Schattenblick → INFOPOOL → MEDIZIN → FAKTEN


RAUCHEN/551: E-Zigaretten - Kein harmloser Lifestyle (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 11/2018

E-Zigaretten

Kein harmloser Lifestyle

Von Prof. Klaus-Dieter Kolenda


Über die Gesundheitsgefahren von E-Inhalationsprodukten und Tabakerhitzern.


Das hohe Gefährdungspotenzial für die Gesundheit durch das Rauchen herkömmlicher Tabakwaren, zu denen Zigaretten, aber auch Feinschnitt, Zigarren, Zigarillos und Pfeifentabak gehören, ist seit Jahrzehnten gut bekannt, kann aber nicht oft genug wiederholt werden.

Die Zahl der Todesopfer infolge des Rauchens wird auf sieben Millionen pro Jahr geschätzt, wie die WHO (Weltgesundheitsorganisation) am Weltnichtrauchertag 2017 bekannt gab. Nach Angaben der EU-Kommission sterben in der Europäischen Union jährlich etwa 700.000 Menschen an den Folgen des Rauchens. Allein in Deutschland wird diese Zahl auf circa 120.000 Personen pro Jahr geschätzt, das sind rund 14 Prozent aller Todesfälle.

Im Durchschnitt sterben Raucher zehn Jahre früher als Nichtraucher. Die britische Ärztestudie zeigt weiter, dass die Hälfte aller Raucher im mittleren Alter (35 bis 69 Jahre) an einer Krankheit stirbt, die durch das Rauchen verursacht worden ist. Diese Gruppe verliert durchschnittlich 22 Lebensjahre. Damit ist das Zigarettenrauchen weltweit und auch bei uns der bei Weitem wichtigste einzelne krankmachende und todbringende Faktor, der vermieden werden kann.

Diese Zahlen zeigen aber auch, dass die Tabakindustrie es nicht einfach hat. Denn jedes Jahr muss sie Millionen neuer Kunden gewinnen, weil die alten vorzeitig sterben. Damit die "Spezies Raucher" nicht ausstirbt, halten die Tabakkonzerne mit ausgefeilten Werbestrategien dagegen, für die sie allein in Deutschland fast 200 Millionen Euro pro Jahr aufwenden.

Wenn nun vonseiten der Tabakindustrie, wie es seit einer Reihe von Jahren der Fall ist, Alternativen zu den herkömmlichen Tabakwaren in Form von E-Inhalationsprodukten auf den Markt gekommen sind, deren Konsum angeblich weniger schädlich sein soll, dann wird man als Mediziner zunächst skeptisch sein und sich fragen: Was sind das für neue Produkte und was wissen wir über das tatsächliche Gefährdungspotenzial? Und: Warum kommen diese Produkte zum jetzigen Zeitpunkt auf den Markt?

Gefährdungspotenzial von E-Inhalationsprodukten

E-Inhalationsprodukte - dazu gehören vor allem E-Zigaretten, E-Shishas, E-Zigarren und E-Pfeifen - haben alle den gleichen Grundaufbau. Sie bestehen aus einem Mundstück, einer Stromquelle in Form einer Batterie oder eines Akku, einem elektrischen Heizelement, das als Verdampfer fungiert, und einer Kartusche für die verdampfende Flüssigkeit (Liquid), die in der Regel aus Propylenglycol und/oder Glyzerin, verschiedenen Aromen und meist auch Nikotin besteht. Das Liquid wird unter Wärmeeinwirkung vernebelt und das dabei entstehende Aerosol wird wie beim Rauchen inhaliert. Somit findet im Gegensatz zu konventionellen Zigaretten bei E-Zigaretten keine Tabakverbrennung statt.

Deshalb dürften E-Zigaretten im Vergleich zu Tabakzigaretten wahrscheinlich weniger schädlich sein, aber sie sind auch keine harmlosen Lifestyle-Produkte. Um welche Größenordnung E-Zigaretten tatsächlich weniger schädlich sind als Tabakzigaretten, lässt sich derzeit nicht genau sagen, denn es fehlen Langzeit-Untersuchungen analog zur britischen Ärztestudie, um diese Frage zu beantworten.

Die meisten Stoffe, die beim Gebrauch von E-Zigaretten inhaliert werden, gelten für die orale Aufnahme als unbedenklich, nicht aber zwangsläufig für die inhalative Aufnahme über die Lunge. So gilt der Hauptbestandteil des Aerosols, das Propylenglykol, zwar bei oraler Aufnahme als unbedenklich, vernebelt löst es aber Augen- und Atemwegsirritationen aus. Auch die Aromen sind bei oraler Aufnahme unbedenklich, es fehlen jedoch toxikologische Daten für die inhalative Aufnahme.

