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FORSCHUNG/2389: Epigenomik und Krebsrisikofaktoren - Schalter im Erbgut (einblick - DKFZ)


"einblick" - die Zeitschrift des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), Ausgabe 3/2010

Schalter im Erbgut

Von Stefanie Reinberger


Wie steuern kleine chemische Veränderungen des Erbmoleküls die Aktivität von Genen? Und wie wirkt sich das auf Krebserkrankungen aus? Das sind Fragen, mit denen sich die Mitarbeiter der Abteilung "Epigenomik und Krebsrisikofaktoren" beschäftigen.


Drei Jahre ist es her, seit Professor Christoph Plass die ehemalige Abteilung "Toxikologie und Krebsrisikofaktoren" im Deutschen Krebsforschungszentrum übernommen hat. Mit der Ankunft des neuen Chefs begann eine Zeit des Umbruchs für die Forscher der Abteilung. Denn als Toxikologe, also als Experte für Giftstoffe, versteht sich Plass nicht vordergründig. Stattdessen hatte der Wissenschaftler, der vorher lange in den USA tätig war, ein neues Thema im Gepäck: die Epigenetik.

Die Epigenetik, ein Spezialgebiet der Biologie, befasst sich mit Zelleigenschaften, die zwar auf Tochterzellen vererbt werden, aber nicht im genetischen en, die zwar auf Tochterzellen vererbt werden, aber nicht im genetischen Code des Erbmoleküls DNA niedergeschrieben sind. Vielmehr setzen epigenetische Merkmale oberhalb der DNA und ihren Genen an. Das verrät die Vorsilbe "epi", die aus dem Griechischen stammt und soviel bedeutet wie "darauf" oder "darüber". Epigenetische Vorgänge steuern, welche Gene abgelesen werden und welche nicht. Das ist wichtig, denn alle Zellen unseres Körpers tragen identische DNA-Moleküle in sich, verfügen also alle über denselben genetischen Code. Das bedeutet, jede einzelne Körperzelle enthält die Bauanleitung für sämtliche Eiweißstoffe, die der Körper herstellen kann. Allerdings benötigen nicht alle Zellen das gesamte Repertoire. So gibt es spezielle Proteine, die Leberzellen zu Leberzellen machen oder Hautzellen zu Hautzellen. Je nachdem, welche Eiweiße die Zelle herstellt, entwickelt sie spezielle Eigenschaften, übernimmt besondere Funktionen im Körper, vermehrt sich oder stellt die Zellteilung ein.

Damit dies alles geregelt abläuft und der Körper korrekt funktioniert, gibt es die Epigenetik. Noch sind längst nicht alle epigenetischen Prozesse bekannt, die die Aktivität von Genen steuern. Einen ganz zentralen Mechanismus kennt man aber bereits recht gut: die DNA-Methylierung. Dabei heftet eine molekulare Maschinerie kleine chemische Verbindungen, so genannte Methylgruppen, an bestimmte Stellen auf der DNA. Das führt dazu, dass die Erbinformation an dieser Stelle nur noch eingeschränkt abgelesen werden kann, das entsprechende Gen ist in seiner Aktivität heruntergeregelt. Je mehr Methylgruppen sich auf einem DNA-Abschnitt befinden, desto weniger aktiv sind die dort befindlichen Gene. Die Methylgruppen sind aber nicht für immer an der DNA festgeheftet. Spezielle Eiweißstoffe können die Methylgruppen ablösen und so das Gen wieder anknipsen. "Im Prinzip kann man sagen, dass das Ganze wie ein Schalter funktioniert", fasst Plass zusammen.

Epigenetische Mechanismen spielen nicht nur für die Entwicklung von Körpergeweben eine wichtige Rolle, sondern auch bei der Krebsentstehung. Zum Beispiel, wenn ein so genanntes Tumorsupressor-Gen durch epigenetische Vorgänge ausgeschaltet wird. Tumorsupressor-Gene sorgen als eine Art Wächter dafür, dass Zellen sich nicht ungehemmt vermehren, oder sie helfen dabei, beschädigte Zellen zu beseitigen. Fallen sie aus, kann das fatale Folgen haben - zum Beispiel ein unkontrolliertes Wuchern von Körpergewebe, wie es für Krebs typisch ist. Genauso katastrophal kann es sich auswirken, wenn durch fehlende Methylgruppen auf der DNA plötzlich Gene aktiv werden, die das Zellwachstum ankurbeln und die normalerweise stillgelegt sind.

"Wir wissen, dass das Methylierungsmuster der DNA in Krebszellen oft massiv verändert ist", erklärt Plass. Er möchte herausfinden, was diese Veränderungen bedeuten. Welchen Einfluss haben sie auf die Krebsentstehung? Gibt es vielleicht besondere Methylierungsmuster, die mit einem erhöhten Krebsrisiko einhergehen? Oder solche, die den Krankheitsverlauf vorhersagen helfen, oder die es den Ärzten erlauben, die beste Therapie für einen Patienten zu finden?


