Schattenblick → INFOPOOL → MEDIZIN → GESUNDHEITSWESEN


SOZIALES/025: Praxismodelle - Immer mehr Ärzte interessieren sich für die Arbeit im Team (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 6/2016

Praxismodelle
Ärzte setzen auf Kooperationen

Von Dirk Schnack


Der Trend zur Zusammenarbeit in der ambulanten Medizin setzt sich fort. Immer mehr Ärzte interessieren sich für die Arbeit im Team.


Die Zahlen sind eindeutig: Ärzte, die im ambulanten Bereich arbeiten oder sich für eine Tätigkeit in diesem Bereich interessieren, wählen immer häufiger die Alternative, bei der sie im Team mit mehreren Kollegen gemeinsam arbeiten können. Der klassische "Einzelkämpfer" - besonders in ländlichen Regionen heute noch immer die tragende Säule der ambulanten Versorgung wird in öffentlichen Diskussionsrunden von Akteuren aus der Gesundheitspolitik sogar schon als "Auslaufmodell" bezeichnet.

Ob diese Prognose zutrifft, lässt sich heute noch nicht abschätzen. Fest steht aber, dass die unbestreitbaren Vorteile der Einzelpraxis insbesondere die jüngeren Ärzte immer seltener überzeugen. Die jüngst von der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein (KVSH) vorgelegten Zahlen über Einzelpraxen, Berufsausübungsgemeinschaften (BAG) und Medizinische Versorgunsgzentren (MVZ) unterstreichen diese Entwicklung. Per Saldo hat die Einzelpraxis mehr Ärzte an die beiden anderen Organisationsformen in der ambulanten Versorgung Verloren als gewonnen, allerdings sind die Wanderungsbewegungen auch nicht so dramatisch, dass sich damit die Feststellung vom "Auslaufmodell" schon belegen lässt.


Säulendiagramm: Anzahl der Ärzte in den jeweiligen Praxisformen

Säulendiagramm: Anzahl der Ärzte in den jeweiligen Praxisformen (EP, BAG und MVZ) im Vergleich des 1. Quartals 2009 mit dem 4. Quartal 2014

 Zu- und Abwanderung zur/von der Einzelpraxis zu/von anderen 
 Praxisformen seit dem ersten Quartal 2009 bis zum vierten Quartal 2014. 
Zuwanderung zu EP
Abwanderung von EP
Differenz
BAG
MVZ
außerhalb der KV
+126
+13
+487
-133
-48
- 499
-7
-35
-12


Aussagen junger Ärzte zeigen aber, dass diese Entwicklung weitergehen wird. Ein Beispiel: Das kommunale Ärztezentrum in Büsum arbeitet heute mit sieben Ärzten inklusive eines Weiterbildungsassistenten. Vier dieser Ärzte waren über Jahrzehnte im gleichen Haus in getrennten Einzelpraxen tätig und hatten neben der gemeinsam genutzten Immobilie kaum Berührungspunkte in ihrer täglichen praktischen Arbeit. Für ihre Kassenarztsitze und ihre Praxen fanden sich trotz umfangreicher Bemühungen und trotz ausreichender Patientenzahlen - die zu einer soliden wirtschaftlichen Grundlage führten - keine Interessenten, die sie in dieser Organisationsform weiterführen wollten.

Neben dem Standort an der Nordsee, den manche Ärzte als zu weit abgelegen von größeren Städten empfinden und dem Partner möglicherweise die Suche nach einer Beschäftigung erschweren könnte, wurden immer wieder zwei Punkte als Grund für das mangelnde Interesse genannt: Das wirtschaftliche Risiko als Praxisinhaber und die fehlende Möglichkeit der Teamarbeit. Wer diese Punkte als Nachteil empfindet, scheut die Übernahme einer Einzelpraxis. Offensichtlich traf dies für Büsum zu.

