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ETHIK/1194: Keine geregelten Dienstleistungen für die Selbsttötung! (BioSkop und OMEGA)


Gemeinsame Stellungnahme von BioSkop und OMEGA - September 2015

Keine geregelten Dienstleistungen für die Selbsttötung!

Zur Debatte um die Regulierung ärztlicher Suizidbeihilfe


Die Beihilfe zum Suizid, nachgefragt bei klarem Bewusstsein, ist hierzulande grundsätzlich straffrei, das gilt auch für Mediziner/innen. Allerdings kann das Beschaffen tödlicher Medikamente strafrechtliche Sanktionen nach dem Arzneimittelgesetz nach sich ziehen. Und ein Arzt ist auch verpflichtet einzugreifen, wenn er mitbekommt, dass ein Lebensmüder nach Einnahme eines tödlichen Medikaments handlungsunfähig geworden ist. Berufsethisch ist die "Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung keine ärztliche Aufgabe". Berufsrechtlich ist die Situation in der Bundesrepublik gespalten - in Einflussbereiche von Ärztekammern, die ihren Mitgliedern die Beihilfe zum Suizid eindeutig verbieten und solchen, die derartige Handlungen bewusst nicht klar untersagen; einen Entzug der Approbation, den manche Juristen für möglich halten und andere nicht, hat es deshalb bislang nicht gegeben.

Beihilfen zum Suizid finden unkontrolliert statt, sie werden auch nicht statistisch erfasst. Solche Handlungen werden auch nicht als eine Art "Therapieform" verstanden, die in der Ausbildung oder Gebührenordnung abgebildet ist oder von Sterbehilfevereinen offensiv angeboten wird. In dieser "Grauzone" ist die persönliche Verantwortung sowohl von Angehörigen als auch von Mediziner/innen gegenüber einem Schwerkranken am Lebensende gefragt. Allgemeinen Regeln zugänglich ist diese "Grenzsituation" nicht. Auch die Motive der Suizidwilligen sind vielgestaltig. Sie können aus einer verzweifelten, depressiven, momentanen, sozial unbefriedigenden, einsamen, aussichtslos erscheinenden Lage oder rational empfundenen Überlegung entstehen. Einen rechtlichen Raum zulässiger oder weniger zulässiger Motive für eine Suizidbeihilfe kann es nicht geben. Es gibt nur einen sozialen Raum, in dem wir ermutigen, sich nicht das Leben zu nehmen und Angehörigen sowie beruflich Engagierten unter lebbaren Lebens- und Arbeitsbedingungen ermöglicht ist, Beistand zu leisten in schweren Stunden.

Im Bundestag liegen derzeit vier Gesetzesentwürfe vor, um "gewerbliche", "organisierte" bzw. "geschäftsmäßige" oder "ärztliche" Beihilfe zur Selbsttötung zu regeln. Die inhaltliche Bandbreite der Papiere reicht von einem ausnahmslosen Verbot jeglicher Suizidunterstützung über strafrechtliche Barrieren für alle Formen organisierter, auf Wiederholung angelegter Hilfe zur Selbsttötung bis zu Erlaubnisregeln für Sterbehilfevereine ohne erklärte "gewerbliche" Absichten; einer der Entwürfe schlägt auch zivilrechtlich festgelegte Verfahren vor, womit dem ärztlichen Berufsstand exklusiv und rechtssicher in so genannten Ausnahmefällen die Beihilfe zur Selbsttötung erlaubt würde.

Kontrolle des "kontrollierten" Todes?

Es ist eine traurige Tatsache, dass jährlich kranke, pflegebedürftige oder betagte Bürger/innen in die Schweiz fahren, um dort mit Medikamenten und "Sterbehelfer/innen" von Organisationen wie Dignitas ihr Leben zu beenden. Es ist eine beunruhigende Tatsache, dass Sterbehilfeverbände solche Angebote hierzulande organisieren wollen und teils auch mit "gewerblichen" Absichten verknüpfen. Eine Gesetzgebung, die eine solche Praxis festschreiben und dazu einladen würde, Suizidbeihilfe zu einer nachfragbaren Dienstleistung zu machen, wäre der falsche Weg - unabhängig davon, ob diese von Sterbehilfeorganisationen und/oder von Mediziner/innen angeboten wird.

