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POLITIK/1964: Unter Bundesgesundheitsminister Spahn läuft die Gesetzesmaschine auf Hochtouren (KBV klartext)


KBV - klartext
Das Magagzin der kassenärztlichen Bundesvereinigung, 2. Ausgabe 2019

Die Gesetzesmaschine

von Alexandra Bodemer


Bundesgesundheitsminister Spahn produziert Gesetze wie am Fließband. Selbst sein eigenes Personal soll mitunter Probleme haben, das Tempo mitzugehen. Beobachten, kommentieren und beraten ist deshalb zurzeit eine besonders wichtige Aufgabe der ärztlichen Selbstverwaltung.


Die Maschinerie läuft auf Hochtouren. Seit dem Amtsantritt von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn im März 2018 hat kein anderes Kabinettsmitglied eine solch hohe Schlagzahl an Gesetzesinitiativen vorgelegt. Die Website des Ministeriums zählt 26 Vorhaben, Gesetze und Verordnungen auf (Stand Mitte Juni), die in der aktuellen Legislaturperiode begonnen, noch laufen oder bereits abgeschlossen wurden. Ob Organspende, Pflege, Arzttermine, Impfen, Schwangerschaftsabbrüche oder Digitalisierung: Die Liste der Themen, die der Minister - stets medienwirksam - abarbeitet, macht manchen Beobachter schwindelig. Nicht alle Pläne Spahns sind auf Anhieb erfolgreich. Dann versucht er mitunter, Vorhaben, die im ersten Anlauf gescheitert waren, in einem Nebensatz eines Entwurfs für ein anderes Gesetz wieder einzubringen. Prominentestes Beispiel hierfür war der Vorstoß zur Nutzenbewertung medizinscher Verfahren durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA). Spahn wollte hierfür kürzere verbindliche Fristen vorgeben, zunächst im Rahmen des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG). Bei Überschreitung der Frist durch den GBA hätte das Ministerium selbst per Rechtsverordnung über die Aufnahme von Methoden in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung zu entscheiden. Und zwar auch dann, wenn der Nutzen nach Ansicht des GBA noch nicht hinreichend belegt ist. Nach deutlicher Kritik von allen Seiten, inklusive Spahns eigener Partei, zog das Ministerium den Passus zurück. Allerdings tauchte er kurz darauf im sogenannten Implantateregister-Errichtungsgesetz wieder auf. Hinter dieser Taktik steht mutmaßlich die Hoffnung, die Regelung würde überlesen und einfach mit durchgewunken.


Viele dicke Brocken

Angesichts der Gesetzesflut, die seit Beginn der Legislaturperiode immer weiter angeschwollen ist, scheint diese Hoffnung nicht unberechtigt. "Wir haben einen Lauf", zitierte das Magazin "Der Spiegel" Anfang Mai den SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach in einem Artikel über das aus der Großen Koalition (GroKo) entstandene Arbeitsteam Spahn/Lauterbach. Beide haben schon 2013 das Gesundheitskapitel im damaligen Koalitionsvertrag ausgehandelt. Bezogen auf den aktuellen Koalitionsvertrag sagt Lauterbach, 90 Prozent der dortigen Vorhaben seien bereits abgehakt oder zumindest begonnen. Bis zum Sommer werde es zwölf weitere Gesetze geben, da seien "richtig dicke Brocken dabei". Manch einer, ob Funktionär im Gesundheitswesen oder im Ministerium selbst, mag die dicken Brocken eher wie einen Steinschlag empfinden.

Bei dem hohen Tempo, das Spahn vorlegt, müssen alle mithalten, wenn sie nicht vor vollendete Tatsachen gestellt werden wollen. So kommt es, dass auch die KBV fast schon im Wochenrhythmus Stellungnahmen zu neuen Gesetzesvorhaben herausbringt. Allein im ersten Halbjahr 2019 waren es rund 15 veröffentlichte Stellungnahmen. Dabei nimmt die KBV nur zu jenen Themen offiziell Stellung, die ihren Zuständigkeitsbereich, sprich die ambulante Versorgung betreffen. Zu den wichtigsten Gesetzen aus Sicht der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten gehören das im Mai verabschiedete TSVG, das Digitale-Versorgung-Gesetz und das angekündigte Notfallversorgungsgesetz.

Das Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) sieht unter anderem weitere Regelungen für die elektronische Patientenakte vor. Außerdem sollen Ärzte die Möglichkeit erhalten, Apps auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu verschreiben. Letzteres stößt bei den Kassen selbst allerdings auf Kritik. So warnte der AOK-Bundesverband vor einem erheblichen Kostenrisiko. Er appellierte an den Gesetzgeber, einen verbindlichen Nutzennachweis für digitale Anwendungen zu regeln. "Zumindest für digitale diagnostische oder therapeutische Anwendungen, die über reine Servicefunktionen hinausgehen, müssen Studien Pflicht werden", verlangte der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbands, Martin Litsch.

Telemedizin soll durch das DVG weiter gestärkt werden, etwa durch eine einfachere Durchführung von Videosprechstunden. Krankenkassen sollen im Rahmen der Förderung von "Versorgungsinnovationen" die Möglichkeit erhalten, ihren Versicherten individuelle Angebote zu Vorsorgemaßnahmen zu machen. Sie dürften außerdem digitale Angebote nicht nur fördern, sondern auch selbst entwickeln. Diese Anwendungen könnten dann auch einen bestimmten Versorgungsweg, etwa den Gang zum Facharzt, empfehlen. Dieses Detail birgt aus Sicht der KBV die Gefahr, einen Dammbruch einzuleiten. Denn die Kassen erhielten so die Möglichkeit, Patienten direkt zu steuern, und zwar ohne Beteiligung ärztlichen oder psychotherapeutischen Sachverstands. Hätte die Formulierung im Gesetzentwurf Bestand, würde damit ein Teil des Sicherstellungsauftrags an die Krankenkassen übergehen, was einen Bruch des Systems bedeuten würde (siehe auch Bericht zur Vertreterversammlung in dieser Ausgabe).


Erosion der Selbstverwaltung

Zum Entwurf des sogenannten FaireKassenwahl-Gesetzes (FKG) hat die KBV sich ebenfalls positioniert, weil dieser eine Reihe von Regelungen enthält, die direkte und indirekte Wirkungen auf die Funktion der Selbstverwaltungskörperschaften haben. So soll etwa die Organisation des GKV-Spitzenverbandes reformiert werden. Dazu gehört der Ausschluss ehrenamtlicher Mitglieder, eine Begrenzung der Amtsperioden des Vorstands sowie die Genehmigungspflicht des Verbandshaushaltes. Dies sind einschneidende Eingriffe in die Selbstverwaltung, deren Organe dadurch immer mehr zu nachgeordneten Einrichtungen des Ministeriums werden, kritisiert die KBV. Eine angemessene und funktionierende Interessenverwaltung sei den Mitgliedern der Selbstverwaltung so nicht mehr zu vermitteln. "Dieses Grundprinzip der Selbstverwaltung zu erodieren bedeutet die Abkehr von einem System, das in Wohlstands- und Krisenzeiten erheblich zur gesellschaftlichen Stabilität beiträgt und beigetragen hat", so die KBV.


Schaubild - Von Minister Spahn geplante und abgeschlossene Gesetze

Schaubild - Von Minister Spahn geplante und abgeschlossene Gesetze


Das FKG enthält einen weiteren Passus, der aus Sicht der Vertragsärzteschaft einen deutlichen Rückschritt bedeuten würde: Die Programmkostenpauschale für Disease-Management-Programme (DMP) soll gestrichen werden. Im Gesetzentwurf ist dies damit begründet, die DMP würden gegenüber anderen Versorgungsformen privilegiert. Dies ist nach Dafürhalten der KBV jedoch vollkommen gerechtfertigt und sinnvoll. Immerhin erfolge die Entwicklung der DMP systematisch nach klar definierten evidenzbasierten Kriterien. Damit würden die Chronikerprogramme eine nach nationalen Standards konsentierte leitliniengerechte Versorgung der großen Volkskrankheiten gewährleisten und deutliche qualitative Unterschiede zum Flickenteppich anderer selektiver Vertragsformen zeigen. Da durch die nach wie vor wettbewerbliche Ausrichtung der GKV chronisch Erkrankte ein finanzielles Risiko für die Kassen darstellten, berge der Wegfall dieses Anreizes ein hohes Risiko, diese innovative Versorgungsform ersatzlos zu beenden. Eine finanzielle Förderung der Programme sei aber aufgrund der hohen Qualitätsanforderungen der DMP unverzichtbar, so die KBV.


