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INNERE/1280: Bauchaorten-Aneurysma - Eine tickende Zeitbombe im Bauch! (Diabetes Journal)


Diabetes-Journal 7/2010 - aktiv gesund leben

Diabetes-Kurs
"Bauchaorten-Aneurysma"
Eine tickende Zeitbombe im Bauch!

Von Dr. med. Gerhard-W. Schmeisl


Am 8. Mai 2010 wurden anlässlich des "Ersten nationalen Screening-Tages zum Bauchaorten-Aneurysma" in vielen bundesdeutschen Gefäßzentren Informationsveranstaltungen durchgeführt und kostenlose Ultraschalluntersuchungen der Bauchschlagader angeboten. Warum dies?


Die große Gefahr für Menschen, die ein Aorten-Aneurysma, also eine Aufweitung der Bauchschlagader, haben, besteht darin, dass es meist unbemerkt bleibt und ohne Schmerzen größer wird, bis es platzt. Man geht davon aus, dass fast jeder zweite Todesfall, der auf eine Aufweitung der Bauchschlagader zurückzuführen ist, vermieden werden könnte. So zeigen Langzeitdaten einer großen Bauchschlagader-Untersuchung, an der über 27.000 Patienten zwischen 65 und 74 Jahren teilgenommen haben, dass eine Ultraschalldiagnostik (Sonographie) tatsächlich das Leben dieser Patienten retten könnte. Platzt nämlich ein Aorten-Aneurysma, kommt meist jegliche Hilfe zu spät. In Deutschland sterben geschätzte 10.000 Menschen jährlich an den Folgen eines geplatzten Aorten-Aneurysmas. Aus der Geschichte ist bekannt, dass Thomas Mann, Albert Einstein und Charles de Gaulle an einem geplatzten Aorten-Aneurysma gestorben sind.

Männer sind zehnmal häufiger betroffen als Frauen. Das Platzen eines Bauchaorten-Aneurysmas ist für 1 bis 2 Prozent aller Todesfälle bei Männern über 65 Jahren verantwortlich.

Ein Aneurysma ist eine begrenzte Erweiterung einer Arterie um über 50 Prozent des ursprünglichen Durchmessers; verschiedene Formen von Weitungen sind bekannt: Bei der häufigsten Form bleibt die Innenwand der Hauptschlagader erhalten, es dehnt sich regional die gesamte Wand ballonartig aus mit der Gefahr, dass sie an dieser Stelle platzen kann.


Aufweitung der Bauchschlagader

In 15 bis 20 Prozent der Fälle kommt es zu einem Einriss in der Wand der Arterie, so dass dann Blut zwischen die verschiedenen Wandschichten der Hauptschlagader eintreten kann. Dadurch entsteht eine Art Doppelkanal, so dass ein echtes und ein falsches Lumen innerhalb der Arterie entsteht. Die betroffene Arterie kann immer weiter einreißen, schließlich können auch abgehende Arterien mitbetroffen sein - mit der Gefahr, dass diese dadurch verschlossen werden.

Besondere Formen dieses Aorten-Aneurysmas findet man auch an der Hauptschlagader in der Brust. Diese sind jedoch nicht mit Ultraschall zu entdecken, sondern nur mittels einer Röntgenuntersuchung, eines Computertomogramms (CT) oder Magnetresonanztomogramms, auch Kernspin genannt.


250.000 Menschen

Aufweitungen der Hauptschlagader sind relativ häufig: bei etwa 3 Prozent der Menschen über 50 Jahre kommen sie vor. In Deutschland leben etwa 250.000 Menschen mit einem Bauchaorten-Aneurysma. Der Durchmesser einer normalen Bauchschlagader eines etwa 40- bis 50-jährigen Mannes beträgt 1,5 bis 2,4 cm; von einer Aufweitung der Bauchschlagader spricht man ab einem Durchmesser von mehr als 3 cm. Die Bauchschlagader ist die größte Schlagader des menschlichen Körpers, auf ihr lastet ein besonderer Druck.