Die empirischen Daten der Länder, die Beihilfe zum Suizid oder Töten auf Verlangen als "Ausnahme" ermöglichen, sind erschreckend. Sie zeigen: Das tödliche Angebot lässt sich nicht auf schwerste, als unheilbar diagnostizierte Leidenssituationen beschränken. Es sind zunehmend auch altersgebrechliche, lebensmüde Menschen und solche, die vor Demenz oder noch nicht eingetretenen, aber befürchteten Einschränkungen und Pflegebedürftigkeit Angst haben. Studien zeigen, dass die Motive aller Betroffenen nicht in erster Linie "unerträgliche Schmerzen" sind, sondern der "Verlust von Autonomie und Würde". Das gilt für die Sterbewilligen in den Niederlanden und Belgien, wie auch für die Suizidwilligen in der Schweiz und im US-amerikanischen Bundesstaat Oregon, den Befürworter ärztlicher Suizidbeihilfe öfters als Musterbeispiel für ein gelingendes, wohl kontrolliertes Beihilfe-Konzept anführen. Abgesehen davon, dass Oregon mit seinen rund vier Millionen Einwohnern und einem hoch privatisierten Gesundheitswesen nicht vergleichbar ist mit den Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland: In Oregon bewilligten Ärzte in rund 17% der Anfragen auch bei chronisch Erkrankten ohne infauste Prognose die Beihilfe zur Selbsttötung, was den dort geltenden gesetzlichen Kriterien widerspricht. Die staatliche Sozialhilfe-Krankenversicherung Medicaid schlug bei einigen Hilfesuchenden statt einer möglichen Chemotherapie den assistierten Suizid als "bezahlte" Alternative vor.

Der Begriff "(Bei)Hilfe" - ob "organisierte" oder "ärztlich" gewährte - ist irreführend. Es handelt sich um eine "Dienstleistung", die uns als "Kunden" adressiert. Wir dürfen wählen zwischen vorgefertigten und sozialpolitisch "bezahlbaren" Optionen, ohne die weiterhin kritikwürdigen betriebswirtschaftlich "effizienten" Handlungsabläufe in Krankenhäusern und Pflegeräumen zu stören.

Trügerisch ist auch die Vorstellung, dass rechtlich abgesicherte Sterbedienstleistungen ein "selbstbestimmtes und würdiges" Sterben ermöglichen würden. Sollten - die Erfahrungen im Ausland sprechen dagegen - die gesetzlich formulierten Anspruchsvoraussetzungen tatsächlich in der Praxis umgesetzt werden, dann würde dieser Tod alles andere als "selbstbestimmt" und privat. Es ist ein Parcours von Beratungsgesprächen, Wartezeiten, schriftlichen und mündlichen Erklärungen, Diagnosenachweisen, die auf eine Entscheidung hinauslaufen: Wird die tödliche Dienstleistung von medizinischen Experten gewährt? Oder von geschulten Laien? Einen unbedingten Rechtsanspruch auf die Gewährung darf es aber auch nicht geben. Sonst würde das Arzt-Patient-Verhältnis in eine bloße Kunden-Dienstleister-Beziehung überführt, nachhaltig gestört und der von vielen befürchtete, soziale und finanzielle Druck auf die Betroffenen und ihr Umfeld würde sich ungehindert Bahn brechen können. Suizidhilfe-Gesetze können hier keine Lösung für gesellschaftliche und individuelle Problemlagen bieten. Sie drohen eher, das "beschleunigte" Sterben zur sozialen Norm zu machen. Eine Liberalisierung wird perspektivisch auch jene treffen, die hilfebedürftig sind und nicht mehr in der Lage sind, ihren Willen selbst zu äußern.

Eine Pflicht zur "Selbstbestimmung" via Patientenverfügung darf es nicht geben!

Patientenverfügungen werden als vorsorgliches Instrument für selbstbestimmtes Sterben beworben. Ärzte müssen sie befolgen und lebensnotwendige Therapien unterlassen, wenn der Betroffene dies für den Fall späterer Nichteinwilligungsfähigkeit vorab erklärt hat - die Erklärung auf Therapieverzicht jenseits der konkreten Behandlungssituation gilt grundsätzlich auch, wenn der Betroffene gar nicht im Sterben liegt, er muss auch nicht unheilbar krank sein. Bei der gesetzlichen Legitimierung der Patientenverfügung im Jahr 2009 durch das 3. Betreuungsrechtsänderungsgesetz argumentierten viele Befürworter, die gesetzliche Anerkennung werde ein selbstbestimmtes Sterben ermöglichen und den Ruf nach Suizidbeihilfe und aktiver Sterbehilfe verstummen lassen. Die aktuelle Debatte zeigt: Es ist anders gekommen! Die gesetzlich legitimierte Option, einen Verzicht auf Behandlung vorab auch für Situationen jenseits der Sterbephase verlangen zu können, hat Sterbehilfe-Befürworter eher bestärkt, den nächsten Schritt auf dem Weg zur Freigabe der Patiententötung auf Verlangen zu gehen: die Forderung nach ärztlicher Beihilfe zur Selbsttötung.