Manche der in E-Zigaretten verwendeten Aromen, wie zum Beispiel Zimtaldehyd, haben jedoch eine allergene Wirkung und andere, wie zum Beispiel Diacetyl oder Acetylpropionyl, verursachen Atemwegserkrankungen. Nikotin macht einerseits abhängig, andererseits gibt es neue Daten, wonach Nikotin im Verdacht steht, Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes Typ 2 und Krebserkrankungen zu fördern und besonders in der Schwangerschaft und Adoleszenz bedenklich ist.

Daneben finden sich im Aerosol von E-Zigaretten unterschiedliche Konzentrationen von krebserregenden Substanzen wie Formaldehyd, Acetaldehyd, Benzol und Nitrosamine. Diese Substanzen liegen in sehr geringen Konzentrationen vor und entstehen zum Teil erst bei der Verdampfung. Für ein solches Gemisch verschiedener krebserregender Stoffe gibt es jedoch keinen Schwellenwert, unterhalb dessen eine krebserregende Wirkung auszuschließen wäre. Aufgrund dieser Daten mögen E-Zigaretten für Tabakraucher eine weniger schädliche Alternative sein, aber harmlos sind sie keineswegs. Langzeituntersuchungen über die Auswirkungen dieser Substanzen liegen ebenfalls nicht vor.

Auch ist zum jetzigen Zeitpunkt eine wissenschaftliche Aussage zum Nutzen von E-Zigaretten in der Tabakentwöhnung nicht möglich, da bisher nur wenige aussagefähige Studien zu dieser Fragestellung vorliegen und diese keinen überzeugenden Evidenzgrad aufweisen.

Problematisch ist der weit verbreitete gleichzeitige Konsum von Tabak- und E-Zigaretten. Rund 70 Prozent der Konsumenten von E-Zigaretten verwenden beide Produkte. Wie viele Raucher aus diesem dualen Gebrauch zu Tabakzigaretten zurückkehren, wie viele dabei bleiben, wie viele auf den alleinigen Konsum von E-Zigaretten umsteigen oder letztlich auf jeglichen Konsum verzichten, ist unbekannt.

Unter gesundheitspolitischen Gesichtspunkten bringt aber möglicherweise nur der vollständige Umstieg auf E-Zigaretten einen Vorteil, denn neuere große Kohortenstudien weisen darauf hin, dass eine Verminderung des Zigarettenkonsums im Vergleich zu unvermindertem Weiterrauchen das Sterblichkeitsrisiko nicht eindeutig senkt. Das langfristige Gesundheitsrisiko könnte bei dualen Konsumenten sogar größer sein, wenn diese jahrelang parallel zum E-Zigaretten-Gebrauch zwar weniger, aber kontinuierlich Tabakzigaretten weiterrauchen, anstatt ganz mit dem Rauchen aufzuhören.

Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen unter 20 Jahren liegt auch in Deutschland der Gebrauch von E-Zigarette und E-Shisha im Trend. Der "Probierkonsum" ist hier mit fast 14 Prozent hoch, regelmäßiger Konsum ist allerdings selten. Jugendliche verwenden eher nikotinfreie als nikotinhaltige E-Zigaretten. 2017 war die Anzahl der E-Zigaretten-Konsumenten auf 3,7 Millionen angestiegen. Bei dieser Zahl wird aber nicht zwischen gelegentlichem und regelmäßigem Konsum unterschieden.

Dabei muss beachtet werden, dass sich grundsätzlich mit E-Zigaretten das Verhaltensmuster des Rauchens erlernen lässt. Außerdem kann eine Tabakabhängigkeit hervorgerufen werden, wenn in den Liquids Nikotin enthalten ist, wie das bei erwachsenen Konsumenten in der Regel der Fall ist.

Ein wichtiger Aspekt ist, ob E-Inhalationsprodukte nicht-rauchende Jugendliche dazu verleiten können, mit dem Tabakrauchen zu beginnen. In einem umfangreichen Review-Artikel aus dem Jahr 2016 über die Häufigkeit des Gebrauchs von E-Zigaretten in verschiedenen Ländern weisen zwei Längsschnittstudien darauf hin, dass nichtrauchende Jugendliche, die E-Zigaretten verwendet haben, später doppelt so häufig mit dem Rauchen beginnen wie Jugendliche, die keine E-Zigaretten konsumiert haben.