Impfpflicht und E-Rezept

Mit einem Masernschutzgesetz will Bundesgesundheitsminister Spahn die Durchimpfungsraten deutlich erhöhen, um die Masern in Deutschland zu eliminieren. Dazu soll etwa eine Impfpflicht für Personen in Gemeinschaftseinrichtungen wie Kitas und Schulen eingeführt werden. Bei Verstößen drohen Bußgelder in Höhe von bis zu 2500 Euro. Die KBV unterstützt das grundsätzliche Ziel des Gesetzes, auch wenn sie den Weg einer verstärkten Aufklärung und Information gegenüber Zwangsmaßnahmen grundsätzlich bevorzugt. Die Frist für den verpflichtenden Nachweis einer Impfung sollte jedoch um ein halbes Jahr, nämlich bis zum 31. Januar 2021 verlängert werden, weil allein im ersten Jahr von mindestens 731.000 zusätzlichen Impfungen auszugehen sei, argumentiert sie. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass Ärzte über die Grenzen der Tätigkeit im Rahmen ihres Fachgebiets hinaus Personen impfen dürfen. Damit dürfte etwa ein Kinder- und Jugendarzt auch die Eltern impfen. Die KBV kann diese Öffnung nachvollziehen und geht davon aus, dass sie im Rahmen der im Gesetz genannten Beispiele umgesetzt wird. Des Weiteren begrüßt die KBV die vorgesehene Etablierung eines digitalen Impfausweises. Allerdings sei nicht gesichert, dass die digitale Speicherung der Impfdaten die papiergebundene Dokumentation ablöst. Hier fordert die KBV eine Klarstellung. Andernfalls käme es zu erheblichem Mehraufwand in den Praxen und Parallelstrukturen in der Dokumentation.

Ein weiteres Gesetz in der Pipeline sieht die Stärkung der Vor-Ort-Apotheken vor. Die KBV begrüßt das Vorhaben grundsätzlich, warnt jedoch davor, dass mit der Einführung zusätzlicher Dienstleistungen in den Apotheken, etwa einer Medikationsanalyse und der Erfassung bestimmter Gesundheitsparameter, Doppelstrukturen etabliert und finanziert würden. Der Absicht, Grippeschutzimpfungen durch pharmazeutisches Personal zu ermöglichen, erteilt die KBV eine klare Absage. Dies sei eine ureigene ärztliche Aufgabe, schon aus Gründen der erforderlichen medizinischen Aufklärung und der Patientensicherheit im Falle von Komplikationen.

Der Bundestag hat am 6. Juni das Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) auf den Weg gebracht. Damit sollen unter anderem die Befugnisse der Bundesbehörden bei ArzneimittelRückrufen gestärkt werden. Teil des Gesetzes ist auch die Einführung des elektronischen Rezeptes: Die Selbstverwaltung soll innerhalb von sieben Monaten nach Inkrafttreten des GSAV die notwendigen Regelungen festlegen, so dass das E-Rezept ab Mitte kommenden Jahres über die Telematik-Infrastruktur genutzt werden kann. Hauptkritikpunkt der KBV ist die Vorgabe der sogenannten qualifizierten elektronischen Signatur (QES) durch den Arzt. Diese ist nach derzeitigem Stand mit einem erheblichen zeitlichen Mehraufwand in den Praxen verbunden. Das Verfahren müsse deshalb deutlich vereinfacht werden. Ein weiteres, aus Sicht der KBV sehr wichtiges Gesetz, nämlich das zur künftigen Organisation zur Notfallversorgung, lag bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht vor.

Auch wenn das Parlament nun erst einmal eine Sommerpause einlegt, die Maschinerie läuft weiter. Sowohl Minister Spahn als auch Karl Lauterbach haben deutlich gemacht, dass sie das Tempo weiter hochhalten wollen. Wohl auch, weil niemand sicher sagen kann, ob die GroKo wirklich bis zum Ende der Legislaturperiode hält.


Die Stellungnahmen der KBV zu aktuellen Gesetzesvorhaben finden Sie hier:

www.kbv.de/html/416.php

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Quelle:
kbv - klartext, 2. Ausgabe 2019, Seite 20 - 22
Kassenärztlichen Bundesvereinigung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. September 2019

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