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GESUNDHEIT/774: Risiko im Kinderzimmer - Gefahr für Babys (Securvital)


Securvital 1/2010 - Januar/Februar
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen

Risiko im Kinderzimmer
Gefahr für Babys

Von Lena Braun


Unfallträchtiges Spielzeug überschwemmt den Markt. Manche Produkte für Kleinkinder sind eine Gefahr für die Gesundheit.

Die Erfahrungen von Kinderärzten und Unfallchirurgen sind erschreckend: Die größte Unfallgefahr für Babys geht ausgerechnet von Geräten aus, mit denen ahnungslose Eltern ihren Kleinkindern etwas Gutes tun wollen. So genannte Lauflernhilfen (Plastikgestelle auf Rollen mit eingebautem Sitz, auch als "Gehfrei" oder "Babywalker" bezeichnet) führen häufig zu schweren Verletzungen. Besonders betroffen sind Kinder zwischen sechs und zwölf Monaten.

Viele Eltern, die solche Geräte kaufen, wollen ihre Kinder fördern, damit sie früh laufen lernen. Doch sie unterschätzen die Gefahren dieser Lauflernhilfen. "Durch die Rollen unter den Gestellen erreichen die auf den Zehenspitzen laufenden Kinder eine Geschwindigkeit, die sie nicht mehr kontrollieren können", warnt die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) "Mehr Sicherheit für Kinder e.V.". Manche Eltern werden sich der Gefahr erst bewusst, wenn es zu einem Unfall kommt, häufig an ungesicherten Treppen. "Die häufigste Verletzungsart sind Kopfverletzungen nach Treppensturz mit der Lauflernhilfe", berichtet Lis Dammann vom Elternforum der BAG.


Lebensgefährlich

In Kanada sind sie längst verboten, doch in Deutschland erleiden jedes Jahr 6.000 Kinder einen Unfall mit diesen Lauflernhilfen. In Einzelfällen haben sich Kinder lebensgefährlich verletzt, sogar ein Todesfall wird berichtet. Außerdem kommt es zu vielen Verbrühungen und Vergiftungen. Denn Kleinkinder, die noch nicht allein laufen oder stehen können, erreichen im Lauflerngerät die heißen Töpfe auf dem Herd, die Zigaretten auf dem Tisch oder die Reinigungsmittel auf der Fensterbank. Kinderärzte zählen Lauflernhilfen zu den "gefährlichsten Verwahrungsgeräten" im Säuglingsalter. Sie sollten endlich auch hier zu Lande verboten werden, fordert Martina Abel von der BAG Kindersicherheit. "Finger weg von Lauflernhilfen!" rät die Arbeitsgemeinschaft allen Eltern. Sie seien - auch ohne Unfälle - eine Gefahr für die Gesundheit, weil sie die Bewegungsentwicklung der Kindereher behindern als unterstützen.

"Eltern und Großeltern, die glauben, sie tun ihrem Nachwuchs etwas Gutes, wenn sie ihnen derartige Geräte schenken, täuschen sich", betont Dr. Jörg Schriever vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte. "Jedes Kind lernt laufen. Dazu benötigt es seine ganz persönliche, individuelle motorische Entwicklungszeit. Der Glaube, die Bewegungsentwicklung durch die fälschlicherweise so genannten Lauflernhilfen zu fördern oder zu beschleunigen, ist ein Irrtum."

Kleinkinder entwickeln auf natürliche Weise ihre Bewegungsfähigkeiten: Liegen, strampeln, sich umdrehen, hinsetzen, krabbeln und sich aufrichten. Sie lernen es von allein, sobald Muskeln und Motorik dafür reif sind. Manche sind früher dran, andere später. "Babys wollen ihre Welt alleine entdecken und nicht durchkatapultiert werden", erklärt Silke Schellhammer, Dozentin für Physiotherapie. "Mit Reizquellen überfrachtete Spielsachen nehmen den Kindern diese Fähigkeit."


Rollende Diskothek

Die Hersteller der umstrittenen Produkte sehen das natürlich anders und rüsten ihre Geräte mit zusätzlichen Knöpfen, Lämpchen und Geräuschquellen auf. In der Werbung heißt es dann zum Beispiel, das Gestell "im Look eines Rennautos mit vielen verschiedenen Sounds und Funktionen" sorge "für viel Spaß bei den Kleinsten".

Was Kinderärzte und vernünftige Eltern mit Grausen betrachten, wird von der Spielzeugindustrie noch übertroffen. "Babyhopser" sind im Trend. Sie bestehen aus einer Art Sitzgurt, der an einem Gummiseil im Türrahmen aufgehängt wird. "Bungee Springen für Säuglinge", nennt es Silke Schellhammer sarkastisch.

Ein Gerät namens "Jumperoo Baby Hopser" verspreche ausgelassenen "Hüpfspaß mit Licht-, Geräusch- und Musikeffekten". Oder der "Spider Bouncer", eine Babywippe mit "Vibrations- und Soundfunktion", integrierten Lautsprechern und Anschluss für den MP3-Player. Darin wird "das Kind in eine wippende, hüpfende oder rollende Diskothek geschnallt", kritisiert Schellhammer, "weil manche Eltern glauben, oder glauben möchten, dass so etwas förderlich sein könnte."


WEITERE INFORMATIONEN

• www.bfr.bund.de - Bundesinstitut für Risikobewertung (mit Untersuchungen zu giftigen Inhaltsstoffen),
  Thielallee 88-92, 14195 Berlin, Tel: 030/841 20
• www.kindersicherheit.de - Website der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) "Mehr Sicherheit für Kinder e.V.",
  Heilsbachstr. 13, 53123 Bonn, Tel.: 0228/688 34 34
• http://ec.europa.eu/consumers - Schnellwarnsystem der EU für gefährliche Konsumgüter und Rückrufaktionen bei Kinderspielzeug (RAPEX).


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Jedes Jahr gehen 6.000 Stürze und Verletzungen von Kleinkindern auf das Konto von Lauflernhilfen und anderen unsinnigen Geräten.

Lauflernhilfe: Hände weg!
"Geräusch-, Musik- und Lichteffekte"
Mit Reizquellen überfrachtet
Bungee für Babys


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Quelle:
Securvital 1/2010 - Januar/Februar Seite 28 - 29
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen
Herausgeber: SECURVITA GmbH - Gesellschaft zur Entwicklung
alternativer Versicherungskonzepte
Redaktion: Norbert Schnorbach (V.i.S.d.P.)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Februar 2010