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AUSLAND/2308: Indien - Krebs, nicht Krieg ist in Kaschmir Todesursache Nummer eins (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 22. Dezember 2015

Indien: Krebs, nicht Krieg ist in Kaschmir Todesursache Nummer eins

von Umar Shah


Bild: © Umer Asif/IPS

Wartende vor einem Krankenhaus in Srinagar im indischen Teil Kaschmirs
Bild: © Umer Asif/IPS

SRINAGAR, INDIEN (IPS) - Fiebernd liegt der 54-jährige Ashraf Ali Khan in einem Bett im größten staatlichen Krankenhaus des indischen Teils Kaschmirs. An seiner Seite sitzt der 15-jährige Sohn Asif, dem die Familie nicht gesagt hat, dass sein Vater Krebs im Endstadium hat und bald sterben muss. Der Leidensweg des Tischlers begann vor acht Monaten, als er wegen ständigen Hustens zum Arzt ging. Nach einer Röntgenaufnahme und weiteren Untersuchungen stand fest, dass er Lungenkrebs hatte. Die Mediziner gaben ihm noch höchstens zwei Monate zu leben.

Ashraf ist einer von etwa 4.000 Einwohnern Kaschmirs, die Jahr für Jahr an Krebs erkranken. Das Leben in dieser Region wird nicht nur durch den seit Langem andauernden Unabhängigkeitskrieg gefährdet, der bereits Tausende Menschenleben forderte. Laut Experten ist zudem die Zahl der Krebsfälle um 20 Prozent gestiegen.


Jährlich Tausende Neuerkrankungen

Die jüngsten Daten des Gesundheitsministeriums in Kaschmir belegen, dass dieser Bundesstaat damit die Statistik in ganz Indien anführt. In den vergangenen drei Jahren starben in der Gebirgsregion demnach mehr als 1.700 Menschen an der Krankheit. Seit Januar 2014 wurde das Leiden bei über 12.000 Patienten in mehreren staatlichen Hospitälern diagnostiziert. 2013 waren etwa 6.300 Fälle verzeichnet worden.

Am häufigsten treten bösartige Lungen-, Magen-, Dickdarm-, Brust- und Hirntumore auf, gefolgt vom Non-Hodgkin Lymphom, sowie von Eierstock- und Hautkrebs. Mediziner führen die auffällige Zunahme der Erkrankungen in erster Linie auf veränderte Lebens- und Ernährungsgewohnheiten zurück. Viele Menschen haben demnach Übergewicht, essen zu wenig Obst und Gemüse und bewegen sich kaum. Tabakkonsum, mangelnde ärztliche Kontrollen und Umweltverschmutzung verstärken die Risiken.

Der führende Onkologe Kaschmirs, Mohammad Maqbol Lone, erklärte, die Situation werde von Tag zu Tag alarmierender. "Die Patienten kommen aus allen Teilen der Region, sogar aus entlegenen Gebieten." Bis jetzt konnten Experten allerdings nicht feststellen, ob es einen hauptsächlichen Faktor gibt, der die Krebsgefahr in Kaschmir deutlich stärker erhöht als in anderen Bundesstaaten Indiens.

Fest steht immerhin, dass die arme Bevölkerung in ländlichen Gebieten vitamin- und nährstoffarme Nahrung zu sich nimmt. Weitere Risikofaktoren sind der häufige Gebrauch von Küchenutensilien aus Kupfer, der Genuss scharf gewürzter und frittierter Speisen sowie von großen Mengen an heißem, gesalzenen Tee. Zudem enthalten Lebensmittel einen hohen Anteil an krebserregenden Nitrosaminen.

Der Onkologe Abdul Rashid Lone bringt den rasanten Anstieg bei Lungenkrebs mit der zunehmenden Zahl von Rauchern in Verbindung. Andererseits hätten sich auch die Diagnosemethoden verbessert. "Früher blieben die meisten Krebserkrankungen in Kaschmir unerkannt. Wir verzeichnen heute auch deshalb mehr Fälle, weil die medizinische Technik fortgeschritten ist." Lones Kollege Riyaz Ahmad Shah wies darauf hin, dass auch Kinder von Blutkrebs und anderen Tumoren betroffen seien.

Andere Experten kritisieren, dass viele Kranke erst dann zum Arzt gingen, wenn bereits jede Hilfe zu spät komme. "Wenn die Hauptrisikofaktoren ausgeschaltet werden könnten, wäre Kaschmir sicher vor dieser todbringenden Krankheit", glaubt Sana ul-lah, Leiter der onkologischen Abteilung einer großen staatlichen Klinik.


Experten fordern mehr Aufklärungskampagnen

Die Wissenschaftlerin Insha Usman warf der regionalen Regierung vor, die Bevölkerung nicht ausreichend über die Krebsrisiken aufzuklären. Auch in weit abgelegenen Gebieten Kaschmirs müssten die Menschen über frühe Krankheitssymptome, Vorbeugungsmaßnahmen und Behandlungsmethoden informiert werden. "Unverständlicherweise hat die Regierung keine umfassende Strategie, um die Leute über eine derart folgenschwere Krankheit aufzuklären. Stattdessen bräuchten wir groß angelegte Informationskampagnen in Dörfern und Städten."

Einer neuen Studie zufolge ist das kolorektale Karzinom nicht nur die häufigste Todesursache in Kaschmir, sondern sogar weltweit. Es handelt sich um den nach Speiseröhren- und Magenkrebs am weitesten verbreitete Krebs des Gastrointestinaltrakts.

Die unabhängige Organisation 'Cancer Society of Kashmir' bietet seit 1999 armen Patienten medizinische und finanzielle Unterstützung. Masood Ahmad Mir, der für die Organisation arbeitet, berichtet, dass sich Kranke zwei Mal in der Woche kostenlos in einer Tagesklinik von Onkologen, Radiologen und Gastroenterologen behandeln lassen können. (Ende/IPS/ck/22.12.2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/12/cancer-not-clashes-the-number-one-killer-in-kashmir/

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IPS-Tagesdienst vom 22. Dezember 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Dezember 2015

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