Neues Thema, neue Labore

"Das waren Fragen, die mich schon während meiner Zeit in den USA beschäftigt haben", erzählt der Wissenschaftler. Und es sind Fragen, die eigentlich ganz gut zu einer Abteilung passen, die sich mit Krebsrisikofaktoren beschäftigt - zumal sich auch Umweltfaktoren wie Gifte oder Nahrungsstoffe auf das Methylierungsmuster auswirken können. Davon ließen sich Plass' neue Mitarbeiter überzeugen. Man einigte sich auf ein gemeinsames übergeordnetes Thema für künftige Forschungsprojekte: die Epigenetik. Damit war die neue Abteilung "Epigenomik und Krebsrisikofaktoren" geboren.

Mit dem inhaltlichen Neubeginn kam der räumliche: Das Hauptgebäude des Krebsforschungszentrums wurde grundlegend renoviert und umgebaut. Hin und wieder schränkten die Baumaßnahmen die Forschungsarbeiten ein, weil Labore nicht zugänglich waren oder Gerätschaften von einer Ecke in die andere transportiert werden mussten. Trotzdem findet Plass: "Uns kam der Umbau sehr zupass, weil dadurch das Zusammenwachsen der Abteilung gefördert wurde." Die Räume seien jetzt viel offener gestaltet als vorher und die Labore miteinander verbunden. "Und das", betont der Forscher, "erleichtert und belebt den Austausch ungemein."

Gemeinsame Freizeiterlebnisse unterstützen das "Wir"-Gefühl in der Abteilung, etwa Weihnachtsfeiern oder der alljährliche Betriebsausflug. "Dieses Jahr waren wir in der Pfalz, wo einer unserer Doktoranden einen Fußball-Golfplatz ausfindig gemacht hatte", berichtet Plass. "Das war schon eine sehr lustige Abwechslung, um die Wette einen Fußball durch die Gegend zu kicken und einzulochen."


Epigenetische Varianten für ein erhöhtes Krebsrisiko

Eine, die in den Jahren des Umbaus ihr Forschungsthema neu ausgerichtet hat, ist Privatdozentin Dr. Angela Risch. Die Biochemikerin kam schon 1996, direkt nach ihrer Promotion in Oxford, ins Krebsforschungszentrum. Sie interessiert sich dafür, wie Lungenkrebs entsteht. "Wir wissen, dass die größte Gefahr vom Rauchen ausgeht, das ist unumstritten", so Risch, "trotzdem erkrankt selbst bei starken Rauchern letztlich nur ein Bruchteil." Was aber unterscheidet die Betroffenen von jenen Rauchern, die keinen Lungenkrebs bekommen? Zeichnet sich ihr Genom - oder auch ihr Epigenom - durch bestimmte Merkmale aus, die das Risiko für Lungenkrebs erhöhen?

Vielen Betroffenen gemeinsam ist, dass sie in einigen Genen spezielle Varianten der Erbinformation tragen, so genannte "single nucleotide polymorphisms" (SNPs). Dabei handelt es sich um erfolgreiche Punktmutationen - also um genetische Variationen, die einzelne Buchstaben in der Erbinformation betreffen und die sich bis zu einem gewissen Grad in der Bevölkerung durchgesetzt haben. Untersuchungen haben gezeigt: Bestimmte SNPs finden sich häufig bei Menschen mit Lungenkrebs.

Mit SNPs beschäftigte sich Risch schon, bevor ihr heutiger Chef ans DKFZ kam. Derzeit konzentriert sie sich darauf, DNA-Abschnitte mit typischen SNPs nach epigenetischen Besonderheiten zu durchforsten. Gemeinsam mit ihrem Doktoranden David Scherf untersuchte sie Gewebeproben von Lungenkrebspatienten, die von Kollegen der Thoraxklinik zur Verfügung gestellt worden waren. Und tatsächlich machten die beiden Forscher drei Gene aus, die neben den verdächtigen SNPs auch charakteristische Methylierungsmuster aufwiesen. Derzeit untersuchen sie, ob ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der epigenetischen Veränderung und einem erhöhten Lungenkrebsrisiko besteht.

Dass veränderte Methylierungsmuster das Krebsrisiko erhöhen oder die Krankheit sogar auslösen können, hat Abteilungsleiter Plass schon vor einigen Jahren bewiesen, als er noch an der Ohio State University in Columbus, USA, forschte. Der Wissenschaftler untersuchte damals epigenetische Auffälligkeiten bei Patienten mit einem bestimmten Blutkrebs, der Chronischen Lymphatischen Leukämie (CLL). Und er entdeckte eine typische Veränderung in einem Gen namens DAPK1. "Dieses Gen galt bis dahin im Zusammenhang mit CLL als völlig unauffällig, weil man keine Mutation gefunden hatte", erklärt Plass. Doch gemeinsam mit seinen Kollegen gelang ihm der Nachweis, dass das Gen in den Blutkrebs-Patienten durch übermäßige Methylierung ausgeschaltet ist - mit der Folge, dass sich eine Untergruppe der weißen Blutkörperchen ungebremst vermehrt.