Beim "Dampfen" von E-Zigaretten gelangen mit dem ausgeatmeten Aerosol gesundheitsschädliche Substanzen wie Propylenglykol, Formaldehyd, Acetaldehyd, flüchtige organische Substanzen und Metalle in die Raumluft. Die Belastung ist zwar geringer als durch Tabakzigarettenrauch beim herkömmlichen Passivrauchen, wenn aber viele E-Zigaretten gleichzeitig geraucht werden, kann die Belastung der Raumluft auf hohe Werte ansteigen, wobei dann auch Nichtkonsumenten diese Schadstoffe einatmen können. Dies könnte insbesondere für sensible Gruppen wie Kinder, Asthmatiker, Allergiker, Herzpatienten und Lungenerkrankte problematisch sein. Es liegen aber keine Studien vor, die es erlauben, die potenzielle Gesundheitsgefährdung für passiv belastete Nichtkonsumenten abzuschätzen.

Nach dem Jugendschutzgesetz ist in Deutschland seit 2016 Kindern und Jugendlichen der Erwerb und Konsum von E-Inhalationsprodukten verboten. Nicht bekannt ist, wie gut diese Bestimmungen umgesetzt werden. Neben schon erfolgten Werbeeinschränkungen und Qualitätsanforderungen sind weitere gesetzliche Regulierungen für den Gebrauch von E-Inhalationsprodukten notwendig. Dazu gehört vor allem ein Nutzungsverbot in Nichtraucherbereichen.

Gefährdungspotenzial von Tabakerhitzern

Mit dem sogenannten Tabakerhitzer namens IQOS (I-Quit-Ordinary-Smoking) wurde 2016 vom Philip Morris-Konzern ein neues Produkt als angeblich weniger schädliche Alternative zum Tabakrauchen auf den Markt gebracht. Im IQOS werden spezielle Tabakstifte auf eine Temperatur von 350 Grad Celsius erhitzt. Das dabei entstehende Aerosol wird über ein Mundstück inhaliert. Im Vergleich zur Inhalation von nikotinhaltigem E-Zigaretten-Dampf beschleunigt angeblich das IQOS-Verfahren die Nikotinanflutung, sodass von den Nutzern eingefleischte Rituale wie die Raucherpause beibehalten werden können. Die Marlboro-Produzenten geben sich deshalb in ihrer Werbung davon überzeugt, dass Tabakerhitzer bei Tabakrauchern auf größere Akzeptanz stoßen werden als E-Zigaretten.

Das Suchtpotenzial in Form von Nikotinabhängigkeit bleibt aber auch bei diesem neuen Produkt der Tabakindustrie, ebenso wie bei den nikotinhaltigen E-Inhalationsprodukten, nicht nur erhalten, sondern ist möglicherweise noch verstärkt worden, da die Nikotinanflutung angeblich beschleunigt worden ist. Die Nikotinabhängigkeit ist offensichtlich die Hauptsache, um die es der Tabakindustrie geht, denn dadurch wird der langfristige Konsum des Produktes garantiert und der duale oder alternative Konsum von Tabakzigaretten gefördert.

Zweifel an den Herstellerangaben, die von einem Rückgang des Schadstoffgehalts des Aerosols von Tabakerhitzern um 90 bis 99 Prozent gegenüber dem Tabakrauch sprechen, wecken vor allem die Ergebnisse einer Untersuchung, die im Mai 2017 in der Fachzeitschrift JAMA erschienen ist. Die Forscher fanden deutliche Diskrepanzen zu den Daten von Philip Morris zum Beispiel bei Schadstoffen wie den flüchtigen organischen Verbindungen, aber auch bei weiteren gefährlichen Substanzen wie Formaldehyd und Acrolein. Dieselben Autoren weisen darauf hin, dass die IQOS-Aerosole zwar keine Verbrennungsprodukte enthalten, aber substanzielle Mengen von potenziell schädlichen Chemikalien, die in einem Pyrolyse-Prozess entstanden sind. Unter Pyrolyse-Produkten sind Substanzen zu verstehen, die bei Erhitzung der Ausgangsstoffe ohne Sauerstoffzufuhr entstehen. Ein solches Aerosol lässt sich laut den Autoren des Artikels auch als "Rauch" klassifizieren, sodass der "Dampf" des "heat-not-burn"-Produktes von Marlboro nicht gänzlich als "rauchlos" zu betrachten ist. Dagegen vermarktet Philip Morris IQOS als "rauchfreies" Produkt, das einen nikotinhaltigen "Dampf" erzeugt.

