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ETHIK/832: Jahrestagung - Migration und Gesundheit (Infobrief - Deutscher Ethikrat)


Infobrief des Deutschen Ethikrates Nr. 5 - Juli 2010 - 02/10

Jahrestagung

Migration und Gesundheit


Am 20. Mai 2010 folgten mehr als 300 Teilnehmer der Einladung des Deutsche Ethikrates zu seiner zweiten Jahrestagung mit dem Thema »Migration und Gesundheit. Kulturelle Vielfalt als Herausforderung für die medizinische Versorgung«.


In Deutschland leben nach Angaben des Statistischen Bundesamtes rund 15,6 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Dabei sind die Biografien, Kulturen und Herkunftsländer vielfältig, sodass man keineswegs von einer einheitlichen Gruppe ausgehen kann. Hinzu kommt, dass auch die kulturellen Gruppen untereinander plural sind. Da das Verständnis von Krankheit und Gesundheit kulturell unterschiedlich geprägt sein und Einfluss auf Gesundheitsverhalten und Therapieentscheidungen haben kann, ergeben sich im Umgang mit Patienten, die einen Migrationshintergrund haben, für die Arzt-Patienten-Beziehung, aber auch das Gesundheitswesen insgesamt, besondere Herausforderungen. Neben sprachlichen Barrieren sind kulturspezifische Wertvorstellungen in ihrer Heterogenität angemessen zu berücksichtigen. Dies berührt ganz unmittelbar sowohl medizinethische als auch sozialethische Fragestellungen. Dieser Hintergund war Anlass dafür, dass der Deutsche Ethikrat mit seiner Jahrestagung das Nachdenken darüber anregte, wie ein angemessener Umgang mit den besonderen Herausforderungen konkret aussehen könnte. Ziel der Veranstaltung war es, unterschiedliche Facetten des breit angelegten Themas aus der Perspektive der Ethik aufzuzeigen und mit Experten verschiedener Fachrichtungen und Praxisfelder zu diskutieren sowie die zunächst als vor allem sozialpolitisch angesehene Thematik als ethisch relevant zu präsentieren.

Ratsmitglied Axel W. Bauer führte in die Fragestellungen der Tagung ein. Er verortete das Thema in einem historischen und demografischen Kontext und wies auf die vielen Möglichkeiten hin, sich dem Thema zu nähern, was in zahlreichen wichtigen Studienprojekten geschehe. Es könnten mit der Jahrestagung »längst nicht alle Facetten des komplexen Zusammenhangs von Migration und Gesundheit in den Blick« genommen werden.

In einem Eingangsvortrag beschrieb Staatsministerin Maria Böhmer, die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Gesundheit als Ziel der Integrationspolitik. Deutschland verstehe sich inzwischen nicht nur als Einwanderungs-, sondern auch als Integrationsland; der Handlungsbedarf im Bereich Migration und Gesundheit sei groß. Sie bedankte sich ausdrücklich dafür, dass der Ethikrat das Thema aufgriff, zumal Gesundheit und Pflege in dieser Legislaturperiode ein Schwerpunkt der Bundesregierung sei. Sie hob besonders die Notwendigkeit einer interkulturellen Öffnung des Gesundheitswesens und der Förderung interkultureller Kompetenz in den Ausbildungskonzepten der Gesundheitsberufe hervor. Insbesondere die kulturelle Altenpflege halte sie für ein zentrales Thema. Ebenso wichtig sei allerdings, mit Blick auf die Prävention die Mütter zu erreichen, um Kinder- und Jugendgesundheit fördern zu können. Außerdem müsse die Forschung zur Datenlage in der Gesundheits- und Pflegeberichterstattung, die nach wie vor nicht befriedigend sei, gefördert werden, um »zielgenauer vorgehen zu können, den Handlungsbedarf wirklich zu identifizieren und auch Lösungen zu entwickeln«. Die Staatsministerin warb dafür, die Chance zu nutzen, in einem Themenfeld, mit dem man sich in vielen Bereichen noch in der Anfangsphase befinde, die Weichen richtig zu stellen.


