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AUSLAND/1725: Flüchtlinge in Israel ohne medizinische Hilfe - Ärzte helfen auf freiwilliger Basis (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. Juli 2011

Nahost: Flüchtlinge in Israel ohne medizinische Hilfe - Ärzte helfen auf freiwilliger Basis

Von Jillian Kestler-D'Amours

Patienten in einer ehrenamtlich betriebenen Klinik in Israel - Bild: © Jillian Kestler-D'Amours

Patienten in einer ehrenamtlich betriebenen Klinik in Israel
Bild: © Jillian Kestler-D'Amours

Tel Aviv, 5. Juli (IPS) - Vor zwei mit Medikamenten gefüllten Regalen spricht ein ehrenamtlicher Arzt mit einem Patienten über dessen Gesundheitszustand. Hinter einem Vorhang, der das kleine Zimmer teilt, wird ein anderer Mann untersucht. Alltagsszenen aus einer von nur zwei Kliniken in Israel, die Flüchtlinge behandeln.

Im nächsten Raum des Hospitals der Organisation Ärzte für Menschenrechte - Israel (PHR-I) in Tel Aviv warten mindestens 40 Kranke, die meisten von ihnen stammen aus Eritrea oder aus dem Sudan. Sie alle sind weder krankenversichert noch haben sie Anspruch auf andere soziale Leistungen. "Die Behörden gestatten ihnen zwar, im Land zu bleiben. Doch mehr wird für sie nicht getan", kritisiert Shahar Shosham vom PHR-I-Hilfsprojekt für Arbeitsmigranten, Flüchtlinge und Asylsuchende.

Nach Schätzungen der Hilfsorganisation ASSAF leben zurzeit etwa 35.000 Flüchtlinge in Israel. Viele von ihnen sind Bürgerkriegen, Völkermord und Diktaturen entkommen. Ein Großteil der aus Afrika geflohenen Menschen kam über Ägypten über gefährliche Schmugglerrouten durch den Sinai nach Israel.


Nach der Misshandlung die Missachtung

Längst gibt es Indizien dafür, dass die Flüchtlinge auf dem Weg nach Israel misshandelt und sexuell missbraucht werden. Menschenhändler halten sie oftmals fest, um Lösegeld zu erpressen. Nach ihrer Ankunft in Israel stehen sie dann vor neuen Problemen. So werden sie nur in akuten Notfallsituationen in Kliniken aufgenommen. Anschlussbehandlungen oder psychologische Betreuung sind nicht vorgesehen. Auch Patienten, die an chronischen Krankheiten wie Krebs oder AIDS leiden, können keine Hilfe vom israelischen Staat erwarten.

"Sobald sich ihr Zustand stabilisiert hat, werden sie entlassen", berichtet Shosham. Wenn sich jemand einen Arm bricht, bekomme er zwar einen Gips. Niemand aber ist bereit, ihm diesen Gips ohne Bezahlung wieder abzunehmen.

Das 1998 von PHR-I eröffnete Hospital in Tel Aviv behandelt dagegen an drei Tagen die Woche Patienten, die sonst auf sich allein gestellt wären. Termine müssen vorab nicht vereinbart werden. Etwa 700 Kranke können dort monatlich angenommen werden. Die Klinik kommt mit den Behandlungen kaum hinterher. Shosham fordert einen radikalen Wandel in der israelischen Gesundheitspolitik.

Eine Gruppe israelischer Studenten ging Anfang Juni aus denselben Gründen auf die Straße. Vor dem Büro von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in Jerusalem forderten sie, dass das nationale Gesundheitsgesetz auch für Asylsuchende gelten solle. "Niemand kann sie sehen, und keiner hört ihre Stimme", meinte die 25-jährige Yael Goren, die an der Ben-Gurion-Universität des Negev Sozialarbeit studiert. Wie die übrigen Demonstranten hatte sie sich in Blisterfolie gehüllt.

In der israelischen Gesellschaft sei die Angst vor Flüchtlingen und Asylanten weit verbreitet, sagte die Studentin. "Die Israelis fürchten, dass Tausende weitere Menschen ins Land kommen, wenn sie mehr Rechte erhalten", kritisierte Goren. Außerdem bestehe im Land großes Misstrauen gegen Fremde. Obwohl die Israelis selbst Flüchtlinge gewesen seien, machten sie nun die Türen zu.

Konservative israelische Politiker schüren die Ressentiments gegen die Asylsuchenden aus Afrika und bezeichnen sie als "Eindringlinge", die Krankheiten einschleppen und jüdische Frauen und Mädchen belästigen würden.


Regierung schürt Angst vor Überfremdung

Netanjahu selbst erklärte im Januar, dass die Afrikaner Tel Aviv "vom Norden bis zum Süden erobern". Lediglich ein geringer Teil seien tatsächlich Flüchtlinge, sagte er. Der Premier warnte sogar davor, dass die Asylsuchenden die Existenz des demokratischen Staates Israel gefährdeten.

Um dieser angeblichen Bedrohung zu begegnen, errichtete die Regierung einen Zaun entlang der südlichen Grenze zu Ägypten. Demnächst soll in der Negev-Wüste ein Gefängnis unter freiem Himmel entstehen, in dem Asylsuchende so lange bleiben, bis sie wieder in ihre Heimat zurückgeschickt werden. Für Shosham ist die harte Haltung der Regierung der Versuch, Israel um jeden Preis eine jüdische Mehrheitsbevölkerung zu garantieren. (Ende/IPS/ck/2011)


Links:
http://www.phr.org.il/default.asp?PageID=4
http://www.assaf.org.il/en/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=56338

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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juli 2011