Das Risiko, dass die Hauptschlagader reißt oder platzt, nimmt ab etwa 5,5 cm deutlich zu; nach dem Platzen erreicht nur noch etwa die Hälfte aller Patienten das Krankenhaus lebend - daher wird ab diesem Durchmesser zu einer Operation geraten.

Die Aufweitung der Bauchschlagader liegt in über 90 Prozent unterhalb des Abgangs der Nierenarterien, diese gehen üblicherweise rechts und links von der Hauptschlagader ab. Dies ist deswegen wichtig, da bei Einbeziehen der Nierenarterien auch mit einem Nierenversagen zu rechnen ist.


Die Risikofaktoren ...

­... sind vor allem Arterienverkalkung, Bluthochdruck und "männliches Geschlecht" sowie speziell das Rauchen, welches das Risiko steigert. In früheren Jahrzehnten war auch häufig eine durchgemachte Geschlechtserkrankung, die Syphilis, verantwortlich, sehr selten auch einmal eine Pilzerkrankung der Arterienwand. Die Vererbung scheint ebenfalls eine Rolle zu spielen.

Diabetes scheint diese Erkrankung nicht zu verschlechtern, sondern er hat offensichtlich sogar einen schützenden Effekt auf das Größenwachstum von Bauchaorten-Aneurysmen - die Gründe sind unklar! Je größer der Durchmesser des Bauchaorten-Aneurysmas ist, umso eher ist die Wahrscheinlichkeit, dass es platzt! Durchschnittlich wächst es um 3,6 mm pro Jahr, wobei die Wachstumsgeschwindigkeit mit zunehmendem Durchmesser steigt und damit auch das Rupturrisiko (Tabelle).


Das Risiko des Platzens ("Ruptur") 
 Das Risiko, dass die Hauptschlagader reißt oder 
 platzt, nimmt ab etwa 5,5 cm Durchmesser deutlich zu.
Aortendurchmesser
Gefahr der Ruptur
­2,4-3 cm
­3-5 cm
­5-6 cm
­6-7cm
­>7cm
normales Risiko
­4 %
­25 %
­35 %
­>75 %

Patienten mit einem Bauchaorten-Aneurysma haben auch eine höhere Sterblichkeit für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die Notwendigkeit einer frühen Entdeckung eines Aorten-Aneurysmas wird durch folgende Zahlen noch einmal belegt: Das Risiko einer geplanten offenen Operation beträgt 2 bis 5 Prozent, dagegen das Risiko eines geplatzten Aorten-Aneurysmas unter Notfallbedingungen 50 bis 80 Prozent.


Frühzeitige Anzeichen

Leider verursachen Bauchaorten-Aneurysmen in den meisten Fällen keine typischen Beschwerden. Wenn Beschwerden auftreten, besteht meist schon Rupturgefahr. Rückenschmerzen können auftreten, die oft als Wirbelsäulenleiden oder Nierenbeschwerden fehlgedeutet werden. Manchmal wird das Bauchaorten-Aneurysma auch an Hand von Pulsationen im Bauch entdeckt, vor allem beim Auflegen der Hand. Ist es geplatzt, kommt es zu plötzlich unerträglichen Bauch- und/oder Rückenschmerzen.

Bei jedem Patienten sollte mit zunehmendem Alter der Bauch vom Arzt sorgfältig abgetastet werden.

Gelegentlich verbirgt sich hinter diesen Beschwerden auch ein Herzinfarkt; weshalb diese Situation immer ein absoluter Notfall ist. In einer Aussackung der Gefäßwand bilden sich nicht selten Blutgerinnsel (Thromben), die bis in die kleinsten Fußarterien fortgeschleudert werden können und dort einen Verschluss (Embolie) der kleinsten Arterien verursachen können - oft sehr schmerzhaft. Zunächst einmal sollte bei jedem Patienten mit zunehmendem Alter der Bauch vom Arzt sorgfältig abgetastet werden.


