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LEITLINIE/061: Nutzen von Diagnoseverfahren für Asthma bei Kleinkindern ist unklar (IQWiG)


Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) - 04.08.2009

Zuverlässigkeit und Nutzen von Diagnoseverfahren für Asthma bei Kleinkindern ist unklar

Laut Studien kann kein Test die Erkrankung im Vorschulalter sicher feststellen


Wie zuverlässig Asthma bronchiale bei Kindern im Alter von 2 bis 5 Jahren diagnostiziert werden kann und welchen Nutzen Testergebnisse für diese Patientinnen und Patienten haben könnten, hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) untersucht. Am 4. August 2009 stellten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihren Abschlussbericht der Öffentlichkeit vor. Demnach weisen die verfügbaren Studien kein Diagnoseverfahren als besonders geeignet aus. Unklar bleibt auch, ob die Patientinnen und Patienten aufgrund der Testergebnisse anschließend so behandelt werden können, dass sie davon profitieren.

Einen entsprechenden Forschungsauftrag hatte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) dem Institut erteilt. Das Gremium möchte mithilfe der IQWiG-Expertise die Frage beantworten, ob das bestehende Disease Management Programm (DMP) auf Kinder im Vorschulalter ausgeweitet werden soll. Bisher können Kinder erst ab einem Alter von 5 Jahren in ein DMP eingeschrieben werden.


Hohe Sicherheit der Diagnose erforderlich

Asthma bronchiale beginnt häufig im frühen Kindesalter, ist zu diesem Zeitpunkt aber nur schwer eindeutig zu diagnostizieren. Zudem sind kleine Kinder häufig wieder symptomfrei, wenn sie das Schulalter erreichen. Einerseits sollen bei der Untersuchung keine Asthma-Fälle übersehen werden, damit sie frühzeitig angemessen therapiert werden können. Andererseits sollen Kinder, die in Wirklichkeit kein chronisches Asthma haben, nicht unnötig behandelt und dadurch womöglich geschädigt werden. Die Sicherheit der Diagnose ist deshalb besonders wichtig.

Das IQWiG war in einem ersten, bereits abgeschlossenen Bericht der Frage nachgegangen, ob sich aus ärztlichen Behandlungsleitlinien ein Referenzstandard ableiten lässt, an dem die diagnostische Sicherheit einzelner Verfahren gemessen werden könnte. Als Referenzstandard bezeichnet man die jeweils aktuell beste und zuverlässigste Methode, eine Krankheit zu diagnostizieren oder auszuschließen. Da ein solcher Test nicht identifiziert werden konnte, hat das Institut in einem zweiten Schritt die Genauigkeit von Diagnoseverfahren ohne Bezug zu einem Referenzstandard untersucht.


Aus Studien ist keine Empfehlung zu Diagnoseverfahren ableitbar

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gingen dabei zunächst der Frage nach, wie gut die Verfahren geeignet sind, zwischen symptombehafteten aber nicht dauerhaft behandlungsbedürftigen Kindern einerseits und den ein chronisches Asthma entwickelnden Kindern andererseits zu unterscheiden. Diese Diskriminierungs- und Vorhersagefähigkeit ist insbesondere für diejenigen Kinder bedeutsam, die potenziell in ein DMP eingeschrieben werden sollen.

Nach Auswertung von insgesamt 7 derzeit verfügbaren Studien kommen sie zu dem Ergebnis, dass sich aus der Literatur keine Empfehlung für eine einzelne Methode - oder eine Kombination bestimmter Methoden - ableiten lässt, die als Kriterium für eine Einschreibung in ein DMP dienen könnte. Es ließ sich nicht feststellen, ob ein Test besser ist als einer der anderen.

Das liegt zum einen daran, dass es nur sehr wenige klinische Vergleiche zur Fragestellung des Auftrags gibt. Zum anderen sind die darin enthaltenen Daten nicht aussagekräftig, da die Studien- und Berichtsqualität Mängel aufweist. Beispielsweise fehlen darin Angaben wie schwer die dort untersuchten Patienten erkrankt waren. Der Schweregrad kann aber einen Einfluss darauf haben, wie zuverlässig der Test die Erkrankung feststellt. Die ausgewerteten Studien deuten darauf hin, dass ein diagnostischer Algorithmus angewendet werden könnte, d.h. eine bestimmte Reihenfolge, in der einzelne Maßnahmen miteinander zu kombinieren sind.


Methode der "Linked Evidence" nicht anwendbar

Um die Diagnoseverfahren zu bewerten, haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des IQWiG auch ihre Wirksamkeit eingeschätzt. Die Tests können nur dann als wirksam bezeichnet werden, wenn sich aus ihnen therapeutische Konsequenzen ziehen lassen, d.h. die Patienten so behandelt werden können, dass sie davon profitieren. Wie die Recherche zeigte, gibt es derzeit aber keine Diagnosestudien anhand derer sich die Frage nach der Wirksamkeit der Tests direkt beantworten ließe (Diagnosestudien Phase 4). Denn dies setzt ein Studiendesign voraus, das eine - aus einem Test und einer Intervention bestehende - Behandlungsstrategie untersucht.

