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POLITIK/1775: Rede von Bahr zur Regelung der Entscheidungslösung im Transplantationsgesetz, 22.03.12 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede des Bundesministers für Gesundheit, Daniel Bahr, zum Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Entscheidungslösung im Transplantationsgesetz vor dem Deutschen Bundestag am 22. März 2012 in Berlin:


Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!

In meiner Heimatstadt Münster gibt es den Verein "Herzenswünsche", der schwerkranken Kindern einen Wunsch erfüllt. Er gibt ihnen damit häufig in schwieriger Lage neue Hoffnung und neue Kraft. Eines dieser Kinder ist Fatmanur. Das Mädchen ist acht Jahre alt und braucht dringend eine neue Niere. Jeden zweiten Tag muss sie für fünf Stunden zur Dialyse. Draußen spielen, eine normale Kindheit, das erlebt sie derzeit nicht, weil sie auf ein neues Organ warten muss.

Viel zu viele Menschen warten viel zu lange auf ein Organ. Viel zu viele Menschen in Deutschland warten vergeblich auf ein Organ. Deswegen ist die große Einigkeit heute hier im Deutschen Bundestag kein Zeichen von Langeweile, sondern ein ganz starkes Signal an die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, dass das Thema Organspende ein so wichtiges Thema ist, dass wir als Gesetzgeber auch erwarten können, dass sich die Menschen in Deutschland mindestens einmal im Leben mit dem Thema Organspende auseinandersetzen und wir sie dazu auffordern können, sich bei diesem Thema einmal im Leben zu entscheiden.

Ja, wir wissen, dass viele Menschen Ängste und Sorgen beim Thema Organspende haben und manche Menschen viele offene Fragen haben. Deswegen ist es wichtig, dass wir mit diesem Gesetzentwurf dazu beitragen, dass erstmals alle Deutschen über 16 Jahre von ihrer Krankenversicherung angeschrieben werden und ihnen ein Organspendeausweis zugeschickt wird, damit sie diesen Organspendeausweis einmal in der Hand haben, damit der Organspendeausweis Thema im Familien- und Freundeskreis wird und damit man sich am Frühstückstisch einmal darüber unterhält, wie man sich selbst beim Thema Organspende entscheiden möchte. Es ist ein klares und starkes Signal, das der Bundestag hier sendet, indem er gemeinsam einen solchen Gesetzentwurf vorgelegt hat. Ich danke all denjenigen, die sich dazu bereit erklärt haben, Brücken zu bauen und gemeinsam diesen Kompromiss zu finden. Das war nicht immer leicht.

Wir wissen: Jeder Organspender ist ein Lebensretter. Jeder, der sich für oder gegen die Organspende zu Lebzeiten entscheidet, lastet diese Entscheidung nicht seinen Angehörigen auf, die häufig in einer ganz schwierigen Situation im Krankenhaus gefragt werden. Wer seinen Angehörigen diese Situation ersparen möchte, der sollte sich zu Lebzeiten mit der Frage der Organspende selbst auseinandersetzen und eine Entscheidung treffen. Wenn mehr mitmachen, dann müssen weniger warten. Das ist das Signal, das dieser gemeinsame Gesetzentwurf heute sendet. Die Organspende ist ein Akt der Nächstenliebe, zu dem man sich aktiv entscheidet. Es gibt keinen gesellschaftlichen Anspruch auf eine Organspende; aber es gibt die gesellschaftliche Erwartung, dass sich Menschen einmal im Leben mit dem Thema Organspende auseinandersetzen.

Die Krankenkassen werden also die Versicherten auffordern, sie werden sie regelmäßig anschreiben und informieren, damit Ängste und Sorgen genommen werden, damit über das Thema Organspende aufgeklärt wird und die Menschen Bescheid wissen, wie diese abläuft, wie sie entscheiden können und was sie tun können. Wir wissen, dass die Bereitschaft der Menschen in Deutschland sehr hoch ist, ein Spenderorgan anzunehmen, wenn sie auf ein solches angewiesen sind. Aber die Bereitschaft der Menschen, sich deswegen für einen Organspendeausweis zu entscheiden, ist in Deutschland noch viel zu gering.

Das zeigt: Es muss noch mehr für Aufklärung und Information getan werden. Das wird nicht nur durch die Krankenversicherungen geschehen, weil sie dazu verpflichtet werden, sondern auch durch uns, weil wir dafür sorgen, dass die Behörden in Deutschland zukünftig Informationsmaterial und Organspendeausweise in geeigneter Form auslegen. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung wird begleitend eine breite Öffentlichkeitskampagne durchführen, um die Menschen über das Thema Organspende aufzuklären.

Die Bereitschaft der Menschen, ein Organ entgegenzunehmen, wenn sie es brauchen, zeigt, dass wir uns aufeinander verlassen wollen. Diese Solidarität ist aber keine Einbahnstraße, sondern diese Solidarität muss gelebt werden, am besten dadurch, dass man sich für eine Organspende entscheidet.

Deshalb ist es richtig, dass wir auch die Möglichkeit geben, den Organspendeausweis auf der elektronischen Gesundheitskarte zu speichern. Damit erhalten die Krankenkassen jedoch nicht etwa ein Zugangs- oder Schreibrecht für hochsensible Gesundheitsdaten, wie es diskutiert und kritisiert wurde, sondern wir sorgen dafür, dass die hohen Datenschutzstandards bei den hochsensiblen Gesundheitsdaten weiter gewahrt bleiben. Die Krankenkassen haben auch künftig keine Möglichkeit, auf die Gesundheitsdaten der Versicherten beziehungsweise Patienten zuzugreifen. Es bleibt das Grundprinzip erhalten: Herr der Gesundheitsdaten bleibt der Versicherte selbst. Er entscheidet, wer Zugriff auf die Daten hat. Die Krankenkassen alleine haben diese Möglichkeit nicht.