In dieser Situation entschloss sich die Gemeinde Büsum wie berichtet zu einem Modell, das die Arztsitze auch rechtlich in einer Einrichtung zusammenführte. Damit ließ sich aus getrennten Praxen ein aus einer Hand geführtes Ärztezentrum entwickeln. Der mit dem Management dieser Einrichtung beauftragten Ärztegenossenschaft Nord eröffneten sich damit neue Möglichkeiten bei der Gewinnung neuer Ärzte. Weil der Kassenarztsitz nun beim Träger liegt, müssen junge Ärzte diese nicht vom Vorgänger erwerben und damit auch kein wirtschaftliches Risiko eingehen. Mindestens genauso entscheidend ist aber die Tatsache, dass der Praxisbetrieb in Büsum nun als Ganzes organisiert wird und die Ärzte und ihre Mitarbeiter sich regelmäßig abstimmen und austauschen können - das fördert nicht nur die Arbeitszufriedenheit, sondern entlastet auch etwa durch gegenseitige Vertretungsmöglichkeiten. Die beiden inzwischen zusätzlich gewonnenen Ärztinnen hatten bereits signalisiert, dass sie unter den früheren Umständen wohl nicht in Büsum eingestiegen wären. Dass auch erfahrene Ärzte in der Kooperation einen Gewinn sehen, zeigt die Tatsache, dass vier von ihnen auch ein Jahr nach der Umwandlung noch immer als Angestellte in dem Zentrum tätig sind.

Klar ist aber auch: Büsum bleibt als kommunal getragenes Ärztezentrum ein Exot, Nachahmer für diese besondere Konstellation wird es nur in Einzelfällen geben. Der Trend zur ärztlichen Kooperation dagegen wird auf breiter Fläche zunehmen.

Vor der Zusammenarbeit im Praxisteam und vor der Entscheidung für ein Kooperationsmodell nehmen viele Ärzte Rat von Kollegen an und lassen sich von deren Erfahrungen leiten. Diesen Gedanken greift auch das Trainee-Programm der KVSH für Ärzte in Weiterbildung zum Facharzt auf (Termin: siehe Kasten unten). Hier berichten Ärzte von ihren ganz persönlichen Erfahrungen in der Kooperation - inklusive Fehler und Hürden, die die jungen Kollegen vermeiden könnten. Sie erfahren, weshalb sie sich ausgerechnet für den ausgewählten Partner entschieden haben, in welcher Situation die Niederlassung sinnvoll war und vor allem, warum die jeweilige Kooperationsform für sie die richtige war. Denn zwischen einer Kooperation im Zweierteam an einem Standort und der Zusammenarbeit mit zehn oder mehr Kollegen an Standorten in ganz Schleswig-Holstein sind heute zahlreiche Varianten der Kooperation denkbar, rechtlich möglich und auch praktisch umsetzbar. Bevor dabei Fehler gemacht werden, soll das Traineeprogramm den Weiterbildungsassistenten Fallstricke deutlich machen und zeigen, welche Lösungen es dafür gibt.

Zurück zur Ausgangsfrage nach der künftigen Struktur der ambulanten Versorgung: Die Aussagen, ob es künftig noch Einzelpraxen und Zentren mit Ärzteams nebeneinander geben wird, sind widersprüchlich. Ausschlaggebend wird am Ende sein, welche Rahmenbedingungen der Gesetzgeber schafft und welche Strukturen die besseren Bedingungen für die jetzt in Weiterbildung befindlichen Ärzte bieten.


Alle Kooperationsmodelle an einem Tag

Junge Ärzte wollen im Team arbeiten - aber welche Kooperation in der ambulanten Versorgung ist die richtige? Mit dieser Frage beschäftigt sich das nächste Trainee-Programm der KV Schleswig-Holstein für Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung. Drei niedergelassene Ärzte aus Schleswig-Holstein werden den jungen Kollegen aus erster Hand berichten, warum sie sich für welche Praxisform entschieden und welche Erfahrungen sie damit gesammelt haben. Die Vielfalt der Kooperationsmöglichkeiten und und ihre Vor- und Nachteile wird der Geschäftsführer der Ärztegenossenschaft Nord, Thomas Rampoldt, schildern. Für die Teilnahme erhalten Ärzte sieben Fortbildungspunkte. Die wichtigsten Daten des kostenfreien Programms:

Freitag, 8. Juli 2016, von 10 bis 15 Uhr, in der Akademie für medizinische Fort- und Weiterbildung (Esmarchstraße 4, 23795 Bad Segeberg) Anmeldung per E-Mail: akademie@aeksh.de

Wie immer wird ausreichend Zeit zur Verfügung stehen, um mit den Referentinnen und Referenten ins Gespräch zu kommen und Fragen zu stellen. Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung aller Fachrichtungen sind herzlich willkommen, für Verpflegung ist gesorgt.