Bislang gibt es nur wenige unabhängige Studien zum tatsächlichen Risikopotenzial der Tabakerhitzer. Erwähnenswert ist, dass bei der 17. Tabakkontroll-Konferenz des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg im November 2017 Ergebnisse des Bundesstituts für Risikoforschung (BfR) vorgelegt wurden. Diese ergaben, dass für zwei Substanzklassen, die das Krebsrisiko beeinflussen, das Aerosol des IQOS-Systems im Vergleich zum Tabakrauch von herkömmlichen Tabakzigaretten 80 bis 99 Prozent weniger Schadstoffe enthielt. Das gilt für Formaldehyd, Acetaldehyd, Benzol und Butadien. Daraus ist aber auch zu schließen, dass dieses Aerosol nicht frei von diesen Substanzen ist und deshalb weiterhin als mutagen und potenziell krebserregend eingestuft werden muss. Untersuchungen weiterer Schadstoffe durch das BfR sollen folgen.

In der aktuellen Stellungnahme eines Experten aus der Tabakambulanz der Uniklinik München vom Februar 2018 heißt es zum Gefährdungspotenzial von IQOS: "Die Tabakverdampfer stehen ungefähr von der Schädlichkeit her zwischen der konventionellen und der E-Zigarette. Wobei wir wirklich noch keine seriösen Daten haben. Die gesamte Datenlage über diese Tabakerhitzer stammt von der Herstellerfirma, nämlich Philip Morris. Gut gemacht oder nicht gut gemacht, das wissen wir noch nicht, das müssen wir erst nachprüfen".

Ende 2016 hat Philip Morris bei der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) die Zulassung und Anerkennung von IQOS als "Tabakprodukt mit modifiziertem Risiko" beantragt. Das Verfahren ist nicht beendet und der Ausgang ungewiss. Seit 2016 ist mit IQOS von Philip Morris der erste Tabakerhitzer in Deutschland auf dem Markt und wird seit der Markteinführung vom Zoll lediglich als Pfeifentabak eingestuft, wobei deutlich weniger Steuern als bei Tabakzigaretten anfallen. Die zuständige Aufsichtsbehörde stellte IQOS bei der Kennzeichnungspflicht hinsichtlich der Warnhinweise Zigarren und Zigarillos gleich.

Schlussbemerkung

Abschließend zur Frage, warum E-Inhalationsprodukte und Tabakerhitzer auf den Markt gekommen sind. Ich glaube nicht, dass Tabakkonzerne künftig ihre Gewinne ausschließlich mit "risikoreduzierten Produkten" erzielen wollen. Es ist nicht geklärt, ob und wie stark das Gefährdungspotenzial der neuen Produkte bei regelmäßigem Gebrauch über Jahrzehnte tatsächlich reduziert ist. Medien berichteten, dass Lobbyisten sich weltweit bemühen, strengere Gesetze zur Eindämmung des Tabakkonsums zu verhindern. Somit ist anzunehmen, dass Tabakrauchen uns noch viele Jahrzehnte begleiten wird. Die Einführung der E-Produkte hat andere Gründe, etwa die schwindende Akzeptanz herkömmlicher Tabakprodukte unter Jugendlichen. Der Tabakindustrie droht bei dieser Entwicklung der mittel- und langfristige Verlust vieler Kunden.


Info

- Eine kürzlich beendeten Studie des Kieler Instituts für Therapie- und Gesundheitsforschung (IFT-Nord) an über 2.100 Schülern, die bisher keine Tabakzigaretten geraucht hatten, bestätigt, dass Jugendliche mit E-Zigaretten-Erfahrung doppelt so häufig zur Tabakzigarette greifen als solche, die diese Erfahrungen nicht gemacht haben. Für Studienleiter Prof. Reiner Hanewinkel könnten damit E-Zigaretten das Tabakrauchen wieder attraktiver machen mit allen Folgen für die Gesundheit bis hin zur Nikotinabhängigkeit.

- Der Artikel ist Teil eines umfangreichen Textes des Autors, der in den Nachdenkseiten erschienen ist (www.nachdenkseiten.de/?p=44820).


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 11/2018 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2018/201811/h18114a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

*

Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
71. Jahrgang, November 2018, Seite 32 - 33
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-272, -273, -274,
E-Mail: aerzteblatt@aeksh.de
www.aeksh.de
www.arztfindex.de
www.aerzteblatt-sh.de
 
Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Dezember 2018

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang