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BUCH/1204: Biografie - Albert Schweitzer (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 1/2010

Biografie: Albert Schweitzer

Kein Heiligenschein für "The greatest man in the world"



Nils Ole Oermanns Biografie vermeidet eine Heiligendarstellung des aus dem Elsass stammenden Arztes und Friedensnobelpreisträgers.


1947 nannte das amerikanische Magazin "Life" Albert Schweitzer "The greatest man in the world". Er ist vor allem als Urwaldarzt von Lambarene in Schwarzafrika berühmt geworden. Gleichzeitig war er ein Universalgenie.

Es ist ein Verdienst der spannend geschriebenen Biografie, auf die Vielfalt seines Denkens und Wirkens einzugehen. Schweitzer, Arzt, Philosoph, Theologe, Musiker und Friedensnobelpreisträger, wurde in der Vergangenheit oft verklärt, während Oermann anstrebt, "Höhen und Tiefen, Siege und Niederlagen" zu zeigen. Schweitzer, ein 1875 im Elsass geborener Pfarrerssohn, durfte bereits mit neun Jahren den Organisten im Gottesdienst vertreten. Weil er es als Glück empfand, studieren zu dürfen - zunächst Evangelische Theologie, Philosophie und Musik -, war er überzeugt, von diesem Glück etwas zurückgeben zu müssen. "Das Glück ist das einzige, das sich verdoppelt, wenn man es teilt." In Straßburg arbeitete Schweitzer als Pastor und hielt als Privatdozent Vorlesungen über das "Neue Testament". Oermann beschreibt, wie Schweitzer als liberaler Theologe von orthodoxen Kreisen als "Ketzer" in die Ecke gestellt wurde, weil er nicht an Dogmen, sondern an die Liebesreligion Jesu glaubte. Nach langem inneren Ringen entschloss er sich, als Arzt in Afrika zu wirken und begann 1905 in Straßburg mit dem Medizinstudium, das er durch seine erfolgreiche Biografie über J.S. Bach und seine Orgelkonzerte finanzierte. Ein Vorzug des Buches: Der Autor arbeitet heraus, was Schweitzer seiner Ehefrau Helene Bresslau-Schweitzer zu verdanken hat, einer jüdischen Deutschen, mit der er 1913 nach Lambarene in Gabun, dem französischen Teil des Kongo, ging. Er arbeitete als Arzt, sie als ausgebildete Krankenschwester. Das Klima am Äquator war schwer zu ertragen. 1917 wurde das Ehepaar als "feindliche Ausländer" unter Arrest gestellt und ausgewiesen. Erst nach dem 1. Weltkrieg konnte Schweitzer die Arbeit im Spital wieder aufnehmen. Eine schwere Belastung für beide bestand darin, dass das Ehepaar wegen einer Tuberkulose Helenes, die eine Arbeit als Krankenschwester in Lambarene zeitweise verbot, jahrelang getrennt leben musste. Als Philosoph ist Schweitzer vor allem durch seine Ehrfurcht vor allem Leben bekannt geworden: Weil im Daseinskampf Leben durch anderes Leben verdrängt wird, lehrte er Ehrfurcht vor dem Leben. Dadurch wollte er dem in der Natur geltenden Gesetz des Fressens und Gefressenwerdens widerstehen. Schweitzer galt vielen als universales Wunder- und Glückskind, dem alles gelang. Oermann weist aber mit Recht darauf hin, dass er von schweren Ereignissen nicht verschont wurde: 1940 musste Helene Schweitzer wegen ihrer jüdischen Abstammung aus Frankreich auf riskante Weise nach Lambarene flüchten. Nach der Verleihung des Friedensnobelpreises 1953 wurde Schweitzer oft kritisiert. So wurde er als "mit Vorurteilen behaftet, pedantisch auf eine typisch teutonische Weise, jähzornig und ... eitel" beschrieben. Er musste damit leben, dass ihn manche Leute als "Patriarchen" abkanzelten und seine Bescheidenheit für inszeniert ansahen. Als er 1965 in Lambarene starb, hatte er ein 90-jähriges Leben hinter sich, das mit seiner Lehre und Ethik identisch war. "Das einzig Wichtige im Leben", hatte er gesagt, "sind die Spuren von Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir weggehen." Das Buch liest sich flüssig. Auch bei theologischen und philosophischen Passagen schreibt der Autor, der die Gefahr einer Heiligendarstellung vermeidet, verständlich und plastisch. Wenn man am Schluss der Lektüre eines Buches bedauert, dass es schon zu Ende ist, muss es gefallen haben. So ging es dem Rezensenten, der die Biografie sehr empfiehlt.

Prof. Karlheinz Engelhardt, Kiel


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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 1/2010 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2010/201001/h100104a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen
Ärzteblatts:

www.aerzteblatt-sh.de


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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Januar 2010
63. Jahrgang, Seite 69
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Februar 2010