*

INTERVIEW

"Zusammenarbeit hat Priorität"

Bianca Hartz von der Niederlassungsberatung der KVSH: Junge Ärzte interessieren sich besonders für Kooperationen.


SHÄ: Warum beschäftigt sich die KVSH im Trainee-Programm für Ärzte in Weiterbildung mit dem Thema Kooperationen?

Bianca Hartz: Auf den bisherigen Veranstaltungen des Traineeprogramms ist immer wieder deutlich geworden, dass viele junge Ärzte dieses Thema beschäftigt. Die Möglichkeiten der Zusammenarbeit haben sich ja auch enorm erweitert. Es gibt unterschiedliche Varianten im Team zu arbeiten und sich in der ambulanten Versorgung einzubringen. Diese Möglichkeit wollen wir am 8. Juli darstellen und den jungen Ärzten die jeweiligen Vor- und Nachteile aufzeigen.

Die beliebteste Praxisform in Schleswig-Holstein ist aber immer noch die Einzelpraxis...

Hartz: Vielleicht nicht die beliebteste Praxisform, aber momentan noch die häufigste. Allerdings ist ein Trend zur Kooperation und Konzentration zu beobachten. Einzelpraxen werden häufig als Zweigpraxis einer größeren BAG oder eines MVZ fortgeführt, d. h. mit angestellten Ärzten. Insbesondere auf dem Land haben die bisherigen Praxisinhaber zuvor oft ergebnislos einen Nachfolger gesucht. Für die Anstellung finden sich dann eher Ärzte, so dass allein deswegen davon auszugehen ist, dass viele junge Ärzte zumindest für den Einstieg in die ambulante Versorgung eine Anstellung bevorzugen. Es gibt allerdings auch Ärzte, die sich gezielt in Einzelpraxis niederlassen wollen, weil sie aus Krankenhausstrukturen quasi flüchten und endlich selbstbestimmt arbeiten wollen.

Woran machen Sie den Trend zur Kooperation fest?

Hartz: An den Zahlen, die uns vorliegen, und an den Gesprächen mit den Ärzten, die sich für eine Tätigkeit in der Niederlassung interessieren. Aus unseren Terminen in der Niederlassungsberatung wissen wir, dass die Zusammenarbeit mit anderen Ärzten heute Priorität hat. Wir merken auch, dass vielen die Bedeutung, die der Schritt in die Kooperation hat, bewusst ist und die Partner sehr sorgfältig ausgesucht werden.

Da gibt es aber jede Menge Stolpersteine. Ein netter Kollege muss ja nicht zwangsläufig ein guter Praxispartner sein ...

Hartz: Das war schon immer so und führt immer wieder dazu, dass sich BAGs auflösen bzw. neu zusammen setzen. Da kann durch vertragliche Regelungen vorgesorgt werden. Wichtig ist, sich vorab gut zu informieren und nichts hilft besser als der Austausch mit Kollegen. Deshalb haben wir im Traineeprogramm Möglichkeiten dafür geschaffen. Auch für diese Veranstaltung konnten wir wieder Vertragsärzte gewinnen, die über ihre Erfahrungen berichten werden: Dr. Bernhard Bambas wird erzählen, wie er schon seit Jahrzehnten gemeinsam mit seiner Ehefrau eine Augenarztpraxis führt. Dr. Julia Holle ist erst seit diesem Jahr niedergelassen und kann ganz frische Erfahrungen aus den ersten Monaten mit ihrem früheren Klinikkollegen beisteuern und Dr. Christian Büll hat an der Etablierung und am stetigen Ausbau des ortsübergreifenden Orthopädie-Verbundes MedBaltic entscheidenden Anteil gehabt - das sind Erfahrungen, die für die jungen Ärzte sehr wertvoll sind.

INTERVIEW: Dirk Schnack


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 6/2016 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2016/201606/h16054a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

Anzahl der Ärzte in den jeweiligen Praxisformen

*

Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
69. Jahrgang, Juni 2016, Seite 24 - 25
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-127, -119, Fax: -188
E-Mail: aerzteblatt@aeksh.de
www.aeksh.de
www.arztfindex.de
www.aerzteblatt-sh.de
 
Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juli 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang