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RECHT/665: Klinikleitung in München verwehrt "Russen" Behandlung - Gericht: "Schuld gering" (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 31 vom 5. August 2022 - Politik
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Volksverhetzer machen weiter
Klinikleitung in München verwehrt "Russen" Behandlung, Gericht: "Schuld gering"

von Ralf Hohmann


Die Staatsanwaltschaft München I hat mit Verfügung vom 19. Juli das im März gegen drei leitende Ärzte der Iatros-Klinik eingeleitete Strafverfahren wegen des Verdachts der Volksverhetzung eingestellt. Die Beschuldigten hatten am 4. März den etwa 50 Belegärzten des Klinikums ein Schreiben übermittelt, in dem es unter anderem hieß:

"Russland (...) bedroht unsere Freiheit und die Demokratie. Daher werden wir ab sofort und bis auf weiteres keine russischen und weißrussischen Staatsbürger bei uns behandeln. Sie können sich die Anmeldung sparen. Es wird keine Ausnahmen geben. (...) Im Zweifel werden wir die Patienten am OP-Tag absetzen."

Die Ermittlungsbehörde sah den Anfangsverdacht einer Volksverhetzung (Paragraf 130 StGB) als gegeben an, da im Schreiben "in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, gegen zwei nationale Gruppen zu Willkürmaßnahmen aufgefordert" worden sei. Der Fall wurde publik, ein heftiges Rauschen in den sozialen Medien und im Münchner Blätterwald blieb nicht aus. Die "Bild" druckte am 8. März in ihrer Regionalausgabe das Schreiben ab, die "tz" titelte am 12. März "Russen unerwünscht!" und wies auf die fast 16.000 Münchner mit russischer Herkunft hin, denen seit Februar "oft purer Hass entgegenschlägt".

Wenige Tage zuvor hatte bereits die Direktorin des Universitätsklinikums für Humangenetik, Ortrud Steinlein, für Proteste gesorgt. Sie teilte per Mail der Leitung der "MedicalMunich", einem Dienstleister für russischsprachige Patienten, mit, dass "ab sofort grundsätzlich die Behandlung russischer Patienten" abgelehnt werde, nicht ohne den Zusatz: "Ukrainische Patienten sind natürlich herzlich willkommen." Die Ludwigs-Maximilian-Universität distanzierte sich. Es sei die Privatmeinung der Klinikleiterin, die sich beim Abfassen der Mail "in einer sehr emotionalen Situation" befunden habe. Mit einer Distanzierung waren auch die Ärzte der Iatros-Klinik schnell bei der Hand. Nicht nur das, flugs überwies die Klinik an die Organisation "Ärzte ohne Grenzen" 10.000 Euro. Ihre Idee sei es gewesen, schreiben die Ärzte, "die geschäftlichen Bindungen mit Russland zu kappen und ein Zeichen der Unterstützung zu setzen", man habe das aber "in seiner Gesamtheit nicht zu Ende gedacht". Ein beredtes Zeugnis für die intellektuelle Leistungsfähigkeit der drei Ärzte.

Die Staatsanwaltschaft zieht die Vorschrift des Paragrafen 153 Strafprozessordnung heran, verweist auf das Geständnis der Beschuldigten und die "Anfeindungen Dritter", denen die Ärzte nach Bekanntwerden des Schreibens ausgesetzt gewesen seien. Somit sei die "Schuld gering" und ein "öffentliches Interesse an der Strafverfolgung nicht gegeben". Warum sollte die Öffentlichkeit auch ein Interesse an der Verfolgung haben, wenn gleichzeitig eine antirussische Sanktion die nächste jagt, das Bundeskriminalamt seit März pro Woche 200 Straftaten mit antislawischen Motiven registriert, Konzerte russischstämmiger Künstler abgesagt werden, russische Waren aus den Supermärkten verschwunden sind, russische Medien die Sendelizenz verlieren und russische und sowjetische Symbole verboten werden?

Auch berufsrechtlich droht den Behandlungsverweigerern nichts. Die im Hippokratischen Eid niedergelegte Pflicht zu ärztlichem Beistand hat in Deutschland ihre Grenze im Vertragsrecht. Jeder Arzt, jedes Krankenhaus kann die Behandlung eines Patienten außerhalb eines akuten Notfalls ablehnen, mit welchem Grund auch immer. Vertragsfreiheit eben.


Über den Autor
Ralf Hohmann (Jahrgang 1959) ist Rechtswissenschaftler. Nach seinen Promotionen im Bereich Jura und in Philosophie arbeitete er im Bereich der Strafverteidigung, Anwaltsfortbildung und nahm Lehraufträge an Universitäten wahr. Er schreibt seit Mai 2019 regelmäßig für die UZ.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 54. Jahrgang
Nr. 31 vom 5. August 2022, Seite 4
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
Anschrift von Verlag und Redaktion:
Hoffnungstraße 18, 45127 Essen
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veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 13. August 2022

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