Interkulturelle Aspekte

Der wissenschaftliche Einführungsvortrag beschäftigte sich mit den Hintergründen der Gesundheit von Migranten. Oliver Razum, Professor für Epidemiologie und International Public Health an der Universität Bielefeld und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie, ging vor allem drei Fragen nach: Gibt es Unterschiede in der Gesundheit im Vergleich zwischen Migranten und Mehrheitsbevölkerung? Wenn ja: Sind solche Unterschiede möglicherweise vorwiegend ein Problem der sozialen Schichtung? Welche anderen Faktoren beeinflussen die Gesundheit von Migranten möglicherweise negativ? Razum stellte Studien zur Säuglingssterblichkeit in Deutschland und zur Rehabilitation vor. Die Daten des ersten Beispiels ergäben, dass Migranten zwar an der positiven Gesamtentwicklung hinsichtlich der Säuglingssterblichkeit teilnähmen, dass aber Mütter, die erst seit kurzer Zeit in Deutschland sind, ein sehr viel höheres Risiko trügen, dass ihr Kind innerhalb des ersten Lebensjahres verstirbt. Die zweite Studie zeige, dass es einen erhöhten Rehabilitationsbedarf bei Migranten gibt. Gleichzeitig sei die Inanspruchnahme medizinischer Rehabilitation niedriger als zu erwarten und geringer als in der deutschen Mehrheitsbevölkerung. Außerdem erweise sich, dass die Rehabilitationsmaßnahmen weniger erfolgreich seien. Dies spreche dafür, dass es sowohl Zugangs- als auch Wirksamkeitsbarrieren gebe.

Soziodemografische Faktoren oder etwa stärkere berufliche Belastungen allein erklärten diese Unterschiede nicht, so Razum. Sprachliche und kulturelle Unterschiede spielten dabei ebenfalls eine wichtige Rolle. Aber auch die Einstellung der Einrichtungen sei ein relevanter Faktor. Razum sprach von systembedingten Faktoren, die in der Struktur der Reha-Einrichtungen zu suchen seien und die ebenfalls zu den Herausforderungen gehörten, die dem Verhältnis von Migration und Gesundheit innewohnten. Er plädierte daher dafür, dass neben Verhaltensprävention auch Strukturveränderungen angezeigt seien. Um mit der heterogenen Gruppe der Migranten umgehen zu können, benötige man die Ausbildung einer Fähigkeit, die Razum diversity management nannte.

Ilhan Ilkilic, Medizinethiker am Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der Universität Mainz, näherte sich dem Thema aus medizinethischer Perspektive. Auch er bezog sich auf die Heterogenität der Gruppe von Menschen mit Migrationshintergrund und betonte, wie wichtig es sei, einen Kulturbegriff zu implementieren, der dies einschließe. Er legte zunächst dar, wie sich die Eigenschaften eines interkulturell geprägten Arzt-Patienten-Verhältnisses beschreiben ließen. Dieses unterscheide sich nicht im Wesen, sondern es beschreiben ließen. Dieses unterscheide sich nicht im Wesen, sondern in der Intensität von anderen Arzt-Patienten-Verhältnissen. Im Folgenden versuchte Ilkilic, ethische Fragen im interkulturellen Kontext zu präzisieren, und diskutierte vor allem die Patientenautonomie. Da dieser in den verschiedenen ethischen Diskursen eine wichtige Rolle zukommt, zeigte Ilkilic auf, welche Unterschiede sich im Verständnis dieses Begriffs ausmachen lassen und was sich daraus für medizinethische Entscheidungen ergibt. Er setzte sich außerdem damit auseinander, welches Verständnis von Patientenautonomie in einer wertpluralen Gesellschaft angemessen sein könnte. Anhand verschiedener Fallbeispiele analysierte er konkrete Probleme des ethischen Entscheidens und Handelns im interkulturellen Kontext. Ilkilic beschrieb seinen Vorschlag für eine kultursensible Medizinethik als integrativ-partikularistischen Ansatz, der Schematisierungen und dadurch bedingte Fehlinterpretationen vermeide. Ilkilic trug zum Verständnis der Bedeutung von sprachlichen Barrieren bei, die in der Tagung vielfach thematisiert wurde. Eine gelingende Kommunikation sei nicht nur nötig, damit Patienten ihre Beschwerden angemessen beschreiben könnten, sondern auch, um Zugang zu deren Wertvorstellungen und Präferenzen zu bekommen. Gelingende Kommunikation sei aber oft nur durch professionelle Dolmetscher zu erreichen, die selten zur Verfügung stünden. Die Sprachvermittlung durch Angehörige sei nicht immer verlässlich und zudem oft aufgrund innerfamiliärer Autoritätsverhältnisse problematisch. So würden Patienten beispielsweise Informationen vorenthalten, wenn die Familie der Meinung sei, die schwierige Diagnose verschlechtere die Gesundungschancen des Patienten; zudem würden Sachverhalte aufgrund mangelnden Verständnisses teilweise falsch wiedergegeben. Über solche Schwierigkeiten hinaus führten Sprachprobleme, um Kommuniaktionslücken auszugleichen, häufig zu Überdiagnostik.


Einblicke in die medizinische Praxis

Theda Borde, Professorin für medizinische und medizinsoziologische Grundlagen der sozialen Arbeit und klinische Sozialarbeit an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin, blickte in ihrem Vortrag besonders auf Bedürfnisse, Versorgungsrealität und Perspektiven im Zusammenhang mit Frauengesundheit im Migrationskontext. Man könne vor dem Hintergrund des Migrationsberichts feststellen, dass inzwischen fast die Hälfte der Bevölkerung mit Migrationshintergrund weiblich sei und auch der Anteil bei den Zuzügen stetig zunehme. Borde konzentrierte sich auf vier Spannungsfelder: Erreichbarkeit, Patientenerwartungen und Zufriedenheit, Arzt-Patienten-Interaktion und Patientenaufklärung, die sie mithilfe der Daten zweier Vergleichsstudien der Charité zum Thema Wechseljahre und Hormontherapie untersuchte. Alarmierend seien insbesondere die Ergebnisse der Erhebung zur Patientenaufklärung: Der Anteil der korrekten Übereinstimmung von Patientenwissen und medizinischem Befund bewege sich bei Migrantinnen auf einem sehr niedrigen Niveau, das während des Klinikaufenthaltes sogar noch sinke. Als wesentliche Problembereiche identifizierte Borde Fragen der Kommunikation und Information, rechtliche und ökonomische Aspekte von Fehl-, Unter- und Überversorgung sowie Fehl-, Über- und Unterinanspruchnahme, außerdem Compliance-Probleme, da nur das im Sinne der Gesundheit angewandt werden könne, was verstanden werde. Ethische Fragen sah Borde vor allem in Bezug auf Versorgungsauftrag, Gleichstellung, Gleichbehandlung, Gesundheitsgerechtigkeit und informierte Einwilligung berührt. Mit Blick auf die Eigenverantwortung von Migrantinnen nahm Borde den Faden ihrer Vorredner auf, die von einer Bringpflicht der Patienten gesprochen hatten, sah aber auch eine Bringschuld des Versorgungssystems. Notwendig seien differenzsensible, leicht zugängliche Angebote z. B. der Aufklärung und Information innerhalb der Institutionen des Gesundheitswesens sowie eine entsprechende Qualifizierung des Personals. Außerdem gehe es um die Stärkung von Gesundheitskompetenzen und Durchsetzungskraft der Migrantinnen durch Projekte sozialer Arbeit.

Alain Di Gallo, leitender Arzt und stellvertretender Chefarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Klinik der Universitätsklinik Basel, berichtete aus der Praxis in seinem Fachbereich. Er bemängelte die unzureichende Datenlage zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund in der Schweiz. Sicher sei aber, dass Kinder und Jugendliche Migration anders erlebten als Erwachsene. Er betonte, dass Migration oft zu Veränderung familiärer Rollen und Hierarchien führe. Auch deshalb sei Kinderpsychiatrie immer auch Familienpsychiatrie. Es komme für die Kinder oft zu Überforderung und Loyalitätskonflikten innerhalb der Familie, was er an Beispielen verdeutlichte. »Nicht alle Kinder schaffen diesen kulturellen Spagat leicht.« Da die Verständigung in seinem Bereich ohnehin viel über Spiele und Zeichnungen laufe, seien die sprachlichen Barrieren nicht ganz so unüberwindlich wie in anderen Bereichen. Di Gallo unterstrich die Bereicherung durch den interkulturellen Dialog, von dem beide Seiten lernen und profitieren könnten. Die Migration erfordere »eine Balance zwischen fremd und eigen, ein Gleichgewicht zwischen unterschiedlichen emotionalen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen und Ansprüchen. Das Eigene gibt uns Vertrauen und verbindet, doch es erstarrt auch, wenn es sich nicht mit Fremdem und Neuem mischt.«


Besondere Rechtsfragen

Das bereits zu Beginn der Tagung angesprochene Arzt-Patienten-Verhältnis wurde im anschließenden Vortrag von Andreas Spickhoff, Professor am Lehrstuhl für Privatrecht, Medizinrecht, internationales Recht und vergleichende Rechtswissenschaft an der Universität Göttingen, unter einer spezifischen Rechtsperspektive betrachtet. Eigentlich sei »das deutsche Arztrecht offen genug, um all den Problemen, die in den vorherigen Referaten zum Ausdruck gebracht worden sind, mit der notwendigen Flexibilität zu begegnen.« Insbesondere ging er der Frage nach einer angemessenen Aufklärung von sprachlich und kulturell fremden Patienten nach. Es sei in der Rechtsprechung unstrittig, dass es keinen Anspruch auf muttersprachliche Behandlung gebe. In den vorangehenden Vorträgen war bereits mehrfach die Notwendigkeit angesprochen worden, professionelle Dolmetscher hinzuzuziehen. Staatsministerin Böhmer hatte sogar gefordert, die Kosten dafür bei den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu verankern. Ob man aus verfassungsrechtlichen Gründen einen Anspruch auf Übernahme von Dolmetscherkosten in der GKV konstruieren könne, werde diskutiert, so Spickhoff. Er selbst halte es rechtspolitisch für überzeugend, die Kosten explizit in den Katalog der GKV aufzunehmen. Derzeit seien Dolmetscherkosten nicht erstattungsfähig, weil es sich dabei um eine Fremdleistung handle, die nicht vom Arzt angeordnet und von ihm verantwortet werden könne. Lediglich Sozialhilfeempfänger könnten Dolmetscherkosten vom Sozialamt erstattet bekommen.

Ein Thema, das immer wieder auch viel mediale Aufmerksamkeit bekommt, wurde von Bettina Schlemmer vorgestellt, die als Allgemeinärztin in der Malteser Migranten Medizin München tätig ist. Die Anlaufstelle biete sowohl medizinische als auch soziale und rechtliche Beratung für Menschen an, die keinen gültigen Aufenthaltsstatus haben oder aufgrund einer sozialen Notlage nicht krankenversichert sind. »Krankheit ist für einen Menschen in dieser Lebenssituation wie eine Folie, auf deren Hintergrund sich die bedrohliche Unsicherheit der eigenen Lage auf einmal in überdeutlicher Schärfe abzeichnet.« Beratung und Behandlung würden kostenlos und anonym angeboten. Über ein Netzwerk von niedergelassenen Fachärzten und Kliniken könne Hilfe für Patienten in Notfällen vermittelt werden, die nicht direkt vor Ort leistbar sei. Schlemmer berichtete anschaulich von Fällen aus der Praxis und wies in diesem Zusammenhang auf die Problematik des Asylbewerberleistungsgesetzes und der bestehenden Datenübermittlungspflicht der Sozialbehörden an die Ausländerbehörde hin, welche nur im medizinischen Notfall aufgehoben sei und die zu Abschiebung und daher zu besonderen psychischen Belastungen der Patienten führen könne. Die Leistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes sollten eigentlich die gleichen Rechte wie in der GKV gewährleisten; in der Praxis sehe dies aber ganz anders aus. In der Diskussion betonte Schlemmer: »Wenn Sie nach Wünschen fragen, dann ist die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes unser größter Wunsch.« Man müsse die Gesundheitsämter ausbauen, die rechtlichen Grenzen verändern und die Kostenübernahme regeln. Handlungsbedarf bestehe außerdem bei der Versorgung von Menschen ohne gültigen Aufenthaltsstatus in ländlichen Regionen.


