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GESUNDHEIT/1385: Mehr Genuss im Alltag - Zeit für Schönes (Securvital)


Securvital 1/23 - Januar-März 2023
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen

Gut durch den Winter: Zeit für Schönes

Gesundheit und Genuss sind keine Gegensätze, im Gegenteil. Wer Momente intensiver Lebensfreude in seinen Alltag einbaut, stärkt sich selbst.

von Astrid Froese


Tut das gut! Nach einem anstrengenden Arbeitstag nach Hause kommen, sich gemütlich auf dem Sofa ausstrecken und für ein paar Minuten nichts anderes tun, als sich behaglich auszuruhen. Oder einen Tee kochen, die heiße Tasse in den Händen halten und mit geschlossenen Augen seinen Duft einatmen. Es gibt viele kleine Momente in unserem Alltag, die Vergnügen bereiten und uns für einen Augenblick abschalten lassen.


Mit allen Sinnen

Fragt man Menschen, was sie besonders genießen, zeigt sich: Während der eine sich am liebsten in der heißen Badewanne entspannt, die andere es gar nicht abwarten kann, nach draußen zu kommen und eine Runde durch die kalte Winterluft zu joggen, taucht ein Dritter bevorzugt in einen spannenden Krimi ein. Was Genuss bereitet, ist eine höchst individuelle Erfahrung. Gemeinsam ist den Momenten, dass sie an unsere Sinne gebunden sind. Wir schmecken, hören, riechen oder ertasten das, was uns eine positive Empfindung schenkt und uns mit geistigem oder körperlichem Wohlbehagen erfüllt.

Dies können kulinarische Genüsse wie Speisen oder Getränke sein. Geistige wie das Hören einer bestimmten Musik. Oder körperliche wie eine sanfte Berührung oder kräftige Massage. Auch Genussmittel wie Tabakwaren oder alkoholische Getränke können aufgrund der enthaltenen psychotropen Substanzen ein kurzfristiges Genusserlebnis auslösen.


Weitaus mehr als Luxus

Physiologisch betrachtet entstehen Genussgefühle im Gehirn. Zwei Mechanismen sind in diesem Zusammenhang bekannt. Beim ersten erzeugen die Moleküle eines Riechstoffes Impulse, die im Gehirn mit früheren Erfahrungen abgeglichen werden. Der Zimt auf dem warmen Grießbrei oder der Duft sonnenwarmer Himbeeren aus dem Garten: Im Falle einer positiven Bewertung kommt es zu einer Ausschüttung von Botenstoffen wie Dopamin, welche positive Gefühle im Belohnungssystem erzeugen. Anders ist es bei Drogen wie Nikotin oder Kokain. Hier gelangen die Moleküle über den Blutkreislauf direkt ins Gehirn und sorgen dort ohne einen Abgleich mit früheren Erlebnissen für eine vermehrte Dopaminausschüttung, die kurzzeitig als angenehm empfunden wird.


Reizflut ausblenden

Wer genießt, nimmt sich Zeit und bündelt seine Aufmerksamkeit. Er hält inne, ist ganz bewusst im Moment und stärkt, wie Studien zeigen, seine Zufriedenheit und Lebensfreude und damit auch seine Konstitution. In einer Arbeits- und Lebenswelt, die dem Menschen viel abverlangt, ist dies eine wichtige Fähigkeit, um die eigene Resilienz und Gesundheit zu erhalten.

Genügend Pausen zu machen, fällt vielen Menschen in der Fülle des Alltags nicht immer leicht. Ein Termin jagt den anderen. Familie, Partnerschaft, Freunde, Job und Freizeit wollen miteinander vereinbart werden. Dazu kommen allerlei Sorgen und sehr schnell eine innere Stimme, die zu noch mehr Leistung antreibt. "Erst die Arbeit, dann das Vergnügen": Wer mit solchen Sprüchen groß geworden ist, wird schnell von Schuldgefühlen geplagt, sobald er innehält, um sich etwas Gutes zu tun.

Ob Genussfähigkeit angeboren ist oder erworben wird, konnte von der Forschung noch nicht abschließend geklärt werden. Der Begründer der Psychoanalyse, Sigmund Freud, ging in seiner Theorie des Lustprinzips davon aus, dass bereits Säuglinge nach Lustgefühlen streben und Unlustgefühle vermeiden. Doch auch wenn Genussfähigkeit im Menschen angelegt ist, heißt das nicht, dass sie bei allen automatisch ausreichend ausgebildet ist. Laut Tanja Hoff, Professorin für Psychologie und Autorin des Buches "Genuss und Gesundheit", ist differenziertes Genussverhalten sozial erlernt und wird bis ins Erwachsenenalter durch das Umfeld beeinflusst.

Zu den Vorreitern auf dem Gebiet der Genussforschung gehören die amerikanischen Sozialpsychologen Fred Bryant und Joseph Veroff. Sie widmeten sich Anfang der 1980er-Jahre der Fragestellung, was Menschen für Lebenszufriedenheit benötigen und welche Rolle das Genießen dabei spielt. Genuss definieren sie als den Antipoden von Stress - und damit als einen wichtigen Faktor in der Stressbewältigung. Als positive Emotion ist Genuss demnach essenziell, um das Leben erfüllter und glücklicher zu machen.


