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ETHIK/1321: Interessenkonflikte in der Ethikberatung (Infobrief - Deutscher Ethikrat)


Infobrief des Deutschen Ethikrates Nr. 26 - April 2020 - 01/20

Öffentliche Sitzung
Interessenkonflikte in der Ethikberatung

von Steffen Hering


Gemäß § 4 Abs. 1 Ethikratgesetz gehören dem Ethikrat neben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus bestimmten Wissenschaftsgebieten auch anerkannte Personen an, "die in besonderer Weise mit ethischen Fragen der Lebenswissenschaften vertraut sind".

Eine solche Vertrautheit kann aufgrund von Publikationstätigkeit und Vernetzung im jeweiligen Fachbereich und Wissenschaftsbetrieb erreicht werden. Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nehmen daher über ihre rein wissenschaftliche Tätigkeit hinaus auch Beratungs- und Gesprächstätigkeiten wahr. Daraus können sich Interessenkonflikte ergeben. Der Deutsche Ethikrat verpflichtet seine Mitglieder daher in § 1 Nr. 2 seiner Geschäftsordnung, solche Fälle beim Vorstand anzuzeigen, der dann darüber zu urteilen hat, ob das betroffene Ratsmitglied von bestimmten Beratungen oder Abstimmungen auszuschließen ist.

Einen Beitrag im Tagesspiegel vom April 2019 zum Anlass nehmend, in dem der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates für seinen Vorsitz in einem Gesprächskreis bei Facebook kritisiert wurde, lud der Deutsche Ethikrat im Rahmen seiner Plenarsitzung am 26. September externe Sachverständige zu einer öffentlichen Anhörung ein, um zu überprüfen, ob die bisherige Regelung ausreichend ist, Interessenkonflikten angemessen zu begegnen.

Begriffsbestimmung
Zunächst wies der Medizinethiker Jan Schildmann von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg darauf hin, dass es eine Vielzahl unterschiedlicher Definitionen des Begriffs Interessenkonflikt gebe. Besonders plausibel schien ihm jedoch, die von der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaft verwendete Begriffsbestimmung zugrunde zu legen, die Interessenkonflikte als Gegebenheiten bezeichnet, "die ein Risiko dafür schaffen, dass professionelles Urteilsvermögen, welches sich auf ein primäres Interesse bezieht, durch ein sekundäres Interesse unangemessen beeinflusst wird". Um zu bewerten, ob eine solche Gegebenheit vorliegt, sei es notwendig, das primäre Interesse des betreffenden Gremiums möglichst konkret zu fassen und sekundäre Interessen offenzulegen. Sekundäre Interessen seien in vielen Kontexten unabdingbar und keineswegs per se negativ. Sie können auch nichtfinanzieller Art und somit schwerer zu identifizieren sein. Beispiele hierfür seien etwa die "Akzeptanz vonseiten bestimmter Gruppen" oder "persönliche moralische Bewertungen", aber auch akademische Interessen. Sie sollten strukturiert, optimalerweise wiederholt und möglichst nicht ausschließlich intern abgefragt werden. Erst auf dieser Grundlage könne eine Bewertung vorgenommen werden, die unter anderem die Wahrscheinlichkeit und mit Blick auf die Konsequenzen auch den Schweregrad der unangemessenen Beeinflussung durch die sekundären Interessen berücksichtigen sollte.

Regelungsmodelle
Daran anschließend stellte der Jurist Oliver Lepsius von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster eine Reihe verschiedener gesetzlich ausgeformter Regelungsmodelle für den Umgang mit Interessenkonflikten vor, die zum einen die "materielle Frage" nach den Tatbeständen der Befangenheit und zum anderen die "prozedurale Frage", wie damit umzugehen ist, adressierten. Die Modelle unterschieden sich dabei in der Striktheit der anzuwendenden Befangenheitsregeln, deren Zweck es sei, den Anschein einer sachwidrigen, interessengeleiteten Einflussnahme von Mitgliedern eines Organs auf dessen Entscheidungen zu vermeiden. Welches Modell zu welchem Organ passt, hänge von seiner Zusammensetzung ab und dem Charakter der Entscheidungen, die es trifft. Ein besonders pluralistisches Organ stehe weniger in Verdacht solcher Beeinflussung und benötige daher weniger strikte Befangenheitsregeln, um diesen Anschein zu vermeiden, während die Eingebundenheit eines Organs in hoheitliche Entscheidungszusammenhänge zum selben Zweck striktere Befangenheitsregeln erfordere. Handelt es sich wie beim Deutschen Ethikrat um ein binnenpluralistisches Gremium, bei dem die Integrität der Mitglieder besonders wichtig ist, empfehle sich laut Lepsius, die Befangenheitstatbestände nicht konkret auszuformulieren und innerhalb des Gremiums eine kollektive Willensbildung und Entscheidung herbeizuführen. Dies gelte zumindest immer dann, wenn die Empfehlungen des Ethikrates abstrakter Natur seien und nicht etwa individuell zurechenbar werden. Lepsius empfahl dem Ethikrat zudem, die bestehende Selbstanzeigepflicht um das Recht anderer Mitglieder, eine Besorgnis der Befangenheit anzuzeigen, zu ergänzen. Dies fördere die kollektive Verantwortung aller Mitglieder für das Vertrauen in die Unvoreingenommenheit des Gremiums. Lepsius riet dem Ethikrat darüber hinaus, ein Selbstablehnungsrecht einzuführen sowie die materiellen Befangenheitsgründe in der Geschäftsordnung dahingehend zu konkretisieren, dass ein Mitglied nur dann als befangen gilt, wenn "aufgrund eines Interessenkonflikts nicht gewährleistet ist, dass es in einer bestimmten Frage seine persönliche Überzeugung vertritt". Dadurch würden weder Gutachtertätigkeiten noch Mitgliedschaften in anderen Beratungs- und Gesprächskreisen grundsätzlich ausgeschlossen. Es sei dennoch von Mitgliedschaften abzuraten, die den Anschein einer zum Ethikrat parallelen Struktur in Bezug auf Aufgaben und Zusammensetzung haben, da dies der Reputation des Ethikrates abträglich sein könne.

