ∼ 1-5 µm. Viren sind mit einem Durchmesser von 0,005-0,1 µm im Querschnitt um ein Vieltausendfaches kleiner als ein Haar. - Abbildung: © www.luftklar.de

Partikelgrößen im Vergleich
Abbildung: © www.luftklar.de

Das Risiko der Übertragung von SARS-CoV-2 über Aerosole in der Luft wird mittlerweile in Studien detailliert beschrieben (3a, 3b). Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) weist darauf hin, dass SARS-CoV-2 neben der direkten Tröpfcheninfektion über luftgetragene Partikel übertragen werden kann.(4)

Das SARS-CoV-2 Virus hat eine Größe von 0,06 bis 0,14 Mikrometer, die Größe der ausgeatmeten flüssigen Aerosolpartikel wird je nach Quelle als kleiner als 100 μm oder als zwischen ca. 0,001 und mehreren 100 Mikrometern groß beschrieben. In der Medizin wird üblicherweise zwischen der Tröpfcheninfektion und der Infektion über Aerosole unterschieden. Der Übergang zwischen den beiden Formen wird im Zusammenhang mit dem SARS-CoV-2-Virus von manchen Autoren aber auch als fließend beschrieben. Bei der Tröpfcheninfektion gelangen die Viren im Nahbereich von Mensch zu Mensch auf deren Schleimhäute. Aerosol-gebundene Viren hingegen verteilen sich im Innenraum, sie gelangen direkt in die Atemwege - auch wenn der Mindestabstand gewahrt bleibt. Größere Partikel sinken aufgrund ihres Gewichtes recht schnell zu Boden, während kleinere über Stunden und Tage in der Luft schweben.


Die Pandemie ist ein Innenraumproblem

In geschlossenen Räumen reichern sich Aerosole in der gesamten Raumluft an. Wir haben kein Sinnesorgan, das wahrnehmen kann, ob wir uns in einem geschützten Raum ohne SARS-CoV-2 Viren befinden oder in einem Raum mit hoher Viruslast. Es gibt auch keine Technologie, die darüber Auskunft gibt. Allerdings korreliert die Kohlendioxidkonzentration mit der Luftqualität, sodass sogenannte CO₂-Ampeln eingesetzt werden können. Die Außenluft enthält in Deutschland etwa 400 ppm (parts per million) CO₂. Liegt die CO₂-Konzentration im Innenraum unter 1.000 ppm ist die Luftqualität in Ordnung. Der Red Flag-Wert liegt bei über 2.000 ppm CO₂. Virenreduzierte oder -freie Innenräume würden der Pandemie sehr wirksam Einhalt gebieten. Die Themen Raumlufthygiene, Innenraumklimatologie und -toxikologie gewinnen daher an Bedeutung. Luftschadstoffe können die Empfindlichkeit der Lungenzellen für infektiöse Partikel wie Bakterien und Viren erhöhen.


Die Grafik zeigt die verschiedenen Zeiten, die unterschiedlich große Aerosolpartikel mit einer Dichte von 1g/cm³ benötigen, um Schwerkraft bedingt 1 m zu sedimentieren. Partikel mit einem Durchmesser von 0,1 μm benötigen dafür 304 Stunden, größere Partikel mit einem Durchmesser von 100 μm nur 3,1 Sekunden.Quelle: © by GAeF - Gesellschaft für Aerosolforschung e.V. - 'Positionspapier der Gesellschaft für Aerosolforschung, zum Verständnis der Rolle von Aerosolpartikeln beim SARS-CoV-2 Infektionsgeschehen', Seite 12 (DOI: 10.5281/zenodo.4350494)

Zeit, die ein Aerosolpartikel mit einer Dichte von 1g/cm³ benötigt, um 1 m zu sedimentieren.
Grafik: © by GAeF - Gesellschaft für Aerosolforschung e.V.
"Positionspapier der Gesellschaft für Aerosolforschung, zum Verständnis der Rolle von Aerosolpartikeln beim SARS-CoV-2 Infektionsgeschehen", Seite 12 (DOI: 10.5281/zenodo.4350494)

