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AUSLAND/1549: Land ohne Ärzte - Medizinische Versorgung in Afghanistan (IPPNWforum)


IPPNWforum | 120 | 09
Mitteilungen der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.

Land ohne Ärzte - Medizinische Versorgung in Afghanistan

Eine knappe Bestandsaufnahme aus den Daten der letzten Jahre

Von Inga Kravchik und Anne Tritschler


Die medizinische Versorgung in Afghanistan nach acht Jahren Krieg ist verheerend. Zwar hatte das Gesundheitsministerium Afghanistans schon 2003 zusammen mit Hilfsorganisationen das "Basic Package of Health Services" erarbeitet, in dem Prioritäten wie Bekämpfung von Mütter- und Kindersterblichkeit oder Impfungen gegen die häufigsten Kinderkrankheiten genannt wurden. Sechs Jahre später hat jedoch noch immer etwa ein Drittel der Landbevölkerung keinen Zugang zu Gesundheitsversorgung und die durchschnittliche Lebenserwartung ist mit 46 Jahren um 20 Jahre kürzer als die in den Nachbarstaaten. Wir haben die oft nur lückenhaft vorhandenen medizinischen Daten der letzten Jahre zusammengetragen.


Die katastrophale medizinische Versorgung ist zum großen Teil auf den Mangel an Fachpersonal zurückzuführen: pro 10.000 Einwohner gibt es beispielsweise nur 2 Ärzte und 4,2 Krankenhausbetten. In Deutschland sind es etwa 35 Ärzte und 83 Betten. Allein 80 Prozent der afghanischen Ärzte sind jedoch in Kabul, ebenso wie 60% der Krankenhausbetten und 40% der Apotheken. Nur etwa 66% der ländlichen Bevölkerung haben Zugang zu medizinischer Versorgung, in den umkämpften Regionen im Süden und Südosten fehlt der Bevölkerung die wesentlichste Versorgung. "Die Situation in den Krankenhäusern ist sehr schlecht, es fehlt an kompetentem Fachpersonal, es herrscht Armut, Korruption und Misswirtschaft. In den Operationssälen fehlte richtiges Instrumentarium", berichtet Dr. Aimal Safi, der im Jahr 2008 mit insgesamt vier Ärzten zu einem freiwilligen Einsatz nach Afghanistan reiste und dort sieben Krankenhäuser in vier Provinzen besuchte.

Im Jahr 2008 waren nach Schätzung der afghanischen Behörden 230.000 Menschen vor Kampfhandlungen auf der Flucht. Hinzu kommen etwa 300.000 teilweise zurückgekehrte Flüchtlinge aus Pakistan und dem Iran. Afghanistan gehört zudem zu den am stärksten verminten Ländern der Welt. Etwa 100 zivile Unfälle pro Monat ereignen sich aufgrund der Millionen über das Land verteilten Minen. Auch werden immer wieder medizinische Einrichtungen durch Angriffe zerstört oder wegen fehlender Sicherheit geschlossen. Etwa 32 Gesundheitszentren sind 2007 in Brand gesetzt, zerstört oder geschlossen worden, im Jahr 2008 waren es 28.


Frauen und Kinder

Afghanistan hat die höchste Geburtenrate Asiens, durchschnittlich bringt eine afghanische Frau sechs bis sieben Kinder zur Welt. Nur 19% der Geburten werden jedoch durch medizinisches Fachpersonal betreut. Frauen und Mädchen werden oft daran gehindert, Gesundheitszentren aufzusuchen, weil weibliches Fachpersonal fehlt. Die Konsequenzen sind schwerwiegend: Afghanistan hat eine der höchsten Mutter-Kind-Mortalitäten weltweit. Jedes Jahr sterben etwa 24.000 Frauen vor, während oder direkt nach einer Geburt. Seit 2002 hat das Gesundheitsministerium etwas mehr als 2.000 Hebammen ausgebildet und eingestellt. Um allen afghanischen Frauen Geburtshilfe bieten zu können, wären laut Verband afghanischer Hebammen aber 8.000 Hebammen nötig. Fast ein Viertel der Kinder stirbt vor dem Erreichen des fünften Lebensjahres, vor allem an Durchfallerkrankungen, Atemwegsinfektionen und impfbaren Krankheiten wie Masern, Polio oder Diphterie. Etwa 21% der Todesfälle bei Kindern ließen sich durch Impfung vermeiden.


Wasser und Ernährung

Preissteigerungen bei Nahrungsmitteln, besonders für Weizen, treffen besonders die Bevölkerung in ländlichen Regionen. Während ein Haushalt in 2005 etwa 56% seines Einkommens für Nahrungsmittel ausgegeben hat, sind es heute etwa 85%. Knapp ein Drittel der Gesamtbevölkerung musste 2009 mit Nahrungsmitteln unterstützt werden. Etwa 4,5 Millionen Menschen sind von massivem Mangel an Trinkwasser und Nahrungsmitteln betroffen. Über eine Million Kleinkinder und eine halbe Million Frauen sind von Unterernährung bedroht.


Tuberkulose, Malaria, HIV/AIDS

Laut Gesundheitsministerium konnte die Mortalität und Morbidität von Tuberkulose um die Hälfte gesenkt werden, die Kontrolle von Malaria ist seit 2007 auf einem guten Weg. Nur etwa 1.000 bis 2.000 Afghanen leben mit HIV, die meisten gehören zu den 19.000 injizierenden Drogenkonsumenten. Mit der verstärkten Bekämpfung des Opiumanbaus wird sich die Verfügbarkeit von Heroin jedoch reduzieren. Dadurch wird der Gebrauch von Spritzen als kosteneffizientere Alternative und somit das Infektionsrisiko steigen.


Inga Kravchik ist Praktikantin der IPPNW-Geschäftstelle.
Anne Tritschler ist Assistentin der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der IPPNW.
Die Daten stammen von: WHO, UN, UNHCR, UNAIDS, WFP, The World Bank, ReliefWeb, AfghanistanOnline, AI, IRIN und HRW.


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Quelle:
IPPNWforum | 120 | 09, Dezember 2009, S. 20
Herausgeber:
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland
Anschrift der Redaktion:
IPPNWforum
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juli 2010