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AUSLAND/2138: Pazifik - Ureinwohner haben hohes Risiken für HIV-Infektion, vor allem Frauen werden ausgegrenzt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 22. Juli 2014

Ureinwohner: Hohe Risiken für HIV-Infektion - Vor allem Frauen werden ausgegrenzt

von Neena Bandhari


Bild: © Neena Bandhari/IPS

Doris Peltier, die sich für die Rechte HIV-positiver Ureinwohnerinnen einsetzt
Bild: © Neena Bandhari/IPS

Sydney, 22. Juli (IPS) - Als Marama Pala 1993 positiv auf HIV getestet wurde, war sie gerade 22 Jahre alt. In ihrer Maori-Gemeinde in Waikanae an der Westküste der neuseeländischen Nordinsel verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer. Nach wie vor würden Infizierte diskriminiert, berichtet die Ureinwohnerin. Wie sie sagt, haben sich deutlich mehr Indigene als Weiße mit dem Immunschwächevirus angesteckt.

"Wer HIV-positiv ist, gilt als 'schmutzig', wird für drogenabhängig oder für einen Sexarbeiter gehalten", sagt sie. "Wegen dieses Stigmas suchen Mitglieder unseres Volkes keine Hilfe. Sie fürchten, beschimpft, verfolgt oder festgenommen zu werden."

Gemeinsam mit ihrem ebenfalls infizierten Mann, der von einer Pazifikinsel stammt, leitet Pala die INA-Stiftung, die HIV-positiven und an Aids erkrankten Menschen hilft. Die Stiftung will die Öffentlichkeit stärker für die Notlage der Betroffenen sensibilisieren, Präventionsarbeit leisten und Hilfe geben. "In den vergangenen fünf Jahren ist die Zahl der Neuinfektionen bei Einwanderern aus den Pazifikstaaten und vor allem bei den Maori, deutlich gestiegen. Denn wir lassen uns erst testen, wenn wir schon sehr krank sind."

Wie die Mutter von zwei Kindern erzählt, sterben viele Frauen, weil sie sich aus Furcht vor gesellschaftlicher Ausgrenzung nicht behandeln lassen. Dabei seien antiretrovirale Medikamente in Neuseeland leicht erhältlich, sagt die Aktivistin, die auch im Vorstand des Internationalen Rats der AIDS-Hilfeorganisationen sitzt.

Da vor allem Ureinwohner auf der gesamten Welt unverhältnismäßig stark von HIV und AIDS betroffen sind, halten Experten Hilfsprogramme, die auf die jeweilige Kultur abgestimmt sind, für dringend notwendig. Indigene sollten am Entwurf und an der Umsetzung dieser Programme beteiligt werden.


Viele Frauen sprechen nicht über die Krankheit

Besonders schwierig ist die Lage vieler Frauen, die oftmals noch nicht einmal ihre Familien über ihren Gesundheitszustand aufklären. "130 indigene Frauen leben in Australien mit dem Immunschwächevirus. Außer mir hat aber bisher erst eine von ihnen offen darüber gesprochen", sagt Michelle Tobin, die sich mit 21 Jahren ansteckte. Sie war damals mit einem HIV-positiven Mann zusammen, hatte in ihrer Naivität angenommen, dass ihr nichts passieren würde, wie sie erzählt. "Nach sechs Monaten wurde das Virus bei mir festgestellt. Ich hatte zu der Zeit ein kleines Mädchen und konzentrierte mich vollständig auf mein Baby."

Das war Anfang der 1990er Jahre gewesen. "In Melbourne wurden uns nach der Erstdiagnose damals keine Behandlungen angeboten", sagt die Frau, die dem Volk der Yorta Yorta angehört. "Damals starben viele Menschen, die sich in frühen Stadien der Krankheit befanden, unter ihnen auch mein Mann." Von ihrer Familie wurde Tobin daraufhin verstoßen.

Einige Mitglieder der Dorfgemeinschaft glauben, dass sie sich bereits mit dem Virus infizieren können, wenn sie in ihre Nähe kommen. Ihre Erfahrungen haben Tobin aber zu einer engagierten Anwältin für die Rechte von HIV-positiven und AIDS-kranken Ureinwohnerinnen werden lassen.

"Diese Frauen sind unter den Betroffenen in der Minderheit. Wir brauchen mehr finanzielle Unterstützung, um es Frauen zu ermöglichen, über Prävention, Behandlungen, Unterbringung und andere Themen zu sprechen", sagt die Vorsitzende des Nationalen AIDS-Bündnisses 'Anwernekenhe', die auch Mitglied im Komitee von 'Patsin' ('Positive Aboriginal Torres Strait Islanders Network'). Die Torres-Strait-Insulaner stammen von den gleichnamigen Inseln in Queensland, Australien und sind nicht mit den Aborigenes verwandt.

Australien unterstützt die Zielsetzungen der 'Politischen Erklärung der Vereinten Nationen zu HIV und AIDS' und hat außerdem den 'Eora-HIV-Aktionsplan 2014' angenommen, der Präventionsstrategien in der Vordergrund rückt und Indigenen effiziente Behandlungen in Krankenhäusern garantieren will.


International besetztes Treffen in Sydney

Unter dem Motto 'Unsere Geschichte, unsere Zeit, unsere Zukunft' richtete die Internationale Indigene Arbeitsgruppe zu HIV und AIDS (IIWGHA) vom 17. bis 19. Juli gemeinsam mit dem australischen Ureinwohnerkomitee AATSIOC eine Konferenz in Sydney aus. "In Kanada deutet alles darauf hin, dass die Infektionsgefahr für Indigene dreieinhalb Mal größer ist als für die übrige Bevölkerung", berichtet Trevor Stratton, IIWGHA-Koordinator für das 'Canadian Aboriginal AIDS Network' (CAAN). "Wir gehen davon aus, dass sich ähnliche Entwicklungen auch anderswo auf der Welt vollziehen, doch dazu liegen uns keine Daten vor."

Stratton plädiert dafür, dass Ureinwohner gemeinsam mit Homosexuellen und Sexarbeitern als besonders gefährdete Gruppe anerkannt werden, damit sie besondere staatliche Hilfen erhalten. Bei dem 49-Jährigen, der dem Volk 'Mississaugas of the New Credit First Nation' in Ontario angehört, wurde 1990 HIV diagnostiziert. Er führt die Infektionsanfälligkeit von Ureinwohnern unter anderem auf Kolonisation, Neo-Kolonisation, die Rohstoffausbeutung auf indigenen Territorien und Assimilierung zurück.

Laut dem australischen Amt für Statistik ist der Anteil HIV-positiver Ureinwohnerinnen und Torres-Strait-Inselbewohnerinnen wesentlich höher als der nicht-indigener Australierinnen. Das Verhältnis beträgt demnach 1,5 zu 0,4 pro 100.000 Personen.

Zwischen 2004 und 2014 wurde HIV/Aids bei 231 Aborigines und Torres-Strait-Insulanern diagnostiziert. Im vergangenen Jahr war die Rate der neu festgestellten Infektionen in der indigenen Bevölkerung mit 5,4 pro 100.000 höher als bei den nicht-indigenen Australiern mit 3,9 pro 100.000.


Soziale Ungerechtigkeit weit verbreitet

"Wir können nicht so tun, als ob das HIV/AIDS-Problem isoliert stattfindet", sagte Stratton. "Soziale Ungerechtigkeit ist weit verbreitet. Wir müssen durch internationale Menschenrechtsmechanismen Druck auf betreffenden Länder ausüben." Wie der Aktivist weiter erklärte, sollen die Staaten dazu bewegt werden, den Empfehlungen der UN-Erklärung über die Rechte indigener Völker und der Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation ILO zu folgen.

Die Strategien von IIWGHA basieren auf dem 2006 in der sogenannten 'Toronto Charter' festgeschriebenen Aktionsplan, der das Recht indigener Völker auf Autonomie, soziale Gerechtigkeit und die Wahrung der Menschenrechte festschreibt.

Doris Peltier, die sich in der Führungsebene von CAAN engagiert, weiß seit ihrem 44. Lebensjahr von ihrer AIDS-Erkrankung. Damals war sie drogenabhängig. Peltier betreut inzwischen in Armut lebende Frauen, denen wegen ihrer HIV-Infektion häufig die Kinder weggenommen werden. Die Furcht, dass die Behörden ihnen das Sorgerecht entziehen, halte viele Menschen davon ab, offen über ihren Zustand zu sprechen, sagt sie. "Ein Sozialsystem, das Frauen unterstützen sollte, macht ihnen in Wirklichkeit das Leben schwer."

Als Peltier schließlich in ihre Heimatgemeinde in Ontario zurückkehrte, erfuhr sie sowohl Rückhalt als auch Ablehnung. Manche Menschen ließen sie nicht ihr Geschirr benutzen, andere hätten sie schon aufgefordert, die Toilette nach dem Benutzen zu desinfizieren. "Rasch kamen Gerüchte in Umlauf, man nannte mich 'Wiinaapineh' (schmutzige Krankheit). Ich hielt aber durch. Durch die medizinische Behandlung und die Unterstützung meiner Familie geht es mir inzwischen besser." (Ende/IPS/ck/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/07/indigenous-communities-say-education-funding-key-to-fighting-hivaids/

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IPS-Tagesdienst vom 22. Juli 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juli 2014