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KRIEGSMEDIZIN/044: Das DRK, die Macht und das Militär (IPPNWforum)


IPPNWforum - Nr. 147, September 2016
Das Magazin der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.

Eng verwoben: Das DRK, die Macht und das Militär

Geschichte und Aufgaben des Deutschen Roten Kreuzes


Die Geschichte des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) ist seit 1863 eng mit der deutschen Geschichte verflochten. Gründungen und Auflösungen der Rotkreuzorganisationen als Folge gewonnener und verlorener Kriege die Etablierung zweier Rotkreuzgesellschaften nach 1845 und die Vereinigung der beiden Organisationen machen dies deutlich.

Von Anfang an bestand zwischen Staat, Gesellschaft und Rotkreuzorganisationen eine enge Verbindung. Sie gründete auf der Unterstützung des militärischen Sanitätsdienstes ("Ursprungsaufgabe"), weitete sich aber auch auf eine Zusammenarbeit in der Krankenpflege, der Wohlfahrtstätigkeit und dem Gesundheitswesen aus. Seit Gründung der Rotkreuzgesellschaften in den deutschen Staaten (1864ff.) gibt es eine Politik, die gezielt auf eine Personalunion von ehrenamtlich tätigen Rotkreuzrepräsentanten und politischen bzw. gesellschaftlichen und militärischen Funktionsträgern auf allen Ebenen hinarbeitet. Daraus ergibt sich eine Fülle von Möglichkeiten für eine - meist indirekt ausgeübte - Einflussnahme, oft durch den Versuch einer Monopolstellung, etwa der Rotkreuzschwestern als "Kriegsschwestern" im Ersten Weltkrieg oder der angestrebten Monopolstellung im Krankentransport im Rahmen des Zivilschutzes nach dem Zweiten Weltkrieg.

Mit der Anerkennung des DRK in der Weimarer Republik als "nationale Hilfsorganisation" wurde die - im Kaiserreich bereits bestehende und im Ersten Weltkrieg ausgeweitete - Sonderstellung des DRK offiziell bestätigt. Ausgehend von seiner Ursprungsaufgabe verstand das Rote Kreuz, wie auch Rotkreuzorganisationen in anderen Staaten, lange Zeit seine in Friedenszeiten ausgeübten Tätigkeiten in den Bereichen Krankentransport und Krankenpflege, Schulung und Vorratshaltung als notwendige Vorbereitung auf einen potentiellen Krieg. Damit trug man auf der einen Seite den Bedingungen eines modernen Krieges Rechnung, auf der anderen Seite leistete das Rote Kreuz aber auch einen erheblichen Beitrag zur Militarisierung der deutschen Gesellschaft. Andererseits war das Rote Kreuz in Deutschland eine der ersten Rotkreuzorganisationen, die im 19. Jahrhundert großes Gewicht auf Wohlfahrtsarbeit und Gesundheitspflege legten.

Im Kaiserreich und weit darüber hinaus war das Rote Kreuz in Deutschland eine bürgerliche Organisation mit häufig fürstlichen bzw. adligen Vorständen. Die adligen Damen beschränkten sich nicht auf repräsentative Aufgaben, sondern entfalteten im Roten Kreuz eine rege karitative und soziale Tätigkeit nach dem Vorbild der preußischen Königin und Kaiserin Augusta, der "Seele des Roten Kreuzes".

Die Schwesternschaften des Roten Kreuzes hielten bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts am Mutterhaus als Ort der Erziehung und Ausbildung sowie an der Ehelosigkeit der Schwestern als Ausdruck "geistiger Mütterlichkeit" fest. Die Institution der Rotkreuzsschwestern trug viel zur Professionalisierung und Spezialisierung der Krankenschwestern bei. In Männervereinen, zumal in den Sanitäts- und Transportkolonnen, ist eine wachsende Tendenz zur Militarisierung erkennbar. Sie rekrutierten sich teilweise aus den Kriegsvereinen. Der "Nationalismus der kleinen Leute" war vor allem in den letzten Jahren der Weimarer Republik weit verbreitet.

Seine größte organisatorische Stärke, aber auch seine schwerste moralische Krise erlebte das DRK während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Die schon 1945 bewusst verbreitete Behauptung, lediglich 10% der Mitglieder des Präsidiums seien Mitglieder der NSDAP gewesen, ist nachweislich falsch. Im Vergleich mit anderen gesellschaftlichen Organisationen war der NSDAP-Organisationsgrad im DRK sehr hoch. Seit 1937 war geschäftsführender Präsident der "SS-Reichsarzt" Dr. Ernst Grawitz, der für die verbrecherischen Experimente an Menschen verantwortlich war und sich bei Himmler für die Errichtung von Gaskammern zur Vernichtung der Juden einsetzte. Es gab jedoch keine systematische Einbeziehung des DRK in solche oder ähnliche Untaten. Es existierten zahlreiche Abkommen und Verbindungen zu anderen NS-Organisationen, zur "Volksdeutschen Mittelstelle" (Rassenpolitik) und "Lebensborn".