Ob Patientenverfügungen tatsächlich ein geeignetes Mittel zur Sicherstellung von Selbstbestimmung sind, ist fragwürdig und gesellschaftlich umstritten; klar ist nach dem Gesetz zur Patientenverfügung: Niemand darf zur Abgabe einer solchen Erklärung gezwungen oder gedrängt werden, auch nicht beim Vereinbaren von Verträgen, beispielsweise mit Pflegeheimen. Wir haben die Sorge, dass diese formal abgesicherte Freiwilligkeit bald unterhöhlt werden könnte - und zwar im Rahmen des neuen Instruments einer "Gesundheitlichen Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase", wie sie im aktuellen Gesetzentwurf zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung vorgesehen ist und von den Krankenkassen künftig bezahlt werden soll. Laut Gesetzesbegründung der Bundesregierung sollen Menschen in Pflege- und Behinderteneinrichtungen künftig durch professionelle Berater dazu angeleitet werden, "Vorstellungen" zu entwickeln über "das Ausmaß, die Intensität und die Grenzen medizinischer Interventionen", hierzu zähle auch die Beratung über die "Möglichkeiten und Konsequenzen eines Therapieverzichts". Dieses Vorhaben läuft darauf hinaus, (künftige) Heimbewohner und ihre gesetzlichen Vertreter unaufgefordert zu bewegen, eine Patientenverfügung zu formulieren und mindestens in den Einrichtungen zu hinterlegen - auch wenn ein Betroffener dieses Angebot zur Planung in eigener, höchstpersönlicher Sache gar nicht selbst nachgefragt hat. Ein Vorgehen, mit dem stationäre Einrichtungen, angebotsorientiert und zielstrebig Menschen zu derartiger "Selbstbestimmung" anleiten sollen, halten wir für sehr problematisch, zumal Einzelheiten, wie und wann dies praktisch und unbeeinflusst geschehen soll, im Gesetzentwurf nicht aufgeführt und damit auch nicht transparent sind. Zumindest muss ausdrücklich geregelt und vor allem praktisch sichergestellt sein, was die Bundesärztekammer in ihrer Stellungnahme als Ergänzung zum Gesetzentwurf fordert: "Kein Versicherter darf zu einer gesundheitlichen Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase verpflichtet werden. Er kann dies ohne Begründung ablehnen oder eine abgegebene Erklärung jederzeit widerrufen. Eine gesundheitliche Versorgungsplanung darf nicht zur Bedingung eines Vertragsabschlusses gemacht werden."

(K)Ein Weg in die sozialverträgliche Bekümmernis

Sicher wünscht sich jede/r einen "guten Tod" als Teil der eigenen Biografie. In den öffentlichen Unterhaltungen über Patientenverfügungen und Sterbedienstleistungen wird darunter nicht selten ein sehr einsames Entscheiden für den vermeintlich "kontrollierten Tod" verstanden. Hohes Alter mit Pflegebedürftigkeit wird fast schon als "vorgezogene Formen des Sterbens" dargestellt - und eine "fürsorgefreie" Lebensführung gleichbedeutend mit Glück.

Versuche, "juristische Klarheiten" zu schaffen, indem die Bedingungen für organisierte oder ärztliche Sterbedienstleistungen formuliert werden, bestärken diese Vorstellungen. Möglicherweise bieten gesetzliche Regelungen Handlungssicherheit und auch Handlungsanweisungen für einige Ärzte und Sterbehilfeanbieter. Die Abgrenzung zur "aktiven Sterbehilfe" für unheilbar Kranke, aber auch für nicht mehr handlungs- und entscheidungsfähige Menschen in Demenz oder im Koma wird zukünftig schwerer fallen. Der Ruf nach fachgerechter, aktiver Ausführung der Sterbehilfe durch ärztliche Hand wird nicht lange auf sich warten lassen, wenn erst einmal gesetzlich legitimiert wird, dass Ärzte Beihilfe zur Selbsttötung leisten können. Pflegebedingungen verbessern!

Wir brauchen andere Signale:

  • Politische Entscheidungen für mehr Pflegepersonal in den Krankenhäusern und Altenheimen - mit befriedigenden Arbeitskonditionen.
  • Weniger ökonomisch orientierte Behandlungs- und Versorgungsstrukturen.
  • Gute Versorgungsstrukturen für die hospizliche und palliative Begleitung, besonders um Angehörige und Freundeskreise zu entlasten.
  • Eine Sozial- und Rentenpolitik, die dafür sorgt, dass Menschen im Alter und bei Pflegebedürftigkeit finanziell abgesichert sind und nicht auf Zuzahlungen der Angehörigen angewiesen sind.
  • Eine gesellschaftliche Atmosphäre, die ermutigend ist und auch hochbetagte und pflegebedürftigen Menschen einlädt, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.
  • Eine positive Landkarte fürs Geschehen- und fürs Sterben-Lassen.
  • Die Einsicht, dass der Tod seinen Stachel behält und sich einer vollständigen Kontrolle entzieht.

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Quelle:
Gemeinsame Stellungnahme von BioSkop und OMEGA - September 2015
OMEGA - Mit dem Sterben leben e.V.
Bundesgeschäftsstelle
Dickampstr. 12, 45879 Gelsenkirchen
Telefon: 0209/91 328 22/21
E-Mail: info@omega-ev.de
Internet: www.omega-ev.de
 
BioSkop e.V.
Bochumer Landstr. 144a, D-45276 Essen
Telefon: 0201/53 66 706
E-Mail: info@bioskop-forum.de
Internet: www.bioskop-forum.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Oktober 2015

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