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AUSLAND/1666: Internationaler Weltgesundheitsfonds als Pilotprojekt globaler Verantwortung (IPPNWforum)


IPPNWforum | 124 | 10
Mitteilungen der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.

Ein öffentliches Gut
Ein Internationaler Fonds als Pilotprojekt globaler Verantwortung

Von Dr. Andreas Wulf und Thomas Gebauer


Es ist keine Illusion: man kann den bestehenden Teufelskreis aus Armut und Krankheit durchaus durchbrechen.


Wie kann das Menschenrecht auf Gesundheit unabhängig von der Finanzkraft der Länder und Menschen gewährleistet werden? medico international machte 2009 einen Vorschlag auf solidarischer Grundlage: Ein Weltgesundheitsfonds könnte die gesundheitliche Basisversorgung für alle sicherstellen.

Alljährlich sterben Millionen von Menschen an Krankheiten, die eigentlich gut behandelbar wären. Vor allem der globale Süden leidet unter einem chronischen Mangel an Mitteln und Strukturen, um das Menschenrecht auf Gesundheit zu verwirklichen. Wenigstens 30 Länder sind nicht imstande, aus eigener Kraft für eine angemessene Gesundheitsversorgung ihrer Bevölkerungen zu sorgen. Über 100 Millionen Menschen werden alljährlich in die Armut getrieben, weil sie für Kosten im Krankheitsfall ohne jede Absicherung "out of pocket", aus eigener Tasche aufkommen müssen. Mit der Finanzkrise hat sich die zerstörerische Dynamik des Globalisierungsprozesses noch einmal verschärft. Die Weltbank schätzt, dass allein in Afrika 50 Millionen Menschen verarmen werden; gewiss ist, dass Hunderttausende an den Folgen der gegenwärtigen Krise verhungern werden. Trotzdem wird die neoliberale "Verunsicherung" aller Lebensverhältnisse fortgesetzt, regieren Märkte und Marktlogik weiter wie bisher. Protest regt sich kaum, weil die scheinbare Alternativlosigkeit zu den bestehenden Zuständen tiefe Resignation ausgelöst hat. Ein erster emanzipatorischer Gegenentwurf entfaltet sich jetzt rund um die Debatte zu den "commons", den öffentlichen oder Gemeingütern. Auf dem medico-Kongress "Solidarität heute" im Jahr 2008 stellte die indische Aktivistin Vandana Shiva die Idee der "commons" in den Mittelpunkt einer Neubestimmung von Solidarität.

Gemeingüter stellen ganze Lebensbereiche außerhalb der Marktlogik. Gemeint sind zunächst die für uns alle zu schützenden natürlichen Ressourcen des Lebens: die Atmosphäre, das Land, das Wasser, die Bodenschätze, die Gene, aber auch das Wissen. Öffentlichen Schutzes und öffentlicher Förderung bedürfen weiter die Güter, die den Zugang zu diesen Gemeinressourcen sicherstellen: Bibliotheken, Schulen oder Universitäten zu Wissen, kommunale Wasserwerke zu Trinkwasser oder Krankenhäuser zum Erhalt des Lebens.

Die extreme globale Ungleichheit zeigt sich gerade im Zugang zu Gesundheit. Nur ein Beispiel: 90% der weltweiten Gesundheitsausgaben entfallen auf die 20 reichen Länder der Erde, in denen nur 20% der Weltbevölkerung leben. Im subsaharischen Afrika, wo 12% der Weltbevölkerung leben, wird dagegen nur 1 % der globalen Gesundheitsausgaben eingesetzt. An diesem Missverhältnis setzt die Idee von medico an, verbindliche Formen einer globalen Gesundheitsfinanzierung zu schaffen. Der Arbeitstitel dafür lautet "Weltgesundheitsfonds". Um diese Idee zu vertiefen und politische Handlungsmöglichkeiten auszuloten, traf sich medico 2009 mit Kollegen unterschiedlichster nichtstaatlicher und staatlicher Organisationen in Genf und in Brüssel. Dabei waren u.a. der UN-nahe "Global Fund to Fight Aids, Tuberculosis and Malaria und das Gesundheitsdirektorat Norwegens, aber auch Basisaktivisten wie z.B. unsere langjährigen Partner vom People's Health Movement. Die Reaktionen dieser so unterschiedlichen Akteure waren ermutigend, fand die Idee doch bei allen ein positives Echo. Zudem stellte sich heraus, dass es weltweit ähnliche Bestrebungen gab, eine globale Finanzierung von Gesundheit durch Umverteilung der dazu nötigen Ressourcen zu ermöglichen. Mit seiner Festlegung auf Verbindlichkeit könnte ein "Weltgesundheitsfonds" zum Pilotprojekt einer Welt werden, die sich mit einer Infrastruktur von Gemeingütern der Marktlogik entzieht.

Diese Perspektive, den bestehenden Teufelskreis aus Armut und Krankheit durchbrechen zu können, ist keine Illusion. Kern eines solchen Gesundheitsfonds wäre ein völkerrechtlich bindender Vertrag, der auf zwischenstaatlicher Ebene den notwendigen Finanzierungsausgleich reguliert und dafür sorgt, dass reichere Länder solange auch für die Finanzierung der Gesundheitssysteme der ärmeren eintreten, wie diese dazu selbst nicht ausreichend imstande sind.

Die "WHO-Kommission für Makroökonomie und Gesundheit" schätzte 2001, dass mit 40 Dollar pro Jahr einem Menschen ein "Minimalpaket" an präventiven und kurativen Gesundheitsleistungen ermöglicht werden kann. Ein mit jährlich 50 Milliarden Dollar ausgestatteter "Weltgesundheitsfonds" wäre demnach ausreichend, um den dringlichsten Gesundheitsbedürfnissen aller Menschen entsprechen zu können. Die große Kraft, die in solchen globalen Finanzierungsinstrumenten steckt, zeigen nicht zuletzt die Erfolge, die der "Global Fund to Fight HIV/AIDS, Tuberculosis, and Malaria" (GFATM) in den letzten Jahren in der Behandlung von HIV-Kranken erzielen konnte. Deutlich wurde aber auch, dass die Fokussierung auf einzelne Krankheiten auf Dauer unzureichend ist und gar neue Probleme schafft.

Ohne die Förderung von leistungsfähigen Gesundheitssystemen sind solche punktuellen Erfolge nicht nachhaltig. Nachhaltigkeit jedoch verlangt ein verpflichtendes Element, eine vertraglich sichergestellte Finanzierung und damit eine Abkehr von paternalistischen Hilfskonzepten. Die Erfahrungen des GFATM zeigen auch, dass die Arbeit globaler Institutionen nicht an lokalen Governance Problemen scheitern muss. "Country Coordinating Mechanisms" (CCM) können dafür sorgen, dass dringend benötigte Hilfen und Investitionen nicht Misswirtschaft und Korruption zum Opfer fallen.

Die Idee globaler Gesundheit steht für eine global geteilte Verantwortung für Gesundheit als ein öffentliches Gut. Angesichts des erreichten Globalisierungsgrades muss die Einrichtung eines "Weltgesundheitsfonds" unmittelbar auf der politischen Agenda stehen. Doch was sind erste Punkte auf einem alternativen Aktionsplan?

Zunächst sind die einzelnen Staaten aufgefordert, alles in ihrer Kraft stehende zu tun, um den Verpflichtungen, die sie selbst im Rahmen der Menschenrechtpakte mitformuliert haben, zu entsprechen. Das bedeutet auch, den finanziellen Spielraum für notwendige Sozialpolitik zu erweitern.

Zugleich ist ein Globaler Fonds für Gesundheit einzurichten, der sicherstellt, dass auch diejenigen Länder den Gesundheitsbedürfnissen der eigenen Bevölkerungen entsprechen können, die das aus eigener Kraft nicht oder noch nicht können. Um einen solchen Globalen Fonds für Gesundheit nachhaltig zu sichern, sind neue völkerrechtlich bindende Normen zu setzen, mit denen eine gerechte Verteilung der Kosten sichergestellt werden kann.

Die Konzeptualisierung von Globaler Gesundheit bedarf darüber hinaus der Schaffung einer neuen Global Health Governance. Erforderlich ist hier die normative und dann auch institutionelle Klärung und Absicherung dessen, was "globale Verantwortung genannt wird. Zu den vordringlichsten Aufgaben zählen hierbei die Schaffung von Alternativen zum bestehenden Patentsystem und die Aufstellung von Regeln für die internationale Rekrutierung von Gesundheitsfachpersonal.

Eine besondere Rolle ist dabei der WHO zuzuweisen, die gegenüber anderen Akteuren gestärkt werden muss, beginnend mit einer Verbesserung ihrer demokratischen Kontrolle. Insbesondere gilt es, eine transparente zivilgesellschaftliche Mitsprache zu ermöglichen und zugleich den nicht immer transparenten Einfluss partikularer Interessengruppen wie der Pharma-Industrie oder der Versicherungswirtschaft zurückzudrängen.

Voraussetzung für all dies ist der Aufbau einer sich selbst bewussten internationalen Öffentlichkeit. So unterschiedlich die Lebensumstände in der Welt noch immer sein mögen, zivilgesellschaftliche Gesundheitsinitiativen im Süden verfolgen schon lange ähnliche Ziele wie kritische Ärzteorganisationen, Sozialverbände und Gewerkschaften im Norden. Sie streiten dort für die Einführung bzw. gegen den Abbau solidarisch verfasster sozialer Sicherungssysteme, um deren Erhalt es auch hier zu kämpfen gilt.


Alle ungekürzten Texte sowie eine ausführliche Auflistung der Punkte des Aktionsplans auf www.medico.de/themen/gesundheit


Dr. Andreas Wulf ist medizinischer Projektkoordinator,
Thomas Gebauer Geschäftsführer von medico Deutschland.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Die Naama New Millenium Women's Group trifft sich einmal wöchentlich. Armut, Krankheit und fehlende Bildung sind die größten Hürden auf dem Weg, ihr Dorf voranzubringen.


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Quelle:
IPPNWforum | 124 | 10, Dezember 2010, S. 24 - 25
Herausgeber:
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland
Anschrift der Redaktion: IPPNWforum
Körtestr. 10, 10967 Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. März 2011