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AUSLAND/1707: Indien - Aruna Shanbaug darf nicht sterben, Debatte über Sterbehilfe neu entfacht (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 30. Mai 2011

Indien: Aruna Shanbaug darf nicht sterben - Debatte über Sterbehilfe neu entfacht

Von Sujoy Dhar


Mumbai, 30. Mai (IPS - In Indien bleibt Sterbehilfe vorläufig verboten. So hat der Oberste Gerichtshof einen Antrag abgelehnt, die seit 37 Jahren hirntote Aruna Shanbaug nicht länger künstlich am Leben zu erhalten. Allerdings räumten die höchsten Rechtshüter ein, dass unter bestimmten Umständen lebenserhaltende Maßnahmen bei Hirntoten eingestellt werden könnten. Das als bahnbrechend geltende Urteil hat die kontroverse Diskussion im Lande über Sterbehilfe neu entfacht.

1973 wurde die damals 25 Jahre alte Krankenschwester nach Dienstschluss im Umkleideraum des King Edward Memorial Hospital (KEM) in Mumbai von einem Klinikmitarbeiter überfallen, bis zur Bewusstlosigkeit mit einer Hundeleine stranguliert und vergewaltigt. Sie wurde erst am nächsten Morgen gefunden. Der lange Sauerstoffmangel hatte Gehirn der jungen Frau irreparabel beschädigt. Sie wird seitdem von Pflegekräften des KEM rund um die Uhr versorgt. Ihr Peiniger kam mit einer siebenjährigen Gefängnisstrafe davon.

Die Journalistin Pinki Virani, die sich seit Jahren mit dem Fall befasst, hatte den Antrag auf Sterbehilfe für Shanbaug gestellt. Nach der Urteilsverkündigung erklärte sie: "Niemand in Indien sollte ein solches Schicksal erleiden." Jetzt sei das indische Parlament gefordert, den Vorgaben des Obersten Gerichts zu folgen und individuelle Rechte zu schützen, betonte sie.

Beobachter sehen in der Entscheidung des obersten indischen Gerichtes einen ersten Schritt in Richtung auf eine Änderung des Gesetzes, das jegliche Art von Sterbehilfe verbietet. Die Richter hatten betont, das bislang geltende Recht gebe ihnen keine Möglichkeit zu einem anderen Urteil. Sie kritisierten jedoch den Generalstaatsanwalt, der die Regierung aufgeforderte hatte, Sterbehilfe niemals zuzulassen. Doch Indiens Justizminister Veerappa Moily erklärte: "Es ist an der Zeit, ernsthaft über dieses Thema zu diskutieren und es einer Überprüfung zu unterziehen."

Befürworter einer einvernehmlichen Sterbehilfe begrüßten die Entscheidung des Obersten Gerichts. "Es legalisiert Maßnahmen, die Ärzte bereits in vielen Krankenhäusern praktizieren" erklärte Surendra Dhelia. Der Arzt ist stellvertretender Sekretär der in Mumbai ansässigen 'Gesellschaft für das Recht, in Würde zu sterben' (SRDD), die dem gleichnamigen Weltverband angehört. "Ich persönlich würde die Sterbehilfe für Aruna unterstützen, die sich seit 37 Jahren nur in einem 'vegetativen Status' befindet. Doch legal können wir ihr nicht helfen, weil sie nicht in der Lage ist, ihren Willen zu artikulieren."

Nach Ansicht der Aktivistin Harmala Gupta, Gründerin von 'CanSupport', der ersten indischen Hilfsorganisation für Krebskranke, müssen in Indien vorerst weit dringlichere Probleme gelöst werden als die Sterbehilfe. "Da in diesem Land noch nicht alle Bürger Zugang zur medizinischen Grundversorgung haben, ist es verfrüht, über Sterbehilfe zu diskutieren", erklärte die Ärztin.

"Solange sich viele Patienten mit unerträglichen Schmerzen oder schweren Depressionen keine verlässliche Behandlung ihres Leidens leisten können, kann man von ihnen nicht verlangen zu entscheiden, ob sie weiterleben wollen oder nicht", sagte Gupta. Zunächst müsse die Palliativmedizin Teil der indischen medizinischen Grundversorgung werden.

"In Indien gibt es zu wenige Gruppen wie 'CanSupport', zudem ist das Gesundheitssystem miserabel", klagte sie. Es seien oft arme Patienten oder deren mittellose Familien, die keine andere Wahl hätten als sich für die Sterbehilfe zu entscheiden, weil für sie die Kosten einer weiteren Behandlung oder Pflege unerschwinglich wären, betonte die Ärztin. (Ende/IPS/mp/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Mai 2011