Für das DAPK1-Gen und seine Veränderungen interessiert sich Plass noch immer: "Hier ist der Zusammenhang zwischen Epigenetik und Krebserkrankung so deutlich, dass wir begonnen haben, die molekularbiologischen Mechanismen zu untersuchen, die dahinterstecken." Zugleich fahnden er und sein Team nach weiteren epigenetischen Veränderungen, die an der Krebsentstehung beteiligt sein könnten - sowohl beim Blutkrebs CLL als auch bei anderen Leukämien.


Großfahndung mit Roboter

Dabei stützen sich die Forscher auf ausgeklügelte Technik und einen hochmodernen Gerätepark. Dr. Dieter Weichenhan nutzt beispielsweise einen Roboter, um methylierte DNA aus Krebszellen und gesunden Zellen zu fischen. Der Roboter koppelt winzige magnetische Kügelchen an ein spezielles Eiweißmolekül, das sich an methylierte Abschnitte auf dem Erbmolekül heftet. Im nächsten Reaktionsschritt bindet der Eiweißstoff an die methylierten Abschnitte und verknüpft sie auf diese Weise mit den Magnetkügelchen. Jetzt hängen die epigenetisch veränderten Abschnitte quasi am Angelhaken und lassen sich mit Hilfe eines Magneten vom Rest der Erbinformation trennen. Das alles macht der Roboter vollautomatisch.

"Theoretisch könnte man das auch von Hand machen, aber Menschen arbeiten nicht so exakt wie die Maschine", begründet Weichenhan die Anschaffung des teuren Geräts. Man könne sicher sein, dass dem Roboter keine Unachtsamkeit unterlaufe - und damit ausschließen, dass wichtige Genabschnitte verloren gingen. Weichenhan hat sich darauf spezialisiert, neue molekularbiologische Methoden zu entwickeln und so in der Abteilung einzuführen, dass alle davon profitieren. Er weiß, dass Präzision das A und O ist. Nur wenn das Herausfischen der methylierten DNA-Abschnitte ganz exakt und jedes Mal auf die gleiche Weise erfolgt, lässt sich ermitteln, wie viele epigenetische Veränderungen in einer bestimmten Probe vorliegen. Oder, wie stark ein bestimmter Abschnitt der DNA methyliert ist.

Darüber hinaus können die Forscher untersuchen, wo sich im Genom einer Krebszelle epigenetische Veränderungen befinden. "Die Hoffnung ist, dass wir epigenetische Merkmale ausmachen, die für eine bestimmte Krebsart und ihren Verlauf typisch sind", erklärt Abteilungsleiter Plass. Diese Merkmale könne man später in der Klinik nutzen, um den voraussichtlichen Krankheitsverlauf von Fall zu Fall vorherzusagen. Oder um frühzeitig zu erkennen, welche Therapie bei welchem Patienten Erfolg verspricht. "Zugleich interessieren wir uns immer dafür, wie epigenetische Veränderungen konkret zur Krebsentstehung beitragen", sagt Plass. Das, so erläutert der Wissenschaftler, helfe, die verschiedenen Krebserkrankungen besser zu verstehen.


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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 6:
Die Gruppenleiter der Abteilung treffen sich im Besprechungsraum. Von links nach rechts: Christoph Plass (Abteilungsleiter), Dieter Weichenhan, Odilia Popanda, Angela Risch, Clarissa Gerhäuser, Peter Schmezer.

Abb. S. 7:
"Uns kam der Umbau sehr zupass." Christoph Plass ist von den frisch sanierten Laboren seiner Abteilung begeistert. Hier steht er vor der Lichtschutztür eines Speziallabors.

Abb. S. 8:
Angela Risch und ihr Doktorand David Scherf haben drei Gene gefunden, die bei Lungenkrebspatienten charakteristisch verändert sind. Möglicherweise sind sie damit einer Krebsursache auf der Spur.

Abb. S. 9:
Dieter Weichenhan arbeitet mit einem Roboter, der epigenetisch verändertes Erbgut aus Zellen fischen kann.


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Quelle:
"einblick" - die Zeitschrift des Deutschen Krebsforschungszentrums
(DKFZ)
Ausgabe 3/2010, Seite 6 - 9
Herausgeber: Deutsches Krebsforschungszentrum in der
Helmholtz-Gemeinschaft
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"einblick" erscheint drei- bis viermal pro Jahr
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. März 2011