Sozialethische und politische Perspektive

Ulrike Kostka, Leiterin der theologischen Grundsatzabteilung der Caritas in Freiburg sowie Privatdozentin an der Universität Münster, führte in ihrem Vortrag verschiedene Perspektiven der Tagung zusammen. Kostka arbeitete auf der Grundlage einer mehrdimensionalen ethischen Analyse die verschiedenen Akteure und Reflexionsebenen heraus. Ihr Anliegen war es, eine ethische Kriteriologie für eine milieu- und kultursensible Gestaltung des Gesundheitswesens zu entwickeln. Ausgehend von grundsätzlichen Überlegungen zu Gesundheit und Krankheit hob sie hervor, dass Gesundheitsversorgung als Gut Solidarität erfordere, neben dieser sozialethischen aber auch eine individualethische Seite habe, da »Gesundheit eng verbunden mit meiner eigenen Sicht auf meinen Leib, mit meiner Beziehung zu mir als Subjekt« sei. Daraus ergebe sich eine Verantwortung für das eigene Selbst, die sie als »Selbstsorge« bezeichnete und die nicht delegiert werden könne. Allerdings bestehe eine Bringschuld des Versorgungssystems in Bezug auf die Befähigung des Einzelnen zur Selbstsorge. Ebenso bestehe diese Bringschuld hinsichtlich der Befähigung der professionellen Akteure im Gesundheitswesen zur kultursensiblen Pflege und Medizin durch entsprechende Ausbildung. Auf der organisationsethischen Ebene müssten Leistungserbringer im Gesundheitswesen ihren Möglichkeiten gemäß die Rahmenbedingungen so gestalten, dass Menschen mit Migrationshintergrund die gleichen Zugangsmöglichkeiten zu ihren Angeboten erhielten. Hier sei eine enge Zusammenarbeit mit den verschiedenen sozialen Diensten erforderlich. Auf der Basis ihres Verständnisses von sozialer Gesundheit, das auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sowie das Verhältnis von Gesundheit und Bildung sowie Arbeit, Armut und Benachteiligung einschließt, zeigte sie auf, dass das Thema Migration und Gesundheit ein weitreichendes und multiperspektivisches Thema sei, das nicht nur in die Diskussion um das Gesundheitssystem gehöre. Ansonsten würden die hinter gesundheitlichen Schwierigkeiten steckenden Probleme medikalisiert. Kostka plädierte für einen übergreifenden Ansatz im Sinne von Verhältnisprävention in der fruchtbaren Spannung zwischen Solidarität und Selbstsorge.

Den Abschluss der Veranstaltung bildete eine Podiumsdiskussion, an der Stefanie Vogelsang, MdB und Mitglied des Gesundheitsausschusses, ehemalige Dezernentin für den Bereich Gesundheit in Neukölln, Hamit Ince, Oberarzt am Klinikum Wahrendorff und Vorsitzender der deutsch-türkischen Medizinergesellschaft, Yasemin Yadigaroglu, die sich als Sozialwissenschaftlerin für eine Aufklärung über Verwandtenehen engagiert, und Axel W. Bauer, Mitglied des Deutschen Ethikrates, teilnahmen. Die Podiumsteilnehmer diskutierten und erweiterten die verschiedenen Fragestellungen der Tagung auf dem Hintergrund ihrer Praxiserfahrungen.

Als ein wichtiges Ergebnis der Jahrestagung lässt sich festhalten, dass auf den verschiedenen angesprochenen Ebenen ein differenzierter Umgang mit dem Phänomen Migration notwendig ist, der es ermöglicht, den Menschen in seiner Individualität wahrzunehmen und nicht auf seine Migrationsbiografie zu reduzieren und dennoch auf die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Migrationshintergrund einzugehen. Eine besondere Bereicherung stellte es dar, dass die Referenten sich durchgängig sehr konkret auf ihre Kollegen bezogen, was der Tagung einen runden Charakter verlieh und es den Teilnehmern erleichterte, die verschiedenen Perspektiven auf das vielseitige Thema miteinander zu verbinden.    (Be)


INFO

Quelle
Präsentationen und Protokolle sind unter http://www.ethikrat.org/veranstaltungen/jahrestagungen/migration-und- gesundheit abrufbar.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Prof. Dr. iur. Edzard Schmidt-Jortzig, Prof. Dr. med. Axel W. Bauer und Staatsministerin Prof. Dr. phil. Maria Böhmer (v.l.) eröffnen die Jahrestagung

Die Referenten der Jahrestagung: Prof. Dr. med. Oliver Razum, Dr. med. (TR) Dr. phil. Ilhan Ilkilc, Prof. Dr. Dipl.-Pol. MPH Theda Borde, PD Dr. med. habil. Alain Di Gallo, Prof. Dr. iur. Andreas Spickhoff, Dr. med. Bettina Schlemmer und PD Dr. theol. habil. Ulrike Kostka (v.l.)

Ein Blick ins Publikum; daneben die Teilnehmer der Podiumsdiskussion: Stefanie Vogelsang (MdB), Dr. med. Hamit Ince, Prof. Dr. theol. Eberhard Schockenhoff, Yasemin Yadigaroglu und Prof. Dr. med. Axel W. Bauer (v.l.)


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Quelle:
Infobrief Nr. 5 - Juli 2010 - 02/10, Seite 3 - 6
Informationen und Nachrichten aus dem Deutschen Ethikrat
Herausgeber: Geschäftsstelle des Deutschen Ethikrates
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. September 2010