Sind Informationen zu Diagnoseverfahren und therapeutischen Maßnahmen nur in getrennten Studien verfügbar (Diagnosestudien Phase 2 und 3 und Therapiestudien), kann man versuchen, diese zusammenzuführen und gewissermaßen zu "verlinken". So lassen sich zumindest indirekt Erkenntnisse zur klinischen Wirksamkeit von diagnostischen Verfahren gewinnen. Allerdings ist diese Methode der "linked evidence" an bestimmte methodische Voraussetzungen gebunden. Wie das IQWiG und seine externen Sachverständigen feststellten, sind diese Voraussetzungen bei den bisher verfügbaren Studien zur Asthma-Diagnose bei Kindern unter 5 Jahren nicht gegeben. So fehlt insbesondere ein Referenzstandard.


Keine belastbaren Aussagen zur Wirksamkeit möglich

Auch ein modifiziertes Vorgehen, das - angelehnt an die Kriterien der "linked evidence" - die Studien ohne bestehenden Referenztest zu verbinden versucht, ist nicht möglich. Das liegt unter anderem daran, dass in den Therapiestudien die asthmaspezifischen Einschlusskriterien nicht präzise beschrieben sind. Zudem nutzte keine der Therapiestudien für den Einschluss ein Verfahren, dessen diagnostische Güte bereits durch Studien belegt ist.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ziehen deshalb das Fazit, dass sich die Ergebnisse aus den Diagnose- und Therapiestudien nicht im eigentlichen Sinne einer "linked evidence" sinnvoll zusammenführen lassen. Es lassen sich weder belastbare Aussagen zur Güte einzelner, in Therapiestudien verwendeter Tests, noch zur klinischen Wirksamkeit der in Diagnosestudien der Phase 2 und 3 geprüften Interventionen treffen.


Zum Ablauf der Berichtserstellung

Die vorläufigen Ergebnisse hatte das IQWiG in zwei getrennten Vorberichten im Juni (Teil 1) und im September (Teil 2) 2008 veröffentlicht und zur Diskussion gestellt. Nach dem Ende des Stellungnahmeverfahrens wurden die beiden Vorberichte überarbeitet, in einem Abschlussbericht zusammengeführt und Anfang Juni 2009 an den Auftraggeber versandt. Eine Dokumentation der schriftlichen Stellungnahmen zu beiden Vorberichten sowie ein Protokoll der mündlichen Erörterung derselben werden in einem eigenen Dokument zeitgleich mit dem Abschlussbericht publiziert. Der Bericht wurde gemeinsam mit externen Sachverständigen erstellt.


Fragestellung in drei Abschlussberichten umfassend beantwortet

Mit diesem Abschlussbericht ist das gesamte Auftragspaket abgearbeitet. Auf Basis der IQWiG-Expertise kann der G-BA nun darüber beraten, ob das DMP Asthma auf Kinder unter 5 Jahren ausgeweitet werden soll oder nicht.

In einem ersten Teilauftrag hatte das IQWiG geprüft, ob es ein allgemein anerkanntes Verfahren zur Diagnose von Asthma bei Kindern gibt. Der Abschlussbericht kommt jedoch zu dem Ergebnis, dass es einen solchen Referenzstandard nicht gibt. Deshalb mussten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im nachfolgenden Teilauftrag die Genauigkeit von Diagnoseverfahren ohne Bezug zu einem Vergleichstest untersuchen. Das Ergebnis wurde hier ausführlich dargestellt: Weder kann man einen bestimmten Test als Grundlage für die Einschreibung in ein DMP empfehlen, noch sind belastbare Aussagen dazu möglich, ob Kleinkinder aufgrund der Tests anschließend so behandelt werden können, dass sie davon einen Nutzen haben.

In einem dritten Teilauftrag hatte das IQWiG schließlich den Nutzen medikamentöser und nichtmedikamentöser Interventionen bewertet. Wie das IQWiG feststellt, bleibt unklar, ob 2- bis 4-Jährige von Maßnahmen profitieren, die im DMP Asthma bislang nur Kindern ab 5 Jahren angeboten werden. Denn entsprechende Interventionen sind für Kinder im Vorschulalter nur unzureichend untersucht. Aus wenigen Studien gibt es Hinweise, dass der für Kinder ab 4 Jahren zugelassene Wirkstoff Fluticasonpropionat (ICS) die Rate akuter Verschlechterungen (Exazerbationen) senken und die Zahl asthmafreier Tage erhöhen kann. Allerdings kann er auch das Längenwachstum vermindern.


Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.iqwig.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
http://idw-online.de/pages/de/institution906


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen
(IQWiG), Dr. Anna-Sabine Ernst, 04.08.2009
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. August 2009