Die Diagnose

Ein Pulsieren kann den Hinweis auf ein Bauchaorten-Aneurysma liefern; die wichtigste Untersuchung ist aber, wie gesagt, die Sonographie der Hauptschlagader und ihrer abgehenden Blutgefäße. Im Zweifel oder bei massiver Luftüberlagerung kann auch eine Computer- oder eine Kernspintomographie sinnvoll sein. Die Sonographie hat keine Nebenwirkungen und ist beliebig oft wiederholbar, was wichtig ist zur Verlaufsbeobachtung des Durchmessers. Durch regelmäßige Untersuchungen kann das Sterblichkeitsrisiko, wie gesagt, deutlich gesenkt werden. Daher wird bei uns eine regelmäßige Ultraschalluntersuchung für alle männlichen Patienten im Alter über 65 Jahren empfohlen. Aufgrund der Häufung mit anderen Gefäßerkrankungen sollte auch an eine koronare Herzerkrankung und an die Ausweitung anderer Arterien (der Halsschlagader, Beckenarterien, Nierenarterien etc.) gedacht werden.


Die wichtigsten Risikofaktoren
männliches Geschlecht
hohes Lebensalter
erhöhter Blutdruck
Rauchen
Fettstoffwechselstörungen
chronische Lungenerkrankungen
bekanntes Aneurysma in der Familiengeschichte


Was kann man tun?

Die Arterienverkalkung spielt eine entscheidende Rolle bei der Entstehung und auch der Verschlimmerung des Bauchaorten-Aneurysmas, also ist eine konsequente medikamentöse Behandlung des Blutdrucks, der Fette und anderer Risikofaktoren entscheidend.

Ab einem Querdurchmesser der Hauptschlagader von etwa 5 cm sollte ein unterhalb der Nierenarterienabgänge gelegenes Bauchaorten-Aneurysma in der Regel offen chirurgisch behandelt werden. Dabei wird das Aneurysma entfernt und an diese Stelle eine Kunststoffprothese eingesetzt, bestehend aus Dacron oder Goretex.


"Stent": Gefäßgitter als modernes Verfahren

Daneben gibt es die Möglichkeit, ein Gefäßgitter, einen Stent, mittels eines Katheters über die Leistenarterie in die Bauchschlagader einzuführen, der dann die Bauchschlagader von innen schient - und so den Druck von der erkrankten und möglicherweise reißenden Gefäßwand nimmt. Diese modernen Verfahren werden im Gegensatz zu der offenen chirurgischen Methode speziell bei Menschen eingesetzt, für die eine Narkose ein besonderes Risiko wäre. Einstein und Thomas Mann müssten heute nicht mehr an der Erkrankung sterben. Durch die rechtzeitige Diagnose könnte ein Aneurysma entdeckt und entsprechend seiner Größe behandelt werden. Sprechen Sie mit Ihrem Hausarzt - vor allem, wenn Sie die genannten Risikofaktoren haben.


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Wollen Sie Ihr Diabetes-Wissen mal wieder auffrischen? Hierfür gibt es im Diabetes Journal den großen Diabetes-Kurs von Dr. med. Gerhard-W. Schmeisl: Jeden Monat erklären wir langjährigen und neuen Lesern, die noch nicht auf eine so lange "Diabetes-Karriere" zurückblicken, worum es sich bei Diabetes handelt, welche Therapien es gibt, worauf man achten sollte und wie man Folgeerkrankungen verhindern oder zumindest hinauszögern kann.

Kontakt
Dr. med. Gerhard-W. Schmeisl
Internist/Angiologe/Diabetologe,
Ltd. Arzt der Deegenbergklinik,
Burgstraße 21
97688 Bad Kissingen
Tel: 0971/821-0
und MVZ Bad Kissingen
(Diabetologische Schwerpunktpraxis)
Fax: 0971/805-6003


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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Albert Einstein, Thomas Mann, Charles de Gaulle (von links): Alle drei starben an einer aufgeplatzten Bauchaorta. Das müsste heute nicht mehr sein.

Bauchaorten-Erweiterung: Risikofaktoren sind Bluthochdruck und Arterienverkalkung - und Männer haben ein viel höheres Risiko als Frauen!


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Quelle:
Diabetes-Journal 7/2010, Seite 36 - 39
Herausgeber: Verlag Kirchheim + Co GmbH
Kaiserstr. 41, 55116 Mainz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. August 2010