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Erläuterung zur Grafik

In Innenräumen können typische Strömungsgeschwindigkeiten um 0,1 m/s Partikel bis zu einem aerodynamischen Durchmesser von 20 μm über längere Zeit in der Schwebe halten und schnell im ganzen Raum verteilen. Dabei wird die ausgeatmete Luft, die eventuell mit Viren beladene Partikel enthält, mit der Raumluft vermischt und rasch verdünnt. Wird die Raumluft allerdings nicht ausgetauscht (Lüften) oder gefiltert (Lüftungsanlage oder Luftreiniger) dann kommt es mit der Zeit zu einer Anreicherung. Im Gegensatz hierzu wird die exhalierte Partikelkonzentration in der Außenluft schnell verdünnt und abtransportiert, sodass es zu keiner Anreicherung kommt. Erst für Partikel mit Durchmessern weit über 100 μm kann eine ballistische Flugbahn zur Beschreibung des Transports angenommen werden, sodass diese Partikel schnell sedimentieren und nicht mehr luftgetragen sind.

Quelle: Positionspapier der Gesellschaft für Aerosolforschung zum Verständnis der Rolle von Aerosolpartikeln beim SARS-CoV-2 Infektionsgeschehen vom 7.12.2020, Seite 11
https://www.info.gaef.de/_files/ugd/fab12b_647bcce04bdb4758b2bffcbe744c336d.pdf
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Raumlufthygiene

Die Verweilzeit von Erregern in der Luft ist ein entscheidender Faktor beim Infektionsgeschehen, denn je höher die inhalierte Virenlast, desto größer das Infektionsrisiko.

• Das Infektionsrisiko steigt, je kleiner der Raum ist und je länger Menschen sich darin aufhalten.

• Speichel-Tröpfchen können an Flächen anhaften, die wir berühren und so mit den Schleimhäuten in Kontakt kommen. Für das Coronavirus gilt die Infektionsgefahr über die Schmier-/Kontaktinfektion jedoch als gering.

• Hohe Luftfeuchtigkeit begünstigt, dass der flüssige Anteil in den Aerosolen erhalten bleibt und sie absinken. Je niedriger die Luftfeuchtigkeit, desto leichter werden die Aerosole und desto länger schweben sie - mit den Viruspartikeln im Gepäck. Sie können große Distanzen überwinden. Die Ansteckungsfähigkeit nimmt ab, wenn die Luftfeuchtigkeit mehr als 40 % beträgt. Im Innenraum können Luftbefeuchter eingesetzt werden. Manche Pflanzen, z. B. Birkenfeigen oder Grünlilien, erhöhen auch die Luftfeuchtigkeit.

• Die Viruslast im Raum lässt sich durch häufiges und sachgerechtes Lüften reduzieren.

• Die unterschiedliche Effektivität von Querlüften, Klimaanlagen oder mobilen Luftfiltern wird erforscht. HEPA (H13/H14) Filter entfernen 99,99 % der Aerosole.

• Gesichtsvisiere und Plexiglasscheiben dienen im Wesentlichen als Spuck- und Spritzschutz gegenüber großen Tröpfchen. Sie sind weitgehend unwirksam gegen die Aerosolverbreitung in Innenräumen.

• Sogenannte (ggf. auch asymptomatische) "Superspreader" haben eine so hohe Viruslast, dass sie, selbst wenn sie symptomlos sind, die Raumluft rasch mit Mio. von Virenkopien pro Kubikmeter Luft anreichern können. Die kritische Dosis, die zur Ansteckung führt, kann so trotz eingehaltener Schutzmaßnahmen schnell erreicht werden.

• Der Einkauf im Supermarkt ist risikoarm, ein Arbeitstag im Büro mit mehreren Personen ohne Maske wird, laut Martin Kriegel, der das Hermann-Rietschel-Institut der TU Berlin leitet, auf 32-mal so hoch wie im Supermarkt geschätzt. Ein Schultag ohne Maske ist im Vergleich zum Supermarkt mit einem 20-fach erhöhten Risiko verbunden.

• Das Risiko der Ansteckung im öffentlichen Personennah- und Fernverkehr ist abhängig von der Frischluftzufuhr, lautes Sprechen erhöht die Exposition signifikant im Vergleich zu bloßem Atmen.

• Die Schutzwirkung durch Abstandhalten nimmt ab, je verbrauchter die Luft ist.