Zeit für den Moment

Voraussetzung dafür, dass Genuss die Lebenszufriedenheit nachhaltig steigert, ist, dass die Aufmerksamkeit im Hier und Jetzt ist. Wer parallel über unerledigte Dinge nachgrübelt, verpasst die entspannende Wirkung. Dies konnten zwei Forscherinnen der Universität Zürich und der Radboud Universität nachweisen. Menschen, die sich dem Genuss ungeteilt hingeben können, sind demnach nicht nur kurzfristig zufriedener. Ihnen geht es auch langfristig besser und sie leiden weniger an Erkrankungen wie Depressionen oder Ängsten. Bewusster Genuss ist auch kein Hindernis, langfristige Ziele zu erreichen, im Gegenteil: Er stärkt. Weitere wissenschaftliche Studien konnten zeigen, dass Menschen, die Stress und dauerhaften Belastungen ausgesetzt sind, ihre Genussfähigkeit mit der Zeit verlieren. Doch die gute Nachricht ist: Genussfähigkeit lässt sich trainieren. "Je aufmerksamer wir mit dem umgehen, was uns umgibt, je mehr wir uns angewöhnen, genau zu schmecken oder zu riechen, und all diese Reize variieren, desto differenzierter wird unser Urteil sein", sagt der Psychologe und Therapeut Rainer Lutz, der sich intensiv mit Genussfähigkeit beschäftigt hat.

Doch das braucht Zeit. "Es ist eben ein Irrtum, zu glauben, dass wir unsere Sinne haben und sie einfach so funktionieren. Was wir haben, sind unsere Möglichkeiten, und die verkümmern, wenn wir sie nicht regelmäßig nutzen", erläutert Lutz.


Bewusst trainieren

Ein gutes Beispiel dafür ist der häufig unterschätzte Geruchssinn. Menschen können viel besser riechen, als lange angenommen wurde. Als ältester und lebenswichtiger Sinn kam dem Geruchssinn in der Frühzeit der Menschheit die Aufgabe zu, vor Gefahren wie Feuer, Gift oder verdorbenen Lebensmitteln zu warnen. Er ermöglichte es, Regen zu riechen, und gibt bis heute bei der Partnerwahl ein Signal, ob die Chemie stimmt. Allerdings ist dieser Sinn im Verlauf der Evolution stark verkümmert.

Indem wir viel öfter auf Gerüche und Geschmäcke achten, können wir unsere Sinne jedoch stärken. Der Duft eines neuen zum ersten Mal aufgeschlagenen Buches, von würziger Waldluft oder einer Scheibe frisch geschnittenem Brot: All das schult die Wahrnehmung und lenkt die Aufmerksamkeit für einen Moment weg von den anstrengenden Seiten des Lebens. Wer an ein Stück Schokolade denkt und sich intensiv vorstellt, wie sie langsam auf der Zunge zergeht, der ist vollkommen bei sich und schenkt sich einen Augenblick konzentrierter Entspannung.

Es spricht also viel dafür, sich auch und gerade in herausfordernden Phasen Zeit für schöne Dinge zu nehmen. Ein fröhlicher Abend mit Freunden sorgt nicht nur für kurzfristige Ablenkung und gute Gespräche. Er wirkt auch langfristig positiv nach.

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Tipps für mehr Genuss im Alltag

Mit diesen Übungen lässt sich die eigene Genussfähigkeit stärken:

• Um zu genießen, braucht es keine besonderen Gelegenheiten. Der Duft eines Duschgels, der Geschmack eines frisch gepressten Saftes oder der Geruch der kühlen Luft am Morgen beim Verlassen des Hauses - kleine Momente im Alltag reichen aus, um innezuhalten und die eigene Wahrnehmungsfähigkeit zu trainieren.

• Nichts ist genussfeindlicher als Stress und Hektik. Wer immer mal wieder bewusst innehält, sich fragt "Was würde mir jetzt guttun?" und die Antwort anschließend umsetzt, lernt nach und nach, stärkende Elemente in sein Leben zu integrieren.

• Mit der beste Genussratgeber ist unsere innere Stimme. Denn meist wissen wir selbst sehr genau, welche Dinge uns wirklich stärken.

• Um richtig zu genießen, ist es wichtig, sich zu fokussieren und störende Reize auszuschalten. Wer mit einem Auge aufs Fernsehprogramm schaut, wird das Essen vor sich nicht mit allen Sinnen erfassen.

• Wichtig sind auch neue Sinneseindrücke. Ob es ein Gericht mit fremden Gewürzen ist, das man mit der ganzen Familie probiert, oder eine neue Sportart: Wichtig ist, dass das Erlebnis mit neuen Wahrnehmungen verbunden ist.

• Genießen ist keine Frage des Geldes. Auch mit schmalem Geldbeutel lässt sich die eigene Genussfähigkeit fördern. Aneinandergekuschelt mit dem Partner zu Hause einer Musik lauschen, die man lange nicht gehört hat, oder nach einem Spaziergang eine leckere Suppe zubereiten: Genuss ist vor allem auch eine Frage der Fantasie und Spontaneität.

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Quelle:
Securvital 1/23 - Januar-März 2023, Seite 6-9
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen
Herausgeber: SECURVITA Gesellschaft zur Entwicklung alternativer Versicherungskonzepte mbH
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veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 3. März 2023

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