Die Gründung und der rasche Aufbau der beiden Rotkreuzorganisationen - das Rote Kreuz in der DDR und der BRD - war eine Folge des "Kalten Krieges", vor allem des Koreakrieges. Unter seinem ersten Präsidenten Otto Geßler, dem früheren Reichswehrminister, wandte sich das Rote Kreuz in der BRD im Rahmen der Wiederbewaffnung vor allem dem Aufbau des Zivilschutzes zu, ohne jedoch die extreme Not der Bevölkerung, die Hilfe für Kriegsgefangene und Heimkehrer, für Flüchtlinge und Vertriebene, zu vernachlässigen. Dabei war die Not der HelferInnen und Helfer ebenso groß wie die der Hilfsbedürftigen.

Das Rote Kreuz in der DDR stand ganz unter Kontrolle der Staats- wie auch der Parteiführung, die zunächst die Rotkreuzführung als "bürgerliche" Organisation mit Misstrauen betrachteten. Bis zur Anerkennung der DDR durch die Bundesrepublik war das deutsch-deutsche Rotkreuzgespräch die einzige Einrichtung zur Erörterung humanitärer Probleme. Das Rote Kreuz in der DDR hatte zweifellos Verdienste in der Gesundheitspolitik und im hygienischen Bereich, befasste sich aber nur am Rande mit sozialen Aufgaben. Es verhielt sich bis zuletzt loyal gegenüber Partei und Staat. Seit dem Einigungsvertrag trägt die Organisation wieder den alten Namen "Deutsches Rotes Kreuz". Sie ist - nach dem ADAC - mit über fünf Millionen Mitgliedern die zweitgrößte Organisation in der Bundesrepublik Deutschland.

In Paragraf vier der Satzung des DRK sind Aufgaben genannt, die sich aus den Genfer Konventionen von 1864, 1906 1929 und 1948 ergeben: Unterstützung des offiziellen Heeres-Sanitätsdienstes, Bereitstellung von Pflegekräften und medizinischem Personal bis zur Hälfte der personellen und materiellen Mittel des DRK, Schutz der Zivilbevölkerung, Hilfe für Kriegsopfer, Übernahme des Suchdienstes und der Familienzusammenführung. Die enge Zusammenarbeit mit dem Staat wird besonders deutlich in der Auslandshilfe des DRK, die zu einem großen Teil mit Finanzmitteln der Bundesregierung bestritten wird. Nach Auffassung des ehemaligen Präsidenten des DRK Botho Prinz von Sayn-Wittgenstein ist trotz vertraglicher Abmachungen und pragmatischer Zusammenarbeit die relative Unabhängigkeit des DRK nicht gefährdet.


Der Historiker Prof. Dr. Dieter Riesenberger ist am 15. Oktober mit einem Vortrag über das DRK zu Gast auf dem Kongress "Medizin und Gewissen".


Kasten "Bleibt zivil und neutral":

Die "Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen" (DFG-VK) wendet sich mit der Kampagne "Bleibt zivil" gegen eine Werbekampagne des DRK Grund ist die enge Kooperation des "Deutschen Roten Kreuzes" (DRK) mit der Bundeswehr - im Militärjargon "Zivil-Militärische-Zusammenarbeit" (ZMZ) genannt. Schon 2003 bekannte sich das DRK explizit zur "Mitwirkung" an Militäreinsätzen. 2008 definierte dann ein Bundesgesetz die "Unterstützung des Sanitätsdienstes der Bundeswehr" als zentrale "Aufgabe" der Hilfsorganisation. Seit 2009 unterhält das DRK einen eigenen "Beauftragten für zivil-militärische Zusammenarbeit". Seit 2014 finden gemeinsame "Joint Cooperation"-Manöver von DRK, Bundeswehr und weiteren Armeen statt. Und am 24. November 2015 unterzeichneten der DRK-Generalsekretär Christian Reuter und Markus Grübel, der parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium, die erste zentrale Kooperationsvereinbarung - es soll der Zusammenarbeit ein "offizielles Fundament" geben.

Mehr unter http://www.bleibt-zivil.de/

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Quelle:
IPPNWforum | 147 | September 2016, S. 28 - 29
Herausgeber:
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Januar 2017

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