Kita und Klassenzimmer

Schüler und Lehrer verbringen etwa die Hälfte des Tages in den Klassenzimmern. Die Schulministerien gaben im Rahmen der Änderung der Regelungen zum Infektionsschutz in den Schulen den Beschluss des Bundestags bekannt, dass ab dem 2. April 2022 die Maskenpflicht in den Schulen entfällt und dass das anlasslose Testen in allen Schulen und Schulformen nach den Osterferien nicht wiederaufgenommen wird. Diese Verordnung wird insbesondere von sogenannten Schattenfamilien scharf kritisiert. Das sind Haushalte, in denen mindestens eine Person, oft auch mehrere, eine Behinderung haben oder an einer Vorerkrankung leiden, die bei einer Covid-Erkrankung einen schweren Verlauf sehr wahrscheinlich macht. Laut der Langzeitstudie des Robert-Koch-Instituts zur gesundheitlichen Lage der Kinder und Jugendlichen in Deutschland/KiGGS leiden ca. 11 % aller Mädchen und 16 % aller Jungen unter 17 Jahren unter einer chronischen, zum Teil lebenszeitverkürzenden Erkrankung. Hierzu zählen zum Beispiel neurologische, kardiologische und onkologische Krankheiten sowie Autoimmunerkrankungen, Adipositas, Diabetes mellitus oder das Down-Syndrom.

Kritiker der neuen Verordnung fordern zum Beispiel unter dem Hashtag #BildungAberSicher unter anderem: Maskenpflicht, Pool-Tests in Schulen und Kitas mit PCR-Testpflicht bei positivem Pooltest, Verbindliche Kriterien für Distanz-, Wechsel- bzw. Hybridunterricht je nach lokalem Infektionsgeschehen und eine Luftfilterpflicht für Schulen und Kitas.(5)

Auch von Seiten der Schüler kommt Protest: In einer Petition unter dem Hashtag #WirWerdenLaut! weisen Schülervertreter unter anderem auf den unzureichenden Infektionsschutz hin und fordern die Politik zum Handeln auf. Bisher haben knapp 143.000 Personen den Aufruf unterschrieben - darunter zahlreiche namhafte Mediziner und Wissenschaftler (Stand 1. Mai 2022). In welchem Ausmaß Schulen zum Covid-19-Infektionsgeschehen beitragen, wird kontrovers diskutiert. Keine belastbaren Daten liegen zu der Anzahl von Kindern und Jugendlichen, die schwer erkranken vor, ebenso unklar ist die Häufigkeit von Spätfolgen in dieser Altersgruppe. Die Prävalenzen in Studien variieren von weniger als 1 % bis zu mehr als 10 %.


Zusammenspiel der verschiedensten Maßnahmen

Die bekannten Schutzmaßnahmen - FFP-2-Maske (korrekt getragen!), Abstände einhalten, Reduktion der Personenanzahl und Aufenthaltsdauer in Innenräumen, regelmäßiges Stoß- oder Querlüften, Einsatz von Luftfiltern - kann sinnvoll ergänzt werden durch viruzides Gurgeln und den Einsatz von Nasenspray. Die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene e.V. hat die sehr lesenswerten Empfehlungen zur Prävention von COVID-19 durch viruzides Gurgeln und viruziden Nasenspray zusammengefasst.(6)


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Quellen

1) ZDF heute WHO-Bericht: 99 Prozent der Menschen atmen schlechte Luft.05.04.2022.
Weblink: www.zdf.de/nachrichten/panorama/luftverschmutzung-atemluft-who-100.html

2) Offener Brief der GAeF. Weblink: www.info.gaef.de/position-paper

3a) Morawska L., Milton D. It is time to address airborne transmission of COVID-19. Clinical Infectious Diseases. 2020; Clinical Infectious Diseases, 71(9): 2311-2313

3b) Hua Qian, Te Miao, Li Liu, Xiaohong Zheng, Danting Luo, Yuguo Li. Indoor transmission of SARS-CoV-2. First published: 31 October 2020.
https://doi.org/10.1111/ina.12766

4) WHO Transmission of SARS-CoV-2: implications for infection prevention precautions. 9 July 2020,
www.who.int/news-room/commentaries/detail/transmission-of-sars-cov-2-implications-for-infection-prevention-precautions

5) #Bildung aber sicher. Weblink: https://bildungabersicher.net/

6) Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene e.V. Weblink: https://www.krankenhaushygiene.de/
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Quelle:
umwelt • medizin • gesellschaft, 35. Jahrgang, Ausgabe 2-2022, Seite 32-33
Verlag: Forum Medizin Verlagsgesellschaft mbH
Infanterieweg 30b, 26129 Oldenburg
Tel.: 0441-936 54 58-0; Fax: 0441-936 54 58-1
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Ausland 50,- Euro. Einzelheft: 11,- Euro

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 7. September 2022

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