Wir sorgen durch bessere Information und ständige Konfrontation dafür, dass Menschen sich mit dem Thema Organspende auseinandersetzen. Wir fordern sie auf, sich zu entscheiden, aber wir üben keinen Zwang aus. Wir müssen akzeptieren, dass es Menschen gibt, die sich vielleicht zu einem bestimmten Zeitpunkt noch nicht entscheiden können. Deswegen ist es richtig, dass wir die Bürgerinnen und Bürger regelmäßig auf dieses Thema ansprechen und sie dazu anschreiben. Ich bin seit vielen Jahren in der Initiative "No Panic for Organic" aktiv. In dieser Initiative haben wir die Erfahrung gesammelt, dass man diese Panik, diese Sorge, die der eine oder andere vor der Organspende hat, dem Menschen dadurch nehmen kann, dass man ihn ganz konkret anspricht, ihm einen Organspendeausweis in die Hand gibt, ihn ganz konkret informiert. Genau so wollen wir das jetzt auch mit diesem Gesetzentwurf machen.

Aber der Gesetzentwurf alleine reicht noch nicht. Der Gesetzentwurf kann die Organspendebereitschaft erhöhen. Damit hätten wir schon sehr viel erreicht. Noch wichtiger ist es, dass wir mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung und der Unterstützung durch die Fraktionen - ich bin auf die Beratungen sehr gespannt und will auch sehr offen mit Ihnen in die Beratungen gehen, damit wir hier große Einigkeit erreichen - dafür sorgen, dass auch die Abläufe in den Krankenhäusern verbessert werden.

Wir stellen fest, dass es in Deutschland in ein und derselben Stadt Krankenhäuser gibt, die viele potenzielle Organspender melden, und Krankenhäuser gibt, die kaum oder keine Organspender melden. Die Abläufe und die Organisation in den Krankenhäusern müssen unbedingt besser werden, damit wir ganz konkret eine höhere Zahl an Organspenden erreichen.

Wir sehen im Gesetzentwurf deshalb vor, dass in jedem Krankenhaus künftig ein Transplantationsbeauftragter zu bestellen ist, damit es in jedem Krankenhaus jemanden gibt, der für die Abläufe zuständig ist und dabei für Anreize sorgt, dass im Krankenhause darauf geachtet wird: Wer ist ein potenzieller Organspender? Wie können wir die Abläufe verbessern? Darüber hinaus wird es in Fragen der Vergütung, der Organisation weitere Verbesserungen geben.

In den vergangenen Legislaturperioden haben wir auch im Deutschen Bundestag, zum Beispiel in der Enquete-Kommission "Ethik und Recht der modernen Medizin", über die Frage der Lebendspende diskutiert. Ich bin Ihnen, lieber Herr Steinmeier, sehr dankbar. Sie haben uns nämlich durch Ihre Reputation und Ihre - Öffentlichkeitsarbeit geholfen, das Thema Lebendspende in die öffentliche Diskussion zu bekommen. Ein gemeinsames Ziel dieses Gesetzentwurfes zur Änderung des Transplantationsgesetzes ist es auch, dass wir endlich dazu beitragen, dass für denjenigen, der sich für die Lebendspende entscheidet, der dies aus altruistischen Gründen tut, keine Nachteile in Versicherungsfragen oder in rechtlicher Hinsicht entstehen. Derjenige, der sich für die Lebendspende entscheidet, darf keine Nachteile erleiden.

Deswegen sorgen wir dafür, dass grundsätzlich die Versicherung des Empfängers zuständig ist, wenn es um Krankenbehandlung, Vor- und Nachbetreuung, Rehabilitation oder Übernahme von Fahrtkosten geht. Wir sorgen erstmals dafür, dass die Gewährung von Lohnfortzahlung und Krankengeld selbstverständlich wird. Wir sorgen auch dafür, dass bei der gesetzlichen Unfallversicherung eine klare und unzweideutige Regelung für die versicherungsrechtliche Absicherung erfolgt.

Ich bin deshalb sehr froh und optimistisch, dass es uns mit beiden Gesetzentwürfen gelingen wird, sowohl die Organspendebereitschaft als auch die Anzahl der Organspenden zu erhöhen; denn jeder, der auf einer Warteliste in Deutschland steht und dringend auf ein Organ wartet, ist einer zu viel. Es ist ein starkes Signal, dass wir hier gemeinsam daran arbeiten, die Situation in Deutschland zu verbessern. Das ist ein Hoffnungsschimmer für die vielen Menschen, die als Betroffene möglicherweise gerade an den Fernsehschirmen dieser Debatte zuschauen. Das ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Vielen Dank für diese gemeinsame Einigkeit! Das tut den Menschen und insbesondere den Betroffenen ganz besonders gut.


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Quelle:
Bulletin 28-1 vom 22.01.2012
Rede des Bundesministers für Gesundheit, Daniel Bahr, zum Entwurf
eines Gesetzes zur Regelung der Entscheidungslösung im Transplantationsgesetz
vor dem Deutschen Bundestag am 22. März 2012 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. März 2011