Reputation und Integrität
Die Reputation des Gesamtgremiums und die Integrität seiner Mitglieder seien zwei Seiten derselben Medaille, bestärkte die Politikwissenschaftlerin Müller ihre Vorredner. Denn wie nützlich die Arbeit des Deutschen Ethikrates ist, dessen Aufgaben als wissenschaftliches Politikberatungsgremium in der Früherkennung von Problemen, politischen Handlungsempfehlungen und der Legitimationsbeschaffung für politische Entscheidungen bestehe, hänge entscheidend davon ab, dass "die Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit der beteiligten Wissenschaftler [...], die Offenheit der interdisziplinären wissenschaftlichen Auseinandersetzung und die Reputation der Rat gebenden Institution nicht infrage gestellt werden". Maßnahmen wie Befangenheitsregeln, aber auch Inkompatibilitätsregelungen, Karenzzeitregelungen und Offenlegungspflichten hätten deshalb immer eine doppelte Zielsetzung und seien sowohl auf die Vermeidung individueller Interessenkonflikte wie auch die Vermeidung von Reputationsschäden für das Gesamtgremium gerichtet. Um dies zu gewährleisten, empfahl Müller dem Ethikrat, seine Geschäftsordnung in Orientierung an den Verhaltensleitlinien des Bundesverfassungsgerichts dahingehend zu ändern, dass auch Zuwendungen jeglicher Art "nur in sozialen Zusammenhängen und in einem Umfang entgegen[genommen werden dürfen], die keine Zweifel an der persönlichen Integrität und Unabhängigkeit entstehen lassen können" und für die Mitwirkung an Veranstaltungen nur insoweit, "als dies das Ansehen des Rates nicht beeinträchtigen kann". Zudem sollten alle Mitglieder angehalten sein, darauf zu achten, dass sie in ihrem gesamten Verhalten keinen Zweifel an ihrer Integrität aufkommen lassen. Hierdurch sei jedoch keinesfalls die Teilnahme am gesamtgesellschaftlichen Diskurs ausgeschlossen, zu welcher der Ethikrat sogar durch gesetzliches Mandat verpflichtet sei. Es müssten hierbei allerdings immer die gesellschaftliche Reputation und wirtschaftliche Macht einladender Institutionen geprüft werden sowie die Ziele und Fragestellungen der Institution, Verfahrens- und Organisationsfragen, Mitwirkungs- und Zustimmungsrechte bei öffentlichen Verlautbarungen mit Bezug auf die Rolle des Ratsmitglieds, die Affiliation der anderen Mitwirkenden, den Zeitplan der Veröffentlichung sowie die Möglichkeiten des Verlassens eines Gremiums.

In der anschließenden Diskussion mit den Ratsmitgliedern standen vor allem die Kriterien zur Identifikation von Parallelorganisationen sowie die Kriterien zur Bewertung von Parallelmitgliedschaften im Fokus. Dabei stellten die Experten heraus, dass diese Kriterien nach eingehender Diskussion vom Rat selbst festgelegt und transparent gemacht werden müssten. Hier sei aufgrund der Abhängigkeit des Gremiums von der öffentlichen Wahrnehmung vor allem der Aspekt der öffentlichen Reputation zu berücksichtigen. Zudem gelte grundsätzlich, dass die Gefahr, von einer anderen Institution als Alibi missbraucht zu werden, mit zunehmender Macht dieser Institution steige.

Es diene dem Schutz der öffentlichen Reputation des Rates, problematische Parallelmitgliedschaften zu vermeiden und bei allen Veranstaltungen, an denen Mitglieder des Rates teilnehmen, die Funktion, in der sie teilnehmen, deutlich machten und darauf hinwiesen, dass sie niemals für den Ethikrat sprechen könnten, sondern allenfalls als Mitglied desselben. Des Weiteren empfahlen die Experten, darauf zu achten, die Lebensläufe der Ratsmitglieder fortlaufend zu aktualisieren und zusammen mit der Angabe aller Drittmittelprojekte und Mitgliedschaften auf der Webseite transparent zu machen.


INFO

Ausführliche Informationen zu dieser Sitzung finden sich unter
https://www.ethikrat.org/sitzungen/2019/plenarsitzung-am-26-september-2019/

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Quelle:
Infobrief Nr. 26 - April 2020 - 01/20, Seite 16 - 17
Informationen und Nachrichten aus dem Deutschen Ethikrat
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. April 2020

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